Sonntag, 11. Oktober 2009

Darf man als Wissenschaftler religiös sein?

Der Grund dafür, daß man diese Frage überhaupt stellen kann ist die große Spezialisierung in den (Natur-)wissenschaften. Man kann glücklich auf einem speziellen Gebiet arbeiten, ohne je mit Grundsatz- und Sinnfragen konfrontiert zu werden. Erst, wenn man anfängt, zu philosophieren, in welchem größeren Zusammenhang zum Beispiel die eigenen Studien zu irgendwelchen Gensequenzierungen oder Untersuchung von Zerfallsreihen nach Teilchenkollisionen stehen, und was zum Beispiel politische Folgen des eigenen erweiterten Wissens sein könnten, verliert das schmale Feld, das man überschaut, seine Unschuld. In der Regel wird jedoch der Wissenschaftler, der über den Rand seines kleinen Bereichs der Expertise schaut, sofort zum Laien. Um auch bei großen Fragen noch als Experte mithalten zu können, bedarf es schon großer Belesenheit und auch weit gespannter Erfahrung. Für den durchschnittlichen Wissenschaftler ist es schlicht irrelevant, was die Religion sagt. Es ist für ihn eine rein private Entscheidung und daher nur geprägt von der eigenen Erziehung und dem Umgang, den man hat, der einen mehr oder weniger religiös machen kann. Die Folge ist, daß man unter Wissenschaftlern auch viele findet, die religiös sind. Es sind hier weniger als in der Gesamtbevölkerung, und insbesondere Naturwissenschaftler neigen weniger der Religion zu, aber gleichwohl ist der Anteil nicht zu vernachlässigen. Das heißt denn auch, daß die Suche nach Zeugen für eine religiöse Interpretation in den Naturwissenschaften immer möglich ist. Es gibt auch kreationistische Biologen oder Physiker, was dann auch von religiösen Fanatikern und ihren Lobby-Organisationen wie zum Beispiel dem Discovery-Institut ausgenutzt wird.

Beim näheren Nachdenken dürfen Wissenschaftler aber grundsätzlich nicht religiös sein. Grundlage der Wissenschaft ist die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Wenn Ergebnisse nicht reproduzierbar sind, wenn es keine Naturgesetze gibt, ist der Ansatz der Wissenschaften ungültig. Es gibt dann keine objektiv feststellbare, untersuchbare Natur, es gibt dann keine gültigen Theorien, die Vorhersagen ermöglichen. Wissenschaftler müssen per definition antireligiös sein. Religion bedeutet, daß übernatürliche Mächte vorhanden sind, die den Rahmen der Naturgesetze verlassen können. In ihnen können Schöpferwesen die Welt erschaffen, ohne Fragen nach Erhaltungssätzen zu beantworten, können übernatürliche Wesen Wissen über Menschen haben, ohne auf eine der vier Grundkräfte angewiesen zu sein und können menschliche Schicksale beeinflussen, ohne daß ihre Wirkung beobachtet werden könnte. Es geht dabei gar nicht um die Frage, ob man die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes beweisen kann. Denn selbstverständlich ist es möglich, diese Frage so zu definieren, daß man ein übernatürliches Wessen gerade an den Rand möglicher Erkenntnis stellt. Es ist immer möglich, einen Gott so zu definieren, daß man gerade noch die Frage seiner Nichtexistenz nicht mit den gerade vorhandenen Mitteln entscheiden kann. Das Problem liegt hier aber schon in der Fragestellung. Niemand ist verpflichtet, zu beweisen, daß etwas willkürlich definiertes nicht existiert. Es existiert einfach dadurch nicht, daß die Notwendigkeit fehlt, die Existenz zu erwägen. Zuerst müßte die naturwissenschaftliche Theorie versagen und eine Lösung dadurch plausibel sein, daß man ein übernatürliches Wesen einführt. Dann erst wird die Behandlung einer religiösen Frage für die Wissenschaft legitim. Genau dann aber verliert die wissenschaftliche Methode überhaupt seinen Sinn, weil ja nun die Realität nicht mehr zwangsläufig eine objektive Grundlage hat, sondern abhängig davon wird, daß man den rechten Glauben hat und das übernatürliche Wesen sich zeigt.

