Montag, 7. Juli 2008

Was ist ökologische Gerechtigkeit?

Gerechtigkeit bezeichnet den Zustand, in dem keiner benachteiligt ist. Jeder hat die gleiche Rechte und Pflichten. Gerechtigkeit bei Einkommen und Vermögen bedeutet, daß hier jeder einen angemessenen Anteil hat. Es gibt dabei zwei Sichtweisen:


Leistungsgerechtigkeit verlangt, daß jeder nach seinen Leistungen einen angemessenen Anteil erhält.
Verteilungsgerechtigkeit verlangt, daß jeder nach seinen Bedürfnissen einen angemessenen Anteil erhält.

Zwischen diesen beiden Zielen sind Konflikte möglich, denn unterschiedliche Leistungen führen zu sehr unterschiedlichen Verteilungen, die von den persönlichen Bedürfnissen stark abweichen können. Es ist eine Frage der politischen Einstellung, wie man diese Zielkonflikte auflöst und durch mehr oder weniger große Umverteilung einen Kompromiss zwischen Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit findet.

Die ökologische Gerechtigkeit überträgt diese Diskussion auf die Nutzung der beschränkten Ressourcen der Erde. Beschränkt sind Ressourcen, weil sie endlich sind (Raum, Bodenschätze) oder langsamer erneuert als verbraucht werden (Wasser, Pflanzen, Tiere). Beschränkte Ressourcen fallen in verschiedene Kategorien:


  • ökonomisch: die Sicherung der Ressource ist von wirtschaftlicher Bedeutung
    (Beispiel: Bodenschätze, Grundstücke, Erträge aus Wald, Ackerbau, Viehzucht können gehandelt werden)
  • moralisch: die Sicherung der Ressource ist überlebensnotwendig
    (Trinkwasser, Grundnahrungsmittel, Energie, ein Platz zum Leben müssen bereitgestellt werden, Luft, Wasser und Boden dürfen nicht vergiftet werden)
  • ästhetisch: die Sicherung der Ressource dient unserem Wunsch nach einer angenehmen, schönen Umwelt
    (Denkmalschutz, Landschaftsschutz, Artenvielfalt und intakte Ökosysteme)

(Einteilung von Anton Leist, Ökologische Gerechtigkeit als bessere Nachhaltigkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 24, 3-10 (2007).)

Diese verschiedenen Kategorien stellen verschiedene Anforderungen an die ökologische Gerechtigkeit. Geht es um die ökonomische Kategorie, sind die Forderungen die gleichen, die wir auch sonst an Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit stellen. Bei der moralischen Kategorie hingegen kann es nur um eine Verteilungsgerechtigkeit gehen. Jeder muß die Ressourcen haben, die für sein Überleben nötig sind. Bei der ästhetischen Kategorie kann man hingegen infrage stellen, ob hier die Bereitstellung für jeden eine Gerechtigkeitsforderung ist. Hier ist eher die Frage, ob beim einzelnen oder bei allen ein ausreichender Wunsch besteht, eine bestimmte Ressource mit Vorrang zu schützen.

In der Praxis ist die Umsetzung der ökologischen Gerechtigkeit schwierig. Zum einen deshalb, weil man nicht nur horizontal gerechte Verteilungen erreichen will (also innerhalb einer Generation), sondern auch vertikal (zwischen den Generationen). Verbrauchen wir z.B. die Ressource Wasser in einer Weise, daß sie nur unserer Generation zur Verfügung steht, mißachten wir moralische Pflichten gegenüber der nächsten Generation. Das heißt also, daß wir begrenzte Ressourcen nicht nur in Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse, sondern die aller zukünftigen Generationen hin abschätzen müssen. Die nachhaltige Nutzung von Ressourcen wird damit zur Forderung, Ressourcen dauerhaft zu erhalten. Ökologische Gerechtigkeit wird zu einer Generationengerechtigkeit. Dies ist von besonderer Bedeutung bei dem Klimaschutz. Sehen wir uns dabei nur ein Beispiel an, die Emissionen von CO2.

