Mittwoch, 20. Mai 2009

Glücksrad

Die Risiken des Klimawandels sind für viele Menschen schwer zu verstehen, weil es sich dabei um eine Umsetzung einer Verteilung von Möglichkeiten handelt. Unser Wissen über die zukünftige Entwicklung der Emissionen wie auch über die Stärke verschiedener Rückkopplungen von Atmosphäre, Biosphäre und Ozeanen ist begrenzt. Es gibt daher verschiedene mehr oder weniger wahrscheinliche Entwicklungspfade in die Zukunft. Eine Möglichkeit, diese Verteilung begreifbar zu machen, ist das Bild des Glücksrades. Wenn man es dreht, wird der Zeiger nach einer Weile in einem der Felder stehen bleiben. Heißen die Felder „2-3 Grad“ oder „4-5 Grad“ Anstieg der globalen Temperatur bis 2100, werden diese Felder unterschiedlich groß, je nachdem, wie wahrscheinlich eine Kombination von Faktoren ist, die in diesen Temperaturbereich führen. Das Bild führt auch vor Augen, daß wir mit unserer Zukunft spielen. Wie viel Risiko möchte man für die Lebensbedingungen seiner Kinder und Enkel eingehen? Ist es das wert, zu investieren, um dieses Risiko zu verringern?

Glücksradbild in der Pressemitteilung des MIT zu Sokolov et al 2009.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) weist in einer aktuellen Pressemeldung auf neue Ergebnisse mit dem MIT Integrated Global Systems Model (MIT-IGSM) hin. In 400 verschiedenen Simulationen mit jeweils veränderten Parametern wurde dabei untersucht, welche zukünftigen Entwicklungen wahrscheinlicher sind als andere. Zugleich wurde untersucht, welche Auswirkungen Maßnahmen haben, die die Treibhausgasemissionen drastisch einschränken. Ein Artikel ist dazu im Mai im Journal of Climate erschienen (Sokolov et al. 2009, Probabilistic forecast for 21st century climate based on uncertainties in emissions (without policy) and climate parameters).

Das MIT-IGSM ist ein Modell, das Land, Atmosphäre, Ozeane und Biosphäre ebenso modelliert, wie die Auswirkungen der Ökonomie auf die Emissionen. Nicht enthalten ist zum Beispiel die Möglichkeit, daß tauender Permafrostboden zu einer starken Methanquelle werden könnte. Einer der Autoren der Studie, Ronald Prinn, nannte dies als einen von mehreren Faktoren, die es als möglich erscheinen lassen, daß das Modell die zukünftige Erwärmung immer noch unterschätzt. Allenfalls könnten neuere Abschätzungen auf eine stärkere Erwärmung der Ozeane hindeuten. Das würde bedeuten, daß man den Wärmeaustausch mit den Ozeanen stärker einschätzen würde und sich dadurch die Luft oberhalb der Ozeane nicht ganz so stark erwärmen würde. Das könnte den Medianwert des Temperaturanstiegs noch um 1,1 Grad senken.

Die Ergebnisse sind beunruhigend. Im Mittel (Median der 400 Simulationen) ist die erwartete globale Erwärmung bis 2100 5,2 Grad, wenn keine Maßnahmen gegen eine globale Erwärmung getroffen werden. Nimmt man wieder das Bild des Glücksrades, das in der Studie verwendet wird, landet man mit 90% Wahrscheinlichkeit irgendwo in einem großen Feld von 3,5 bis 7,4 Grad. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nicht klein dafür, bei mehr als 6 Grad Erwärmung zu landen, und jedenfalls ist das wahrscheinlicher, als in das Feld von 3-4 Grad zu gelangen. Und selbst das wäre eine Erwärmung, bei der viele Wissenschaftler damit rechnen, daß Kippunkte der Erde getroffen werden, wie etwa ein Abschmelzen des grönländischen Eisschildes oder eine Entwaldung des Amazonasgebietes. Es ist eine Form des Glücksrades, bei der man nur verliert, und nur noch offen ist, wie katastrophal.

