Überarbeitet am 4.2.2010 und weitere Korrektur am 27.2.2010:
Im englischen Internetjargon gibt es den Begriff des „concern troll“. Der Troll ist jemand, der Diskussionen stört, indem er andere provoziert. Ziel ist es, durch übertriebene, falsche, aggressive oder unsinnige Beiträge emotionale Reaktionen zu provozieren, die Diskussion vom Thema abzubringen oder Zweifel an eigentlich akzeptierten Vorstellungen zu erzeugen. Der „concern troll“, den ich mal als Betroffenheitstroll übersetze, ist eine besondere Variante. Er tut so, als akzeptierte er den Konsens in einer Gruppe, stellt diesen aber indirekt in Frage, indem er vorgibt, Probleme bei der eigenen Haltung zu finden und Grund zur Besorgnis zu haben, dass die eigene Haltung falsch ist. In Wahrheit teilt der Betroffenheitstroll durchaus nicht den Konsens, aber das versucht er zu verbergen.
Den Betroffenheitstroll findet man auch in der Klimadiskussion, wenn sich Menschen zu Wort melden, die sagen, daß sie selbst an die globale Erwärmung glauben und auch glauben, daß menschliche Treibhausgasemissionen daran schuld wären, aber bestimmte Dinge nicht verstehen. Und dann kommen so nach und nach die klassischen Einwände der Leugnerszene. Da man im Internet schwer die Motive von anderen feststellen kann, sondern sie aus der Art der Beiträge indirekt erschließen muß, kann es unter Umständen schwierig sein, einen echten Skeptiker, der nur einige Fragen loswerden will, vom „concern troll“ zu unterscheiden. Einen echten Skeptiker kann man mit Antworten befriedigen, einen „concern troll“ niemals. Für den gelegentlichen Leser mag es daher auch irritierend sein, wenn ein erfahrener Leser den „concern troll“ schon nach einem Beitrag erkennt und als solchen angreift, wenn er nach Meinung des unerfahrenen Lesers nur sehr berechtigte Zweifel vorgebracht hat, die man doch höflich beantworten könnte. Die höflichen Antworten stehlen natürlich letztlich Zeit, die produktiver verbracht werden könnte und auch das ist eines der Ziele des Betroffenheitstrolls.
Den „concern troll“ gibt es in Varianten auch in der öffentlichen Diskussion. Es kann ein Wissenschaftler sein, der vordergründig den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess vorantreiben will, indem er vorhandene Ergebnisse hinterfragt. Wenn aber die ganze Arbeit nur aus Hinterfragen besteht und niemals gesicherte Ergebnisse produziert werden, sondern immer nur Baustellen bleiben, ist hier wohl ein „concern troll“ an der Arbeit, der gar nicht will, daß man zu Ergebnissen kommt. Ein Beispiel dafür ist McIntyre und sein Blog Climate Audit, in dem er als selbst ernannter „Auditor“ Fehler in der Klimaforschung aufdecken will. Selbstredend findet er Fehler praktisch nur beim IPCC und bei der Forschung, die die globale Erwärmung aufgrund von Treibhausgasen feststellt. Und selbstredend ist das, was er als Fehler feststellt, letztlich in der Regel widerlegbar oder es sind Details ohne Effekt auf die eigentlichen Ergebnisse. Seine Feststellungen zusammen mit McKitrick über Fehler bei Temperaturrekonstruktionen durch Mann et al. 1998 haben z.B. an den eigentlichen Resultaten, der sogenannten Hockeyschlägerform der globalen Temperaturkurve der letzten 1000 oder 2000 Jahre nichts geändert – dies ist von der Forschung seitdem immer wieder bestätigt worden. Auch ein Fehler in Temperaturaufzeichnungen der USA, wie sie von NOAA und GISS verwendet wurden, waren für die globale Temperaturkurve völlig bedeutungslos und änderten auch nicht die relative Reihenfolge der Jahre in den USA bei der mittleren Jahrestemperatur. Für das Nichts an erreichten Ergebnissen haben McIntyre und sein Blog allerdings den Betroffenen erhebliches an Zeit durch nervende Informationsanfragen gekostet. Kein Wunder, daß einige angefragte Stellen, wie die Climate Research Unit, diese Informationsanfragen als Versuch der Sabotage wahrnahmen und sich überlegten, wie sie McIntyre und andere seines Schlages, die Informationsnachfragen offensichtlich nur verwendeten, um Munition für weitere Angriffe zu finden, abwehren könnten.
