Sonntag, 24. August 2008

Meereiskrimi am Nordpol

Derzeit läuft in der Arktis ein Krimi ab. Die bange Frage, die sich die Zuschauer stellen ist, ob die Schmelze des Meereises dieses Jahr in etwa so stark sein wird, wie die im letzten Jahr oder ob die minimale Eisbedeckung wieder zu den langjährigen Werten oder dem langjährigen Trend zurückkehren wird. (Das Bild zeigt die Abweichung der Ausdehnung der Meereisfläche in der Arktis aufgrund von Satellitenmessungen von einem Referenzwert in Prozent für einen bestimmten Monat eines jeden Jahres seit 1979 - gezeigt wird die Reihe für den jeweils letzten abgeschlossenen Monat.) Die Frage ist hier nicht so sehr, ob der Rekord des letzten Jahres gebrochen werden kann. Der Eisverlust im vergangenen Jahr war so gewaltig, daß es schon überraschend und auch erschreckend wäre, würde dieses Jahr gleich ein weiterer Rekord folgen. Zudem hatte die Analyse gezeigt, daß besondere Wetterverhältnisse in 2007 einen Beitrag zu der raschen Eisschmelze geleistet hatten. Es wäre extrem unwahrscheinlich, wenn sich solche Wetterverhältnisse in zwei aufeinander folgenden Jahren wiederholten. Aber wenn die Eisschmelze 2008 in die Nähe des Wertes von 2007 käme, dann wäre damit gezeigt, dass 2007 nicht etwa ein Ausreißer war, sondern daß wir hier möglicherweise gerade eine Verstärkung des langjährigen Trends zu weniger Eis im Sommer sehen. Dieser Trend deutete zwar schon so darauf hin, dass die Seeeisbedeckung zurückgeht, aber bis das Nordpolarmeer im Sommer eisfrei ist, hätten noch einige Jahrzehnte vergehen können. Sollte sich aber eine Beschleunigung der Eisschmelze auf der Basis des Jahres 2007 etablieren, dann könnten wir ein im Sommer weitgehend eisfreies Nordpolarmeer schon in wenigen Jahren, noch vor 2020, erleben. Ein starkes Argument dafür, dass sich 2007 etwas fundamental verändert hat, ist die Erkenntnis, daß das nach so einer starken Schmelze im Winter neu gebildete Eis viel schwächer ist als das mehrjährige Eis, das zuvor dort war. Einjähriges Eis ist dünner, enthält mehr Salz und ist dadurch strukturell schwächer und anfälliger für eine Schmelze. Es hat sogar eine geringere Albedo und leistet damit einen, wenn auch sehr schwachen, Verstärkungsbeitrag zur Erwärmung der Arktis.

Der Krimi wuchs sich zu einem Krieg aus zwischen den Verfechtern der Behauptung, das Minimum 2007 sei ein Ausreißer und es würde bald sogar wieder eine Zunahme der Eisbedeckung am Nordpol geben – gestützt zeitweise vom Wiederzufrieren des Nordpolarmeers im letzten Winter – und den Vertretern der Ansicht, daß 2008 schon allein wegen der nun ausgedehnten Bedeckung mit einjährigem Eis und wegen der anhaltenden Erwärmung der Ozeane Werte nahe beim Minimum 2007 zu erwarten sind. Mit welch harten Bandagen dabei gekämpft wird, belegt Prof. Rahmstorf in diesem Beitrag.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Eismenge auf den Meeren zu betrachten. Wichtige Größen sind die Ausdehnung der von Meereis bedeckten Fläche (extent), ein robuster Parameter, der aber wenig über die eigentliche Eismenge aussagt. Dann gibt es die von Eis bedeckte Wasserfläche (area), eine Größe, die allerdings fehlerbehaftet ist, weil sie zum Beispiel durch Schmelzwasser auf dem Eis verfälscht wird. Schließlich gibt es auch Schätzungen für das Eisvolumen auf dem Wasser, eine Größe, die jedoch durch die eingehenden Abschätzungen wenig robust ist. Unter anderem meldet das National Snow and Ice Data Center (NSIDC) die Seeeisausdehnung (Einzelheiten siehe hier.). Ende Juli wurde dort die letzte Vorhersage der Entwicklung der Seeeisausdehnung veröffentlicht, nach der der Rekord von 2007 deutlich verfehlt werden würde.
Diese Vorhersage sollte man vergleichen mit dem aktuellen Verlauf der Seeeisausdehnung. Man sieht direkt, trotz des anderen Maßstabs, dass die Entwicklung derzeit am Rand der letzten Voraussage verläuft – hin zu weniger Eis. Gerade im August ist das Eis deutlich schneller geschmolzen als zu erwarten war. Bedenkt man noch, daß der letzte Winter relativ kalt war und überdurchschnittlich viel neues Eis gebildet wurde (was bei einigen Leugnern des Klimawandels zu viel "Hallo" führte in dem Sinne, daß hier die Trendwende zu mehr Eis oder gar eine Kaltzeit wäre), ist die diesjährige Eisschmelze genauso groß wie in 2007.

Man kann eigentlich jetzt schon zusammenfassen, egal wie die Entwicklung der nächsten 2 Monate aussieht, daß schon längst bestätigt wurde, daß 2007 kein Ausreißer ist, sondern sich der langjährige Trend zur Abnahme der Sommereisbedeckung verstärkt hat. Das ist besorgniserregend, insbesondere in Hinblick auf die Aussichten für das Auftauen des Permafrostbodens in der Arktis und der dadurch zu befürchtenden Verstärkung der globalen Erwärmung.

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