Dienstag, 18. Mai 2010

Postnormale Wissenschaft - ein idealer Begriff für Schmierattacken

Als Chemiker habe ich keine Ahnung von Philosophie, Soziologie oder Wirtschaftswissenschaften. Wenn ich also etwas darüber schreiben möchte, wandele ich auf dünnem Eis - Dunning-Kruger winkt schon. Aber zum Glück gibt es schnell den Bullshit-Alarm, wenn jemand aus den Gefilden der Philosophie versucht, zu erklären, wie Naturwissenschaftler eigentlich Naturwissenschaften machen.

Gestern habe ich vom Hartwell-Papier geschrieben. Das hatte gleich den Bullshit-Alarm ausgelöst. Natürlich ist es möglich, daß Ökonomen schlaue Dinge zu ökonomischen Zusammenhängen beim Klimawandel herausfinden, die ich nicht beurteilen kann. Aber wenn sie erzählen wollen, es sei ökonomisch sinnvoller, die CO2-Reduktion hintenan zu stellen, weil es einfachere Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels gäbe, dann ist klar, daß es hier in Wahrheit darum geht, effektive Maßnahmen zu vermeiden.

1. Reduktionen anderer Treibhausgase werden bereits vorgenommen.
2. Aufgrund der Langlebigkeit von CO2 und der Stellung als wichtigstes Treibhausgas muß die Reduktion der CO2-Emissionen Priorität Nummer 1 sein.

Es gibt nämlich auch von den Wissenschaftlern am Scripps Institut einen aktuellen Plan zur Bekämpfung des Klimawandels, der in Teilen ähnlich aussieht, wie das Hartwell-Papier. Aber im Gegensatz zum Hartwell-Papier geht es ohne Decarbonisierung nicht. Die Scripps-Forscher empfehlen 3 Schritte:
  • Stabilisierung der CO2-Konzentration.
  • Ausbalanzierung der Verschmutzungsgesetzgebung, um zugleich mit kühlendem Aerosol auch wärmenden Ruß und Ozon aus der Atmosphäre zu entfernen.
  • Reduzierung der Emissionen von fluorierten Kohlenwasserstoffen, Methan und anderen Treibhausgasen, die eher kurzlebig sind.
Was das Hartwell-Papier noch verdächtig macht, ist eine Charakterisierung des Klimawandelproblems als "tückisches" (wicked) Problem. Darunter werden Probleme verstanden, die so formuliert werden, als hätten sie eine Lösung, sind aber in Wahrheit bezogen auf offene, komplexe Systeme, für die sich ein anzustrebender Zustand gar nicht formulieren läßt. Damit schwingt mit, daß Ziele wie das 2 Grad-Ziel für den Klimawandel gar nicht angestrebt werden könnten. Das verwechselt aber die Tatsache, daß wir nicht genau wissen, wo die Kippunkte des Systems Erde liegen, mit der Tatsache, daß wir sehr genau wissen, daß wir uns bereits in einen kritischen Bereich hineinbewegen und daß kein Weg an einer sehr schnellen Reduktion von Treibhausgasemissionen unter Einschluß von CO2 vorbeiführt. Diese Analyse ist nämlich möglich, weil wir z.B. wissen, wie hoch die CO2-Konzentrationen in den letzten 3 Millionen Jahren in Phasen waren, als der Meeresspiegel deutlich höher stand als heute. Demnach sind wir bereits am Rande eines Kippunktes zum Abschmelzen von Festlandseis.

Noch stärker Verschwurbeln kann man die Erkenntnisse zum Klimawandel mit dem Begriff der "postnormalen Wissenschaft". Das wird von von Storch auf der Klimazwiebel vorgeführt. Da fällt zunächst eines auf. Es wird von der Klimaforschung als "postnormale Wissenschaft" geschrieben. Dann "überlegt" von Storch, welche großen Beispiele für "postnormale Wissenschaft" ihm aus der Geschichte einfallen. Da fallen ihm nur die "arische Physik" im Dritten Reich und der Lysenkoismus ein. Und schon ist die Abqualifizierung durch Assoziation fertig, ohne auch nur einmal erläutern zu müssen, was denn konkret in der Klimaforschung falsch sein soll, weil es in einem ideologischen Rahmen formuliert wurde. Schaut man den Blogbeitrag weiter durch, fällt einem auch auf, daß absichtsvoll die Begriffe Klimapolitik und Klimawissenschaft austauschbar verwendet werden. Dabei kann es durchaus sein, daß wir noch nicht wissen, welches ökonomische Modell denn am besten geeignet ist, Emissionsziele umzusetzen. Die Grundfeststellungen der Klimaforschung andererseits sind trotzdem so fundiert, daß sie ohne besonderen Grund nicht mehr neu diskutiert werden müssen.

Fragt man ganz konkret danach, welche Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Klimaforschung denn nun "postnormal" seien, wird man vergebens auf Antworten warten. Die naturwissenschaftliche Klimaforschung entspricht nämlich überhaupt nicht der Definition einer "postnormalen Wissenschaft", sondern findet ganz normal über fachbegutachtete Publikationen, auf der Basis von Experimenten, Beobachtungen und Modellrechnungen statt und keineswegs unter der Einbeziehung einer erweiterten Begutachtung durch Nicht-Experten. "Postnormale Wissenschaft" ist einfach nur ein neuer Strohmann, der leicht abzufackeln ist, aber mit der Klimaforschung gar nichts zu tun hat. Klimapolitik andererseits ist sowieso keine Wissenschaft, egal ob normal, revolutionär oder postnormal. Deshalb findet man den deutschen Begriff "postnormale Wissenschaft" praktisch nur in Leugnerblogs, wie auch das Hartwell-Papier über google mit Ausnahme meines Blogs zur Auflistung von Leugnerblogs führt. Und der Begriff "postnormale Wissenschaft" als Schmierattacke der Leugner gegen die Klimawissenschaft ist ohnehin ironisch, denn was Watts mit seinen Photographien von Wetterstationen und McIntyre mit seiner absurden Definition von Wissenschaftsaudits und die vielen Blog"wissenschaftler" betreiben, ist genau die Erweiterung der "Peers", die "postnormale Wissenschaft" kennzeichnen soll, und die von anderen Leugnern den Klimaforschern unterstellt wird.

Wenn man es sauber machen will, nimmt man zunächst eine größere Zahl von Publikationen aus definierten Bereichen der Klimaforschung, weist hier nach, daß komplexe Probleme mit schlimmen Folgen und hohem Entscheidungsbedarf behandelt wurden und dabei eine Begutachtung von Nicht-Fachleuten genutzt wurde, und stellt dann fest, daß man einen Bereich der Klimaforschung identifizieren konnte, der "postnormal" gemäß der Theorie von Silvio Funtowicz and Jerome Ravetz ist. Was hingegen offensichtlich nur eine Schmierattacke ist, ist erst anhand abstrakter Merkmale "der" (nicht definierten) Klimaforschung zu unterstellen, daß sie "postnormale Wissenschaft" sei, und dann Vergleiche mit der politisierten Pseudowissenschaft unter Stalin anzustellen.

1 Kommentar:

  1. Die Klimazweibel ist noch weiter gesunken:
    In drei Posts in Folge (!) werden "Grüne" AGW-Unterstützer abwechselnd als stalinistisch oder als nazistisch angegriffen.

    http://klimazwiebel.blogspot.com/2010/05/casus-belli.html

    http://klimazwiebel.blogspot.com/2010/05/maybe-some-inconvenient-similarities.html

    Das stuft für mich die Klimazwiebel von "Kritisch" auf "Pseudo-Skeptisch" herab.

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