Selbst wenn man massive Maßnahmen gegen eine globale Erwärmung einleitet, sieht das Glücksrad nicht wirklich gut aus. 2,3 Grad wäre die mittlere Temperatur, aber in mehr als 10% der Fälle würde der Temperaturanstieg immer noch über 3 Grad betragen. Im Dezember wollen die Staaten in Kopenhagen eine Übereinkunft erzielen, die die globale Erwärmung bis 2100 auf 2 Grad begrenzen soll, ein Niveau, von dem man glaubt, daß man sich an dieses mit vertretbarem Aufwand anpassen könnte. Die Modellrechnungen am MIT sind eine Warnung, daß wir ohne drastische Maßnahmen in ein Glücksspiel eintreten, das uns keine Gewinnchancen läßt.

Die Arbeit wurde auch kürzlich von Joe Romm auf ClimateProgress kommentiert.

Dienstag, 19. Mai 2009

Wie sehr wird die Schweinegrippe verharmlost?

Ich weiß, auf einem Klimablog sollte ich nicht über die A/H1N1-Pandemie schreiben, und sehr wenig Ahnung von dem Thema habe ich auch. Aber nachdem bereits Hans Mathias Kepplinger in einem Spiegel-Interview neben anderem Unfug auch verbreitet hatte, die WHO würde bezüglich der Schweinegrippe übertreiben, weil sie davon profitiert, sollte man sich durchlesen, was Gesundheitsexperten in den USA dazu in ihrem Blog schreiben (ich empfehle auch die nachfolgende Diskussion).

Eigentlich ist es eindeutig, was eine Pandemie ist: eine global verbreitete Epidemie. Eine Epidemie ist eine über das normale Maß erhöhte Anzahl an Infektionen. Da inzwischen Infektionen zwischen Menschen in verschiedenen Weltregionen der WHO gemeldet werden, gibt es eigentlich auch keine Wahl mehr, die Pandemiestufe 6 auszurufen. Doch WHO-Mitglieder wehren sich dagegen (die Washington Post nennt in einem Artikel unter anderem China, das Vereinigte Königreich und Japan) und nötigen die WHO-Experten dazu, die Hochstufung der Pandemie zu verzögern.

Mit welchem Argument? Man solle den Ermessensspielraum, der ohnehin schon besteht, noch erweitern. Bisher hängt es ja schon davon ab, wie gut man überhaupt Infektionen durch Labortests erfaßt, wann man zugeben muß, daß in einem Land Übertragungen erfolgen und nicht nur Fälle von außen eingeflogen werden. Da kaum ein Zehntel, vielleicht auch weniger der Infektionen überhaupt von Labortests erfaßt werden, ist die Dunkelziffer bei der Influenza recht groß. Üblicherweise führen nur schwere Krankheitsverläufe zur Erfassung über Labortests. Die Erweiterung des Ermessensspielraum soll nun darin bestehen, daß man auch die Gefährlichkeit der Krankheit berücksichtige. Weil also das Virus sich noch nicht richtig an den Menschen angepaßt habe, und erst ein paar Dutzend Todesfälle bestätigt seien, solle man davon ausgehen, daß das Virus eher harmlos sei und daher eine Pandemieeinstufung nicht rechtfertige.

Der Einwand dagegen ist, daß damit auch viele Grippe-Pandemien der Vergangenheit eigentlich nicht mehr gezählt werden dürften. Hongkong- und Asiengrippe fielen aus der Zählung. Die ganze Statistik, wie häufig Grippepandemien zu erwarten seien, müßte drastisch reduziert werden. Na, wenn das keine Verharmlosung ist. Auf dem verlinkten Blogbeitrag lautet die sarkastische Zusammenfassung: "We shouldn't call a pandemic a pandemic, because people might misunderstand that this means it's a pandemic. And then they would do things like panic, like UK officials are doing now when the prospect is broached we are having a pandemic." - "Wir sollten eine Pandemie nicht Pandemie nennen, weil Leute das mißverstehen könnten, daß es eine Pandemie bedeute. Und dann könnten sie Dinge tun wie in Panik zu verfallen, wie es Verantwortungsträger Großbritanniens gerade tun, wenn sich die Aussicht verbreitet, daß wir eine Pandemie haben."

