Die Meldung ging auch durch deutsche Medien: Gabrielle Giffords, Abgeordnete im Repräsentantenhaus für Arizona, konservative Demokratin, die aber die Gesundheitsreform Obamas unterstützte und für die Rechte mexikanischer Immigranten eintrat, wurde von einem jungen Mann namens Jared Lee Loughner in Tucson angeschossen. Loughner, der vermutlich ein insgesamt wirres Politikbild und eine gewalttäige Natur hat, war wohl durch die Diskussion um die Gesundheitsreform und die mexikanischen Immigranten aufgehetzt worden. 6 Menschen, darunter ein Kind, wurden beim Gewaltausbruch des Mannes erschossen, 15 verletzt, darunter die Politikerin. Der blutige Anschlag hat die Gefühle der Amerikaner vor allem deshalb so aufgewühlt, weil gerade in Arizona die politische Auseinandersetzung ungewöhnlich hart geworden war. Es gibt bei dem Ereignis auch eine Verbindung zur Klimadiskussion, aber sie wird erst klar, wenn ich den Hintergrund näher erläutere.
Die politische Auseinandersetzung in den USA zwischen Republikanern und Demokraten zeigt über Jahre hinweg eine Tendenz zur Radikalisierung. Man kann dafür viele Gründe anführen, aber sie geraten eher zu einer Aufzählung von Symptomen. Man denke daran, daß unter George W. Bush eine Talibanisierung der Politik aufkam. Es wurde hoffähig, religiöse Begründungen für politische Aktionen anzuführen, die generelle Wissenschaftsfeindlichkeit der Administration wuchs, die Außenpolitik verengte sich auf die Option, Kriege zu führen, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden wuchsen unverhältnismäßig, sogar Folter wurde offiziell gebilligt. Sowohl der Einfluß radikaler Wirtschaftskreise als auch der religiösen Fundamentalisten auf die Politik erreichte ein neues Maximum. Der Wahlsieg Obamas im Jahr 2008 wurde vom republikanischen Wahlvolk nicht einfach als Sieg der anderen Partei angesehen, sondern wurde wie die Besetzung des Landes durch eine fremde Macht aufgenommen. Obama und den Liberalen wurde Verrat an der amerikanischen Sache vorgeworfen, Verschwörungstheorien verbreitet, daß Obama in Wahrheit nicht in den USA geboren sei, daher nicht Präsident sein könne, daß er Moslem sei und mit den moslemischen Feinden gemeinsame Sache mache, daß er die USA unterdrücken, überfremden, dem Kommunismus ausliefern, die Wirtschaft ruinieren, einen Faschismus durch übermächtige Behörden einführen will. Die Vorwürfe sind wirr, widersprechen sich und können trotzdem vom aufgehetzten Wahlvolk gleichzeitig geglaubt werden. Wie kommt das?
Dahinter steckt die Macht der rechten Medien in den USA. Bekannte Talk-Radio- und Fernsehmoderatoren wie Rush Limbaugh oder Glenn Beck wurden dadurch populär, daß sie einfache Feindbilder und eine gewaltätige Sprache nutzen. Es sind einfach gestrickte, wenig gebildete oder politisch radikale Menschen, die von diesen Moderatoren und dem Leitsender der Rechten, dem Fox-Kanal erreicht werden, und sie können sich zu strukturellen Mehrheiten aufbauen. Diese Moderatoren hetzen, lügen, vergröbern ganz, wie es der politischen Rechten paßt und den Zuhörern gefällt. Denn die Popularität des Talkradios beruht darauf, den Menschen zu erzählen, was sie hören wollen und ihre Emotionen aufzupeitschen. Das ist ein selbstverstärkender Rückkopplungskreis. Zum Repertoir des Talk-Radios gehört es, über Liberale und das politische Establishment zu schimpfen, übernationalistisch und ausländerfeindlich zu sein, die UNO und gleichberechtigte Beziehungen zu ausländischen Staaten abzulehnen, gegen alle als liberal empfundenen Themen zu stehen, etwa ausreichende Finanzierung des Staates, Umweltschutz, soziale Maßnahmen wie eine solidarische Krankenversicherung, andererseits für Todesstrafe und Waffenbesitz einzutreten, religiösen Fundamentalismus zu unterstützen und - den menschengemachten Klimawandel und die Gefährlichkeit der globalen Erwärmung zu leugnen.