Eine gerechte Verteilung der Rechte, CO2 in die Atmosphäre einzutragen, ist schon auf Basis von Staaten schwer zu erreichen. Der einfachste Ansatz ist, für alle gleiche prozentuale Minderungen zu vereinbaren. Die Folge ist hier eine Festschreibung der Vergangenheit. Die USA dürfen pro Kopf der Bevölkerung immer die höchsten CO2-Emissionen haben, Indien darf immer nur einen Bruchteil davon in Anspruch nehmen. Dies entspricht nicht im geringsten einer Verteilungsgerechtigkeit. Daher wurden z.B. Entwicklungs- und Schwellenländer beim Kyoto-Vertrag zunächst ausgenommen, um die Chance zu erhalten, wirtschaftlich zu den Industriestaaten aufzuschließen. Das hier diskutierte Fernziel war, daß der pro-Kopf-Verbrauch weltweit gleich werden sollte. Aber auch dieses Ziel ist nicht wirklich gerecht. Es behauptet ein Recht auf gleiche Verschmutzung, das nicht logisch und nicht leistungsgerecht ist. Selbstverständlich haben Staaten, die sich verspätet entwickeln, auch von vornherein die Möglichkeit, aus Fehlern weiter entwickelter Staaten zu lernen und das gleiche Wachstum mit weniger Emissionen zu erreichen. Dies darf man dann auch fordern.

Insbesondere ist es nicht sinnvoll, CO2-Emissionen pro Kopf zu betrachten. Eher sollte man sie pro Wirtschaftsleistung betrachten. Letztlich kommt die höhere Wirtschaftsleistung eines Staates über Exporte oder die Fähigkeit, woanders investieren oder Hilfe leisten zu können, allen zugute. Allen Staaten die gleichen CO2-Emissionen je Wirtschaftsleistung zuzuschreiben, ist aber auch nur auf dem Papier ein brauchbarer Ansatz. Was machen Staaten mit einem großen Anteil an informeller Wirtschaftsleistung, an Leistungen, die privat, innerhalb von Familien oder in der Schattenwirtschaft erbracht werden und daher nicht in der Statistik auftauchen? Wie berücksichtigt man Wechselkursänderungen und Kaufkraftunterschiede zwischen Staaten, die die Statistik verfälschen können?

Ökologische Gerechtigkeit herzustellen, ist ein schwieriges Unterfangen, das noch schwieriger wird, wenn man Vergangenheit und Zukunft berücksichtigen will und Verschmutzungen auch noch verzinsen möchte.CO2, einmal emittiert, bleibt lange in der Atmosphäre. Ein Viertel davon für Jahrhunderte. Während dieser ganzen Zeit entwickelt es die Wirkung, wegen der es als schädlich gilt: den Treibhauseffekt. CO2, das vor 10 Jahren emittiert wurde, war bereits viel schädlicher, als das heute emittierte, denn die ganze Zeit akkumulierte sich sein Strahlungsantrieb. Das emittierte CO2 trägt sozusagen negative Zinsen. Von diesen Zinsen konnten Staaten wie die USA, Großbritannien und Deutschland schon viel ansammeln, während China und Indien vergleichsweise wenig auf dem Konto haben. Was fordert jetzt hier die ökologische Gerechtigkeit? Soll man die Staaten mit einem Verschmutzungskonto belasten, auf dem bereits die Sünden der Vergangenheit aufgezinst wurden? Auch hier steht dem entgegen, daß die Altverschmutzer ja seinerzeit noch nicht wußten , was sie anrichteten und noch nicht die heutigen Alternativen zur Verschmutzung zur Verfügung hatten. Zudem wurde aus der damaligen Verschmutzung letztlich eine Weltinfrastruktur an Technologien und Erkenntnissen, Verkehrswegen und Telekommunikation geschaffen, von der alle zu einem gewissen Grad profitieren.

