Donnerstag, 29. Juli 2010

Stunde der Wahrheit in der Hockeyschlägerdiskussion

Der Artikel bei Real Climate, in dem Tamino die Fehler im Buch von Montford über den angeblichen Hockeyschläger-Schwindel erläutert, wurde von Kommentatoren als einer der besten überhaupt in dem Blog beschrieben. Ursache dafür ist nicht nur Taminos (unter seinem realen Namen ein anerkannter Statistiker) zwingende, ausführliche Analyse, sondern vielleicht mehr noch die Diskussion, die auf diesen Beitrag folgte. Sie entlarvte unter anderem eine Wissenschaftlerin, die mit dem Anspruch angetreten war, das Stammesdenken in der Klimaforschung aufzubrechen, am Ende aber nur zeigte, wie sehr sie selbst das Denken eines bestimmten Stammes verinnerlicht hatte und wie sehr sie das als Wissenschaftlerin kompromittiert. Und die Diskussion schlug Wellen in anderen Blogs. Die bange Frage ist, wie man nun mit dieser Diskussion umgehen soll. Wie packt man den Inhalt von mehreren Blogartikeln und über 700 Blogkommentaren (alleine bei Real Climate und bei Joe Romms Climate Progress) in einen übersichtlichen Artikel? Und wie geht man damit um, daß hier über technische Details gestritten wird, die eigentlich sauber nur Menschen verstehen können, die zum einen vertraut mit den ganzen verwendeten Datensätzen und zum anderen erfahren mit der Anwendung verschiedener statistischer Verfahren, darunter der Hauptkomponentenanalyse (oder Principal component analyses PCA) sind?


Bevor ich fortfahre, sollte ich deshalb zunächst auf die Anhaltspunkte verweisen, die Menschen weiterhelfen, die eben nicht die Details verfolgen wollen oder können. Wenn in einem Wissenschaftsgebiet über ein Jahrzehnt hinweg immer wieder neue Arbeiten erstellt wurden, die zu weiteren Fortschritten und Verbesserungen führten, und jemand redet unausgesetzt nur über die erste Arbeit in dieser Serie, die nunmehr 12 Jahre alt ist, dann kann ich definitiv sagen, daß es nicht um Wissenschaft geht, sondern um Geschichte. Eine 12 Jahre alte Arbeit, der mehr als 10 ähnliche Arbeiten mit mehr Erfahrung und verbesserter Methodik gefolgt sind, ist für die Wissenschaft nicht mehr interessant. Genau das ist der Fall in der Hockeyschlägerdiskussion. Wer über Temperaturrekonstruktionen reden will und dabei meint, Mann et al. hätten etwas zu erklären, sollte sich auf die Arbeit von 2008 beziehen.  Die Ergebnisse sind unabhängig von der genauen Auswahl der Proxydaten und der Wahl der Methode immer gleich – man sieht immer, daß die Temperaturen um 1000 und 1400 zeitweilig das Niveau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichen und zwischen 1600 und 1900 deutlich unter diesem Niveau liegen. Mit der globalen Erwärmung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Temperatur über dem Niveau des Mittelalters, was dem Anstieg der letzten 4 Jahrzehnte etwas Alarmierendes gibt.

Dabei sind zwei Faktoren bestimmend. Zum einen muß klar sein, wo die Proxydaten relativ zum Temperaturniveau des 20. Jahrhunderts liegen – daher ist der überlappende Bereich von Proxydaten und Temperaturmessungen im 20. Jahrhundert wichtig. Ich denke, das ist gut im Griff und es ist gut möglich, anhand des 20. Jahrhunderts zu bestimmen, wo die Temperaturen in früheren Jahrhunderten relativ zur Gegenwart lagen. Der andere Faktor ist, daß der Temperaturanstieg im 20. Jahrhundert sehr rasch erfolgte und dabei eine Spannweite hatte, die wir für frühere Jahrhunderte kaum finden. Genau dies gibt der Temperaturzeitreihe die Hockeyschlägerform – es sind die gemessenen, nicht die aus Proxys abgeleiteten Temperaturen, die die alarmierende Form der Temperaturkurve ausmachen. Will man den Hockeyschläger widerlegen, muß man entweder das Mittelalter weltweit wärmer machen, als es in mehreren 100 Veröffentlichungen dazu dargestellt wird oder man muß die gemessene globale Erwärmung des 20. Jahrhunderts wegerklären. Beides ist unmöglich. Jede halbwegs seriöse Kritik am Hockeyschläger kann also immer nur zum Ergebnis haben, daß Details falsch sind, aber das Gesamtergebnis weiter gültig bleibt. Hockeyschlägerkritik ist entweder eine Botschaft aus dem Paralleluniversum oder Korinthenkackerei – ein Meckern an Details ohne Folgen für das Gesamtbild.