Man muß es klar sagen: zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, wie agressiv das Virus ist. Aber wir sollten für alles vorbereitet sein, und das sind wir sicher nicht, wenn offizielle Stellen die Möglichkeit einer Pandemie wie 1957 oder gar 1918 herunterspielen. Seien wir lieber froh, wenn wir einmal zu viel gewarnt haben als einmal zu wenig. Die derzeit noch geringe Zahl an Toten sagt zu einem so frühen Zeitpunkt der Pandemie eben noch nichts darüber aus, wie sich das Virus weiter entwickeln wird.

Sonntag, 17. Mai 2009

Wie Medienforscher in die Grube fallen, die sie Klimaforschern graben

Hans Mathias Kepplinger warf in einem Spiegelinterview Organisationen wie WHO und IPCC eine Neigung zur Panikmache vor. Das hatte ich bereits kommentiert. Kepplinger hat außerdem eine Mitarbeiterin. Sie heißt Senja Post. Zusammen haben die beiden eine Umfrage bei Klimaforschern gemacht. Nicht bei allen, sondern nur einer kleinen Minderheit, den deutschen Klimaforschern. Die Ergebnisse findet man hier, und die Tabelle mit den einzelnen Ergebnissen hier. Die Ergebnisse sind erschütternd. Klimaforscher, so wird festgestellt, überspitzen ihre Forschungsergebnisse, um durch eine bessere Medienberichterstattung bei Zuweisungen zu profitieren. Und gerade die Modellierer, die am besten in der Berichterstattung wegkommen, liefern die umstrittensten Ergebnisse, die zu falscher Medienberichterstattung führen – Journalisten überschätzen anscheinend überwiegend die Modellfähigkeiten. Kurz: „Die Zuweisung der Forschungsmittel und die Ausrichtung der Forschung wird von äußeren Kräften beeinflusst, denen die Forscher wissenschaftliche Qualifikation absprechen. Dies dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass Journalisten vor allem spektakuläre Befunde sowie solche Ergebnisse publizieren, die ihre eigenen Sichtweisen stützen.“ Erschütternd.

Ergänzung am 19.05.2009: Post und Kepplinger waren auch schon Thema in der Klimalounge. Beiträge dazu sieht man hier und hier. Urs Neu und Stefan Rahmstorf beziehen sich aber, soweit ich das erkennen kann, auf andere Fragen der gleichen Umfrage von 2006 als ich das hier tue. Mir war zunächst gar nicht bewußt, daß es hier um die gleiche Umfrage ging. Nochmals ein Dankeschön an den aufmerksamen Leser, der mich darauf hingewiesen hat.

Was für ein Glück, daß die meisten Publikationen in der Klimaforschung aus den USA kommen und noch mehr aus vielen anderen Ländern. Das ist durchaus nicht trivial, denn die Medienberichterstattung über den Klimawandel ist in den USA eine völlig andere als in Deutschland. Angenommen also, daß die Medienberichterstattung tatsächlich eine solche Rolle spielte, wie es Post und Kepplinger suggerieren, würden sich also deutsche und amerikanische Forscher schon gut gegeneinander aufwiegen.

Aber gehen wir mal in die Tiefe und fragen lieber, wie viel heiße Luft hier eigentlich verkauft wird, die diesen Medienforschern, na sowas, immerhin gute Aufmerksamkeit in den Medien bringt. Eine solche These von falschen Klimaforschungsergebnissen für höhere Medienaufmerksamkeit läßt sich doch gut vermarkten. Die ganze Untersuchung beruht auf einer Umfrage unter 239 deutschen Klimaforschern (meistens Geowisenschaftler, Meteorologen oder Physiker – nichts dagegen einzuwenden), von denen 133 geantwortet hatten. Nun wird man einen solchen Klimaforscher mit guter Aussicht auf eine vernünftige Antwort fragen können, was er zu einem Sachverhalt auf seinem Fachgebiet meint, aber ich weiß nicht, was man von seiner Meinung dazu halten soll, ob die Medienberichterstattung einen Einfluß darauf hat, ob auf einem Forschungsgebiet mehr oder weniger geforscht hat oder Mittel mehr oder weniger gut fließen. Kann da mehr herauskommen, als recht unsichere Vermutungen und Vorurteilen von Forschern dazu, was vielleicht unter anderem die Forschungspolitik über die Jahre bewegen könnte?

