Es besteht ein großes Interesse daran, zu wissen, was Menschen meinen, um zu wissen, wie man sie beeinflussen kann oder wie man sich verhalten soll, wenn man von der Meinung der Menschen abhängig ist (vor allem, wenn man Produkte auf den Markt werfen will, inklusive Waschmittel, Parteiprogramme und Politiker). Niemand käme auf die Idee, aus der Tatsache, daß viele Menschen eine bestimmte Meinung haben abzuleiten, daß diese Meinung wahr wäre. Wir trauen der Mehrheit durchaus zu, daß sie sich für den dümmsten, gleichwohl aber charismatischsten Kandidaten und das Waschmittel mit dem schönsten Namen aber nicht der besten Wirkung entscheiden. Demokratie und Wäsche müssen mit diesem Makel auskommen, da die bisher getesteten Alternativen wie Diktatur und Planwirtschaft den Praxistest nicht bestanden haben.
Recht problematisch wird es daher, wenn man eine Meinungsumfrage unter den Menschen durchführt, „die es wissen müßten“. Dann nämlich neigt man dazu, die so erforschte Meinung mit dem vorhandenen Wissen zu verwechseln. Solche Umfragen werden dann auch gerne von Menschen mißbraucht, die mit dem etablierten Wissen nicht einverstanden sind. Im einfachsten Fall wird eine nicht repräsentative Umfrage auf einer falsch deklarierten Referenzgruppe gestartet, z.B. indem man unkontrolliert Menschen mit vage akademischen Hintergrund teilnehmen lässt, die mitteilen sollen, ob sie ein bestimmtes Pamphlet unterzeichen, und diese als Wissenschaftler ausgibt, deren Meinung dann bei einem speziellen Fachthema relevant sein soll. Tatsächlich ist so etwas ohnehin keine Umfrage, sondern nur eine Unterschriftenliste, bei der sich natürlich die Anhänger einer bestimmten Meinung ansammeln. Wenn man nicht weiß, wie groß die hypothetische Unterschriftenliste der Gegenseite ist, kann man daraus gar nichts schließen.
Der entscheidende Einwand ist aber, daß in der Wissenschaft der Erkenntnisstand das ist, was in relevanten Fachzeitschriften publiziert wird, die darauf folgende Kritik übersteht und im folgenden von anderen als nützliche, relevante und gesicherte Erkenntnis zitiert und weiter verwendet wird. Was das ist, wissen nur die Menschen, die auf dem Gebiet arbeiten, und das kann manchmal ein sehr kleiner Haufen sein, wenn es um recht spezielle Erkenntnisse geht.
Bray und von Storch haben 1996, 2003 und nunmehr auch 2008 eine Umfrage unter Menschen durchgeführt, die sie in einer Vorauswahl als Wissenschaftler auf dem Gebiet der Klimaforschung identifiziert hatten, und bei der sie einen umfangreichen Satz von Fragen stellten, von dem man nicht erwarten konnte, daß alle Befragten in gleicher Weise kompetent sind. Bei einer Rücklaufquote von unter 20% der Befragten habe ich zwar meine Probleme damit, daß man hier annehmen möchte, zu repräsentativen Ergebnissen zu kommen. Zudem sind erhebliche Zweifel angemeldet worden, ob die Formulierung und Auswahl der Fragen zu belastbaren Aussagen führen kann (hier eine deutsche Übersetzung eines Beitrags von Gavin Schmidt auf RealClimate). Aber mir ist dabei zusätzlich in einer Antwort von Bray auf die Kritik aufgefallen, daß er im Grunde unfreiwillig selbst ein gewichtiges Argument anführt, warum seine Umfragen problematisch sind. Es geht um folgende Frage in den verschiedenen Formulierungen von 2003 und 2008:
2008: How convinced are you that most of the recent or near future climate change is, or will be, a result of anthropogenic causes? (response range: 1 = not at all, 7 = very much)
(Wie stark sind Sie davon überzeugt, daß der Klimawandel zum größten Teil in der letzten Zeit oder nahen Zukunft eine Folge menschlicher Ursachen ist?)
7-5: 83,5% (mehr oder weniger davon überzeugt)
1-3: 11,1% (mehr oder weniger nicht dieser Meinung)
2003: Climate change is mostly the result of anthropogenic causes
(Klimawandel ist zum größten Teil Folge menschlicher Ursachen)
1-3: 56% (mehr oder weniger davon überzeugt)
5-7: 30% (mehr oder weniger nicht dieser Meinung)
Bray meinte, die ganze Kritik an der Umfrage von 2003 sei doch übertrieben, wenn man 2008 fast das gleiche Ergebnis bekommt. Doch gerade bei dieser Kernfrage ist das Ergebnis sehr unterschiedlich. 2003 schienen die Wissenschaftler demnach uneinig darüber zu sein, ob der Klimawandel vorwiegend von Menschen verursacht wird. Die Fraktion der Verfechter menschlicher Ursachen ist noch nicht mal doppelt so groß wie die der „Skeptiker“. 2008 plötzlich findet man eine überwältigende Mehrheit für den Menschen als Verursacher des Klimawandels. Die „Skeptiker“ sind eine unbedeutende Minderheit. Hat es zwischen 2003 und 2008 einen gewaltigen Wissensfortschritt gegeben, einen Paradigmenwechsel in der Klimaforschung oder überwältigende neue Beweise? Nein. Nur die Fragestellung hat sich in einem unbedeutend scheinenden Punkt geändert. Plötzlich wird ein Zeitraum angegeben, in dem der Klimawandel menschenverursacht sein sollte, nämlich „kürzlich und in naher Zukunft“. Damit hat man auf einen Schlag alle Wissenschaftler ins Boot bekommen, die vorher pedantisch die Frage so interpretierten, ob man auch über die Erwärmung vor 1950 oder über geologische Zeiträume den Menschen als Verursacher annehmen kann – natürlich nicht. Wenn die Ergebnisse so empfindlich davon abhängen, wie die Frage gestellt wird, ist wohl klar, daß die Umfrage von Bray und von Storch hoch problematisch ist. Schon als eine Soziologie der Klimaforscher, aber noch mehr, weil viele Menschen den oben genannten Fehler machen, Meinung mit anerkanntem Wissen zu verwechseln und weil die Aussagen der Klimaforschung nun einmal eine hochpolitische Sache geworden sind. Die Umfrage 2003, die suggerierte, daß die Wissenschaftler sich nicht ganz einig seien, war ja eine durchaus nützliche Argumentationsgrundlage für Menschen, die grundsätzlich Maßnahmen zur Minderung der weiteren Erwärmung aus politischen Gründen ablehnen. Die Umfrage von 2008 wird sicher auch ihre Liebhaber finden, die sich ihre Fragen herauspicken, immer in der falschen Annahme, Meinungen unter einer Gruppe von Wissenschaftlern hätten etwas damit zu tun, was der anerkannte Wissensstand auf einem Fachgebiet ist.
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