Montford titelt bei seinem Buch "Die Hockeyschläger-Illusion: Climategate und die Korruption der Wissenschaft", aber in Wahrheit geht es auch hier wieder nur um Detailkritik, die für das Gesamtbild folgenlos bleibt. Im Grunde ist das Buch eine Zusammenfassung des Gemeckers, das den Inhalt des Blogs ClimateAudit bildet, und folgerichtig ist Steve McIntyre der Held des Buches. Daher steht auch nichts im Buche, was nicht schon zum Überdruß ausdiskutiert worden wäre. Tamino geht in seiner Rezension auf diese Punkte ein.

Die Diskussion auf RealClimate lockte Prof. Judith Curry an. Sie ist Professorin am Institut für Geo- und Atmosphärenwissenschaften am Georgia Institute for Technology, leitet die Gruppe für klimatologische Fernerkundung und leitet derzeit auch das Institut und arbeitet insbesondere zu Themen, die mit der Wolkenbildung und Wolkendynamik zu tun haben. Auch Strahlungseinflüsse oder Hurricans fallen in ihre Expertise. Bei Real Climate warf sie Tamino in einem vor Arroganz triefenden Kurzbeitrag vor, eine oberflächliche, fehlerhafte Analyse geboten zu haben, die sie nur mit einem befriedigend minus bewerten könne. Gefolgt von einem Beitrag, in dem sie erklärte, erst wenn mehr Leute das Buch von Montford gelesen hätten und dieser und McIntyre zur Diskussion zugeladen würden, sei sie selbst bereit, stärker an dieser Diskussion teilzunehmen. Was sie dann als geforderte Erläuterung nachlegte, war ein Nachbeten der bekannten Vorhaltungen von Steve McIntyre aus ClimateAudit. Gavin Schmidt sezierte daraufhin ihren Kommentar mit Verweisen auf die Literatur. Der gesamte Austausch wäre es wert, ihn hier zu wiederholen, aber das würde den Rahmen des Beitrags sprengen. Es entbehrt aber nicht der Ironie, wenn einer der angeführten Punkte ist, daß McIntyre Schwierigkeiten hatte, die Arbeit von Mann et al. zu wiederholen, wenn verschiedene andere Wissenschaftler, darunter Wahl und Amman (2007) und auch Tamino diese Schwierigkeiten nicht hatten. Das Problem lag also nicht bei Mann et al., sondern bei McIntyre, und man täte ihm Unrecht, würde man behaupten, daß es ihm an der Fähigkeit fehlte, Mann et al. zu reproduzieren. Es fehlte hingegen mit Sicherheit an dem Willen dazu. Das erinnert fatal an ein Ergebnis der Muir-Russell-Kommission, die beschrieb, wie einfach es war, die Temperaturzeitreihe der Climate Research Unit zu reproduzieren, und doch wäre einer der Vorwürfe von Leugnern gegen sie gewesen, fehlende Mitwirkung des Instituts hätte es unmöglich gemacht, ihre Ergebnisse nachzuvollziehen. Die fehlende Fähigkeit, eigene Argumente vorzubringen, ließ Kommentatoren, wie diesen hier, daran zweifeln, daß hier tatsächlich eine angesehene Wissenschaftlerin mitschrieb. Aber Gavin Schmidt bestätigte, daß tatsächlich die Professorin hier auftrat. Auf die vielen faktischen Fehler in ihrem Beitrag hingewiesen, zog Prof. Curry sich zuerst darauf zurück, sie hätte nur den Inhalt von Montforts Buch dargestellt. Später brachte sie diese Punkte aber erneut wie ihre eigenen vor. Daneben kamen statt eigenen Argumenten Verweise auf den Blog Climate Audit oder Zitate von Wissenschaftlern wie zum Beispiel Peter Gleick, der aufzählt, was alles Angriffe auf die wissenschaftliche Integrität sein könnten, eine Aufzählung, die gut auf Currys Auftreten paßte, mit der sie seltsamerweise aber meinte, ihre Kritiker bei Real Climate zu treffen. Zumindest einen ihrer Fehler nahm sie im Verlauf der Diskussion zurück, daß nämlich Mann et al. 2008 keinen Hockeyschlägerverlauf der globalen Temperatur ohne Baumringdaten zustande bekäme. Später ruderte sie noch mehr zurück und behauptete, sie würde nur kritisieren, daß Tamino nicht verstanden hätte, daß Montfords Buch nur die Geschichte der Hockeyschlägerdiskussion betrachte, aber kein Buch über die Wissenschaft um diese Paläodaten sei. Auch dies führte nicht dazu, daß Curry ihre Position überdacht hätte.

