Ich hatte darauf hingewiesen, daß es keine Wissenschaft ist, redaktionelle Fehler oder Fehler in Details zu suchen oder gar zu erfinden. Und daß außerdem eine große Zahl von Untersuchungen bestägt, daß das IPCC oder vielfach angegriffene Wissenschaftler wie Michael Mann, James Hansen oder Phil Jones gute Arbeit leisten. Es ist aber auch klar, daß solche objektive Feststellungen die Gemeinde der Leugner gar nicht interessieren. Und daß es der Job der Medien wäre, dies den Menschen auf der Straße klar zu machen - doch die Medien tun es nicht.
Sie tun es auch nicht, weil es hier ein grundsätzliches Verständnisproblem auf Seiten der Journalisten gibt.
Problem Nummer 1: Journalisten sehen sich nicht in der Pflicht, den Menschen ein realistisches Bild der Welt zu geben, sondern sie sehen ihre Nachrichten und Kommentare als Unterhaltungsprogramm. Dabei sind Konflikte besonders unterhaltend. Und Konflikte kann man nur berichten, wenn man zwei Seiten als gleichwertig gegenüberstellt.
Problem Nummer 2: Journalisten verstehen nicht, daß Teile der Wissenschaft nicht als Meinungen berichtet werden können, wie sie es von der Politik gewohnt sind, sondern daß es hier um Fakten geht, die zwar eine Unsicherheit haben können, aber auch die Unsicherheit ist als solche definierbar und kein Freibrief zur willkürlichen Darstellung.
Problem Nummer 3: Wissenschaftler haben eine bestimmte Arbeitsweise, die anders ist, als zum Beispiel in der Politik. Wissenschaftliche Ergebnisse bauen grundsätzlich aufeinander auf und führen zu einem konsistenten Bild der Realität. Und wenn man eine Arbeit reproduzieren will, dann geschieht das nicht dadurch, daß man von einer Arbeitsgruppe alle Daten, Zwischenschritte, den Code und die Ergebnisse einfordert und dann sklavisch dieses kopiert - denn das führt zu keinem wissenschaftlichen Fortschritt - wenn Fehler gemacht wurden, werden so ja auch die Fehler kopiert. Sondern dadurch, daß man versteht, was der andere gemacht hat und dann auf seine eigene Weise die Arbeit wiederholt - und gegebenenfalls die Ergebnisse reproduziert. Deshalb haben Anfragen nach dem Gesetz zur Informationsfreiheit im wissenschaftlichen Raum keinen Sinn - kein einziger Wissenschaftler würde so etwas brauchen, um Ergebnisse von Kollegen zu reproduzieren. Erbsenzähler allerdings brauchen solche Anfragen schon, wenn sie an einer Reproduktion von Ergebnissen gar nicht interessiert sind, sondern nach redaktionellen Fehlern und Pseudofehlern suchen, um damit Propaganda zu machen.
Ein spezielles Beispiel dafür ist der britische Journalist George Monbiot. Der hat insbesondere mit dem Problem Nummer 3 zu tun gehabt und auf dem Höhepunkt des sogenannten "Climategate", dem von der Leugnergemeinde erfundenen Wissenschaftlerskandal, der in Wahrheit ein Medienskandal war, den Rücktritt von Phil Jones gefordert. Vergeblich hatte man ihm damals versucht, begreiflich zu machen, daß seine Anschuldigungen darauf beruhten, daß er einfach nicht zur Kentnnis genommen hatte, wie die Wissenschaft funktioniert. Nachdem nun drei Kommissionen Phil Jones von den Anschuldigungen entlasteten, schrieb Monbiot einen Beitrag, in dem er sich fragte, ob er vielleicht etwas falsch gemacht hätte. Wie zu erwarten, konnte er bei sich keinen grundsätzlichen Fehler finden, stellte aber fest, daß man im Licht der Untersuchungen nun den Rücktritt für Jones so gerade noch nicht hätte fordern dürfen. Diese unbelehrbare, arrogante und unverschämte Haltung des Journalisten, die ich für branchentypisch halte, provozierte James Annan zu einem sarkastischen Kommentar: "Monbiot ist entlastet." "Die lange erwartete Monbiot-Anhörung hat ihren Bericht vorgelegt und stellt fest, daß, während Monbiots Behauptungen völlig unfundiert und falsch waren, sie durch die allgemeine Atmosphäre von Spekulationen, die sie umgaben, völlig gerechtfertigt waren. Eine Entschuldigung ist nicht erforderlich. Man mag überrascht sein, daß Monbiot nicht nur der Gegenstand, sondern auch der Autor des Berichts ist..." Man muß es noch mal sagen: was Monbiot nicht begreifen will, ist, daß der entscheidende Punkt über die Arbeit von Jones ist, ob sie von Wissenschaftlern reproduziert werden kann. Sie kann. Das wurde nachgewiesen. Wer mit Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz Daten von einem Wissenschaftler haben will, kann gar nicht guten Willens handeln und ist mit Sicherheit nur auf Sabotage aus. Wer den Rücktritt eines Wissenschaftlers fordert, ohne sich darum zu kümmern, ob seine Arbeiten reproduzierbar sind, handelt dumm oder böswillig und definitiv nicht entschuldbar, schon gar nicht wenn man selbst eine Atmosphäre der Verdächtigungen fördert, mit der man hinterher seine Dummheit entschudligen will. (Den Hintergrund dazu kann man in diesem Beitrag - unterster Absatz - noch mal nachlesen.)
