Es kann einen fassungslos machen, wenn Politiker per Gesetz naturwissenschaftliche Feststellungen beschließen wollen, wie die Frage, welchen Wert die Zahl Pi hat oder ob es einen Klimawandel gibt. Und noch mehr erstaunt es, wenn Staatsanwälte meinen, sie müßten mit juristischen Mitteln gegen Naturwissenschaftler vorgehen, die seriös ihrer Arbeit nachgehen. Aber wenn Wissenschaftler dafür, daß sie korrekte Aussagen machen, ins Gefängnis geworfen werden, dann kommen einem Vergleiche mit Giordano Bruno in den Sinn, den ein Inquisitionsgericht vor gut 400 Jahren verbrennen ließ, weil er unter anderem andere Planeten jenseits der Erde für möglich hielt, auf denen es auch Leben geben sollte. In Italien hat es ein Richter geschafft: Wissenschaftler wurden zu schweren Haftstrafen dafür verurteilt, daß sie korrekte Aussagen gemacht hatten.
Es geht um das Erdbeben in L'Aquila am 6.4.2009. 300 Menschen kamen dabei um. Nur wenige Tage vor dem Erdbeben hatte eine Kommission von Erdbebenforschern Stellung zu einer Reihe von Erdstößen in der Region genommen. Die Wissenschaftler wiesen darauf hin, daß solche Erdstöße in dieser Region nicht ungewöhnlich wären, daß es nun einmal eine besondere Gefahrenzone für Erdbeben sei, diese jedoch nicht vorhersagbar seien und man daher auch aus diesen Erdstößen nicht darauf schließen könne, daß nun ein Erdbeben bevorstünde. 5 Tage lang behielten die Forscher recht, und hätten sie etwas anderes gesagt, hätten fast eine Woche lang Menschen irgendwo campiert und das Leben in der größeren Region still gestanden, ohne daß etwas geschieht. Danach kam das Erdbeben, bei dem vor allem die Häuser zusammenbrachen, bei deren Bau in dieser bekannten Erdbebenzone geschlampt wurde. Die meisten Opfer wären damit auch dieser Bauschlamperei zur Last zu legen. Aber die Bauherren und Baubehörden standen nicht vor Gericht, sondern die Wissenschaftler. In einem sich über ein Jahr hinziehendem Verfahren forderte der Staatsanwalt Fabio Picuti in seinem Plädoyer 4 Jahre Haft für die angeklagten Wissenschaftler (Franco Barberi, Enzo Boschi, Giulio Selvaggi, Gian Michele Calvi, Claudio Eva, Mauro Dolce, Bernardo de Bernardinis). Der Staatsanwalt behauptete entgegen jeder fachlichen Stellungnahme und ins Gesicht von 5000 internationalen Wissenschaftlern, die in einem offenen Brief an den italienischen Präsidenten darauf hinwiesen, daß man Erdbeben nicht vorhersagen könne, daß die Erdbebenforscher wegen ihrer beruhigenden Stellungnahmen die Öffentlichkeit zu unrecht in Sicherheit gewogen hätten und daher schuld für die Todesopfer des Erdbebens trügen. Für 13 der Todesopfer gab es sogar Nebenkläger, deren Anwälte den unwürdigen Zirkus unterstützten.
Doch dem Staatsanwalt könnte man vielleicht noch Übereifer zugute halten. Was mich fassungslos macht, ist der Richter Marco Billi. Wahrscheinlich wird man ihn im Internet schon bald nur noch als den vielleicht dümmsten Richter der Welt bezeichnen. Denn er ignorierte nicht nur die Meinung der Fachwelt, sondern er verschärfte sogar noch das Urteil der Staatsanwaltschaft. 6 Jahre lang sollen die angeklagten 6 Wissenschaftler und ein Beamter im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Arbeit richtig und seriös gemacht hatten.
Was also sollten Wissenschaftler in den Augen dieses Richters machen, wenn man dieses dümmste Urteil eines Juristen ernst nimmt? Sie sollten, egal was passiert, immer von der schlimmstmöglichen Wendung ausgehen und permanent Katastrophen vorhersagen, denn für jede angebliche Verharmlosung droht Knast. Andererseits könnte aber auch jede Warnung vor einer Gefahr zu Vermögensschäden führen, also sollten Wissenschaftlker andererseits auch nicht vor irgendetwas warnen. Fazit: Wissenschaftler sollten bei allem, was irgendwie zu einem gesellschaftlichen Handeln oder Nichthandeln führen könnte, gefälligst ihr Maul halten. Sie sollten sich nicht unterstehen, der Öffentlichkeit oder Behörden oder der Politik in irgendeiner Weise mit ihrer Expertise beiseite zu stehen. Wenn die italienische Politik dieses Urteil ihres vielleicht dümmsten Richters stehen läßt, darf sie sich gleich noch den Preis für die unfähigsten Politiker des Planeten abholen. Ich erwarte das schlimmste.
Mehr zum Thema auch auf dem Blog von Dr. Gunnar Ries Mente et Malleo: Furchtbare Juristen - das Urteil gegen italienische Seismologen.
Ja, erschreckend. Richter dürfen halt auch frei von jeglicher Sachkenntnis entscheiden. (Mein Lieblingsbeispiel ist der deutsche Richter, der die Internet-Endung .ag für Antigua deutschen Aktiengesellschaften zugesprochen hat. Selbstverständlich vom Landgericht Hamburg)
AntwortenLöschenGibt es eine Möglichkeit, die Betroffenen zu unterstützen?
Auf dem Blog Mente et Malleo habe ich gesehen, dass es eine Möglichkeit gibt, seine Solidarität zu bekunden - über den folgenden Link: Fair trial for the Italian seismologists in L'Aquila
AntwortenLöschenDie Geschichte wird immer absurder! Philosophieprofessor Lawrence Porcello nimmt die Staatsanwälte in diesem Fall in Schutz:
AntwortenLöschenhttps://theconversation.com/is-misinformation-about-the-climate-criminally-negligent-23111
und erhält dafür 700 Hass-Mails, bis hin zu "Stirb, du Made" - nicht von aufgebrachten Seismologen, sondern von Klimaleugnern, weil der Professor findet, Desinformation zum Thema Klimawandel sei unangebracht: http://www.desmogblog.com/2014/03/25/exclusive-climate-change-philosopher-target-abusive-hate-campaign
Interessante Geschichte...danke für den Hinweis.
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