Die Feststellung, daß Wissenschaftler antireligiös sein müssen, weil etwas anderes unlogisch wäre, ist zwar einerseits zwingend, andererseits wird aber die religiöse Sozialisierung vieler Wissenschaftler sie dazu treiben, die Schlußfolgerung abzulehnen. Der wichtigste Grund ist, daß sie die Schlußfolgerung eben nicht als so zwingend empfinden wie sie ist. Für sie ist zunächst mal eine Art Solipsismus akzeptabel, die in der Frage gipfelt, ob ein Baum in einem Wald mit dem gleichen Krachen umkippen würde, wenn gerade kein Mensch anwesend wäre, um Zeuge des Ereignisses zu sein. Letztlich also die Behauptung, wir könnten nicht entscheiden, ob die Natur in Wahrheit nur ein Theaterstück zum Ergötzen des Menschen sei und ganz anders sein könnte, wenn die Zuschauer fehlten. Das läßt sich durchaus mit ein bißchen Pseudowissenschaft aufmotzen, wenn man z.B. darauf verweist, daß ja die Quantenmechanik den Einfluß des Beobachters mit berücksichtigt. Dabei wird dann vergessen, daß hier auch die Rolle des Beobachters eine naturgesetzliche ist. Nicht ein Wunder führt dazu, daß die Heisenbergsche Unschärferelation gilt, sondern die Quantelung der Wirkung erfordert, daß man komplementäre Größen wie Ort und Impuls oder Energie und Zeit nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen kann. Und wie die Beobachtung selbst eine Größe beeinflußt, ist kein Mysterium, sondern wird logisch plausibel, wenn man sich vorstellt, wie das Photon; das die Information über ein Elektron vermitteln soll, gleichzeitig durch seine Wechselwirkung mit dem Teilchen dieses verändert. Quantenmechanik ist zwar oft kontraintuitiv, aber trotzdem naturgesetzlich.

In den letzten Jahren hat sich die Auseinandersetzung zwischen zwei Strömungen in den Naturwissenschaften zugespitzt. Während die einen als „neue Atheisten“ die Konfrontation mit den religiösen Kräften suchen, vielleicht, weil sie das Gefühl haben, daß die religiösen Kräfte wieder an gesellschaftlichem Einfluß gewinnen (man sieht es besonders dramatisch am Vordringen des Islam in den vergangenen vielleicht 20 Jahren, aber auch an der Talibanisierung der USA), gibt es auch eine Appeasement-Bewegung bei den Wissenschaftlern, die für die Einstellung wirbt, daß die Wissenschaften und die Religion einfach verschiedene, sich gegenseitig nicht ausschließende Betrachtungsweisen der menschlichen Existenz seien. Das eine wie das andere sei jeweils in seinem Gebiet gültig, ohne dem anderen in seinem eigenen Gebiet zu widersprechen. Das ist eine sehr bequeme Einstellung, um sich Streit zu sparen, sie ist aber weder logisch noch ist sie nachhaltig. In der Vergangenheit hat sich die Wissenschaft ihre Freiräume immer gegen religiösen Widerstand erkämpfen müssen. Immer wieder mußten Wissenschaftler die Deutungshoheit der Religion angreifen. Kopernikus und Galilei hätten nichts zu sagen gehabt, wären sie nicht bereit gewesen, Territorium für die Naturwissenschaften zu beanspruchen, das vorher der Religion vorbehalten war. Und weder die Big Bang-Theorie noch die Evolutionstheorie konnten in einem Vakuum entstehen, das von der Religion freigelassen wurde. Noch heute widersprechen Kreationisten, und man hat sogar den Eindruck, daß ihre Zahl und ihr Einfluß wieder zunehmen. Appeasement ist gefährlich, denn so nach und nach verliert die Wissenschaft damit wieder die einst eroberten Freiräume. Das fängt mit Versuchen an, Blasphemiegesetze wieder zu etablieren, wie z.B. in Irland. Die islamischen Staaten versuchen, die UNO dafür einzuspannen. In verschiedenen Staaten versuchen religiöse Gruppen, die Schulbücher zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Kalkül ist, daß die so an die Religion gewöhnten Kinder auch als Erwachsene stärker der Religion zuneigen würden. Am Ende wäre es egal, welche Ergebnisse die Wissenschaften haben – der religiöse Konsens in der Gesellschaft legt fest, was Wissenschaftler veröffentlichen und untersuchen dürfen.