Vielleicht steckt dahinter eine Überlegung der Art: mehr Medienwahrnehmung führt zu mehr Politikeraufmerksamkeit und dadurch zur Chance, daß ein Sonderforschungsbereich eingerichtet wird. Das ist mehr als nichts, aber doch ungefähr so direkt, wie eine Rückenmassage, indem man an seinen Ohrläppchen zieht. Immerhin gibt es da das „Ei und Henne“-Problem. Könnten die Medien über die Gefahren des Klimawandels berichten, wenn nicht vorher Forscher herausgefunden hätten, daß es da Gefahren gibt? Und gäbe es eine Förderung von Themen der Klimaforschung, wenn ihr einziger Hintergrund Übertreibungen und Falschmeldungen einiger Forscher wären? Ich weiß nicht, ob die befragten Forscher, die dann geantwortet hatten, sich so tiefe Gedanken dazu gemacht haben oder ob sie danach gingen, daß man einen gewissen Einfluß der Medienberichterstattung nicht ausschließen könne, genauso, wie man auch einen gewissen Einfluß der Politik oder von Industrieinteressen (danach wurde aber nicht gefragt) oder privaten Interessen ausschließen könnte. Damit ist aber nicht geklärt, welcher Einfluß dominiert. Und ob die mehr oder weniger starke Förderung eines ganzen Wissensgebietes irgendeinen Einfluß darauf hat, welche Ergebnisse dabei erzielt werden, denn diese müssen ja nicht von den Medien gutgeheißen werden, sondern das Peer Review überstehen und zitiert werden, um sich durchzusetzen. Letztlich werden wir auch nicht aus dieser Umfrage erkennen können, ob die Forscher mit ihrer Meinung zum Einfluß der Medien wirklich recht haben.

Oder schauen wir mal auf eines der Ergebnisse. Nach Tabelle 4 in der Anlage mit den Ergebnissen nehmen von den 98 Forschern, die grundsätzlich einen Einfluß der Medien auf die finanzielle Förderung der Klimaforschung bejahen, die meisten Wissenschaftler an, daß deswegen mehr Forschung zum menschlichen Einfluß auf das Klima gefördert würde. Man beachte, daß völlig offen ist, wie viel mehr – Quantifizierungen fehlen. Man beachte insbesondere, daß damit keine Aussage getroffen wird, ob dies dazu führt, daß der menschliche Einfluß von diesen deutschen Forschern übertrieben wird oder nicht. Und man beachte auch folgendes. Wenn tatsächlich die Medienberichterstattung einen Einfluß darauf hat, ob Forschungsgebiete mehr gefördert werden, muß aufgrund der begrenzten Mittel es genauso klare Kandidaten dafür geben, wo dann diese Förderung fehlt. Der beste Kandidat wäre die Forschung zur natürlichen Variabilität des Klimas. Aber seltsam, selbst hier findet man gerade mal bei 28% die Meinung, der Bereich habe gelitten, 36% meinen, auch hier seien mehr Mittel geflossen. Es gibt tatsächlich keinen Bereich, in dem sich eine relative Mehrheit von Forschern findet, daß weniger Mittel geflossen seien.

Irgendwie scheinen die Forscher überwiegend den Eindruck zu haben, daß die Medienberichterstattung dazu führt, daß mehr Mittel für alle Gebiete zur Verfügung stehen. Eine scheinbare Geldvermehrung findet da statt. Bei mir schürt das den Verdacht, daß hier die Forscher außerhalb ihrer Expertise eine eher uninformierte Meinung äußern, die doch eher auf Vorurteilen basiert.

