Dienstag, 16. Dezember 2008

Beschleunigt sich der Klimawandel?

In den Medien und Blogs gibt es stellenweise noch Diskussionen, ob denn nun ein Klimawandel läuft und ob dieser von Menschen verursacht wurde oder nicht. Es ist eine fruchtlose Diskussion, weil die wissenschaftliche Diskussion seit den 90er Jahren darüber hinweg ist. Man konnte vielleicht noch in den 80er Jahren einen Disput anfangen, ob die bis dahin aufgetretene Erwärmung den Bereich üblicher Schwankungen verlassen hat, ob man bereits eine menschliche Signatur sehen kann und ob man die Abläufe im wesentlichen verstanden hat. Die 90er Jahre waren das Jahrzehnt der Bestätigung der Feststellungen, die in den 70er Jahren vorbereitet wurden (z.B. durch Berichte an die US-Regierung und an der National Academy of Science in den USA 1979 und 1983) und in den 80er Jahren als ernstzunehmende Theorien verbreitet wurden. Gerade meldet das Hadley Centre für die WMO, daß nach vorläufigen Werten 2008 das zehntwärmste Jahr in ihrer Zeitreihe ist und das aktuelle Jahrzehnt im Mittel 0,2 Grad wärmer als das vorherige.

Worüber man disputieren kann, sind andere Fragen. Sind wir bereits über bestimmte Instabilitätspunkte hinweg (tipping points), an denen unumkehrbare Veränderungen geschehen? Offensichtlich ist bei der Meereisbedeckung in der Arktis so ein Punkt überschritten worden, bei dem es nun eine Verstärkung der Klimaerwärmung in polaren Breiten gibt, weil nun im Sommer Teile des arktischen Meeres eisfrei sind. Das jedenfalls erklären Wissenschaftler des National Snow and Ice Data Center (NSIDC) in den USA nach einer Meldung im "Independent". Es gibt weitere solche Instabilitätspunkte, wie etwa Instabilität der Eisschilde, Veränderungen von Klimazonen usw. Man kann auch diskutieren über das Ausmaß, in dem bisherige Modellprojektionen bestätigt wurden. Vergangene Modellerfolge sagen nur begrenzt etwas aus über die zukünftige Übereinstimmung von Projektionen und Ergebnissen, ein weiterer Diskussionspunkt. Oder man kann darüber reden, ob wir bereits aus den Daten ablesen können, daß sich der Klimawandel beschleunigt.

Das ist kein einfacher Punkt, denn man braucht eine gewisse Menge an Daten, um überhaupt einen klimatologischen Trend zu erkennen und viel, viel mehr Daten, um eine Serie von Trends zu haben, bei denen man dann nach einer Veränderung schauen kann, sozusagen einen Trend der Trends. Das einfachste ist das, was man im IPCC-FAQ sehen kann: es zeigt den Temperaturtrend über 150, 100, 50 und 25 Jahre und findet, wenig überraschend, daß diese Trends um so steiler sind, je näher der Startpunkt zur Gegenwart liegt. Das ist ein primitives Maß für eine Beschleunigung der Klimaänderung, aber unbefriedigend, denn wir mischen den Zeitraum, in dem menschliche Einflüsse überwiegen (geschätzt so ab Ende der 60er Jahre) mehr oder weniger mit Zeiträumen, von denen wir denken, daß sie von natürlicher Variabilität geprägt waren (aufgrund von Vulkanausbrüchen und Änderungen der Sonneneinstrahlung vor allem). Wenn man mehr oder weniger Zeitanteile ohne Trend zumischt, variiert natürlich der insgesamt bestimmte Trend, aber man erfährt nicht wirklich etwas darüber, ob der Trend jetzt sich verändert.

