In einem Beitrag hatte ich mich bereits über einen polemischen Kommentar von Ulli Kulke bei der Welt aufgeregt, der Aussagen von Dr. Phil Jones, Direktor der Climate Research Unit (CRU) ins Gegenteil verdrehte und damit ihn und CRU diffamierte. Dies ist, wie schon Dr. Stefan Rahmstorf feststellte, kein Einzelfall. Kürzlich hat sich Kulke erneut zu dem Thema ausgetobt, der bei der Welt offensichtlich Narrenfreiheit bei klimabezogenen Themen hat.
Die Schmiererei unter dem Titel „Die verlorene Unschuld der Klimaforschung“ ermöglicht den Blick in ein fremdartiges Paralleluniversum, in dem vermutlich auch Schweine fliegen können. Ich greife mal ein paar Absonderlichkeiten heraus und lasse den Rest als kleine Übung für den Leser.
Über Phil Jones schreibt Kulke, er stehe „im Verdacht, Daten „getuned“ oder wenigstens unsauber verarbeitet und verschlampt zu haben.“ Kulke läßt erstmal offen, daß es um Metadaten zu einem Artikel 1990 zusammen mit Wang geht. Der Leser soll glauben, daß die Temperaturzeitreihe der CRU im Verdacht stünde, gefälscht zu sein, worauf er aber erst weiter unten eingeht. Davon kann aber keine Rede sein. Daten zu Stationsstandorten in China waren bei Wang verloren gegangen. Dazu hatte es eine Untersuchung gegeben, in deren Ergebnis Wang vom Vorwurf der Schlamperei oder der versuchten Täuschung freigesprochen wurde. Jones selbst hatte die Metadaten gar nicht und konnte sie daher auch nicht verschlampen. Außerdem ist der Verlust der Metadaten praktisch folgenlos, weil 2007 eine neue Untersuchung bestätigt hatte, daß die Verlegung einiger 1990 verwendeten Stationen das Ergebnis der Studie nicht beeinflusst hat. Das alles enthält Kulke den Lesern natürlich vor. Stattdessen setzt er zu seinem Fälschungsvorwurf hinzu: „In mehreren Interviews gestand er dies jetzt auch ein, seit Dezember ist er beurlaubt.“ Gelogen, Jones hat keineswegs das Fälschen oder Tunen von Daten eingestanden, wie könnte er das denn? Und Jones wurde nicht beurlaubt, sondern er selbst läßt sein Amt während laufender Untersuchungen ruhen. Und vermutlich kann er derzeit bei der laufenden Diffamierungskampagne, in der die britische Presse eine Lüge nach der anderen auffährt und den wiederholten Morddrohungen sowieso nicht vernünftig arbeiten, bis sich die Aufregung wieder gelegt hat. Tatsächlich gibt es derzeit keinen belegten Vorwurf gegen CRU.
Vom Rücktritt von Yvo de Boer spannt Kulke einen Bogen zu Rajendra Pachauri, dem (ehrenamtlichen) Vorsitzenden des IPCC, von dem Kulke behauptet, fast alle maßgeblichen Klimaforscher würden seinen Rücktritt fordern, weil er die Verantwortung trüge für angebliche Übertreibungen in den IPCC-Berichten, namentlich für „(…) angeblich dramatisch ansteigende Naturkatastrophen, Abschmelzen der Himalaja-Gletscher in 25 Jahren, Untergang der Niederlande, Austrocknung des Amazonaswaldes und weiter Teile Afrikas und anderem mehr.“ Diese Punkte hatte ich bereits angesprochen. Und später erneut. Und wahr ist davon nur, daß es einen Fehler bei der unterstellten Geschwindigkeit des Abschmelzens der Himalaya-Gletscher an einer Stelle im Bericht gab. Diesen Fehler hat das IPCC deutlich sichtbar im Bericht korrigiert. Der Rest sind Lügen, die von britischen Journalisten verbreitet wurden und ein fähiger Journalist hätte das inzwischen recherchiert. Kulke natürlich nicht.
Das war aber nur zum Aufwärmen – hier kann man mit einem zugedrückten Auge noch sagen, Kulke versucht seine Leser irrezuführen, wandelt aber noch so gerade auf dem Grat zwischen Irreführung und Lüge. Doch dann kommt es dicke. Er schreibt: „Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften, die dem Weltklimarat im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis verliehen hatte, kritisiert inzwischen öffentlich seinen Laureaten IPCC.“ Man kann noch mit Inkompetenz entschuldigen, daß Kulke hier nicht weiß, daß der Friedensnobelpreis von einem Komitee des norwegischen Parlaments vergeben wird. Die Schwedische Akademie hat damit nichts tun. Sie hat auch nicht das IPCC kritisiert. Für diese Behauptung bemüht Kulke erst einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz einer Meinungsäußerung des Akademiepräsidenten und dann einen Bericht der Akademie vom 22. September 2009. Und hier ist die Lüge, die beabsichtigte Falschaussage. In dem Bericht steht das genaue Gegenteil von dem drin, was Kulke unterstellt. Den Bericht kann man hier einsehen.
Kulke: „Bemerkenswert ist, dass die Akademie bereits im September 2009 auf Distanz gegangen war.“ Lüge, der Akademie-Bericht bezieht sich sogar mehrfach auch auf den IPCC-Bericht.
„Noch bevor die gehackten Emails manche Ungereimtheiten aus der Forschung von Phil Jones und seiner Kollegen ans Licht brachten(…)“ Falsch, aus den Emails ergab sich keine einzige „Ungereimtheit“ der Forschung am CRU.