Als solche Überlegungen durch die gestohlenen Emails verbreitet wurden, war das für andere Betroffenheitstrolle Gelegenheit, die Politisierung der Wissenschaftler zu beklagen, als wäre die nicht etwa von den Angriffen auf die Wissenschaft erzeugt worden, sondern von den angegriffenen Wissenschaftlern. Unter denen, die sich da meldeten war, welche Überraschung, auch der „honest broker“ von Storch. In den USA gibt es andere, die den Begriff des „honest brokers“ für sich in Anspruch nehmen und damit trollen. Da ist es Roger Pielke junior, ein Soziologe und Umweltökonom, der in der Regel den Standpunkt vertritt, daß es zwar eine globale Erwärmung gibt, daß man aber nicht genau wisse, wie stark sie ausfallen könne. Da die Bekämpfung der globalen Erwärmung Geld kosten würde, sollte man Kosten für Schäden durch die globale Erwärmung und ihre Bekämpfung gegeneinander abwägen. Natürlich, wenn Pielke jr. sich mit dem Thema beschäftigt, kommen die Kosten der Erwärmung niedrig und die Kosten für die Bekämpfung hoch heraus und am billigsten wird es nach Meinung von Pielke jr., wenn man wartet, bis neue Technologien entwickelt wurden, die die Reduktion der Treibhausgasemissionen billiger machen würde. Bis dahin tut man besser gar nichts. Eine Haltung, die von 1979 (JASON-Report) bis 2007 (4. IPCC-Bericht) volkswirtschaftliche Schäden von vermutlich über 100 Milliarden Euro verursacht hat, denn um mindestens so viel könnte die Bekämpfung des Klimawandels billiger sein, hätte man schon um 1980 begonnen, die Emission von Treibhausgasen zu begrenzen. Pielke jr. ist nach Meinung von Umweltaktivisten wie Joe Romm eine Sonderform des Klimaleugners, ein sogenannter Verzögerer, der nicht den Klimawandel leugnet, aber Argumente dafür sammelt, jede Maßnahme dagegen zu verzögern – auch dies eine Taktik, um Gewinne z.B. bei Unternehmen der Energiebranche zu maximieren und Steuererhöhungen zu verhindern.
Roger Pielke jr. sollte man nicht mit seinem Vater Roger Pielke senior verwechseln. Pielke sr. ist Meteorologe, der in einigen Bereichen der Klimaforschung tätig ist. Und auch er ist ein „honest broker“, der vorgibt, zwischen Leugnern, die er Skeptiker nennen würde und den Wissenschaftlern, die er als eine Gruppe von ihnen bezeichnen würde, und dabei den Begriff „Alarmisten“ höflich umschreiben würde, vermitteln zu wollen. Neutral ist diese Vermittlung nicht. Er fragt, ganz Betroffenheitstroll, dann nach, ob wir den Messungen der Temperatur am Boden trauen können, oder sie nicht durch den Wärmeinseleffekt verfälscht seien. Als graue Eminenz steht er hinter dem Projekt surfacestations.org, dessen offizieller Frontmann der Wetternachrichtensprecher Watts ist, der auch den Leugnerblog Wattsupwiththat betreibt. Hier betont man als Problem neben dem eigentlichen Wärmeinseleffekt der sich ausbreitenden Städte vor allem sogenannte "micro site issues", kleinskalige Störungen der Messungen, weil zum Beispiel eine Klimaanlage am Meßort die Messungen stören könnte. Nach Meinung der Leute bei surfacestations.org ist anscheinend zu erwarten, daß solche Störungen den Stationen ausschließlich einen Erwärmungstrend aufzwingen könnten. Man muß halt sehr feste daran glauben... Allen ernstes versucht man hier, durch Fotographien von Wetterstationen in den USA (2% der globalen Beobachtungsfläche) zu beweisen, daß diese Stationen von so schlechter Qualität seien, daß keine belastbaren Aussagen zum globalen Temperaturanstieg möglich seien. Diese Unterstellung ist offensichtlich lächerlich. Selbst wenn die Messungen in den USA kontaminiert wären, wäre das für die globale Temperaturentwicklung nahezu bedeutungslos. Hier dominiert der Temperaturanstieg über den Meeren, wo ein Wärmeinseleffekt sicher keine Rolle spielt. Das zeigt auch der Vergleich mit den Satellitenmessungen, die ebenfalls vom Wärmeinseleffekt nicht betroffen sind. Das zeigte auch eine Studie von NOAA, die die Temperaturentwicklung guter und schlechter Messstationen laut Watts verglich und keine signifikanten Unterschiede fand. Auch eine erneute Analyse von Menne et al. 2010 zeigte, daß die Klassifizierung von Watts, die von Pielke sr. im Hintergrund gedeckt wurde, nahezu bedeutungslos für die Temperaturentwicklung ist.
