Sonntag, 14. Februar 2010

Sabotage

In einigen Beiträgen habe ich diskutiert, daß Fehler in den IPCC-Berichten aufgetreten sind, wie es nun einmal in Berichten dieser Größe zu erwarten ist. Weitaus mehr sind allerdings die „Fehler“, die in den Medien diskutiert werden, eher Ausdruck von Gesetzmäßigkeiten der Medien und von einer konzertierten Aktion politischer und wirtschaftlicher Interessengruppen, ihre Lobbyarbeit zu machen. Ihr Ziel ist es, Regulierungsmöglichkeiten des (amerikanischen) Staates und internationaler Organisationen zu beschränken, Energiepreise niedrig zu halten, so lange es geht und den Einfluß des Menschen auf die Umwelt zu bestreiten, damit möglichst lange keine Klimaschutzmaßnahmen in Kraft treten.

Letztlich ist das Bestreben solcher Gruppe die Verhinderung politischer Maßnahmen und die Sabotage der dafür erforderlichen wissenschaftlichen Arbeit. Nicht unwichtig ist in dem Zusammenhang, daß wir solche Abläufe bereits von der Diskussion um die Gefahren des Rauchens kennen. Vor allem in den USA spielen Lobbygruppen, sogenannte Thinktanks, eine große Rolle, um die öffentliche Wahrnehmung entsprechend den Interessen politischer oder wirtschaftlicher Gruppen zu formen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne gegen die wissenschaftliche Darstellung der Gefahren des Rauchens. Die gewählte Strategie der Tabakindustrie war zum einen, die Kontroverse zu fördern. In der Öffentlichkeit wurde der Eindruck erweckt, es gäbe noch eine wissenschaftliche Diskussion über die Gefahren des Rauchens, als die Wissenschaft hier zu den Grundsatzfragen schon längst einen Konsens erzielt hatte. Diese Strategie wurde von den entsprechenden Instituten, wie George C. Marshall Institute, Heartland Institute usw. auf das Thema des menschengemachten Klimawandels übertragen. In Deutschland gibt es so etwas in dem Ausmaß nicht, obgleich zum Beispiel EIKE, ein Altherrenverein, der vortäuscht ein seriöses europäisches Institut zur Klimaforschung zu sein, in bescheidenerem Maßstab solche Strategien umsetzt. Ich vermute unter anderem, daß Mitarbeiter von EIKE dafür Sorge tragen, daß die Diskussionsforen der Zeitung, z.B. von Welt und FAZ, von Menschen dominiert werden, deren Freizeit anscheinend damit ausgefüllt ist, zu jedem Artikel zum Thema wissenschaftsfeindliche Beiträge zu bringen und die Bewertungen von Artikeln in ihrem Sinne zu manipulieren.

Ich finde daher auch nur im englischen Wikipedia den Begriff „artificial controversy“ „künstliche Kontroverse“, bei man weitere Informationen zu diesem Thema finden kann.

Eine weitere im Rahmen des Abwehrkampfes der Tabakindustrie entwickelten Strategien ist die, nicht die Sache, sondern die Personen anzugreifen. Die Gegner der Tabakindustrie sind die Wissenschaftler, die den Erkenntnisstand zu den Gefahren des Rauchens entwickelten. Billiger als aufwendige Gegenstudien ist es, die Wissenschaftler anzugreifen. Zum einen können die Entscheidungsträger den wissenschaftlichen Gehalt von Studien gar nicht beurteilen. Sie sind darauf angewiesen, den Wissenschaftlern zu vertrauen. Wird das Ansehen der Wissenschaftler durch erfundene Anschuldigungen beschädigt, worüber auch Klimaforscher klagen, kann man sehr effizient die Wirkung wissenschaftlicher Ergebnisse mindern. Zum anderen kann man Wissenschaftler von ihrer Arbeit abhalten, wenn man sich damit beschäftigt, Anschuldigungen abzuwehren und einen immer größeren Aufwand zu treiben, die eigene Arbeit abzusichern. Zumal Wissenschafler typischerweise gar nicht darauf vorbereitet sind, Öffentlichkeitsarbeit und insbesondere Imagekampagnen zu betreiben. Im Gegenssatz zur Industrie haben sie dafür gar keine Mittel. Milliarden für klinische Forschung kann man also gegenhebeln mit wenigen Millionen, um ein paar Pseudoinstitute Stimmung gegen Wissenschaftler machen zu lassen. Am Ende läuft es darauf hinaus, daß das günstigste simple Sabotage an der Wissenschaft ist.

