Sonntag, 25. Januar 2009

Die Oxidationskraft der Atmosphäre – das zitternde Netz

In den achtziger Jahren gab es zwei große Paukenschläge zum Zustand unserer Atmosphäre, die die Öffentlichkeit aufweckten. Zum einen entdeckte man Mitte der achtziger Jahre das Ozonloch über der Antarktis. Plötzlich waren die Warnungen von Molina und Rowland von 1974 vor einem Ozonabbau durch Chlor aus Treibgasen in Spraydosen und aus Kühlmitteln nicht mehr eine akademische Frage, sondern etwas, das zu überraschenden und bedrohlichen Entwicklungen bei der Ozonschicht führte. Die Abläufe an polaren stratosphärischen Wolken und der Aufbau von Vorläufersubstanzen, die im Antarktisfrühjahr plötzlich ihr Chlor und Brom abgaben, wurden erst in den Folgejahren verstanden und erlaubten erst dann, die Dynamik dieser Entwicklung zu verstehen (Nobelpreis für Rowland, Molina und Crutzen). Ich hatte gerade noch in einem Buchbeitrag von D.H.Ehhalt geblättert, in dem der Abbau von Ozon bei gleich bleibenden Emissionen von 1979 der FCKW bis 2050 auf vielleicht 5% beziffert wurde und sich nicht sehr dramatisch darstellte. Das mag vielleicht den Schock verdeutlichen, den es verursachte, daß in der Antarktis großflächig mehr als 50% der Ozonschicht abgebaut wurden.

Um 1987 kam dann hinzu, daß deutsche Physiker mit einem Appell an die Öffentlichkeit traten, daß ihrer Meinung nach nun die Daten darauf hindeuteten, daß eine globale Erwärmung eine unmittelbar zu befürchtende Realität darstellen würde und sich noch auf die jetzige Generation merklich auswirken könnte. Die Politik in Deutschland reagierte mit einer Enquetekommission des Deutschen Bundestages, die 1988 ihren Zwischenbericht herausbrachte, in dem zusammenfassend die Feststellungen der Experten zu den Gefahren durch den Ozonabbau und durch die Treibhausgase dargestellt wurden. Das Problem war in der Politik endlich angekommen, die bisher vor allem lokale und regionale Verschmutzungsprobleme kannte, etwa die Notwendigkeit, über Rauchgasentschwefelung und Autokatalysatoren gegen Smog und neuartige Waldschäden vorzugehen, was ja auch bereits dokumentierte Erfolge brachte.

Das waren die Ereignisse, die mich dazu brachten, zum Forschungszentrum Jülich zu gehen und mich mit Atmosphärischer Chemie zu befassen. Ich fand diese Themen aufregend und interessant und wollte nicht nur Zuschauer sein. Es waren auch Ereignisse, die die Medien dazu brachten, sich nach weiteren Themen dieser Art umzuschauen. Und es stellte sich heraus, daß 1991 das Blickfeld der Medien sich auf das Gebiet richtete, in dem ich gerade promovierte, die Chemie des OH-Radikals.

Das Hydroxylradikal OH ist entscheidend für die Oxidationskraft der Troposphäre und den Abbau der meisten Spurengase, die die Luft verschmutzen (könnten). Indem es aber mit diesen Gasen reagiert, kann es auch abgebaut werden. Wie sieht es also aus, wenn global immer mehr Spurengase in die Luft geblasen werden, könnte dann OH so stark abgebaut werden, daß die Luft keine ausreichende Oxidationskraft mehr hat und Spurengase sich unbegrenzt ansammeln können? Droht der Menschheit nach dem Klima und der Ozonschicht hier bereits das nächste Problem?

Vielleicht, war die klare Antwort von Paul Crutzen und Peter Zimmermann (nicht mit mir verwandt) in einem Artikel in Tellus, 43, 136, (1991). Sie berechneten im dreidimensionalen Modell durch die Verdopplung der Konzentrationen von CO und Methan in den Tropen bis zu 20% Verringerung der OH-Konzentration. Was in ihrem Artikel ein bißchen nachlässig behandelt wurde, war die Tatsache, daß solche Ergebnisse ganz erheblich von den Annahmen bezüglich der Stickoxide abhingen. Deren Konzentrationen sollten auch steigen, und in den meisten Gebieten bedeutet das, daß mehr HO2 mit NO zu OH reagiert, den Verlust der Radikale zu H2O2 vermindert und so die OH-Konzentrationen anhebt. Zur gleichen Zeit fand auch Anne Thompson mit einem 1-dimensionalen Modell, das für verschiedene Punkte auf dem Globus gerechnet wurde, ähnliche Resultate. Sie behauptete gar, daß seit 1700 OH-Konzentrationen global um 23% gesunken seien.


Wenn dabei Relativierungen nicht klar rüberkommen, setzt eine Vergröberung der Aussage bei der Wanderung der Ergebnisse in die Medien ein. Richard Kerr griff die Arbeit von Thompson für einen Meinungsartikel auf und schrieb unter Hydroxyl, the cleanser that thrives on dirt, Science 253, 1210 (1991), daß CO und Methan verantwortlich für eine Abnahme der OH-Konzentration wären und dadurch das gesamte Netz der Reaktionen in der Troposphäre in Bewegung gerate – the web trembles. Allerdings wies er auch darauf hin, daß abhängig von z.B. den Stickoxiden in der Zukunft die OH-Konzentration stabil bleiben könnte.