Toleranz ist die Bereitschaft, Herausforderungen zu akzeptieren, weil man an die eigene Fehlbarkeit glaubt. Genau das ist von der religiösen Seite allenfalls als Lippenbekenntnis zu erwarten. Der einzige Schutz vor der Religion ist, sie machtlos zu halten, und am wenigsten Macht hat die Religion, wenn keiner mehr an sie glaubt. Die Alternative ist alles andere als harmlos. Dort findet man z.B. Kinder, die sterben müssen, weil ihre Eltern die sogenannte Schulmedizin ablehnen und z.B. Impfungen verweigern oder schwere Krankheiten wegbeten wollen. Da findet man Allianzen zwischen Religiösen, Konservativen, der Tabaklobby und Klimaschutzgegnern, die feststellen, daß man zusammenarbeiten kann, wenn man Gründe hat, antiwissenschaftlich eingestellt zu sein. Im politischen Bereich kennt man den Begriff „Wehret den Anfängen.“ Hat eine radikale Bewegung erst mal einen gewissen Einfluß gewonnen, hat sie Möglichkeiten, sich selbst zu verstärken, da sie nicht fair zu spielen braucht. Für die Wissenschaften gilt ähnliches. Ist erst mal hinreichend weit akzeptiert, daß Grundregeln der Wissenschaften umgangen werden dürfen, fällt die Grundlage für den Wissenschaftsbetrieb weg. So weit darf es nicht kommen. Daher glaube ich, daß Wissenschaftler nicht bloß antireligiös sein sollten, weil etwas anderes unlogisch wäre, sie müssen es auch sein, weil sie sonst riskieren, daß auf Dauer die Arbeitsmöglichkeiten für Wissenschaftler wegfallen.

4 Kommentare:

  1. Eli kennt viele Wissenschaftler der religioes sind

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  2. Eli Rabett, ich vermute, daß es in den USA einfach ist, religiöse Wissenschaftler zu kennen. Ich kenne persönlich keinen.

    Manchmal frage ich mich, wie diese Menschen ihre religiösen Ansichten und ihre Arbeit miteinander in Einklang bringen. Vermutlich werden aber die beiden Bereiche unbewußt immer getrennt gehalten, so daß der Widerspruch nie zum Tragen kommt. Menschen sind sehr gut darin, Dinge zu verdrängen, die stören könnten. Das sollte man als Deutscher besonders wissen, wollte ich dazu schreiben, aber das führt hier zu weit...

    Ich habe aber auch den Verdacht, daß sich in den USA nicht wenige als religiös bezeichnen, die es gar nicht sind, weil das Ansehen von unreligiösen Menschen in den USA ein ganz anderes ist als es in den entwickelten Staaten üblich ist. Belegen kann ich das natürlich nicht.

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  3. Hallo! Zum Thema Glaube und Wissenschaft kann ich eine Homepage empfehlen: http://www.iguw.de/ Mit freundlichen Grüßen, D. Winkemann

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  4. Die angegebene Webseite machte auf mich einen sehr einseitigen Eindruck. In der Textsammlung fand ich durchweg Texte, die eine religiöse Deutung unterstützen. Den dort vertretenen Kreationismus sollte zum Beispiel jemand mit einem faktenorientierten Ansatz auf jeden Fall ablehnen.

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