Ökologische Gerechtigkeit würde wohl am Ende so aussehen, daß es ein Basisverschmtzungsrecht pro Kopf gibt, um das Lebensminimum zu sichern, das auch nicht handelbar sein darf. Darauf dann ein Verschmutzungsrecht je Wertschöpfungseinheit, das die nachhaltig mögliche Emission von CO2 abdeckt, und weltweit handelbar ist, und schließlich vorübergehende CO2-Verschmutzungsrechte, die den Übergang vom jetzigen zum nachhaltigen Stand abdecken, und die zur Hälfte aus historisch bestehenden Verschmutzungsrechten bestehen (für die Industriestaaten) und zur Hälfte aus Verschmutzungsreserven, von der Bevölkerungszahl abhängig, die die sich entwickelnden Staaten ausschöpfen dürfen, um zu den Industriestaaten aufzuschließen. Auf dem Papier kann man das so beschreiben, aber wie man das objektiv berechnen soll, ist dann wohl ein Alptraum für Diplomaten, die über so etwas internationale Verträge aushandeln sollen.

Man kann diese Problematik auch von einer anderen Seite aus sehen. Kosten, die jetzt entstehen, um CO2 zu vermeiden, fehlen bei der Bewältigung anderer Probleme, zum Beispiel der Bekämpfung von Aids oder der Förderung von Schulbildung. Das vermiedene CO2 verhindert zukünftige Schäden, z.B. Landverlust durch Überflutungen von Küstenregionen. Zugleich aber steigen die Kosten z.B. aufgrund von Einkommensausfällen von Menschen, die an Aids leiden oder von Arbeitslosen, die durch fehlende Schulbildung am Arbeitsmarkt ohne Chancen sind. Investiert man 100.000 Euro, um CO2-Emissionen zu vermeiden, von denen man sich in 50 Jahren Kosten in Höhe von 500.000 Euro erwartet, und verzinst das Geld mit 4%, dann lohnt sich die Investition nicht, denn mit 4% verzinst werden aus 100.000 Euro in 50 Jahren 710.668 Euro, von denen man die zukünftigen Schäden bezahlen könnte und noch 210.668 Euro übrig hätte, um andere Probleme zu lösen. Andererseits kann sich die Schadwirkung von CO2, das heute emittiert wird, länger ansammeln als von CO2, das in 30 Jahren gegebenenfalls vermieden wird. Das wirkt eine msolchen Zinseffekt entgegen.
Man kann solche Rechnungen leicht für Teilprobleme ansetzen, aber für die Praxis sind sie wertlos, weil die Unsicherheiten größer sind als das, was man berechnen will. Z.B. wie hoch sind eigentlich Vermeidungskosten für CO2? Angenommen, man will Windenergie subventionieren, um sie kostengünstiger als Strom aus Kohle zu machen, dann sieht die Rechnung dramatisch anders aus, sollten die Kohlepreise unerwartet deutlich steigen. Am Ende könnte sich ein solches Projekt sogar selbst finanzieren und vermiedene Schäden aus emittiertem CO2 könnten einem als Zusatzgewinn in den Schoß fallen. Die derzeit hohen Ölpreise realisieren genau so ein Szenario, bei dem bereits alleine ökonomisch sich rechtfertigt, was man sonst aus ökologischen Gründen erreichen möchte. Staaten, die bereits in die CO2-Vermeidung investiert hatten, haben plötzlich einen Kostenvorteil gegenüber Staaten, die noch weit stärker von Öl abhängig sind. Vor zwei Jahre hätte man vermutlich Ölpreise über 100 Dollar pro Barrel noch für die Zeit vor 2010 als ein unrealistisches Szenario angesehen und daher CO2-Vermeidungsmaßnahmen als weitaus kostspieliger berechnet.

Ökologische Gerechtigkeit ist sicherlich wichtig. Aber wie sie aussieht, kann man kontrovers diskutieren. Und ihre Berechnung ist wohl nur für sehr vereinfachte Modelle möglich. Trotzdem müssen wir ökologische Gerechtigkeit anstreben und uns zumindest klar machen, daß dahinter Zielkonflikte stecken, wegen denen einfache Ansätze, wie gleiche CO2-Emissionen pro Kopf, unsinnig sind.

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