Also reden wir mal über Sabotage gegen die Klimaforschung.

Einen Namen möchte ich dabei hervorheben. Es ist Steve McIntyre. McIntyre ist ein Statistiker, der 30 Jahre lang als Angestellter im Bergbaubereich gearbeitet hatte und nun im Ruhestand ist. Ich denke aber, daß er aus dieser Zeit eine für den (Kohle-)bergbau freundliche Haltung mitbringt und für ihn der Kohleabbau und somit CO2-Emissionen nicht schädlich sein können, da sie nicht schädlich sein dürfen. Er bezeichnet sich selbst, ohne spezielle Vorkenntnisse dafür, als Auditor wissenschaftlicher Arbeit in Verkennung der Bedeutung des Wortes. McIntyre hört keineswegs denen zu, die er angeblich auditiert. Was er macht, ist die Kritik von Arbeiten, soweit sich dadurch politisch wirksam das IPCC angreifen läßt. Er ist weder neutral, immerhin gehört er unter anderem zu den Mitarbeitern des George C. Marshall-Institutes, das zu den Lobbyorganistionen gehört, die unter anderem öffentlich Stimmung gegen die Wissenschaft machen sollen, noch hält er Grundsätze des Audits und des Auditors gemäß ISO 19011:2005 ein. Er ist kein Wissenschaftler und seine einzige Publikation in einer seriösen wissenschaftlichen Zeitschrift ist, abgesehen von Kommentaren oder Antworten auf Kommentaren, zusammen mit dem Ökonomen McKitrick eine Kritik an der Temperaturrekonstruktion von Mann et al 1998. Er hat in dieser Kritik Detailfehler in der Arbeit finden können. Daraus leiten er, seine Anhänger um seinen Blog ClimateAudit und die Leugner, die sich auf ihn beziehen, ab, daß die Arbeit von Mann et al. damit widerlegt sei. Das ist falsch. Warum?

An der Stelle muß ich einen Einschub machen:

Bei wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Geowissenschaften handelt es sich normalerweise um komplexe Bearbeitungen großer Datenquellen oft unterschiedlicher Quellen. Jeder, der in so einem Bereich gearbeitet hat, weiß, daß es praktisch unvermeidbar ist, daß sich immer wieder einzelne Fehler einschleichen. Gravierende Fehler können einem bei der Arbeit auffallen, und werden in der Regel beseitigt, bevor man in eine Publikation geht, aber Fehler, die sich auf das Ergebnis nicht auswirken, kann man unter Umständen übersehen. Entscheidend für die publizierte Arbeit ist, daß ihre Ergebnisse reproduzierbar sind und man auf ihr aufbauen kann. Stellt man Abweichungen im Detail fest, ist eine Korrektur erforderlich, aber niemand käme auf die Idee, zu behaupten, die ganze Arbeit sei dadurch wertlos.

Es geht sogar noch weiter. Wissenschaft ist keine Juristerei. Im Rechtswesen kann ein Urteil wegen eines Formfehlers ungültig werden. Wenn zum Beispiel Beweismittel nicht verwertet werden dürfen, kann das darauf ruhende Urteil angefochten werden, selbst wenn jeder weiß, daß der Verurteilte unwiderlegbar schuldig ist. Andererseits kann ein auf schwachem Beweismaterial beruhendes Urteil trotzdem voll gültig sein, weil es formal korrekt erteilt wurde. In den Naturwissenschaften ist es genau andersrum. Wissenschaftler würdigen das Beweismaterial und den Erfolg der Feststellungen. Stellt sich heraus, daß eine Feststellung auf teilweise falschen Daten beruht, die Feststellung selbst ist aber aufgrund seiner Vorhersagekraft erfolgreich eingeführt, wird sie nicht wieder aufgegeben. Ein Beispiel dafür sind die Mendelschen Regeln. Sie sind gültig und können inzwischen auf der Basis unserer Kenntnisse über die Genetik bestätigt werden. Aber die von Mendel angegebenen Daten, mit denen diese Gesetze einst bewiesen wurden, sind nach Hinweisen des Statistikers Ronald Fisher zu genau, um glaubwürdig zu sein. Hätte Mendel heutzutage publiziert, würden Nachprüfungen möglicherweise ergeben, daß die Daten geglättet wurden, um besser zu den Ergebnissen zu passen. Es gäbe einen Skandal. Aber an den Mendelschen Regeln würde das nichts ändern.

