Montag, 2. Februar 2009

Die lange Verweilzeit des CO2 und die Folgen: sterbende Meere, verschwindende Gletscher und Dürren

Die letzte Woche war schon wieder sehr aufregend. Leider ist es auch schon wieder zu viel, um es in angemessener Weise zu kommentieren. Trotzdem will ich es nicht unbeachtet lassen. Die Ereignisse der letzten Tage sind zum einen eine Veröffentlichung der NOAA-ESRL in Boulder, Colorado um Susan Solomon sowie von Arbeitsgruppen in der Schweiz und Frankreich. Solomon war mir bisher vor allem mit Arbeiten zum stratosphärischen Ozon aufgefallen, gehört aber auch zu den führenden Wissenschaftlern bei der Erstellung der IPCC-Berichte. Die Arbeitsgruppen haben mit zwei Modellen gearbeitet, mit einem gekoppelten Ozean-Atmosphären-Modell zur Verfolgung von Klimaänderungen bis 2100, und einem Carbon-Zyklus-Modell, das bis zum Jahr 3000 lief. Damit wollte man untersuchen, was die Auswirkungen von bestimmten Emissionsszenarien für Treibhausgase auf das regionale Klima ist, insbesondere bezüglich von Regenfällen und Dürren. Durch das Carbon-Zyklus-Modell sollte untersucht werden, wie sich dies über 2100 hinaus entwickelt. Geht CO2 vielleicht schnell wieder auf niedrige Werte zurück, sobald man die Emissionen auf Null fährt? Und normalisiert sich dann das Klima?

(Die Publikation ist hier: Solomon, Plattner, Knutti und Friedlingstein, Irreversible climate change due to carbon dioxide emissions, Proceedings of the National Academy of Sciences, 2009. Diskussionen dazu auf Englisch hier bei RealClimate und hier im Blog des New York Times Journalisten Revkin.)

Das zweite Ereignis war eine Deklaration von Ozeanforschern bei ihrem Treffen in Monaco, die vor den Gefahren der Versauerung der Meere durch den CO2-Anstieg warnen (hier ist die Deklaration und hier wird es diskutiert). Eine Verknüpfung mit den Risiken einer lang anhaltenden hohen Konzentration von CO2 in der Atmosphäre mit der Ausdehnung von Todeszonen in den Ozeanen wird hier in einem Blog bei Nature diskutiert. Dies und die Versauerung gefährden die Meere als Ökosysteme und als Nahrungsquellen für die Menschheit.

Das dritte Ereignis ist ein aktueller Bericht zu der Lage der Gletscher weltweit. Kurz gesagt: sie schrumpfen. Sie schrumpfen immer schneller. Es gibt wenige Ausnahmen, insbesondere in Neuseeland und in Norwegen und zwar, weil hier das Meer vor dem Festland wärmer wird, mehr verdunstet und für stärkeren Schneefall in den Bergen in der Nachbarschaft sorgt. Bei den Ausnahmen ist also nicht etwa geringeres Abschmelzen durch lokale Abkühlung der Grund für das Gletscherwachstum. RealClimate diskutiert den Bericht, auf den man hier zugreifen kann.

Keine der Publikationen ist eine wirkliche Überraschung für informierte Menschen, aber in dieser Häufung erzählen sie uns eine Geschichte über den aktuellen Stand des Klimawandels und unsere langfristigen Perspektiven.

Der Grund dafür, daß ich mit den Kommentaren zeitlich nicht nachkomme ist, daß ich einiges vorausschicken müsste. Das große Thema des Artikels von Solomon et al. 2009 zu den langfristigen Perspektiven der CO2-Emissionen ist das der Zeitskalen. Wenn ich wissen will, wie lange eine Substanz vorhanden ist, schaue ich auf die Halbwertszeit der Substanz. Die ist immer dann einfach definiert, wenn ich einen Abbau erster Ordnung vor mir habe. Also etwa eine radioaktive Substanz mit der Konzentration X hat einen Abbau, der nur von der eigenen Menge und eine Zerfallskonstante k abhängt. Der zeitliche Ablauf in der Zeit t ist dann gegeben durch:
dX/dt= -kX