Aber Verzeihung, wie kann ich das äußern? Das sind doch so viele Tabellen mit so vielen Zahlen, erzeugt von Klimaforschern, die es ja doch am besten wissen müssen oder? Das Problem ist, daß Umfragen immer viele Zahlen erzeugen können. Doch daraus belastbare Aussagen zu filtern, ist ein hartes Brot. Oft landet man im Vagen und Unverbindlichen. Damit wollten sich Post und Kepplinger nicht zufrieden geben. Und so wurde eifrig interpretiert und überinterpretiert und letztlich zugespitzt, daß ich mich am Ende frage, ob die Ergebnisse der Analyse der Medienforscher nun die Klimaforschung beschreiben oder die eigene Forschung.

Hätte man es besser machen können? Vielleicht, soweit ich als Laie etwas sinnvoll dazu sagen kann. Mich hätte doch sehr interessiert, wie stark die befragten Wissenschaftler den Einfluß der Medien relativ sehen zu Einflüssen des Peer Reviews, der Politik, der Wirtschaft und von Wissenschaftsorganisationen, und wie stark sie die Möglichkeiten sehen, aufgrund der Basisförderung neben Drittmitteln eigene Schwerpunkte zu setzen. Mich hätte auch ein Kommentarteil interessiert, indem die befragten Forscher angegeben hätten, welches wissenschaftliche Ergebnis denn ihrer Meinung nach aufgrund externer Einflüsse nicht korrekt oder falsch bewertet ist. Und natürlich müßte man bei der internationalen Vernetzung und der Tatsache, daß die meisten Publikationen außerhalb Deutschlands erarbeitet werden, fragen müssen, wie sinnvoll diese deutsche Nabelschau ist. Ganz offensichtlich ist die Umfrage inhaltlich so vage und dadurch so interpretierbar, daß sie sich bestens für Verschwörungstheorien eignet, daß Wissenschaftler systematisch Lügen verbreiten, um Geldmittel zu sichern. Ich will Post und Kepplinger nichts unterstellen, aber es wäre auch in ihrem Interesse, solchen Überinterpretationen vorzusorgen, die durch die Daten nicht belegt sind, aber aus den Schlußfolgerungen in der Arbeit mit schlechtem Willen abgeleitet werden könnten.

Ein Medienforscher sieht Panikmache – macht er Panik?

Hans Mathias Kepplinger ist ein renommierter Medienforscher. Und wenn es um Krisen und Medien geht, können ihn die Medien gerne interviewen, denn er hat eine klare Meinung: die Medien neigen dazu, Krisen aufzubauschen oder gar zu inszenieren. Das ist durchaus plausibel, denn Medien finanzieren sich dadurch, daß sie nachgefragt werden. Nachgefragt wird, was unterhält. Katastrophen unterhalten. Das ist so plausibel und eingängig, daß auch Kepplinger dann das widerfährt, was er den Medien vorwirft. Er verallgemeinert, spitzt zu und übertreibt.

So gab er kürzlich ein Interview für den Spiegel, in dem man einige „Blüten“ findet. Anlaß war die seiner Meinung nach zur Panikmache neigende Medienberichterstattung über die Schweinegrippe. Nun ist es so, daß man über die neue A/H1N1-Influenza derzeit wenig sagen kann. Sie ist der Anfang einer Grippewelle und erst der weitere Verlauf kann zeigen, wie ansteckend und wie tödlich diese neue Influenza wird. Meldungen, die allzu sehr betonen, was uns bei einer Influenza nach Art der spanischen Grippe von 1918-1921 drohen, sind sicherlich Panikmache, denn darauf konnte man nach den ersten Daten nicht schließen. Tatsächlich gibt es inzwischen bei Science eine Arbeit (das konnte man aber zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht wissen), nach der die gegenwärtige Schweinegrippe in der Ansteckung und Tödlichkeit an die asiatische Grippe von 1957 erinnert. Die Ansteckung ist mit ca. 2,2-3,3 Übertragungen je Krankem genauso wie auch die Todeszahl von 4 je 1000 Erkrankten bei etwa dem Doppelten bis Vierfachen einer saisonalen Grippe.