Geübte Statistiker (ich bin keiner) haben verschiedene Möglichkeiten, zu berechnen, ob ein vorliegender Trend im Rahmen des Fehlers wirklich linear ist oder ein anderes Modell (z.B. ein exponentieller Anstieg) besser passt. Ich könnte zwar eine entsprechende Anpassung an die Daten vornehmen, aber die Gefahr ist groß, daß ich dabei Fehler mache, denn ich müsste berücksichtigen, daß die Daten ein Gedächtnis haben (die Meerestemperaturen ändern sich träge), also autokorreliert sind, und die Fehler auf den Daten wären zu berücksichtigen. Man kann sich das Leben erleichtern, indem man von vornherein robuste Statistiken wählt, die weniger empfindlich für Fehler in den Daten sind, die dann aber auch nur grobe Aussagen erlauben.

Zunächst mal habe ich mir die Mittelwerte für Dekaden angeschaut, wobei die letzte Dekade noch nicht vollständig ist. Der Mittelwert der Temperaturanomalien für die 70er, 80er, 90er und 2000er Jahre (beginnend 1971-1980 usw.) aufgrund der HadCruT3-Jahresmittel der globalen Temperatur ist -0,06; 0,10; 0,23; 0,44. Daraus lässt sich nur ablesen, daß wir einen robusten Anstieg der Temperatur haben, wobei der Schritt von den 90er zu den 2000er Jahren der größte ist mit 0,21 Grad. (Wenn die Jahre 2008 und 2009 hinzukommen, kann sich das noch ändern- das relativ kalte Jahr 2008 könnte den letzten Mittelwert bis ca. 0,42 herunterziehen, womit der letzte Schritt immer noch bei 0,19 Grad über den anderen liegt. 2009 wird aber ohne einen La Nina-Einfluß wohl eher wieder wärmer werden.)

Da die Zeit, in der wir Temperaturänderungen vor allem durch den gesteigerten Treibhauseffekt annehmen, nur seit Ende der 60er Jahre reicht und vorher eine Dominanz natürlicher Einflüsse nicht ausschließen können, haben wir kaum mehr als 40 Jahre zur Verfügung. Wir brauchen aber mindestens 20, besser 30 Jahre, um sinnvoll eine lineare Regression zu rechnen und eine Steigung, also einen Trend zu bestimmen, der statistisch signifikant ist. Also müssen wir überlappende Zeiträume berechnen. Z.B. die Trends für 1969-1988; 1979-1998 und 1988-2007. Dabei erhalte ich als Steigungen 0,0125; 0,0141 und 0,0198. (Nehme ich 2008 hinzu und lasse die letzte Regression bei 1989 anfangen, komme ich bei mindestens 0,0180 an – ein Maß für den relativ großen Fehler in der Steigung, aber keine Änderung des Trends in den drei Werten.) Diese Trends sind statistisch signifikant. Und man erkennt, daß diese Steigungen selbst einen Trend haben – sie werden steiler. In dem betrachteten Zeitraum wuchsen die Temperaturänderungen je Jahrzehnt von 0,125 über 0,141 auf 0,198 Grad an. Extrapoliere ich auf 1999-2018, erwarte ich einen Wert bei oder über 0,2. Die Frage ist aber, ob ich extrapolieren darf. Die Steigerung des Trends ist offensichtlich nicht linear, und für die Zukunft bleiben daher alle Möglichkeiten offen – daß 1988-2007 ein Ausreißer nach oben war (nehme ich 2008 mit, erhalte ich ja eine flachere Steigung), daß der Trend nicht nur steigt, sondern beschleunigt steigt oder daß er sich auf einem höheren Niveau stabilisiert. Daher keine weiteren Spekulationen – robust ist nur die Feststellung, daß sich die globale Erwärmung, seit wir sie als einen signifikanten Trend wahrnehmen, beschleunigt hat, von 0,125 Grad je Dekade auf fast 0,2 Grad je Jahrzehnt (und über 0,18 Grad, wenn wir das relativ kühle Jahr 2008 berücksichtigen). Das allein ist bereits eine schlechte Nachricht.

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