Das heißt, das Produkt von k und X bestimmt, wie viel von X pro Zeiteinheit verloren geht. Ist gerade die Hälfte verloren gegangen, wurde die Halbwertszeit t(1/2) erreicht. Diese Halbwertszeit ist gerade ln(2)/k.
Es wird etwas komplizierter, wenn k keine Konstante ist, sondern von variablen Größen abhängt. Im Grunde kann man aber über die Halbwertszeit oft für nicht zu lange Zeiten grobe Abschätzungen für die Lebensdauer einer Substanz oder über Zeitkonstanten von Kopplungen machen. Schauen wir uns also den Kohlenstoffzyklus an.
Die Halbwertszeit von CO2 in der Atmosphäre ist scheinbar recht kurz. Pflanzen bauen CO2 in ihre Biomasse ein, absterbende Pflanzen geben CO2 beim Verrotten genauso wieder ab, wie auch Tiere gefressene Pflanzen in andere Substanzen umsetzen und am Ende als CO2 wieder ausatmen. 800 Gigatonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre stehen 800 Tonnen Kohlenstoff in Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen gegenüber. Pro Jahr werden etwa 120 Gigatonnen Kohlenstoff miteinander ausgetauscht. Damit ist die Zeitkonstante für einen Abbau des atmosphärischen CO2 k=0,15/Jahr und die Halbwertszeit 4,6 Jahre. Atmosphärisches CO2 ist also scheinbar sehr kurzlebig. Aber wegen des raschen Austausches von Biosphäre und Atmosphäre kann man diese beiden Reservoirs gar nicht trennen – was aus der Atmosphäre in Pflanzen abgelagert wird, kehrt schon bald wieder zurück.

Also muß man fragen, was denn die Halbwertszeit des CO2 in dem gekoppelten System Atmosphäre-Biosphäre ist. Der wesentliche Verlust hier ist in die Meere, die ja fast die Hälfte alles emittierten CO2 aufnehmen. Hier liegen ca. 38.000 Gigatonnen Kohlenstoff gelöst und als Carbonate vor. Ungefähr 90 Gigatonnen Kohlenstoff werden zwischen Atmosphäre und Meeresoberfläche ausgetauscht. Damit findet man als Halbwertszeit des gekoppelten Systems von Atmosphäre und Biosphäre gegenüber dem Austausch mit dem Meer etwa 12,3 Jahre. Damit ist CO2 immer noch scheinbar recht kurzlebig. Die Meeresoberfläche ist nämlich recht schnell mit CO2 gesättigt und würde dieses auch wieder abgeben, sobald die atmosphärische CO2-Konzentration nicht mehr ansteigt, sondern fällt, insbesondere, wenn sich gleichzeitig das Klima erwärmt. Für längere Zeit weg ist CO2 erst, wenn es von den Oberflächengewässern in die Tiefsee transportiert wird. Dieser Austausch beträgt ca. 100 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr. Da in den Oberflächengewässern ca. 1000 Gigatonnen Kohlenstoff sind, also 2600 Gigatonnen Kohlenstoff im gekoppelten System Atmosphäre-Biosphäre-Oberflächenwasser, verlängert sich die Halbwertszeit nun auf 18 Jahre. Auch das ist scheinbar kurz, auch wenn wir uns von den anfänglichen 4,6 Jahren schon um einen Faktor 4 wegbewegt haben.

