Mittwoch, 17. August 2011

Die neue Pielke-Taktik - wie das IPCC sicher unrecht hat

Ich stelle fest, daß die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Würfel beim nächsten Wurf keine 6 wirft, 5/6 ist. Ich würfele, und erhalte eine 6. Ich stelle fest, daß meine Aussage damit nicht widerlegt ist. Statistisch ist das völlig korrekt, trotzdem kommen viele Menschen damit nicht zurecht. Wahrscheinlichkeitsaussagen zu interpretieren ist keine einfache Sache, sondern erfordert statistisches Verständnis und eine entsprechende Ausbildung. Selbst Mathematiker sollen schon an dem Ziegenproblem gescheitert sein. Das Problem hier ist, daß die meisten Aussagen im IPCC-Bericht Wahrscheinlichkeitsaussagen sind. Und in der Pielke-Logik kann das bedeuten, daß das IPCC nicht gewinnen kann. Entweder es stellt konservativ fest, daß die eigenen Feststellungen eine gewisse Unsicherheit haben. Dann sagt das IPCC, daß es zu dem Prozentsatz unrecht hat. Oder es behauptet, seine Aussagen seien sicher. Dann handelt das IPCC unredlich.

Wie James Annan berichtet, hat Roger Pielke jr. sich in einem Artikel (zusammen mit Rachael Jonassen) und einem Blogbeitrag eine neue Methode erschlossen, das IPCC anzupinkeln. Bisher wurde ja dem IPCC vorgeworfen, die Literatur falsch repräsentiert zu haben oder es wurde nach einzelnen Stellen gesucht, in denen man dem IPCC Fehler unterstellen konnte. Der Fehler zur Gletscherschmelze im Himalaya wurde ja von einem Autor des IPCC gefunden und ist inzwischen korrigiert worden, während der Fehler zum Anteil hochwassergefährdeten Landes in den Niederlanden ein Fehler auf Seiten der Niederlande war und ebenfalls korrigiert wurde. Seitdem gibt die Fehlersuche beim IPCC keine Ergebnisse, die außerhalb der Leugnerszene jemanden beeindrucken könnte. Da ist es doch viel pfiffiger, dem IPCC zum Vorwurf zu machen, daß es seine eigenen Aussagen als Wahrscheinlichkeitsaussagen darstellt.

In einem Artikel von Jonassen und Pielke jr. wurde der Gebrauch von Wahrscheinlichkeitsaussagen in den IPCC-Berichten zur Festlegung des Ausmaßes an Vertrauen in Feststellungen untersucht. Dieser Gebrauch ist in den IPCC-Berichten teilweise inkonsistent und vage, was keine neue Erkenntnis ist. Jonassen und Roger Pielke jr. hatten dazu die Idee, die Wahrscheinlichkeiten der Aussagen des IPCC zu mitteln. So stellen Sie fest, daß die Aussagen des IPCC im Bericht der Arbeitsgruppe 1 insgesamt auf einem durchschnittlichen Wahrscheinlichkeitsniveau von 72% gemacht werden. Im IPCC-Bericht könnte zum Beispiel stehen, daß man es für sehr wahrscheinlich hält, daß der Temperaturanstieg im abgelaufenen Jahrhundert zum größeren Teil eine Folge menschlicher Aktivität war. „Sehr wahrscheinlich“ heißt, daß man sich zu 90-99% sicher ist, daß die Aussage durch die Literatur so belegt ist. Jonassen und Pielke jr. nehmen den unteren Rand, die 90%, machen das für andere Aussagen im Bericht genauso und erhalten eine mittlere Wahrscheinlichkeit, die sie interpretieren als Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Aussagen des IPCC-Berichts der Arbeitsgruppe 1 zur Zukunft tatsächlich eintreffen. Das Mitteln über die vielen verschiedenen mehr oder weniger sicheren Aussagen von ganz unterschiedlicher Bedeutung ist so sinnvoll, als würde man eine mittlere Temperatur eines Kernreaktors feststellen, indem man das gesamte Betriebsgelände einbezieht und dabei die Zahl 44 Grad Celsius erhalten würde. Selbst wenn die Zahl korrekt wäre, könnte man nichts mit ihr anfangen. Man kann etwas mit der Reaktortemperatur anfangen, um zu wissen, daß der richtig funktioniert und mit der Raumtemperatur in der Anlage, damit Vorgaben des Arbeitsschutzes eingehalten werden und die Temperatur auf dem Außengelände wird vielleicht den Gärtner des Reaktors interessieren, wenn überhaupt jemanden, aber der Mittelwert über alles interessiert keinen. Es ist zugegeben nur ein Punkt in der Arbeit, aber es ist der Punkt, der von Pielke jr. herausgestellt wird.