Also: Betroffenheitstrolle geben vor, zu einer Gruppe zu gehören, betrachten diese Gruppe oder die in ihr gehaltenen Überzeugungen vorgeblich kritisch und betroffen, und versuchen so, Zweifel in dieser Gruppe zu erzeugen oder ihre eigene Agenda zu betreiben, wie zum Beispiel, Ansehen als kritischer und unabhängiger Kommentator zu gewinnen. Das kann dann auch helfen, zum Beispiel eigene Bücher zu vermarkten (wenn man unbedingt Motive suchen will).
Ein Beispiel für Betroffenheitstrollen geben zwei der vorgenannten Personen und eine dritte, nämlich von Storch, Pielke jr. und Roger Tol. In einem Artikel, der bei Spiegel Online heißt „Rettet den Weltklimarat“, zumindest für Pielke jr. wohl kaum etwas, was der Mann retten will, eher behindern, geht es im Grunde darum, daß in den über 2000 Seiten der drei Berichte der IPCC-Arbeitsgruppen bei Detailfragen in zwei Absätzen Fehler oder Fehlinterpretationen in die Berichte gelangt sein könnten. Fehler in so einem Bericht seien unvermeidbar, versichert von Storch hastig, um danach so zu argumentieren, als seien sie vermeidbar. Oder warum muß nach von Storchs Meinung deswegen der IPCC-Vorsitzende zurücktreten? Die Betroffenheitstrolle sehen mehrere Probleme. Zunächst mal sei dem IPCC anzulasten, daß jemand dem Climate Research Unit Emails geklaut und dann veröffentlicht hat. Eine aberwitzige Argumentationskette. Wenn überhaupt, zeigt der indiskrete Blick in diese Emails erstens, daß tatsächlich vom CRU keine Daten verfälscht wurden, was ihnen von Leugnern immer gerne unterstellt wurde. Zweitens kann auf Basis der Emails keine einzige wissenschaftliche Feststellung zum Klimawandel revidiert werden. Sonst wäre das nämlich inzwischen geschehen. Drittens geht aus den Emails hervor, daß man von Betroffenheitstrollen der Sorte McIntyre genervt war, und deshalb bestimmte Emails gerne gelöscht sähe. Der Zirkus nach der Veröffentlichung der gestohlenen Emails gibt den CRU-Wissenschaftlern sogar recht. Trotzdem sind sie formaljuristisch dazu verpflichtet, auch auf offensichtliche Sabotagenachfragen eines McIntyre entsprechende Informationen herauszurücken. Allerdings ergab eine Untersuchung des Vorfalls im Vereinigten Königreich kein Fehlverhalten der CRU-Wissenschaftler (im Gegensatz zu verbreiteten Unterstellungen). Vor allem bei dem Punkt sieht von Storch einen Skandal, der nach meiner Meinung allerdings im krassen Mißverhältnis zu seinem Betroffenheitstheater und seinen geforderten Maßnahmen steht. Wie auch immer, egal was man da dem CRU vorwerfen möchte, was hat das IPCC damit zu tun? Eine Frage, die die Logikschalteinheiten nicht nur bei von Storch, sondern auch bei vielen Journalisten überfordert. Viertens haben in den gestohlenen Emails zwar auch mehrere Wissenschaftler darüber geredet, wie man bestimmte Artikel aus den IPCC-Berichten heraushalten könne. Was dabei von den Kritikern aber nicht thematisisert wird, ist, daß es sich dabei um Artikel handelt, bei denen einzelne Wissenschaftler versuchen, Politik zu machen, indem sie fehlerhafte oder verfälschende Darstellungen in Fachzeitschriften hineingebracht haben, etwas, was die Fachbegutachtung oft verhindern kann, aber eben nicht immer. Ganz konkret ging es dabei unter anderem um Studien, in denen die globale Erwärmung mit Wärmeinseleffekten aufgrund fragwürdiger Korrelationen erklärt werden sollte (McKitrick und Michaels 2004), ein klares Beispiel dafür, wie Leugner über Pseudowissenschaft Politik machen wollen, denn zwar findet man die stärkste Erwärmung da, wo, wie diese Wissenschaftler feststellen, die sozioökonomischen Zentren sind,, aber die sozioökonomischen Zentren liegen nun einmal auf der Nordhalbkugel über Land, wo nach der Theorie auch die globale Erwärmung am stärksten ausgeprägt sein soll. Eine typische Scheinkorrelation, die durch schlechte Arbeit der Fachbegutachter in eine Fachzeitschrift rutschte. So etwas sollte bei einem Übersichtsartikel aussortiert werden. Darüber wurde in den Emails geredet. Und das ist für von Storch skandalös, der als „honest broker“ sicherstellen möchte, daß auch schlechte Artikel im IPCC-Bericht diskutiert werden, oder was ist es, was er da will?