Gerade Glenn Beck ist dabei einer der Kondensationskerne für die Radikalen unter den Republikanern, die angebliche Bewegung einer Anti-Establishment-Basis der Rechten, der sogenannten "Tea-Bagger" oder Tea Party. Ebenso stark mit den "Tea-Baggern" verbunden ist die inoffizielle Oppositionsführerin Sarah Palin. Obwohl Talk Radio-Moderatoren, Fox-Kanal, ein generell politisch rechtsgerichtetes Umfeld in den (ländlichen) USA, fundamentalistische Christen und Politiker wie Sarah Palin eine kritische Masse entwickeln, eine insgesamt radikalisierte Rechte in den USA aufzubauen, ist die Tea Party nicht so spontan, wie sie sich geriert. In Wahrheit ist die Bewegung eine Züchtung interessierter Kreise, die ihre eigenen Ziele damit verbinden.
Hinter der Tea Party stehen die Koch-Brüder, die Eigentümer von Koch Industries, die zahlreiche Think Tanks und Lobby-Gruppen finanziell unterstützen und koordinieren mit dem Ziel, Zweifel an wissenschaftlichen Feststellungen zu Umweltproblemen zu schüren. Koch-Industries als führender Konzern im Energiebereich und bei Leistungen für die Ölindustrie hat ein vitales Interesse daran, Maßnahmen zum Klimaschutz zu verzögern. Jedes Jahr, in dem Maßnahmen zum Klimaschutz verzögert, verwässert und aufgehalten werden können, bedeuten für Koch-Industries und viele andere Firmen, mit den kooperiert wird, bares Geld, langfristig vielleicht in Milliardenhöhe. Es ist eine Strategie der Koch-Brüder und ihrer Gesinnungsgenossen, jede Form liberaler Politik, von Politik, die den Staat und Regulierungen stärkt und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu untergraben. Dazu werden Think Tanks unterstützt, die Lügen verbreiten, dazu werden Medien unterstützt und beeinflußt, die ein genehmes Meinungsbild erzeugen, dazu werden Politiker herangezogen, die in ihrem Sinne abstimmen. Recht fatal war dabei eine Entscheidung des obersten Gerichtshofs, die letztlich Industrieunternehmen praktisch unbegrenzte finanzielle Unterstützung von Wahlkämpfern ermöglicht. Das ist ganz im Sinne der Koch-Brüder. Zusammen mit anderen Lobbyisten, führenden Republikanern und mit Glenn Beck haben sie die Tea-Party-Bewegung als angebliche Graswurzelbewegung ins Leben gerufen. Damit gewinnen sie in jedem Fall. Im günstigsten Fall schießen sie damit demokratische Politiker aus dem Amt und etablieren eine republikanische Mehrheit, die eine ihnen genehme Politik betreibt. Zumindest können sie die politische Diskussion radikalisieren und dadurch die Möglichkeiten unterminieren, daß Demokraten und Republikaner sich in politischen Fragen einigen können oder der Präsident zu einzelnen Themen beide Lager zusammenführen kann, um handlungsfähig zu bleiben. Denn das zweitbeste nach genehmen Entscheidungen ist aus Sicht der Koch-Brüder, wenn gar keine Entscheidungen getroffen werden. Daher paßt es ihnen auch gut in das Konzept, wenn die politische Diskussion radikal, emotional und gewalttätig wird.
Daher ist es wohl nicht so zufällig, wenn Rush Limbaugh und Glenn Beck gegenüber den Demokraten eine gewalttätige Sprache führen, wenn es von Unterstellungen sozialistischer Verschwörungen und Nazi-Vergleichen nur so wimmelt und dazu aufgerufen wird, Tritte in den Arsch zu verpassen, zu verjagen, zu eliminieren, zu beseitigen. Es paßt in genau dieses politische Klima, wenn der von CFACT (Comittee for a constructive tommorrow - ein Lobbyorganisation für Industrieinteressen, möglicherweise ist in Deutschland auch EIKE damit verbandelt) bezahlte Klimawandelleugner Marc Morano, der die Webseite Climate Depot zur Hetze gegen Wissenschaftler einsetzt und dazu aufgerufen hatte, Klimaforscher öffentlich zu verprügeln, damit Haßmails gegen Klimaforscher provoziert, so daß diese Menschen um ihre Sicherheit fürchten müssen. Es geht darum, die wissenschaftliche Arbeit zu sabotieren, Wissenschaftler einzuschüchtern und Wähler und Politiker zu radikalisieren.