Eine Konstante der Diskussion ist, daß sie immer wieder gefragt wurde, was denn ihre faktische Kritik aktueller Temperaturrekonstruktionen wäre. Auf diese Nachfragen erfolgte nie eine Antwort. Jenseits der Wiederholung von Montfort bzw. Steve McIntyre wurde nie dargestellt, warum die aktuellen Temperaturrekonstruktionen falsch sein sollten. Und diese Selbstdemontage einer Wissenschaftlerin setzte sich in Joe Romms Blog Climate Progress fort. Dort behauptete sie, die Beweislage stünde gegen den Hockeyschläger und auf ihre Kritik hätte Gavin Schmidt nur eine schwache Antwort gefunden. Wichtiger noch ist ihre Charakterisierung der Auseinandersetzung als der zwischen zwei verfeindeten Stämmen. Aber der Austausch machte zunehmend klar, daß ihr die Argumente fehlten, die beteiligten Wissenschaftler als Stamm darzustellen, der gegenerische Ansichten bekämpft, sondern diese Unterstellung nur ihrer Phantasie entspringt.

Seit Jahren ist alles ausdiskutiert, und trotzdem werden schon wieder 10.000de Zeilen mit den bereits ausgetauschten Argumenten vollgeschrieben. Nichts besser als dieses demonstriert, daß dies eine politische und keine wissenschaftliche Diskussion ist. Warum das so ist, entschlüpft Judith Curry von ihr unbemerkt im Kommentar #84:
Ich sage voraus (und hoffe), daß [der nächste IPCC-Bericht] zu einer weiteren Rücknahme des Vertrauensniveaus bei diesem Thema relativ zum [jetzigen IPCC-Bericht] führen wird (...) genauso, wie Vertrauensniveaus des [jetzigen Reports] zurückgenommen wurden [zum früheren]. (...) Das sollte uns allen eine Pause geben, weil eine anhaltende Zurücknahme des Vertrauens in diesem Thema die Glaubwürdigkeit des IPCC reduziert.
Die von ihr erwartete und gewünschte Vergrößerung der Unsicherheitsspanne bei bestimmten Aussagen reduziert nach ihrer Meinung die Glaubwürdigkeit des IPCC. Das ist zum einen grotesk: verbesserte Aussagen sollten die Glaubwürdigkeit erhöhen, nicht mindern. Es ist zum zweiten falsch: die Unsicherheitsspanne wurde reduziert, zugleich die Aussagen präzisiert. Zum dritten aber beschreibt es den Sinn der Angriffe auf Details veralteter Arbeiten. Das dauernde diskutieren folgenloser Fehler und Scheinfehler hat den Zweck, die Glaubwürdigkeit des IPCC zu beschädigen. Das ist in einem Absatz der Kern der Strategie der Energieunternehmen und ihrer Think Tanks. Deshalb ist es taktisch ein Fehler, die Diskussion über technische Details so intensiv zu betreiben. Viel mehr Anstrengung sollte darauf verwendet werden, welches das Gesamtbild ist. Die Hockeyschlägerkurve ist zwangsläufig in den Klimadaten drin, weil sie nur eine Form ist zu sagen, daß wir im 20. Jahrhundert eine rasche globale Erwärmung erlebt haben. Und diese Kurve ist nur ein Detail in dem Gesamtbild, daß wir durch die globale Erwärmung im Laufe dieses Jahrhunderts dazu verurteilt sind, das Temperaturniveau der letzten 10.000 Jahre nach oben zu verlassen.


Einen kurzen Auftritt im RealClimate-Beitrag gab es auch von Andy Revkin, dem früheren Wissenschaftsjournalisten der New York Times. Und der Auftritt war ebenfalls entlarvend. Die Emails aus Climategate wurden geschrieben von Angestellten des Staates auf Computern des Staates, alles bezahlt von Steuergeldern und daher seien diese Daten öffentliches Eigentum. Diese Sichtweise kollidiert an mehreren Stellen mit rechtsstaatlichem Denken. Zunächst mit dem Brief- und Postgeheimnis, weiterhin mit den Rechten der betroffenen Universitäten. Es geht darüber hinweg, daß der Diebstahl von Emails an sich eine Straftat ist und auch, daß selbst, wenn man davon ausgeht, daß es hier um Daten in öffentlichen Besitz geht, damit trotzdem noch nicht das Recht darauf verbunden ist, diese Daten öffentlich zu machen. Aus vielen Gründen können auch Daten in öffentlichem Besitz vertraulich sein, etwa aus Datenschutzgründen, aufgrund von Sicherheitserwägungen oder weil die Veröffentlichung der Daten öffentliches Eigentum verschwenden würde, das noch zum Wohle des Volkes an Unternehmen verkauft werden könnte. Es ist entlarvend, daß nach Monaten der Diskussion darüber alle diese Punkte Revkin nicht erreicht hatten. Der Journalist lebt in seiner eigenen Parallelwelt, in der menschliche Gesetze nicht gelten.

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