Auch Michael Tobis sieht hier hinter dem produzierten Pseudoskandal der Klimaforscher einen echten Skandal der Medien. Er schreibt, es seien sogar drei Skandale der Journalisten, die zu dem Thema geschrieben hätten. Der erste Skandal sei, daß sie nicht den eigentlichen Skandal beschrieben hätten: ein Gruppe von Leuten mit Rückendeckung von Teilen der Industrie, unter anderem Koch Industries hätten durch Diebstahl von Emails und selektive Zitate einen plumpen und durchsichtigen Pseudoskandal produziert, um ihre politischen Interessen zu fördern. Ein so durchsichtiger Versuch wäre eigentlich keine Meldung wert oder, wenn überhaupt, nur einen Bericht über fehlgeleiteten Lobbyismus.
Der zweite Skandal ist, daß die produzierte Sicht der Dinge von unfähigen und sogar böswilligen Wissenschaftlern, die sich verschwören, um die Welt über die Wahrheit zum Klimawandel zu täuschen, von den Medien angenommen wurde und als glaubwürdig berichtet wurde, wider besseren Wissens der Journalisten.
Der dritte Skandal ist, daß die Medien keineswegs bereit sind, ihre Fehler aufzuarbeiten. Sie tun so, als wäre nichts geschehen, sie halten es meistens nicht für erforderlich, ihre fehlerhaften Artiekl zurückzuziehen oder gar in gleicher Aufmachung Korrekturen zu bringen und sie berichten kaum nennenswert davon, daß alle Anschuldigungen gegen die Klimaforscher oder das IPCC oder Michael Mann oder Phil Jones zurückgenommen werden mußten. Das Ansehen unschuldiger Menschen wurde für die generelle Öffentlichkeit dauerhaft beschädigt, und es wird nichts unternommen, um den Schaden zu beheben. Nach wie vor wird sogar weiterhin Wissenschaftsfeinden und Lobbyisten eine Plattform geboten, um sie gleichwertig mit Wissenschaftlern auftreten zu lassen.
Ein schlimmes Beispiel dafür ist der frühere Wissenschaftsjournalist der New York Times Andrew Revkin, der in seinem Beitrag zur Entlastung der Klimaforscher in verschiedenen Untersuchungen begründete, warum die Medien genauso berichten mußten, wie sie es getan hatten. Zum einen nämlich, weil Konflikte Nachrichten seien (Problem Nummer 1) und zum anderen hätten die angegriffenen Wissenschaftler ja selbst die Angriffe provoziert, weil sie in ihren Emails so undiplomatisch über Leugner, Lügner und Lobbyisten hergezogen seien (Problem Nummer 2). Doch man kann nicht einfordern, diplomatisch über Lügner zu schreiben oder ihre Aktionen nicht zu behindern. Und schon gar nicht in vertraulicher Post. Wenn man gar als Journalist behauptet, man müsse doch den Leugnern und Lobbyisten zugestehen, daß sie auch ihren Standpunkt in den Medien vertreten können müßten, wenn sie nun einmal in vertraulichen Schreiben, die durch Diebstahl im Interesse eben dieser Leugner an die Öffentlichkeit kamen, angegriffen wurden, dann ist das erträgliche Maß an Heuchelei und ethischem Versagen des Journalismus überschritten. Leute wie McIntyre oder Patrick Michaels haben fortgesetzt Wissenschaftler durch Erbsenzählerei bis hin zu platten Lügen angeschwärzt und genau das provoziert, was an bösen, aber durchweg gerechtfertigten Kommentaren in den vertraulichen Emails kursierte. Sie haben die Lügen verbreitet und dann auch noch die Reaktion auf diese Lügen zur weiteren Meldung gemacht. Journalisten, die den Konflikt berichten, machen sich zu Komplizen im schmutzigen Geschäft, die Glaubwürdigkeit der Klimaforschung zu untergraben, damit einige Kohle- und Ölförderer höhere Profite zu Lasten der Allgemeinheit einfahren können. Die dadurch erzeugten Haßmails und Drohungen gegen Wissenschaftler dokumentiert mit einigen Beispielen der Guardian.
Es bleibt dabei: Journalisten meinen, daß Journalisten kein Fehler machen. Und da man die Medien braucht, um Skandale an die Öffentlichkeit zu bringen, die Medien selbst aber den Skandal verursacht haben und kein Interesse daran haben, darüber zu berichten, wird dies auch einer der geheimsten Skandale des Medienzeitalters.
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