Kepplinger ließ es aber nicht bei einer Medienschelte bewenden. Er warf direkt der Weltgesundheitsorganisation WHO vor, die Panikmache der Medien aus eigenem Interesse anzufüttern: „Zumindest liegt der Verdacht nahe, dass die WHO ihre eigene Bedeutsamkeit dokumentieren will. Wohlgemerkt: Ich halte sowohl den Klimawandel für real als auch die Bedrohung durch eine Grippe-Pandemie, will also keinesfalls behaupten, dass alles herbeigelogen ist. Dennoch kommen solche Organisationen in die Versuchung, eine Lage dramatischer darzustellen, als sie wirklich ist.“ Wie kommt er darauf? Zunächst mal bemüht er eine Verschwörungstheorie: solche Organisationen seien darauf angewiesen, ihre Wichtigkeit darzustellen, daher hätten sie ein Motiv, die Wahrheit zu verbiegen. Wer ein Motiv hat, tut es auch. Ganz einfach... Nur wird dabei übersehen, daß die WHO nicht im luftleeren Raum agiert. Sie muß sich der Kritik anderer, etwa nationaler Behörden und der Forschungseinrichtungen stellen, die ihrerseits ein Motiv hätten, der WHO als Konkurrenz zu begegnen und ihr Fehler nachzuweisen. Die Pandemiestufen sind international vereinbart und objektiv feststellbar. Hier der WHO vorzuwerfen, „Von Anfang wurde hier ja der Begriff Pandemie verwendet.“ ist ignorant. Es heißt nun einmal „Pandemiestufen“ und kein Experte zweifelt daran, daß wir auf dem Weg zur Pandemiestufe 6 sind – es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn man schon Verschwörungstheorien bemüht, wie wäre es denn mit der Variante, die in Mexiko bei den Menschen umlief? Die Behörden haben ein Interesse daran, im Gehorsam gegenüber Politikern, die Krisen gar nicht mögen, die möglichen Risiken zu verharmlosen. Die WHO, wie gesagt, ist nicht im luftleeren Raum, sondern Interessen, sich mit Pandemiewarnungen wichtig zu machen, stehen Interessen der nationalen Behörden und der Mitglieder der WHO gegenüber, gerade keine Panik aufkommen zu lassen. Kepplinger hat außer einer Meinung wenig anzubieten.

Peinlich wird es, wenn er weitere Beispiele anbietet. Ein Stück war etwa: „Aber Sie können darauf wetten, dass regionale Wetterberichte zu 60 oder 70 Prozent falsch sind.“ Ich rate niemandem, darauf zu wetten. Die Korrelationen der 24- und 48-Stunden-Vorhersagen mit den Beobachtungen liegen schon seit vielen Jahren über 0,9, und die 5-Tage-Vorhersage ist beim deutschen Wetterdienst inzwischen besser als die 24-Stunden-Vorhersage 1970. Wären die Wetterberichte zu über 60% falsch, müßten deutsche Flughäfen wohl ihren Betrieb einstellen, weil die Flugsicherheit ohne gute Kurzfristvorhersagen nicht zu gewährleisten wäre. Kepplinger mag ganz zu Recht die Show mit Temperaturrekorden bei Kachelmanns Meteomedia mit Skepsis sehen. Aber es ist unsinnig, das mit der seriösen regionalen Wettervorhersage zu verwechseln.

Nicht besser sind seine Aussagen zum Thema Klimawandel und IPCC. Auch das IPCC hat nach Meinung von Kepplinger Dreck am Stecken. „Nehmen wir als Beispiel das Intergovernmental Panel for Climate Change (IPCC). Je dramatischer eine Meldung ist, die das IPCC über den Klimawandel platziert, desto größer die Bedeutung des Gremiums.“ Weiter führt Kepplinger aus: „Solche Organisationen brauchen viel Geld.“ Da schwingt viel Ahnungslosigkeit mit. Das IPCC hat einen mäßigen Geldbedarf und der wird auch ohne Mediengeraune gedeckt, weil sich Regierungen darauf geeinigt haben, daß sie diese Einrichtung brauchen. Deren Zuwendungen schwanken ja keineswegs mit der Zahl der Meldungen zum Klimawandel von Jahr zu Jahr oder gar Monat zu Monat. Das IPCC ist hauptsächlich ein Sekretariat und eine Organisationsstelle für Tagungen und das Schreiben von Berichten. Die eigentliche Arbeit wird nicht vom IPCC bezahlt. Bei der handelt es sich um die Forschung, die in Universitäten, Behörden und Forschungseinrichtungen auf nationaler Ebene stattfindet. Die IPCC-Berichte sind im Grunde Übersichtsartikel über die wissenschaftlichen Publikationen im Gebiet. Das IPCC ist gar nicht davon abhängig, den Klimawandel zu inszenieren. Noch schlimmer, es ist sogar nachweisbar, daß die IPCC-Berichte die Risiken des Klimawandels eher verharmlosen. Auch dafür gibt es Motive: die großen Emittenten und Energielieferanten wie die USA, Australien, Rußland, China und Saudi-Arabien hatten ein Interesse daran, auch die IPCC-Berichte 2007 zu mäßigen – und haben sich dabei auch wiederholt durchsetzen können.