Das Beispiel zeigt, wo das erste Problem bei der Arbeit von McIntyre liegt. Fehler im Detail zu finden ist keine wissenschaftlich wertvolle Arbeit. Zwar sollten auch Fehler im Detail korrigiert werden, aber weitaus wichtiger ist, ob Feststellungen im Kern richtig sind. Man kann jetzt sehr lange dazu schreiben, ob Mann et al. Arbeit von 1998 richtig oder falsch ist. Es sind aber seitdem viele andere Temperaturrekonstruktionen veröffentlicht worden, aus denen diese Arbeit nicht heraussticht. Siehe Bild 6.10 in Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, 2007, Solomon, S., D. Qin, M. Manning, Z. Chen, M. Marquis, K.B. Averyt, M. Tignor and H.L. Miller (eds.), Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA. Keine Temperaturrekonstruktion sticht heraus.



Wenn Mann et al. 1998 falsch sein sollte, müßten ALLE Arbeiten falsch. Wahrscheinlicher ist, daß McIntyre zusammen mit McKitrick auf unwichtigen Details herumreitet. Daran könnte sich nur etwas ändern, wenn irgendeine revolutionäre Entdeckung gemacht wird, die die Grundlagen für ALLE Temperaturrekonstruktionen ändern. McIntyre unternimmt nichts, was in diese Richtung führen könnte. Da seine Arbeit also nur dazu führen kann, daß nach Fehlern im Detail gesucht wird, die an den Kernfeststellungen nichts ändern, ist seine Arbeit alleine auf Obstruktion ausgerichtet, auf das Schüren von Zweifeln an dem Stand der Wissenschaft, ohne selbst etwas konstruktiv dagegen zu setzen. McIntyre, so muß ich vor diesem Hintergrund schließen, hat das Ziel, den Eindruck zu erzeugen, die Temperaturrekonstruktion von Mann et al sei falsch, obwohl er weiß, daß sie im Grundsatz korrekt ist. Dahinter steckt nach meiner Meinung, daß McIntyre hier Lobbyarbeit macht.

Hinweise darauf gibt zum einen die Darstellung der Wegman-Anhörung, in der sich zeigt, daß diese Anhörung eine politische Schauveranstaltung war, in der Michael Mann vorgeführt werden sollte. Beraten wurden die angeblich unparteiischen Untersucher von MacIntyre, der seinerseits mit dem republikanischen Lager gut vernetzt war.

Zum anderen zeigt sich McIntyres Bestreben, Sabotage zu verüben, um mißliebige Wissenschaftler zu behindern oder gar auszuschalten und Zweifel an etablierten Forschungsergebnissen zu produzieren, in seinen Versuchen, mit Anfragen zu Daten Angriffe auszuüben. Fragen nach Daten bei verschiedenen Institutionen sind für McIntyres Agenda immer ein Gewinn. Werden die Daten geliefert, können sie nach Fehlern durchforstet werden. In komplexen Datenmengen findet man fast immer Fehler. Es ist egal, ob diese Fehler signifikant sind. Entscheidend ist das Signal an die Öffentlichkeit, daß wesentliche Daten fehlerhaft seien, auf denen Aussagen zum Klimawandel beruhten. Werden die Daten nicht geliefert, kann McIntyre hingegen die Geheimhaltung wichtiger Daten reklamieren und die Unterstellung nähren, die Klimaforschung hätte Datenmanipulationen zu verbergen. Immer neue Anfragen und Forderungen stören zudem die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit.

