Samstag, 10. Juli 2010

Auch Krake Paul kann sich irren...


Gerade geht die Fußball-WM ihrem Ende zu. Ein schönes Ereignis, bei dem die deutsche Mannschaft gute Laune verbreitet hat, wenn es auch für das Finale nicht gereicht hatte. Den Ausgang der ersten sechs Spiele der deutschen Mannschaft hatte ein Krake namens Paul im Sea Life Centre Oberhausen korrekt vorhergesagt. Das hat international mittlerweile zu einer Krakenhysterie geführt. Millionen Menschen weltweit glauben bereits an der Unfehlbarkeit des Kraken. Andererseits führen die Vorhersagen des Tieres auch dazu, daß die Anhänger der nicht begünstigten Mannschaften gereizt auf das Tier reagierten, die Anhänger der begünstigten Mannschaften hingegen dem Kraken größte Begeisterung entgegenbringen. Dabei sagt das arme Tier natürlich nicht voraus, wie die jeweiligen Spiele ausgehen, sondern wählt nur von zwei Boxen die eine aus, in der vermutlich das leckerste Futter wartet oder die das attraktivste Aussehen hat, zum Beispiel das hellste oder prägnanteste Streifenmuster (wie die spanische oder die deutsche Flagge im Gegensatz zur britischen oder argentinischen Flagge). Es sind Menschen, die aus dem Verhalten des Tieres Spielvorhersagen machen. Und diese Vorhersagen sind zufällig falsch oder richtig. Bei einer Serie von Spielvorhersagen ist die Wahrscheinlichkeit für eine komplett richtige Serie 1/2n (wenn man das Unentschieden hier ausblendet, was ich der Einfachheit halber im folgenden tue, für Paul gibt es auch kein Unentschieden). Bei 6 Spielen also 0,0156. Eine geringe Wahrscheinlichkeit, aber angesichts der Tatsache, daß es noch eine Reihe anderer Tierorakel gibt, war es doch zu erwarten, daß darunter eines ist, das eine solche korrekte Serie hinbekommt. Eigentlich unglaublich, daß es inzwischen viele Menschen gibt, die tatsächlich fragen, wie der Krake das macht oder ihm zutrauen, daß er Vorhersagen machen kann. Schon bei der durch Grippe dezimierten deutschen Mannschaft im Spiel gegen Uruguay sieht es für das Krakenorakel nicht so gut aus.

Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt ist klar, daß es völlig egal ist, wie viele richtige Prognosen ein solches Tierorakel vorweisen kann, die nächste Vorhersage ist genauso viel wert, wie alle davor, nämlich gar nichts. Echte Vorhersagen müssen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, das korrekte Ergebnis vorherzusagen als eine reine Zufallsvorhersage. Und jemand, der von sich behaupten will, als Fußballkenner alle Spielergebnisse gut prognostizieren zu können, muß im statistischen Mittel den Kraken Paul schlagen. Der Fußballkenner kann aber durchaus nach einer begrenzten Reihe von Spielen hinter dem Kraken zurückliegen, der, wie gesagt mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,0156 rein zufällig 6 Spiele korrekt vorhergesagt hatte. Sollte der Kenner mit einer Quote von 5 korrekten von 6 Spielen vielleicht eine sehr gute Leistung gezeigt haben, könnten Laien trotzdem den Kraken für besser halten, weil sie den Unterschied nicht verstehen zwischen zufällig guten und tatsächlich guten Prognosen. Erst nach einer ausreichend langen Serie könnte man den nur zufällig guten Kraken vom im Mittel besseren Experten unterscheiden.

Diese Betrachtung ist eigentlich trivial, trotzdem gibt es viele Menschen, die keinerlei statistische Kenntnisse haben und kein Gespür dafür haben, daß zufällig richtige Vorhersagen nichts über die Prognosefertigkeiten eines Orakels aussagen. Auf dieser Basis funktionieren bestimmte Betrügereien mit Finanzanlagen. Jemand, der von vertrauensseligen Menschen Geld schnorren möchte, versendet als Spam an 100.000 Leute eine Prognose über das Verhalten eines ausgewählten Börsenwertes. Angenommen, die Prognose hat eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 1/2 (die Aktie geht rauf oder runter). An jeweils die Hälfte der Menschen geht die eine oder die andere Prognose. Mit denen, die die richtige Prognose erhielten, wird danach fortgefahren. Sie erhalten eine zweite Prognose, die ebenso zufällig falsch oder richtig sein kann. Nach 6 Prognosen sind noch ca. 1563 Menschen übrig, die sechsmal hintereinander eine richtige Börsenprognose erhalten haben. Die meisten von ihnen werden davon überzeugt sein, daß der Spamschreiber aus irgendeinem Grund mit absoluter Richtigkeit das Verhalten aller Aktien vorhersagen kann. Einige von ihnen sind nun bereit, Geld dafür auszugeben, weitere Börsentips von dieser Quelle zu erhalten und können nun abgezockt werden.

Herauszufinden, ob man zufällig richtig liegt oder tatsächlich erfolgreich eine Prognose machen kann, ist manchmal ein schwieriges Geschäft. Man bestimmt für ein Modell den "skill", die Prognosefähigkeit im Vergleich zu einem Standard, wie etwa einem gewürfelten Ergebnis oder einem klimatologischen Ergebnis. Auf der Basis solcher Vergleiche sind etwa numerische Wettervorhersagen noch nach 10 Tagen besser als ein rein zufälliges Ergebnis. Jahreszeitenvorhersagen über 3 Monate sind für den Normalbürger wertlos, aber zum Beispiel für einen Energieversorger noch immer um 1 oder 2 Prozent präziser als die Klimawerte und damit viel Geld wert. Natürlich kann die globale Temperatur kurzzeitig zufällig um den wahren Trend schwanken. Wenn man Anfangs- und Endpunkt geschickt wählt, kann man sich mitten in der globalen Erwärmung ein paar Jahre scheinbar ohne globale Erwärmung herauspicken. Zu der Unsinnigkeit eines solches Verhaltens habe ich schon einiges geschrieben. Die Wahrscheinlichkeit, eine Temperaturfolge wie zwischen 1998 und 2008 zu erhalten, in der es scheinbar kaum wärmer wird, ist dabei sogar größer, als daß ein Krakenorakel bei sechs Spielen die siegreiche Mannschaft benennt. Aber irgendwann schlägt die globale Erwärmung, wie dieses Jahr, wieder kräftig zu und irgendwann liegt der Krake Paul wieder daneben. Bei der Europameisterschaft 2008 übrigens zweimal in sechs Spielen. Aber so schnell, wie man das vergessen hat, werden die Leugner des Klimawandels auch vergessen, daß sie uns in den letzten Jahren eine globale Abkühlung versprochen hatten...

Andere Wortmeldungen zum Thema im Mathlog und im Blog Frischer Wind.

Rechte für das Bild vom Kraken Paul bei Tilla.

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