Was Kepplinger da macht, ist das Verbreiten einer Verschwörungstheorie aufgrund seiner mangelnden Kenntnisse über das Funktionieren einer Einrichtung wie dem IPCC und über die naturwissenschaftlichen Hintergründe der Themen, die er anspricht, ob es nun A/H1N1, Wettervorhersage oder der Klimawandel ist. Und cui bono? Nun, was würde Kepplinger über seine eigenen Motive sagen, die von ihm erforschten und in zu verkaufenden Büchern behandelten Themen als besonders wichtig herauszustellen?

Kepplinger hat aber als Co-Autor einer Kollegin noch mehr zum Thema Klimaforscher geschrieben. Das will ich aber in einem weiteren Beitrag näher aufdröseln.

Freitag, 1. Mai 2009

Schweinegrippe: Keine Krise jetzt, aber wir haben Zeit

Ich habe erneut durch offizielle Darstellungen und Wissenschaftsblogs quergelesen, um aus der Fülle widersprüchlicher Informationen für mich zu einem konsistenten Bild zu kommen. Das erste, was jeder zu erfahren versucht, ist eine Einschätzung, ob nun dieses Ereignis, die Ausbreitung einer neuen Variante der Influenza, für die eigene Familie eine Gefahr droht. Dabei drohen zwei Wertungsfehler.

Der eine Wertungsfehler ist die Hysterie. Je intensiver man sich mit einer Sache beschäftigt, desto wichtiger erscheint sie einem. Man nimmt im Laufe der Zeit nur noch die Schweinegrippe in Bezug auf alles andere wahr, und nicht etwa eine Krankheit als eine von vielen in einer Welt, die aus vielem anderem besteht, das mit Krankheiten gar nichts zu tun hat. Zum 1 Mai gibt es 331 im Labor bestätigte Fälle von Schweinegrippe mit insgesamt 10 bestätigten Todesfällen – in Bezug auf die übliche Sterblichkeit bei Grippe für hospitalisierte Fälle ist das nicht auffällig. Wenn man der Hysterie entgegentritt, kann aber einen anderen Fehler machen. Der ist die Leitfertigkeit.

Daß eine Infektion im Moment wenig Fälle verursacht heißt nicht, daß das dauerhaft so bleiben muß. Wie gefährlich diese Influenza ist, weiß man erst, nachdem sie sich ausgewirkt hat, also nach dem Ereignis. Das ist ein Punkt, in dem es Parallelen zum Thema der Klimaveränderung gibt. Daß nach einer Änderung der globalen Temperatur um ca. 0,8 Grad in einem Jahrhundert einem die Klimafolgen nicht dramatisch erscheinen, sagt nichts darüber aus, ob nach weiteren 1,2 Grad Temperaturänderung einem die Folgen immer noch undramatisch vorkommen werden. Erst recht ist damit nichts zu dem gesamten Ereignisraum unterschiedlich starker Vermeidungsmaßnahmen und uns noch nicht ganz bekannter Ereignismöglichkeiten der Erde gesagt und darüber, wie dramatisch uns Temperaturänderungen erscheinen mögen, die irgendwo von 2 bis 6 Grad bis 2100 reichen könnten. Genau das ist der derzeitige Informationsstand bei der Schweinegrippe. Daß ihr bisher nur eine überschaubare Zahl an Erkrankungen und Todesfällen zugeordnet werden können, gibt uns keinen Anhaltspunkt dafür, ob wir diese Influenza bis 2010 immer noch als harmlos ansehen werden, wenn inzwischen möglicherweise in mehreren Wellen größere Teile der Weltbevölkerung infiziert waren und das Virus zudem Gelegenheit hatte, weiter zu mutieren und seine Virulenz zu optimieren (die Infektionsrate) und auch seine Mortalität womöglich zu erhöhen (die Zahl der Menschen, die in Folge der Infektion versterben).