Der nächste Vorwurf der drei Leute, die vorgeblich das IPCC durch Säuberung retten wollen, betrifft angebliche Interessenkonflikte. IPCC-Vorsitzender Pachauri habe persönlich davon profitiert, daß im IPCC-Bericht der zweiten Arbeitsgruppe zu sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgen des Klimawandels gestanden habe, daß die Himalaya-Gletscher bis zum Jahr 2035 zum größten Teil abgeschmolzen sein könnten, falls der Klimawandel dramatisch voranschreite, denn eine Gesellschaft, in der Pachauri involviert sei, TERI (Energy and Resources Institute), habe auf Basis des falschen Absatzes im IPCC-Bericht einen Forschungsauftrag erhalten. Daran ist nur wahr, daß Pachauri Vorsitzender des Institutes ist und dieses Institut einen großen Forschungsauftrag zu den Folgen eines Abschmelzens der Himalaya-Gletscher erhalten hat. Roger Pielke jr. reine Vermutung ist aber, daß TERI nicht mit dem Forschungsauftrag bedacht worden wäre, wenn es den besagten Absatz im IPCC-Bericht nicht gegeben hätte. Tatsächlich ist es so, daß wir definitiv wissen, daß die Gletscher im Himalaya, wie weltweit, in der Mehrzahl (bis auf einige Ausnahmen), deutlich zurückgehen und daß dies langfristig Folgen für den lokalen Wasserhaushalt hat. Auch wenn die Himalayagletscher bis 2035 nur zu einem Teil zurückgehen, bis 2100 sind Folgen für die Wasserversorgung in Teilen Asiens denkbar und eine Erforschung dieser Folgen ist ein relevantes Thema für Indien. Pielke jr.'s Unterstellung basiert aber auf einer Annahme, die noch viel schwankenderen Grund bietet: Pachauri wird nämlich keine Gelegenheit gehabt haben, den Wissenschaftlern, die am Kapitel 10 des Berichts der zweiten Arbeitsgruppe des IPCC geschrieben hatten, die Weisung zu geben, sie sollten die Risiken bei den Himalaya-Gletschern übertreiben. Pielke jr. macht sich auch keine Mühe, diese üble Nachrede plausibel zu machen. Das überläßt er der Phantasie des überraschten Publikums, dem die Hintergründe nicht so ganz klar sind. Es ist in dem Zusammenhang wohl auch sinnlos, wenn Pachauri darauf hinweist, daß er persönlich keinerlei Einnahmen aus TERI erhält und daher auch im Sinne der IPCC-Regeln kein Interessenkonflikt vorliegt.
Überhaupt Skandal über Skandal, die alle die Glaubwürdigkeit der tausenden Klimaforscher, des IPCC und seiner tausenden Seiten an Berichten erschüttern – wenn man den „honest brokers“ glauben wollte. Angeblich gäbe es keine Mechanismen, mit Fehlern im IPCC-Bericht umzugehen, als fänden die Korrekturrunden, die Fachbegutachtungen im IPCC-Bericht nicht statt. Allenfalls könnte man für die Zukunft fordern, daß die Wissenschaftler, die den Teil 1 des IPCC-Berichts bearbeiten, den Autoren beim Teil 2 stärker auf die Finger schauen, was den Fehler bei den Himalaya-Gletschern nachweislich verhindert hätte. Genau diese Reform ist aber auch schon ohne das Dreigestirn der „honest brokers“ auf dem Radar des IPCC.
Unterdessen läuft etwas ab, was typisch ist für die Medien: das Gesetz der Serie. Wenn schon mal ein Fehler in den IPCC-Berichten auftaucht, dann wird die Leser noch mehr eine Serie von Fehlern interessieren. Deshalb berichten schlechte Journalisten (der Regelfall) immer gerne von den Himalaya-Gletschern als der zweiten Panne der Klimaforschung (hier nur IPCC zu schreiben ist wohl zu langweilig, besser: Pauschalisieren) nach den gestohlenen Emails der Climate Research Unit, obwohl beides nichts miteinander zu tun hat. Seltsam, wenn beklaut zu werden als ein Skandal des Beklauten bezeichnet wird, und seltsam, wenn Journalisten CRU, IPCC und Klimaforschung nicht auseinanderhalten können – so wenig Trennschärfe ist bei Lieschen Müller und Johann Bierbauch zu entshculdigen, aber nicht bei den Medien. Und so wird nun auf Teufel komm raus versucht, die Serie fortzusetzen. Nach Email-gate und Himalayagate (im Sinne von Watergate, was etwa dem Vergleich von 3. Reich und einer Steuererhöhung entspricht) kam dann noch Hurricangate und Amazonasgate. Was steckt dahinter? Das will ich in einem weiteren Beitrag auseinandernehmen.