Den Sachstand der Wissenschaft zu leugnen, weil die Schlußfolgerungen daraus einem nicht passen, erscheint unvernünftig. Dahinter steckt, sich freiwillig dumm zu stellen und Wissen abzuwehren. Das Leugnen ist auch die erste Phase der Reaktion auf existentielle Krisen (dann folgen Wut, Verhandeln, Resignation, Depression und, im Idealfall, Akzeptieren). Doch es wäre nicht sachdienlich, so zu tun, als würden Leugner aus Dummheit so handeln. Unter den Leugnern findet man intelligente (wenngleich eher engstirnige), gut ausgebildete Menschen. Dummheit ist eher nicht der Grund dafür, zum Leugner zu werden. Deshalb ist es auch die falsche Strategie, Leugner überzeugen zu wollen, indem man Ihnen den Sachstand der Wissenschaft erläutert. Wenn Sie bereit wären, den zu akzeptieren, hätten Sie schon lange die Vielzahl ausführlicher Erklärungen zum Klimawandel nutzen können. Für Leugner gibt es vernünftige Gründe, den Sachstand der Wissenschaft abzulehnen. Diesen Monat hat zu dem Thema auch Victor Venema in seinem Blog Variable Variability originelle Gedanken zu dieser Frage entwickelt und überlegt, ob die Abweichler bezüglich der Klimafrage vielleicht den Klimawandel mögen?
Wie kann man den Klimawandel mögen? Die Idee ist, dass Leugner sich womöglich überlegen, dass der Klimawandel vielleicht doch real ist. Und dass er Folgen haben wird. Diese Folgen werden aber nicht jeden gleich treffen. Sie werden sicher besser zu ertragen sein, wenn man in Wohlstand lebt und sich Klimaanpassungsmaßnahmen leisten kann. Deichbau zum Beispiel. Florida wird sich wohl eher ein Deichbauprogramm leisten können als Bangladesh. Der Klimawandel wird wohl auch erträglicher sein, wenn man in gemäßigten oder kalten Klimazonen lebt. Für Russen bietet er die Chance, dass der Norden wohnlicher wird, in Pakistan drohen hingegen eher extreme Hitzewellen und extreme Niederschläge im Monsoon. Doch selbst, wenn für den Norden der Klimawandel ebenfalls zu schlechteren Wetterbedingungen führt, so wird der Norden doch eher damit umgehen können, als die bereits jetzt durch Hitze geplagte Tropen. Diese Schlußfolgerungen mögen nicht unbedingt zutreffen, aber für viele Menschen klingen sie sehr naheliegend.
Nun ist unter unserer dünnen Zivilisationstünche der Mensch doch erstaunlich nahe am wilden Urmenschen, dessen emotionaler Unterbau darauf eingerichtet ist, im Zusammenleben und der Konkurrenz mit anderen zu Überleben und mehr Nachkommen zu haben. Und in dieser Konkurrenz geht es auch um relative Vorteile. Es geht nicht nur darum, dass es natürlich gut ist, einen Vorteil zu finden, von dem man auch profitiert. Noch wichtiger ist, dass man von diesem Vorteil nicht weniger profitiert als andere. Sonst empfindet man die Situation als unfair. Sich für den Stamm einsetzen, und dann geht es anderen besser als einem selbst? Nicht akzeptabel. Das kann im Extremfall dahin gehen, dass man geneigt ist, einen Vorteil für den Stamm nicht zuzulassen, wenn man selbst davon gar nichts hat. Der logische weitere Schritt ist, dass man sogar einen Schaden für sich akzeptieren würde, wenn die Folgen für mögliche Konkurrenten schlimmer wären als für einen selbst. Dann entsteht immer noch ein relativer Vorteil, von dem man profitieren kann. Victor Venema verweist auf eine Untersuchung, die im amerikanischen Magazin Mother Jones beschrieben wird. Versuchspersonen wurden Nachrichtenartikel gegeben über Bauern, die von einer Ausbreitung des Westnilvirus geschädigt wurden. Diese Ausbreitung wird durch den Klimawandel begünstigt. Doch die Reaktionen auf den Artikel hingen davon ab, ob die Bauern als Franzosen beschrieben wurden oder ob von Bauern aus dem eigenen Bundesstaat die Rede war. Bei den weit entfernten Opfern, durch die man sich selbst als nicht betroffen wähnen konnte, nahm die Bereitschaft, etwas gegen die Folgen des Klimawandels zu unternehmen, ab.
