In dem Buch "Die Darwin DNA" von Sean B. Carroll fand ich einen bemerkenswerten Abschnitt über Wissenschaftsleugner. Carroll suchte da nach Vergleichen für die Strategien, mit denen Evolutionsgegner versuchen, gegen diese Theorie anzukämpfen. Dabei schaute er sich näher den Widerstand der (amerikanischen) Chiropraktiker gegen die Theorie an, Infektionskrankheiten würden von Krankheitskeimen, z.B. Viren und Bakterien übertragen, und eine erfolgreiche Maßnahme gegen vieler dieser Krankheiten wäre die Impfung. Der Widerstand der Chiropraktiker ist zum einen erstaunlich, da man bei diesen um die Gesundheit bemühten Menschen erwartet hätte, daß diese eine positive Einstellung zu neuen medizinischen Erkenntnissen hätten. Doch in den 50er Jahren waren die Chiropraktiker ein Berufsstand, der neuen Impfungen wie die gegen Kinderlähmung, heftigsten Widerstand entgegenbrachten. 1954, dem Jahr vor der Einführung der Polioimpfung nach Salk, gab es ca 38.500 Fälle von Kinderlähmung, im Jahr 1961 noch etwas über 1.300 Fälle, soviel erst mal zur Wirksamkeit der Impfungen. Chiropraktiker bekämpften dieses mit Artikeln in ihren Verbandszeitschriften, in denen etwa gefragt wurde: „Ist der Reagenzglaskampf gegen die Kinderlähmung fehlgeschlagen?“ und mit der eigennützigen Empfehlung, bei Symptomen der Kinderlähmung eine chiropraktische Einrichtung der Wirbelsäule vorzunehmen. In aktuellen Umfragen unter Chiropraktikern gibt es immer noch eine starke Gruppe, die Impfungen für nutzlos halten. 1999 ergab eine Umfrage, daß 42 Prozent der Chiropraktiker ihre Kinder nicht impfen lassen, darin unterstützt im wesentlichen von fundamentalistischen Christen, die von Impfungen aus ihren Gründen wenig halten.
Diese ganze Wissenschaftsfeindschaft einer Berufsgruppe erinnert einen an etwas. Nämlich an den auch nicht ganz uneigennützigen Widerstand, den manche Geologen der anerkannten Theorie zum Klimawandel entgegenbringen. Auch hier pflegen Kreise innerhalb einer Berufsgruppe, von der man erwarten sollte, daß sie besser informiert ist, einen uninformierten Widerstand gegenüber bekannten Tatsachen, wie etwa, daß sich das Klima erwärmt, daß dies durch den Anstieg der CO2-Konzentration verursacht wird und daß dieser CO2-Anstieg durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verursacht wird, deren Auffindung für viele Geologen nun einmal leider der Broterwerb ist, was anscheinend die Wahrnehmung genauso trübt, wie die Tatsache, daß Chiropraktiker durch Wirbelsäuleneinrenken keine Infektionskrankheiten heilen können.
Welche 6 Argumente oder Strategien wendeten die Chiropraktiker laut Carroll an?
1. Zweifle an der Wissenschaft: Chiropraktiker suchten für den Rückgang mancher Krankheiten nach alternativen Erklärungen, die nichts mit Impfstoffen zu tun hatten. Dabei spielten klinische Untersuchungen keine Rolle.
Ähnlich bei den Klimawandelleugnern: hier wird teilweise der Klimawandel insgesamt angezweifelt oder es wird behauptet, es gebe nur natürliche Ursache (die Sonne oder kosmische Strahlen oder natürliche Zyklen). Daß die Fachliteratur das alles nicht stützt, wird ignoriert.
2. Stelle die Motive oder die Aufrichtigkeit der Wissenschaftler in Frage.
Zum einen wurde von Impfgegnern behauptet, die Daten zur Wirksamkeit der Impfungen würden manipuliert, zum anderen wurde eine Verschwörung zwischen Wissenschaftlern und Pharmaindustrie behauptet. Genau solche Vorwürfe findet man gegen Klimaforscher erhoben. Den IPCC-Berichten wird vorgeworfen, parteiisch zu sein und Klimaforschern wird unterstellt, von Katastrophenprognosen zu profitieren (in eklatanter Unkenntnis darüber, wie die Forschungsfinanzierung funktioniert).
3. Übertreibe die Meinungsverschiedenheiten zwischen Wissenschaftlern und nenne Außenseiter als Autoritäten.
