Montag, 19. September 2011

Nobelpreis schützt vor Torheit nicht

Titel und wissenschaftliche Ehrungen verleihen Wissenschaftlern Autorität. Dieses Gut kann sinnvoll eingesetzt werden. Es kann auch verschwendet werden. Wenn Prof. James Hansen an Protesten gegen Kohlekraftwerke oder umweltzerstörenden Kohleabbau teilnimmt und sich dabei festnehmen läßt, zeigt er, daß sein Handeln als Privatperson seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgt. Wenn Wissenschaftler im Ruhestand für Beraterverträge Gefälligkeitsgutachten erstellen, die offensichtlich dem anerkannten Kenntnisstand im Fach widersprechen, zeigen sie einen Zynismus, den man anprangern sollte. Neben Geld kann aber auch eine Motivation darin bestehen, seine Reputation für seine politischen oder religiösen Überzeugungen in die Waagschale zu legen oder einfach mal wieder öffentliche Aufmerksamkeit zu finden. Erhöhte Aufmerksamkeit erregt auch ein Nobelpreisträger, wenn er außerhalb seines Fachgebietes antiwissenschaftliche Strömungen unterstützt. Prof. Giaever ist das neueste Beispiel.


Wissenschaftler, die ihre Reputation zerstören, weil sie längst gut belegte Feststellungen der Klimaforschung leugnen, treten immer wieder auf, doch ein besonderes Hallo erregen dabei Nobelpreisträger. Einer davon, der schon seit Jahren immer wieder auf Unterschriftenlisten und in Wortbeiträgen der Leugnerszene auftritt, ist der 82 Jahre alte Prof. Ivar Giaever. So bemerkenswert seine Beiträge zu Quanteneffekten bei Supraleitern sein mögen, die ihm seine Auszeichnung eintrugen, hat er damit allerdings trotzdem keinen Freibrief dafür, die Arbeit von tausenden Kollegen, die in der Klimaforschung tätig sind, als Unsinn abzuqualifizieren.Da Prof. Giaever sich schon früher als Leugner dargestellt hatte, hat seine Ablehnung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in der Klimaforschung keinen Neuigkeitswert. Da ist es schon ein kleiner Erfolg, die Medien dazu zu bringen, die altbekannte Tatsache erneut zu berichten. In diesem Fall haben Giaever und die Leugnerszene seinen Austritt aus der American Physical Society als Showeinlage benutzt. In der per Email verbreiteten Begründung des Austritts hatte er behauptet, daß eine globale Erwärmung von 288 auf 288,8 Kelvin in 150 Jahren (korrekt wären übrigens eher eine Erwärmung von 286,8 Kelvin auf 287,6 Kelvin für das Bodenmessnetz und die Ozeane laut NCDC, aber dies ist nicht wirklich wichtig) nur zeigte, daß das Erdklima bemerkenswert stabil sei. Weil die APS die globale Erwärmung als unwiderlegbare Tatsache dargestellt habe, während man in vielen anderen Bereichen über Zahlenwerte von Konstanten oder alternative kosmologische Theorien diskutierte, könne er deren Haltung dazu nicht mittragen und trete daher aus.

Als Stilübung kann man auseinandernehmen, in welchen Punkten hier eine gewollte Irreführung des Publikums erfolgt. Der Kernpunkt ist das Spektakel um die absolute Temperatur. Sie soll den Eindruck physikalischer Korrektheit erwecken, beinhaltet aber das Gegenteil. In der Klimaforschung betrachtet man nicht die absolute Temperatur der Erde, sondern die relative Temperatur zu einer bestimmten Bezugsperiode. Nur diese Abweichung, die Temperaturanomalie, kann mit zufriedenstellender Genauigkeit bestimmt werden. Fehler der absoluten Temperaturbestimmung heben sich dabei heraus. Ob nun eine Abweichung klein oder groß ist, hängt davon ab, wie stabil der Ausgangswert ist und welche Abweichungen signifikante Auswirkungen haben. Ob ein Stück Eisen bei 1250 oder 1260 Kelvin geschmiedet wird, hat wohl keine merklichen Auswirkungen. Es ist auch schwierig, ein so heißes Stück Eisen beim Schmieden auf wenige Kelvin genau zu temperieren. Hingegen unterscheidet bei einem Menschen ein Temperaturunterschied von weniger als einem Grad darüber, ob er gerade gesund ist oder ein Entzündungsprozess in ihm abläuft und eine erhöhte Temperatur oder ein Fieber auslöst. Bei der globalen Temperatur liegen die üblichen Schwankungen im Bereich von wenigen zehntel Grad. Eine globale Temperaturänderung von  5 oder 6 Grad unterscheidet unsere Zwischeneiszeit von einer Eiszeit. Solche Klimaänderungen sind hoch signifikant und verändern weltweit Lebensräume und führen potentiell zum Aussterben ganzer Artengruppen. 0,8 Grad globale Temperaturänderung sind eine erhebliche Veränderung und die zu erwartenden 3 bis 10 Grad in der Zukunft, abhängig von unseren Maßnahmen gegen den Klimawandel erst recht. 288 Kelvin aufzuaddieren, damit diese Änderung geringfügig erscheint, ist offensichtlich ein Täuschungsmanöver, eine Form des Lügens ohne formal eine Unwahrheit zu sagen. Ich bin außerdem der Meinung, daß Giaever dieses Täuschungsmanöver bewußt durchführt. Der Begriff einer Temperaturanomalie ist recht einfach und Prof. Giaever hatte genügend Gegenheit, diesen Hintergrund zur Kenntnis zu nehmen.