In einem Beispiel erzeugte McIntyre über seine Schar gläubiger Leugner um seinen Blog ClimateAudit über 40 Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (FOI-Anfragen). Jede FOI-Anfrage muß nach gesetzlichen Regeln bearbeitet werden, auch wenn die Abfrage vermutlich missbräuchlich betrieben wird. Wenn die Anfrage nur gesichtet und dann die Ablehnung begründet wird, ist dies auch noch der harmloseste Fall. Gut 105 FOI-Anfragen in 5 Jahren waren alleine bei der Climate Research Unit zu bearbeiten. Die meisten Anfragen betrafen Daten, die im übrigen aus anderen Quellen hätten beschafft werden können. Klimadaten werden zum Beispiel vom Deutschen Wetterdienst verkauft. Würde McIntyre sie über FOI-Anfragen kostenlos von Forschungseinrichtungen beziehen, könnte der Deutsche Wetterdienst wie alle anderen nationalen Wetterdienste solche Daten nicht mehr kostenlos für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Es gehört nicht viel Intelligenz dazu, zu verstehen, daß McIntyre gar nicht in der Position ist, von allen Einrichtungen beliebig Daten einzufordern, die alleine zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden. McIntyre betreibt keine Forschung, er betreibt Lobbyarbeit, und sollte selbstverständlich die Arbeit, die er erzeugt und die Daten, die er abruft, bezahlen. Das macht er nicht.

Es bleibt der Schluß, daß die Anfragen von SteveMcIntyre einfach Mißbrauch waren. In einem Fall war einer der Versender einer FOI-Anfrage noch nicht mal in der Lage, in den Mustertext die Staaten einzusetzen, zu denen er angeblich Informationen wollte. Ein klarer Fall von Sabotage. Kein Wunder, daß man sich bei der Climate Research Unit von McIntyre angegriffen fühlte, und daß Phil Jones darüber nachdachte, Emails löschen zu lassen, die Ziel solcher Anfragen sein könnten. Anschuldigungen im Zusammenhang damit zielten auch auf Michael Mann an der Pennsylvania State University. Eine Untersuchung fand ihn allerdings unschuldig in Bezug auf alle Anschuldigungen (mit einer Ergänzung, die ich unten anbringe). Dazu gehört: keine Email ist tatsächlich gelöscht worden, wie Jones es in der Hitze der Emaildiskussion zunächst wünschte. In der öffentlichen Diskussion wurde aber so getan, als wären Daten versteckt und vernichtet worden, und McIntyre hatte über seinen Blog in aller Boshaftigkeit diesen Eindruck verstärkt. Auch dies ist ein übliches Muster. Hinter diesem Link wird geschildert, wie McIntyre den Eindruck zu erwecken versuchte, Keith Briffa hätte Daten zurückgehalten, bis dann herauskam, daß McIntyre diese Daten schon längst hatte - und Briffa hatte ihm auch gesagt, wie er an sie herankommen könnte. Hier weitere Beispiele dazu, wie McIntyre zu den gehackten Emails Unterstellungen produzierte.


Alle diese Anfragen, Anschuldigungen und provozierten Verteidigungen und Untersuchungen dienen gleichzeitig dazu, der Öffentlichkeit zu suggerieren, die Wissenschaft sei zerstritten und wichtige Wissenschaftler seien unseriös, und eben diese Wissenschaftler von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten bis dahin, daß Phil Jones sogar dazu getrieben war, über Selbstmord nachzudenken. Wegen Morddrohungen steht er unter Polizeischutz - keine gute Umgebung für wissenschaftliche Arbeit.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welchen Zusammenhang es zwischen dem CRU-Hack gibt und interessierten Lobby-Gruppen, in die McIntyre eingebunden ist. Dies ist alles Spekulation, daher schreibe ich zu diesem Punkt nichts weiter, so lange es keine Ergebnisse der polizeilichen Untersuchungen gibt. Sicher ist bisher nur, daß der CRU-Hack für die genannten Lobbyinstitutionen nützlich war und intensiv ausgenutzt wird, um Stimmung gegen Wissenschaftler zu machen.

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