Es gibt neben den zentralen Bereichen, in denen Einigkeit herrscht, immer auch Randbereiche, in denen es Kontroversen gibt. Sowohl die Impfgegner als auch die Leugner des Klimawandels haben solche Kontroversen benutzt, um zu behaupten, die zentralen Punkte seien noch nicht Teil eines wissenschaftlichen Konsenses und in beiden Fällen wurden Außenseiterstimmen, die es nun einmal immer gibt, genutzt, um zu behaupten, die Wissenschaftler seien sich nicht einig.
4. Übertreibe mögliche Schäden.
Gemeint sind damit in der Kampagne gegen Impfungen die Impfschäden, die man aber nun einmal ins Verhältnis zu den viel größeren Schäden der Infektionskrankheit setzen muß, zum anderen im Fall des Klimawandels die Kosten von Maßnahmen zur Senkung von Emissionen von Treibhausgasen, die man ins Verhältnis zu den viel größeren Kosten der Schäden durch den Klimawandel setzen muß.
5. Appelliere an die persönliche Freiheit
Impfungen funktionieren am besten dann, wenn ein bestimmter Durchimpfungsgrad der Bevölkerung erreicht wird, sonst werden Kranheitsüberträger die Infektion weiter am Leben erhalten. Daher gab es immer wieder auch Impfzwang oder eine starke Propagierung von Impfungen, wie etwa bei der weltweiten Ausrottung der Pocken durch einen weltweiten Impfzwang. Dagegen wurde allen Ernstes die persönliche Freiheit gesetzt, entscheiden zu dürfen, wie hirnlos man sich benehmen möchte (oder wie verantwortungslos Eltern mit dem Leben ihrer Kinder umgehen dürfen). Eine solche Berufung auf die persönliche Entscheidung, die Welt zu verschmutzen, wird gelegentlich als Argument gegen Klimaschutzmaßnahmen eingesetzt. Man findet das allerdings in einer besonders üblen Verschwörungstheorie wieder, wie sie zum Beispiel Vaclav Klaus, der tschechische Staatspräsident propagiert. Danach gebe es eine kommunistisch-grüne Weltverschwörung, die Weltwirtschaft zu sozialisieren unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, und so alle privaten Freiheiten durch eine Weltdiktatur zu ersticken. Das ist zwar unglaublich schwachsinnig, wird von dem paranoiden Tschechen und vielen Parteigängern aber im Brustton der Überzeugung, man müsse die Welt retten, penetrant abgesondert.
6. Die Anerkennung der Theorie widerspricht einfach zentralen Überzeugungen.
Im Falle der Impftheorie wurde zum Schluß nach dem Scheitern aller anderen Argumente erklärt, die Impfung widerspreche der sogenannten Grundvoraussetzung der Chiropraktik. Letztlich zog man sich also auf reine Glaubenssätze zurück und über Glauben läßt sich nicht argumentieren, nur streiten. Dieser Punkt droht uns im Fall der Auseinandersetzung um die Klimaforschung, wenn die Faktenlage zu überwältigend wird, weil die Temperaturdaten bald wieder gegen alle Behauptungen der Klimawandelleugner nach oben gehen werden, weil der Meeresspiegelanstieg sich weiter beschleunigt und weil die arktische Verstärkung wohl bald unübersehbare Wirkungen zeigen wird. Schon jetzt erlebt man das Vorbringen geradezu religiöser Punkte: es könne keinen menschenverursachten Klimawandel geben, weil die Sonne den dominanten Einfluß auf das Erdklima haben müsse und weil es nur natürliche Zyklen gebe.
Es ist interessant, daß man ähnliche Strategien bei der Bekämpfung wissenschaftlicher Erkenntnisse immer wieder findet. Das gilt für den Widerstand der Chiropraktiker gegen die Theorie der Impfung, das gilt für die Leugner der Evolution, das gilt für die Leugner der Gefahren des Rauchens, das gilt für die Leugner des menschengemachten Klimawandels. Die Strategien ähneln sich und es entwickeln sich sogar Bündnisse oder Überschneidungen in Personen, wie etwa zwischen Evolutions- und Impfgegnern oder zwischen Klimawandelleugnern und Leugnern der Gefahren des Rauchens oder Evolutionsgegnern und Klimawandelleugnern.
Dagegen hilft nur, diese Strategien transparent zu machen.
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