Um es klar zu machen – auf erhöhte Virulenz hin wird selektiert – es werden die Viren am besten verbreitet, die die höchste Virulenz haben (bei Vernachlässigung anderer Faktoren). Erhöhte Mortalität hingegen kann einfach dadurch entstehen, daß die Virenpopulation dramatisch anwächst, wenn große Bevölkerungsteile infiziert sind, und dann dadurch eine größere Bandbreite an mutierten Viren möglich ist. Einige Mutationen werden dabei zur Folge haben, daß der Virus von der körpereigenen Immunabwehr schwerer erkannt wird und daß lebenswichtige Organe stärker betroffen sein können, etwa daß die Lungen stärker befallen werden oder das Herz stärker befallen wird, und dann eine Lungenentzündung oder eine Entzündung des Herzens zum Tode führen. Wir wissen also jetzt noch gar nicht, wie virulent und wie tödlich das Virus im Laufe des Jahres sein werden.

Die 6 Pandemiestufen der Weltgesundheitsorganisation WHO mögen sehr willkürlich erscheinen. Ein paar Infektionen von Menschen durch Tiere und schon geht es rauf bis zur Stufe 3. Ein paar bestätigte Infektionen zwischen Menschen und es geht auf Stufe 4. Infektionen zwischen Menschen in zwei verschiedenen Staaten einer WHO-Region, und schon ist man auf Stufe 5. Stufe 6 erreicht man, wenn die Krankheit sich in verschiedenen WHO-Regionen unabhängig voneinander ausbreiten kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das der Fall sein wird. Die ganze Zeit ist damit nichts darüber gesagt, ob die Krankheit je mehr als ein paar 1000 und selbst ein paar 10000 Menschen betreffen wird und mehr als ein paar Dutzend Tote dabei herauskommen – das im Vergleich zu z.B. ca. 8000 Grippetoten in einem normalen Jahr in Deutschland. Aber das wichtige hier ist das Potential, daß die Infektion bis zu diesem Punkt gewonnen hat: eine neue Infektion hat bewiesen, daß sie übernational von Mensch zu Mensch übertragen werden kann und nicht auf eine Region begrenzt ist. Die Voraussetzungen für eine Pandemie, einen global verbreiteten Befall von Menschen ist gegeben. Was das in Erkrankungs- und Todesfällen übersetzt bedeutet, ist damit noch nicht gesagt. Aber für das, was möglich ist, geht dann in die Wertung ein, daß das Virus Eigenschaften hat, auf die unser Immunsystem eben noch nicht vorbereitet ist. Gene verschiedener Virenstämme von Schweine-, Vogel- und Menschengrippe wurden hier ausgetauscht, in Schweinen ausgebrütet und auf den Menschen übertragen. Und vermutlich werden die meisten Menschen im Gegensatz zu alten Influenzastämmen hier durch keine Grundimmunisierung geschützt werden.

Die Ausbreitung der Schweinegrippe jetzt bringt auch ein Dilemma mit sich. Die Impfstoffhersteller müssen sich bald entscheiden, ob sie wie gewohnt einen Impfstoff für die normalen Saisonimpfungen im Herbst während der nächsten Monate vorbereiten, oder ob sie einen Impfstoff herstellen, der gezielt die Pandemie mit dem neuen Schweinegripenvirus unterdrücken soll. Die Entscheidung wird man auf der Basis vermutlich unzureichender Daten treffen müssen. Aber man muß sie bald machen. Und davon könnte abhängen, wie viele Menschenleben die nächste Impfkampagne rettet – oder eben nicht.