Die Überlegung von Victor Venema war also, sich zu fragen, ob der relative Vorteil und damit auch die Bereitschaft, Nachteile einzugehen, wenn sie potentiell andere, weit entfernte oder zu einer anderen Schicht gehörende Menschen härter treffen würden, eine treibende Kraft hinter der Ablehnung des wissenschaftlichen Sachstandes sein könnte. Und ob man dies in Argumentationen nützen sollte, indem man Beispiele für Folgen des Klimawandels sucht, die gerade die treffen, die bisher Folgen des Klimawandels geleugnet hatten. Im Falle von Menschen im Süden der USA, wo das Leugnen des Klimawandels recht verbreitet ist, wäre das eine Erläuterung der Tatsache, dass gerade hier der Klimawandel Dürren wahrscheinlicher macht, die diese Region der Welt härter treffen könnten als die meisten anderen Gebiete der Erde.
Das Argument finde ich interessant, obwohl ich denke, dass es genug andere Erklärungen geben kann, warum Menschen zu Leugnern werden. Ich selbst habe in Diskussionen zum Beispiel erlebt, dass Leugner kaum verschlüsselt angaben, dass sie den Klimawandel für ein Problem anderer Menschen halten. Diese Überlegung ist der obigen durchaus ähnlich. Aber der Ausgangspunkt ist der, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel immer mit einem Nachteil für einen selbst verbunden sind. Man muß vielleicht seinen Lebensstil ändern oder höhere Steuern zahlen. Aber der Vorteil ergibt sich für andere, weil der Klimawandel ein Problem anderer Leute ist. Zum Beispiel der Menschen, die in Regionen mit Extremwetter wohnen, in Pakistan oder Afrika. Und insbesondere, da der Klimawandel sehr langsam voranschreitet, werden die gravierenden Folgen erst zukünftige Generationen treffen. Gerade ältere Menschen werden fragen, warum sie auf etwas verzichten sollen, damit es der Enkelgeneration besser geht. Umso mehr, wenn sie selbst keine Kinder haben. Der Klimawandel als Problem anderer Leute wurde von mir schon diskutiert. Und da Menschen sich gerne selbst einreden, dass sie aber gar nicht böse und egoistisch sind, überlegen sie sich angestrengt, warum es keinen Grund gibt, an einen Klimawandel, dessen menschliche Verursachung oder dessen schlimme Folgen zu glauben.
In vielen Diskussionen habe ich festgestellt, dass es unter den Leugnern des Klimawandels viele Menschen gibt, die folgende Ideen teilen: eine starke Abneigung gegen die Partei der Grünen, eine starkes Eintreten für die Freiheit der Wirtschaft und eine Betonung der eigenen, lokalen Interessen. Das entspricht so ziemlich den Ergebnissen einer Untersuchung von Stephan Lewandowsky, Klaus Oberauer und Gilles Gignac . Sie untersuchten, ob die Neigung zu Verschwörungstheorien auch verknüpft ist mit einer Neigung dazu, den Klimawandel zu leugnen. Obwohl es hier Zusammenhänge gibt, war doch die Größe, die am ehesten die Neigung zur Leugnung des wissenschaftlichen Sachstandes zum Klimawandel voraussagte, das Ausmaß, in dem man wirtschaftslibertären Ideen anhing. Wer besonders daran glaubte, dass man den Kräften des Marktes freien Lauf lassen sollte, war wahrscheinlich auch ein Leugner. Im Grunde ist das ein Glaube an den Egoismus als positive Kraft, und im Rahmen dieses Glaubens kann man sich auch sagen, dass es im Grunde egal ist, ob es einen Klimawandel gibt - es soll nur niemand das Argument nutzen können, um Steuern zu erhöhen, im Wettbewerb werden schon die durchkommen, die es verdienen und letztlich ist es ein Problem anderer Leute, die dann selbst dafür zahlen sollen. Die Autoren stellten auch fest, dass die höchste Überzeugungskraft für die Wissenschaft zum Klimawandel das Argument hat, dass es einen Konsens unter Wissenschaftlern gibt. Das mag dann dazu führen, dass die früheren Leugner den Sachstand zum Klimawandel akzeptieren. Ob sie damit die Notwendigkeit von Maßnahmen dagegen akzeptieren, ist dann aber nach allem, was ich hier heute geschrieben habe, doch noch fraglich.
Danke für die gute Rezension und interessante Erweiterung.
AntwortenLöschenGerade heute habe ich einen libertären Blog Post gefunden der gut zu dem letzten Teil passt. Wo ein Wirtschaftswissenschaftler offen schreibt, dass sogar wenn es Klimawandel gäbe, jede Lösung immer schlechter wäre als nicht tun, weil der Staat immer böse ist.
Kann ich mich bei kleine Problemchen durchaus vorstellen, aber wenn man ehrlich zugibt keine Ahnung zu haben wie schlimm es wird, trotzdem sicher zu sein, dass die Regierung immer schlimmer ist, dass ist schon unglaublich.
Man muss zum Glück nicht jeder Überzeugen, aber irgendwie muss man doch Leute die in der Richtung denken irgendwie mitkriegen.