Könnte Giaever zumindest mit seiner Kritik recht haben, daß die APS hier etwas als unwiderlegbar anerkennt, hingegen in anderen Fällen die wissenschaftliche Diskussion fördert? Der Vorwurf, es würden die Ergebnisse der Klimaforschung als unwiderlegbare Erkenntnisse („settled science“) behandelt, während sonst alle wissenschaftlichen Ergebnisse immer der weiteren Diskussion offenstünden, ist ja ein gern wiederholtes Motiv der Klimaleugnerszene. Aber auch hier verdeckt die Show den eigentlichen Hintergrund. Gerade weil es keine Sonderbehandlung für die Klimaforschung geben darf, muß man hier auch anerkennen können, welche Erkenntnisse gesichert sind (nach heutigem Kenntnisstand unwiderlegbar) und welche in der Diskussion sind. Solche Feststellungen bedürfen normalerweise keiner quasiamtlichen Feststellungen von Wissenschaftsorganisationen, weil sie nicht politisch angegriffen werden. Daß es kein Perpetuum Mobile geben kann, läßt sich trivial aus anerkannten Gesetzmäßigkeiten ableiten (zum Beispiel Energieerhaltungssatz). Niemand nimmt hier Anstoß daran, daß Wissenschaftler es nicht mehr für erforderlich halten, weiterhin nachzuweisen oder anzuzweifeln, daß ein Perpetuum Mobile unmöglich ist. In diesem Sinne hält es auch in der Klimaforschung kein seriöser Wissenschaftler für erforderlich, erneut zu beweisen, daß die globale Erwärmung der letzten 100 Jahre 0,8 Grad betrug, daß sie durch natürliche Größen nicht erklärt werden kann, jedoch aufgrund des Treibhauseffektes und der Emissionen von CO2 aus fossilen Brennstoffen zu erwarten war und damit auch quantitativ erklärt werden kann. Und daß eine weitere Verstärkung des Treibhauseffektes zu einer erheblichen globalen Erwärmung führen muß. Das sind nun einmal Feststellungen, die viel besser gesichert sind als der genaue Zahlenwert einer Konstante, der noch vom Meßfehler verdeckt wird, oder die bevorzugte kosmologische Theorie unter einem Satz von verschiedenen, die sich anhand der bekannten Messungen bislang noch nicht unterscheiden lassen. Warum Temperaturmessungen, Klimaeffekte, CO2-Anstieg und weitere Prognose so gut abgesichert sind, dokumentieren die IPCC-Berichte. Dort kann man auch nachlesen, was nun als gesichert akzeptiert wird und was weiterhin in der wissenschaftlichen Diskussion steht.

Das wesentliche Argument dafür, daß es feststehende Ergebnisse der Wissenschaft gibt („settled science“) ist die Tatsache, daß jede Überprüfung des Ergebnisses eines Experiments nur eine begrenzte Anzahl von Durchführungen sinnvoll ist. Die Rechtfertigung einer weiteren Wiederholung des Experimentes kann dann nur noch sein, daß sich etwas fundamental geändert hat. Wenn Giaever also den Kenntnisstand zum Klimawandel angreifen will, ist zuerst er selbst gefragt, darzustellen, was sich denn nun fundamental geändert hat, um eine erneute Überprüfung alter Ergebnisse sinnvoll zu machen. Diesen Beleg liefert er nicht. Ohne diesen Beleg sind aber die grundsätzlichen Erkenntnisse zur globalen Erwärmung genau das, was sie sind: unwiderlegbar.

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