Der Leser ahnt, was kommt. Die Tiefsee wird selbst irgendwann das eingemischte CO2 wieder abgeben, sofern es nicht in den Sedimenten im Meer abgelagert werden kann. Diese Ablagerung ist aber nun wirklich ein sehr langsamer Prozess mit einem Bruchteil einer Gigatonne pro Jahr. Die Zeitkonstante für den Verlust von Kohlenstoff aus dem gesamten System von Atmosphäre, Biosphäre und Hydrosphäre beträgt mehr als 100.000 Jahre. Das wäre die wahre Halbwertszeit von CO2, wenn dies die einzige Senke dafür wäre. Aber es gibt noch andere Prozesse. Das größte Reservoir für Kohlenstoff überhaupt ist der Boden, die Lithosphäre. Hier dominieren die Carbonate (z.B. Kalkstein, Dolomit) mit 60 Millionen Gigatonnen Kohlenstoff und die Kerogene, die aus Ablagerungen von pflanzlichem und tierischem Kohlenstoff entstanden sind (z.B. Ölschiefer) mit 15 Millionen Gigatonnen Kohlenstoff. Kurz: fast der gesamte Kohlenstoff ist eigentlich im Boden. Der Austausch mit den anderen Reservoiren erfolgt durch die Ablagerungen in Sedimenten und die Verwitterung von Gesteinen sowie durch die Mobilisierung des Kohlenstoffs aus den Gesteinen. Hier z.B. durch Vulkanismus. Chemisch findet bei der Verwitterung von Gesteinen entweder der Austausch von Silikat durch Carbonat statt oder die Umwandlung von Carbonaten in Hydrogencarbonaten, wodurch das gleiche Gestein nun die doppelte Menge CO2 bindet. Der Umsatz für die Verwitterung scheint in der gleichen Größenordnung zu liegen wie die Sedimentation. Also wird die Halbwertszeit für CO2 außerhalb der Lithosphäre aufgrund dieser Prozesse irgendwo im Bereich von einigen 10.000 Jahren bis knapp 100.000 Jahren liegen.

Unser Bild vom CO2 in der Atmosphäre ist also das von einer Badewanne, die einen großen Abfluß hat. Da der Zufluß größer ist als der Abfluß, steigt der Wasserstand in der Wanne. Dreht man den Zufluß ab, würde eigentlich der Wasserstand wieder sinken. Aber verbunden mit dieser Wanne sind die Biosphärenwanne und die mehr als vierzigmal so große Meereswanne – der Wasserstand in der Atmosphärenwanne sinkt also nur so lange schnell, bis er mit den anderen Wannen ausgeglichen ist. Haben diese verbundenen Wannen erst mal einen bestimmten Wasserstand erreicht, hängt es von einem sehr kleinen gemeinsamen Abfluß der drei Wannen ab, wie schnell der Wasserstand wieder zurückkommt auf den Wert vor dem großen Zufluß.

Dieses Bild von den Wannen ist der Hintergrund zu dem Artikel von Solomon et al. 2009. Ihre Feststellung ist, daß das CO2, was jetzt in die Atmosphäre abgegeben wird, zu gut 40% auch im Jahr 3000 dort sein wird. Der Rest wurde durch das Umverteilen zwischen den verschiedenen Wannen entfernt. Sollte wir also die CO2-Konzentration in der Atmosphäre vor 2100 auf über 600 ppm steigern und dann die Emissionen abstellen, werden im Jahr 3000 immer noch über 400 ppm da sein und der Treibhauseffekt entsprechend die ganze Zeit wirken. Bei einem Höchststand von 1000 ppm vor 2100 (was wohl dem Szenario entspricht, daß wir bei den Maßnahmen bleiben, die derzeit getroffen wurden) sind im Jahr 3000 noch gut 600 ppm übrig.
Die Botschaft ist: nicht schnell und hart zu handeln bringt uns negative Zinsen in Form dauerhaft erhöhter Treibhausgaskonzentrationen und dauerhafter Erwärmung, die aus Sicht unserer Zivilisation für immer auflaufen, denn ein Zeithorizont über 1000 Jahre trägt uns weit hinaus aus unserer Erfahrung als technologische Zivilisation. Es reicht nicht, irgendwann die CO2-Emissionen zu stabilisieren und zu senken. Es muß bald geschehen und die Emissionen mit vernünftigem Zeithorizont auf Null bringen. Danach bleibt uns nur noch das Geoengineering, das teuer, riskant und womöglich nicht effektiv ist.

Die zweite Botschaft der Publikation ist, daß die Folgen dieser Erwärmung dauerhafte Änderungen regionaler Klimate ist. Plakativ wird hier herausgegriffen, um wie viel der Regenfall in verschiedenen Regionen der Welt abnimmt. Zu den besonders hart getroffenen Regionen zählt dabei Südeuropa, das klimatisch sich in Richtung der Sahelzone entwickelt. Aufgrund der Abhängigkeit von der Halbwertszeit des CO2 in der Atmosphäre wie gesagt nach menschlichem Empfinden für immer.

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