Mittwoch, 11. August 2010

Händler des Zweifels

Von Naomi Oreskes und Erik Conway gibt es das Buch „Merchants of Doubt“. Das bislang nur auf Englisch erhältliche Buch erzählt die Geschichte, wie einige Wissenschaftler im Interesse der Wirtschaft für die Öffentlichkeit den Anschein herstellen, es gäbe eine wissenschaftliche Debatte bei bereits entschiedenen Fragen. Es ist irritierend und frustrierend, wenn man miterleben muß, daß einzelne Wissenschaftler so tun, als wüßte man noch nicht, daß Rauchen oder Passivrauchen schädlich ist, daß FCKW der Ozonschicht schaden, daß Schwefel- und Stickoxidemissionen Wälder und Seen schädigen können oder daß Treibhausgase zu einer globalen Erwärmung führen – die Folgen sehen wir in Rußland und Pakistan. Unter diesen Wissenschaftlern und solchen Menschen, die dafür angesehen werden wollen, gibt es verschiedene Motivationen, und es wäre falsch, dies allein unter dem Stichwort der bezahlten Lobbyisten zu fassen. Es gibt auch andere Gründe dafür, überholte oder falsche Meinungen als Wissenschaftler zu vertreten. Es kann darum gehen, daß man politisch oder religiös einem Standpunkt verbunden ist, man kann genießen, daß man mit einer Außenseitermeinung erhöhte Aufmerksamkeit und Zuspruch einer eigenen Anhängerschaft genießt oder man kann sich einfach in eine Ansicht verrannt haben und davon nicht mehr loskommen. Doch Oreskes und Conway nehmen sich eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern heraus und erzählen, wie sie zur Leugnung des Standes der Wissenschaft kamen. Kürzlich gab es dazu einen Gastbeitrag bei Joe Romms Blog und aus dem möchte ich einige Punkte herausziehen und kommentieren. Es gibt übrigens auch ein kurzes Interview dazu in der Schweizer Sonntagszeitung.

Was treibt Wissenschaftler dazu, Ansichten zu vertreten, von denen sie wissen müßten, daß sie falsch sind? Es muß einen gedanklichen Hintergrund geben, vor dem solche Ansichten gerechtfertigt erscheinen. Oreskes und Conway verorten den Hintergrund im kalten Krieg. Es seien Wissenschaftler, die früher für nationale Aufgaben eingesetzt wurden wie das Manhattan-Project und Argumente für die Raketenabwehr im Weltall (SDI) geliefert haben (wie Frederick Seitz, Robert Jastrow und William Nierenberg, alle drei frühere Leiter oder Gründer angesehener Institute der amerikanischen Wissenschaft und später Gründer des George C. Marshall-Instituts) oder wie Fred Singer bei der Entwicklung militärischer Raketentechnologie tätig waren. Zusammen bilden diese Männer ein Netzwerk mit einem klaren ideologischen Hintergrund: national, marktradikal, meistens republikanisch. Bei diesem ideologischen Hintergrund ist für diese Männer klar, daß jedes Problem von einer Marktwirtschaft geregelt werden kann, wenn dieser nur ungehindert durch staatlichen Einfluß ist. Es ist ein Gedankenbild, in dem es kein Marktversagen gibt.

Und so, wie früher der kommunistische Feind zu bekämpfen war, und notfalls auch Zweifel an der eigenen Position dabei auszublenden waren, wurde zum neuen Feind der Umwelt- und Gesundheitsschutz, der staatliche Eingriffe herausfordert. Verbote, Steuern oder Verschmutzungszertifikate waren demnach zu bekämpfen, und diese Männer waren bereit dazu, diesen Kampf mit ihrem Wissen und ihrem Ansehen zu treiben. Das ist nach Oreskes und Conway der Hintergrund der Gründung des George C. Marshall-Instituts, dem weitere sogenannte Think Tanks oder Denkfabriken folgten. Nachdem das Institut für SDI gekämpft hatte, und der Zusammenbruch des Ostblocks die ganze Argumentation über den überlegenen Osten, den man nur mit einer Raketenabwehr im All noch begegnen könnte, ins Absurde führte, wurde der staatliche Umwelt- und Gesundheitsschutz angegriffen, indem man die Gefahren des Passivrauchens, des Waldsterbens, der FCKW und der Treibhausgase in Frage stellte. Einen typischen Artikel von Seitz, Nierenberg und Jastrow habe ich hier verlinkt. Jede einzelne Behauptung in dem Beitrag aus 1991 ist falsch.

Dabei ist die gewählte Taktik hinterhältig und effektiv, und schon von der Tabakindustrie erprobt. Der Ansatz ist, nicht so sehr die unbestreitbaren Fakten anzugreifen. Sondern in erster Linie geht es darum, Zweifel zu produzieren. Also zum Beispiel zu sagen, daß es zwar eine globale Erwärmung gibt, aber widerstreitende Theorien darüber, was die Ursache sein könnte. Oder daß die globalen Zeitreihen Fehler enthalten, die ihre Aussagekraft einschränken. Daß man Modellen nicht vertrauen könne und noch abwarten müsse, bis sie besser seien. Daß viele Detailfragen bei den Rückkopplungen unklar seien und erst noch gelöst werden müssten und bis dahin es doch Spekulation sei, wie groß die Klimasensitivität wirklich sei.

Der Sinn dieser Taktik ist, Zeit zu gewinnen. Es geht nicht darum, die andere Seite zu überzeugen. Sondern Politik und Öffentlichkeit sollen den Eindruck haben, daß es noch zu früh ist, sich mit einer Entscheidung festzulegen. Dieser Zeitgewinn ist dann genau der Gewinn der interessierten Unternehmen, die diese Think Tanks finanziell unterstützen. Ein weiterreichendes Ziel ist aber, überhaupt die wissenschaftlichen Grundlagen für Umwelt- und Gesundheitsschutz zu unterminieren, indem man generell Wissenschaftler in diesen Bereichen unglaubwürdig macht. Die Angriffe auf Mann, Jones, Hansen und andere sind daher Ausdruck dieser Taktik, staatliche Regulierung zu verhindern, indem man die wissenschaftliche Basis dafür diffamiert.

Das tragische Ergebnis der Taktik sehen wir. 1975 hatte Wally Broecker den Begriff "Global Warming" geprägt. 1988 wies Hansen nach, daß die globale Erwärmung real ist und schon in der globalen Temperaturkurve sichtbar ist. 1979 hatten Experten im JASON-Report darauf hingewiesen, daß eine globale Erwärmung ein großes Risiko für die USA bedeuten würde und eine Reduktion der CO2-Emissionen erforderlich sei. Spätestens seit 1988 gab es keinen Grund mehr dafür, weitere Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen zu unterlassen. Doch schon unter der Reaganadministration wurde damit begonnen, den wissenschaftlichen Sachstand als umstritten darzustellen und, im berüchtigten Nierenberg-Report, argumentiert, daß noch Zeit sei, um abzuwarten, ob man etwas unternehmen müsse. 1989 behauptete Nierenberg gar, daß die bisherige globale Erwärmung von der Sonne bewirkt worden sei, und nun eine globale Abkühlung bevorstünde - während der 90er Jahre. Wir wissen heute, wie falsch das war, und daß diese Behauptung immer noch aufgestellt wird. Wie die Jehovas Zeugen auf ihren Ruf ins Paradies und den Weltuntergang warten die Leugner auch nach 20 Jahren  immer noch darauf, daß demnächst die globale Abkühlung beginnt. Der Unterschied ist: die Jehovas Zeugen glauben selbst an ihr Märchen.

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