Wozu macht man so etwas? Wie wir inzwischen gelernt haben, fahren viele Leugner eine Doppelstrategie. Sie publizieren etwas, das noch so halbwegs den wissenschaftlichen Regeln genügt, um eine Chance zu haben, eine Fachbegutachtung zu überstehen. Dann interpretieren sie es in Blogbeiträgen und in der Presse ein bißchen um, und bringen ihre Leugnerthesen an. Hier also schreibt Pielke jr. im Blog, aber nicht im Artikel, daß ein mittleres Wahrscheinlichkeitsniveau für die Aussagen des IPCC von 72% bedeutet, daß der IPCC-Bericht zu 28% falsch ist. Wenn wir wieder an den Würfel denken, sollte uns klar sein, daß diese Interpretation falsch ist. Wenn wir eine 6 würfeln, ist damit keineswegs gesagt, daß die Aussage falsch ist, daß mit einer Wahrscheinlichkeit von 5/6 keine 6 kommt. Diese Aussage ist vielmehr zu 100% korrekt. Und wenn 28% der Aussagen des IPCC nach Ablauf von 100 Jahren sich als zu niedrig oder zu hoch angegeben herausstellen sollten, würde das die früher getroffene Bewertung des IPCC über die Wahrscheinlichkeit seiner Aussagen zu 100% bestätigen. In der Tat wäre eine so gute Übereinstimmung sogar überraschend, da die Bewertung der Sicherheit seiner Aussagen von den Autoren des IPCC ja nur Schätzungen sind. Der Verdacht liegt nahe, daß der wesentliche Zweck der Arbeit von Pielke jr. die Möglichkeit war, titeln zu können, daß der IPCC-Bericht zu 28% falsch ist, auch wenn er in der weiteren Diskussion dann so tut, als wäre der Titel des Blogbeitrags ironisch gemeint. Und wir haben noch nicht darüber geredet, daß in Pielkes Interpretation sich hinter diesen 28% zu je 50% die Möglichkeiten verbergen, daß Vorhersagen zukünftige Entwicklungen übertreiben oder verharmlosen.