Halbverdaut machte dann der Spiegel einen Artikel daraus, in dem es unter der Überschrift „Zitterndes Netz“ am 21. 10. 1991 auf Seite 314 hies: „Schwindet das Hydroxyl aus der Luft? Chemiker fürchten um die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre.“ Ganz nebenbei erfand der Spiegel, daß eine Frankfurter Gruppe um Prof. Comes zuerst das OH-Radikal in der Luft gemessen hätten. Die ersten Langwegabsorptionsmessungen gab es bereits Ende der 70er Jahre und das Institut für Atmosphärische Chemie unter D.H. Ehhalt konnte 1991 bereits eine lange Reihe von Veröffentlichungen über diese Messungen vorweisen (zum aktuellen Stand hier der Link). Das Problem war wohl, daß der Spiegel ausgerechnet Comes zu seinem Experten ausgewählt hatte, der selbst eigentlich bis vor kurzem mit Atmosphärenchemie nichts am Hut hatte und auch kein Interesse daran, auf die Konkurrenz zu verweisen. Durch eine Umstellung der Aussagen im Science-Artikel, Weglassen der Relativierungen durch die OH-Rezyklierung und mit Bezug auf Crutzen und Zimmermann entwickelte der Spiegel das Szenario, daß die „Waschkraft“ der Atmosphäre bedroht sei und verglich das Problem mit dem des Ozonlochs. Zugleich wurde betont, daß möglicherweise hier ein Grund für den Anstieg der Methankonzentrationen zu suchen sei, der durch die bekannten Quellen allein nicht zu erklären sei – die OH-Konzentration ginge halt zurück und damit nehme der Methanabbau in der Luft ab.

In einem Leserbrief protestierte ich: ich wies auf die geringe Sensitivität von OH für CO und Methan hin, auf den stabilisierenden Einfluß der Stickoxide und darauf, daß es für die Luftqualität nicht von Belang sei, ob CO beispielsweise global bei 50 oder 150 ppb stünde (Teile CO auf eine Milliarde Teile Luft). Im Rahmen der Unsicherheit der Mechanismen könne man keine seriöse Ausage treffen, ob die OH-Konzentration zukünftig steige oder falle und man solle sich doch auf echte Probleme konzentrieren, statt auf dieses Scheinproblem. Zugleich wies ich darauf hin, daß Comes über 10 Jahre zu spät dran sei, um als jemand dargestellt zu werden, der als erster atmosphärisches OH gemessen hätte.

Auf den Brief erhielt ich eine Postkarte als Antwort, daß man sich im Artikel unter anderem auf den Science-Artikel beziehe, den ich wohl nicht gelesen hätte, und daß Comes, Perner und andere den Artikel geprüft hätten. Auf keinen der Einwände ging man ein und wer „und andere“ sein soll, darüber habe ich bis heute unschmeichelhafte Vermutungen (nämlich niemand). Wobei Perner wahrscheinlich nur einen anderen Teil des Spiegelbeitrags gegengelesen hatte, um den es hier gar nicht ging und Comes zwar OH messen ließ, aber sonst damals wenig Ahnung von der OH-Chemie hatte.

Also schrieb ich den zweiten Brief (und fühlte mich dabei schon wie die üblichen Querulanten, die ihre Zeit mit notorischem Meckern verplempern), in dem ich darauf hinwies, daß mir der Science-Artikel sehr wohl bekannt wäre (in dem stand aber nichts von Crutzen und Zimmermann) und daß der sich weitaus vorsichtiger ausdrücke. Ich wies darauf hin, wo sie sich seriös zu dem Thema informieren könnten (es gab eine Diskussion zwischen der oben genannten Thompson und Law und Pyle in Atmospheric Environment, 26A, 195-197 (1992) und einen Artikel von Pinto, Tellus 43B, 347-352 (1991), wo die Argumente gegen die Gefährdung der OH-Konzentration klar dargestellt wurden, und es gab natürlich eigene Beiträge). Schließlich appellierte ich an den Spiegel, daß es ein Gebot der Fairness sei, Forschern nicht Erfolge falsch zuzuschreiben und daß sie das auch in diesem Falle korrigieren sollten. Diesmal gab es gar keine Reaktion des Spiegels.

Ich hatte gelernt:

1. Journalisten machen keine Fehler
2. Experten sind immer die Leute, die ein Journalist zu einem Thema gerade greifen kann
3. Eine gute Schlagzeile läßt man sich nicht durch störende Fakten kaputt machen

Hätte ich eigentlich schon vorher wissen müssen.

Am 2. 12. 1992 schrieb dann auch die FAZ über OH-Messungen. Das behäbig-seriöse Blatt sprach von der Fahndung nach dem Waschmittel der Atmosphäre und schrieb nur kurz dazu, ob dieses in Zukunft knapp würde. Ärgerlich war hier vor allem, daß man nur Comes und Mitarbeiter und zwei nicht genannte amerikanische Gruppen (gemeint waren wohl Mount und Mitarbeiter und Eisele und Tanner) als diejenigen angab, die OH messen könnten, wobei natürlich das Verfahren von Comes als das überlegene dargestellt wurde. Wieder wurden alle, die schon seit Ende der 70er Jahre an dem Thema arbeiteten (nicht nur die Jülicher unter Ehhalt, mit Perner, Platt, Dorn, Hofzumahaus und anderen, sondern z.B. auch Felton Ende der 80er Jahre an der Washington State University oder Mitarbeiter bei NOAA in Boulder, Colorado), unterschlagen. Mein Hinweis darauf war der FAZ noch nicht mal eine Antwort wert. Lernerfolg wie oben, diesmal dauerhaft.

In der Fachliteratur verlieren sich übrigens die Spuren der Frankfurter Gruppe nach ca. 1998. Aber bis dahin hatten sie definitiv die bessere PR-Arbeit.

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