In dieses Klima der Radikalisierung paßt nur zu gut der blutige Anschlag von Loughner auf die Abgeordnete Giffords, der schon einige Monate zuvor gewaltätige Anhänger der Republikaner ihr Wahlkampfbüro verwüstet hatten. So ist es nicht überraschend, daß Anhänger der Demokraten Sarah Palin, aber auch andere Angehörige der Tea Party und ihre gewaltgeladene Sprache dafür verantwortlich machten, daß das Klima für den Anschlag bereitet wurde. Doch ob Loughner wirklich von der Tea Party aufgehetzt wurde oder einfach ein gewaltätiger Wirrkopf ist, der auf jeden Fall irgendwann eine Bluttat verübt hätte, kann man jetzt noch gar nicht sagen. Sagen kann man nur, daß diese weitere Radikalisierung, diese Gewalt, diese Schuldzuweisungen so oder so ins Konzept der Koch-Brüder und ihrer Verbündeten passen, die sich so sicher sein können, daß politische Einigungen für den Klimaschutz und gegen ihre Lobbyarbeit immer weniger wahrscheinlich werden. Es ist ein Beispiel dafür, wie Lobbyarbeit über mehrere Bande spielt. Und man muß wohl sarkastisch werden, da ist das erschossene 9-jährige Kind für die Koch-Brüder nur ein Kollateralschaden darin, wirksames staatliches Handeln in den USA zu sabotieren. Die gerade erst aus dem Koma erwachte Giffords war eine sichere Stimme für Initiativen zum Umwelt- und Klimaschutz. Ob sie je wieder gesund wird, ist noch offen.
Nur auf die USA zu verweisen ist meiner Ansicht nach zu kurz. Zwar ist ein kurzer Verweis auf EIKE, aber das in Deutschland ein ähnliches Umfeld der Lobbyarbeit und das haßerfüllte Vorwürfe an Leute gemacht werden, ist leider auch in Deutschland üblich.
AntwortenLöschenUnd politische Morde und Anheizen durch die Presse waren (und sind?) leider auch passiert.
Ich glaube, daß zur Zeit zu wenig unternommen wird, um diese Atmosphäre zu entschärfen - sowohl auf die Medienatmosphäre als auch auf den wirtschaftlichen Grundlagen.
Beispiel: Hartz-Opfer werden als faul bezeichnet und einige sind z.B. totgetreten wurden.
MfG
Ich denke nicht, daß es zu kurz gesprungen ist, wenn man zunächst auf die USA verweist. Es ist zwar richtig, daß es auch in Deutschland Lobbyarbeit der Energieunternehmen gibt oder daß mit Ressentiments gegen bestimmte Gruppen gearbeitet wird (man denke daran, wie Sarrazin gerade mit seinem Buch eine Gelddruckmaschine gefunden hat - geschäftstüchtig, der Mann; ihre eigenen Vorurteile lesen die Menschen doch gerne). Aber es gibt einige gravierende Unterschiede. Zum einen: die Frage des Klimawandels ist keine Frage der Parteizugehörigkeit, anders als in den USA. Zum zweiten: in Deutschland gibt es keine populären Talk-Radio-Moderatoren, in denen die dumpfesten Ressentiments auf platteste Weise dargeboten werden oder eine Wirtschaftsinteressen unterworfene Propagandaschleuder wie den Fox-Kanal, der sich an keinerlei journalistischer Ethik gebunden fühlt. Zum dritten: in Deutschland können Unternehmen nur in begrenztem Maß Parteispenden abgeben und sich nicht geradezu eine ganze Partei kaufen, die auch noch die Mehrheit erringen könnte, wie die Republikaner in den USA. Und das Zusammentreffen dieser drei Faktoren macht das politische Umfeld in den USA deutlich anders, gerade bezüglich der Klimapolitik. Was allerdings deutsche Energieerzeugungsunternehmen machen: in Deutschland treten sie brav für Maßnahmen gegen den Klimawandel ein. In den USA finanzieren sie, wenn Aussagen politischer Aktivisten dazu zutreffen, hingegen den Lobbyismus gegen die Klimapolitik mit und sorgen für eine republikanische Mehrheit im US-Kongreß. Der Effekt ist, wenn in den USA wirksame Gesetze gegen die Luftverschmutzung verhindert werden, daß damit auch internationale Vereinbarungen scheitern. Und das wiederum sorgt dafür, daß die europäischen Gesetze zur Emissionsbegrenzung nicht so ehrgeizig sein können, wie sie es sein müßten. Und davon profitieren unsere Energieversorger. Auch das ist eine Form über Bande zu spielen.
AntwortenLöschenWas Sie schreiben ist alles richtig - aber damit keine amerikanischen Verhältnisse eintreten, ist es eben notwendig, möglichst schon den Anfängen zu wehren. Also auf die Anfänge aufmerksam zu machen.
AntwortenLöschenMfG