Was bedeutet es aber, daß die Aussage, daß ein Würfel mit der Wahrscheinlichkeit 4/5 im nächsten Wurf keine 6 trifft, mit dem Auswürfeln einer 6 nicht widerlegt wird? Heißt das, daß die Aussage nicht widerlegt werden kann, wie Pielke jr. in der Diskussion zu Annans Blogbeitrag behauptet? Wir wissen, daß wir tatsächlich zwei Möglichkeiten haben. Die eine ist, den Würfelwurf so lange zu wiederholen, bis wir stabile Schätzwerte für die Wahrscheinlichkeit erhalten, keine 6 zu würfeln. Nach 100 Würfen bekommen wir schon eine gute Idee dafür, daß die 6 im Schnitt nur jedes sechste Mal gewürfelt wird. Oder wir erhalten erste Hinweise darauf, daß der Würfel manipuliert ist. Erden haben wir allerdings nicht so viele, es gibt nur eine. Tatsächlich wollen wir in vielen Dingen noch nicht einmal den ersten Wurf abwarten und erst mal schauen, ob wir wirklich Grönland und die Antarktis zum Abschmelzen bringen können. Wir können uns aber auch einfach die Physik des Würfelwurfs klar machen, schauen, ob die Würfelseiten hinreichend gleich und das Innere des Würfels hinreichend homogen sind und dann berechnen, daß die Zahlen auf dem Würfel alle mit gleicher Wahrscheinlichkeit kommen werden. Viele der Wahrscheinlichkeiten des IPCC beruhen auf solchen Arbeiten, wenn zum Beispiel die Sicherheit der Bestimmung der Werte für eine Klimasensitivität unter anderem darauf beruht, wie gut Modelle in der Lage sind, Klimaänderungen der letzten Abfolge von Eiszeiten und Zwischeneiszeiten nachzuvollziehen. Und solche Arbeiten sind für sich nachprüfbar, reproduzierbar, wiederholbar und widerlegbar. Daher liegt der Test für viele IPCC-Aussagen gar nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und Pielke jr.s Erwartung, man müsse schauen, ob in der Zukunft 72% der IPCC-Aussagen eintreffen, ist sehr naiv. Im Grunde ist es daher auch kein sinnvolles Ziel, zu überprüfen, ob in der Zukunft mindestens 72% der Feststellungen aus dem IPCC-Bericht eingetroffen sind, um die Qualität des IPCC-Berichts zu überprüfen, denn diese Qualität kann ja niemals besser sein als die der zugrunde liegenden Literatur. Deren Qualität wird aber laufend durch ständige Diskussion überprüft und Ergebnisse fortlaufend verbessert, und Fragen nach der Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnisse sollte gleich auf die Ebene der Originalliteratur gebracht werden.

Um das alles auf die Spitze zu treiben, könnte man Pielke jr. noch fragen, für wahrscheinlich er es hält, daß seine Arbeit korrekt ist. Egal welche Zahl er angibt, das Risiko ist, daß die Arbeit von Jonassen und Pielke jr. zu einem gewissen Grad auf Interpretationen beruht, was eigentlich eine Feststellung ist und ob tatsächlich dieser eine konkrete Wahrscheinlichkeit zugeordnet wurde. Hier könnten anderen Autoren zu anderen Ergebnissen kommen. Außerdem stellt sich die Frage, wie die Aussagen voneinander abhängen. Sollte zum Beispiel die Aussage zur Klimasensitivität sich als falsch erweisen, wird fast jede andere Aussage im IPCC-Bericht ebenfalls zur Makulatur. Wir würden also 0% eingetroffene Feststellungen erhalten, obwohl nur eine einzige Feststellung nicht eingetreten und, eventuell auch, aber nicht zwingend, falsch war. Das macht den Ansatz von Jonassen und Pielke jr., die Wahrscheinlichkeiten zu mitteln, zu komplettem Unfug.

2 Kommentare:

  1. endlich mal wieder ein neuer artikel hier ;-) freut mich!

    am "ziegenproblem" wird übrigens noch mehr deutlich: ich habe mal einen programmierkurs abgehalten, in dem dieses problem simuliert wurde, um dabei die wahrscheinlichkeiten zu berechnen.

    sind ja nur wenige zeilen - aber bereits da verstanden die meisten nicht die abstraktion(en). vielleicht lag es ja an meinen dialektischen (un-)fähigkeiten ;-)

    nun, die realität in einen algorithmus umzusetzen scheint für die meisten nicht trivial - so wie eben auch nicht jeder seine gefühle in gedichte oder bilder umsetzen kann. doch, wenn es schon nicht gelingt bei einem so kleinen problem, den menschen verständlich zu machen, dann nützt auch openAccess zu daten und programmen der klimaforschung wenig...

    übrigens: ein befreundeter mathematiker (dozent in canterbury) konnte ohne probleme dieses ziegenproblem mathematisch lösen/darstellen. aber das dahinter steckende "philosophische" problem, weswegen eben auch otto-normal-mensch da stockt und falsch denkt, das erkannte, erspürte er erst nach zwei stunden heftiger debatte...
    witzigerweise macht er mittlerweile auch in klimaforschung, irgendwelche mathematischen modelle, verstehe ich aber nicht mehr... :-)

    grüsse

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  2. Hallo, vielen Dank für den freundlichen Kommentar und Entschuldigung bitte, daß ich mich so selten und spät melde.

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