Mittwoch, 20. Mai 2009

Glücksrad

Die Risiken des Klimawandels sind für viele Menschen schwer zu verstehen, weil es sich dabei um eine Umsetzung einer Verteilung von Möglichkeiten handelt. Unser Wissen über die zukünftige Entwicklung der Emissionen wie auch über die Stärke verschiedener Rückkopplungen von Atmosphäre, Biosphäre und Ozeanen ist begrenzt. Es gibt daher verschiedene mehr oder weniger wahrscheinliche Entwicklungspfade in die Zukunft. Eine Möglichkeit, diese Verteilung begreifbar zu machen, ist das Bild des Glücksrades. Wenn man es dreht, wird der Zeiger nach einer Weile in einem der Felder stehen bleiben. Heißen die Felder „2-3 Grad“ oder „4-5 Grad“ Anstieg der globalen Temperatur bis 2100, werden diese Felder unterschiedlich groß, je nachdem, wie wahrscheinlich eine Kombination von Faktoren ist, die in diesen Temperaturbereich führen. Das Bild führt auch vor Augen, daß wir mit unserer Zukunft spielen. Wie viel Risiko möchte man für die Lebensbedingungen seiner Kinder und Enkel eingehen? Ist es das wert, zu investieren, um dieses Risiko zu verringern?

Glücksradbild in der Pressemitteilung des MIT zu Sokolov et al 2009.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) weist in einer aktuellen Pressemeldung auf neue Ergebnisse mit dem MIT Integrated Global Systems Model (MIT-IGSM) hin. In 400 verschiedenen Simulationen mit jeweils veränderten Parametern wurde dabei untersucht, welche zukünftigen Entwicklungen wahrscheinlicher sind als andere. Zugleich wurde untersucht, welche Auswirkungen Maßnahmen haben, die die Treibhausgasemissionen drastisch einschränken. Ein Artikel ist dazu im Mai im Journal of Climate erschienen (Sokolov et al. 2009, Probabilistic forecast for 21st century climate based on uncertainties in emissions (without policy) and climate parameters).

Das MIT-IGSM ist ein Modell, das Land, Atmosphäre, Ozeane und Biosphäre ebenso modelliert, wie die Auswirkungen der Ökonomie auf die Emissionen. Nicht enthalten ist zum Beispiel die Möglichkeit, daß tauender Permafrostboden zu einer starken Methanquelle werden könnte. Einer der Autoren der Studie, Ronald Prinn, nannte dies als einen von mehreren Faktoren, die es als möglich erscheinen lassen, daß das Modell die zukünftige Erwärmung immer noch unterschätzt. Allenfalls könnten neuere Abschätzungen auf eine stärkere Erwärmung der Ozeane hindeuten. Das würde bedeuten, daß man den Wärmeaustausch mit den Ozeanen stärker einschätzen würde und sich dadurch die Luft oberhalb der Ozeane nicht ganz so stark erwärmen würde. Das könnte den Medianwert des Temperaturanstiegs noch um 1,1 Grad senken.

Die Ergebnisse sind beunruhigend. Im Mittel (Median der 400 Simulationen) ist die erwartete globale Erwärmung bis 2100 5,2 Grad, wenn keine Maßnahmen gegen eine globale Erwärmung getroffen werden. Nimmt man wieder das Bild des Glücksrades, das in der Studie verwendet wird, landet man mit 90% Wahrscheinlichkeit irgendwo in einem großen Feld von 3,5 bis 7,4 Grad. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nicht klein dafür, bei mehr als 6 Grad Erwärmung zu landen, und jedenfalls ist das wahrscheinlicher, als in das Feld von 3-4 Grad zu gelangen. Und selbst das wäre eine Erwärmung, bei der viele Wissenschaftler damit rechnen, daß Kippunkte der Erde getroffen werden, wie etwa ein Abschmelzen des grönländischen Eisschildes oder eine Entwaldung des Amazonasgebietes. Es ist eine Form des Glücksrades, bei der man nur verliert, und nur noch offen ist, wie katastrophal.

Selbst wenn man massive Maßnahmen gegen eine globale Erwärmung einleitet, sieht das Glücksrad nicht wirklich gut aus. 2,3 Grad wäre die mittlere Temperatur, aber in mehr als 10% der Fälle würde der Temperaturanstieg immer noch über 3 Grad betragen. Im Dezember wollen die Staaten in Kopenhagen eine Übereinkunft erzielen, die die globale Erwärmung bis 2100 auf 2 Grad begrenzen soll, ein Niveau, von dem man glaubt, daß man sich an dieses mit vertretbarem Aufwand anpassen könnte. Die Modellrechnungen am MIT sind eine Warnung, daß wir ohne drastische Maßnahmen in ein Glücksspiel eintreten, das uns keine Gewinnchancen läßt.

Die Arbeit wurde auch kürzlich von Joe Romm auf ClimateProgress kommentiert.

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