„In einem eigenen Papier zur Erderwärmung bemerkte damals schon die schwedische Akademie, dass erst noch untersucht werden müsse, inwieweit menschliche oder natürliche Ursachen auf die Klimaentwicklung einwirkten,(…)“ Lüge, das steht keineswegs in dem Bericht. In dem Punkt 3 werden Klimavariationen der letzten 12000 Jahre angesprochen, im Punkt 8 zusätzliche Einflüsse neben den menschengemachten. Aber in Punkt 10 steht unmissverständlich „However, based on detailed theoretical and modelling studies, IPCC concludes that the observed warming of the climate from around 1970 is in broad agreement with the increase of greenhouse gases and aerosols and consequently considers this to be the most probable main cause of the present global warming.”
“Zwischen den „sogenannten“ Treibhausgasen und dem Klimawandel gebe es „keinen einfachen direkten (räumlichen oder zeitlichen) Zusammenhang“.“ Lüge durch Irreführung. Der Bericht nimmt es als Tatsache, daß Treibhausgase zu einer globalen Erwärmung führen, von „sogenannten“ kann da keine Rede sein. Die zitierte Formulierung stammt aus dem Punkt 11 und bezieht sich dort darauf, daß der Erwärmungseffekt der Treibhausgase und der Abkühlungseffekt bestimmter Aerosole sich teilweise gegenseitig kompensieren. Vor dem zitierten Halbsatz steht „The relation between the change in climate and changes in greenhouse gases and aerosols is complex,(…)” und damit wird direkt klar, daß hier die Komplexität des Zusammenhangs angesprochen wird, nicht aber, wie Kulke die Leser glauben machen will, daß der Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Klimawandel in Frage stünde.
Einfach nur boshaft ist „Von einer offiziellen Aufforderung, den Preis zurückzugeben, ist bislang nichts bekannt.“ Wieso auch? Es gibt überhaupt keinen Ablauf zur Rückgabe von Nobelpreisen und auch niemanden in Norwegen, der auch nur auf die Idee kommen könnte, das IPCC hätte den Preis zurückzugeben. Das ist eine rhetorische Figur der politischen Polemik. Man formuliert eine Diffamierung mit dem Hinweis, dies sei bislang nicht erwiesen. Dadurch kann man nicht mit einer Verleumdungsklage belangt werden, hat aber trotzdem die Diffamierung in die Welt gesetzt. Die Zuhörer ergänzen dann für sich, daß „bislang“ bedeutet, daß sich das jederzeit ändern kann und Beweise für die Unterstellung auftauchen werden. Im Kontext der zuvor geäußerten Lügen wird auch das eine Lüge: dem Leser wird suggeriert, die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften habe die Absicht, den (von ihr nicht verliehenen) Nobelpreis vom IPCC (obwohl die Akademie mit einem Bericht im September 2009 die Feststellungen des IPCC bekräftigt) zurückzufordern, die offizielle Aufforderung dazu sei aber, aus welchen Gründen auch immer, bislang nicht bekannt.
Für den von den Niederlanden dem IPCC falsch gemeldeten Anteil des Landes unter dem Meeresspiegel kann man bei RealClimate nachschauen, um Kulkes Rhetorik reichtig zu bewerten. So richtig dreckig wird es erst danach.
Kulke: „Aus der Klimawissenschaft mehren sich indes in den letzten Wochen auch Zweifel, ob bei den terrestrischen Temperaturmessungen selbst überhaupt alles mit rechten Dingen zuging.“ Eine freie Erfindung, es sei denn, man nimmt Blogbeiträge von antiwissenschaftlichen Leugnern als „die Klimawissenschaft“. Worauf gründet sich diese Unterstellung? Kulke schreibt: „Ob etwa aufgrund der Reduktion der weltweiten Messstationen um drei Viertel während der letzten Jahrzehnte – von etwa 6000 auf 1500 in – Zug um Zug in wärmeren Regionen gemessen wird.“ Falsch, und das zeigt sich sogar in fünf Punkten. Es gibt keine Reduktion der Messstationen, sondern es gibt Meßnetze, die innerhalb von Tagen ihre Temperaturmessungen anderen Wetterdiensten und der WMO und eben auch CRU die Daten zugänglich machen und andere, bei denen es Wochen, Monate oder gar Jahre dauert. Es ist also nicht die Zahl der Meßstationen zurückgegangen, sondern die Zahl der Stationen, für die bereits Daten vorliegen, nimmt naturgemäß ab, sobald wir uns auf die Gegenwart zu bewegen. In einigen Jahren wird also die Zahl der zwischen 2000 und 2010 meldenden Stationen dramatisch zugenommen haben. Falsch ist auch, daß die verbleibenden Stationen selektiv in wärmeren Regionen messen würden. Das ist eine freie Erfindung Kulkes. Außerdem korrelieren Temperaturanomalien über so große Strecken, daß das Stationsnetz für Zwecke der Klimabeobachtung mehrfach überbelegt ist. Verschiedene Arbeiten zeigen dies und daß man auch bei einer Ausdünnung der Messnetze zu den gleichen globalen und sogar regionalen Temperaturtrends kommt (siehe unten und auch bei Menne et al.). Weiterhin sind 70% der Erdoberfläche Meere, die von einer geringeren Zahl meldender Stationen gar nicht betroffen sind. Und selbst die Satellitendaten zeigen keineswegs, daß es systematische Abweichungen der Art gibt, die Kulke sich da ausdenkt. Alles zusammen also Stuß, den uns Kulke da verkaufen will. Da macht er aber nicht halt.
Kulke schreibt weiter: „Oder ob bei der – notwendigen – statistischen Aufbereitung Fehler unterlaufen seien, versehentlich. Oder absichtlich?“ Letzteres wäre eine Unterstellung eines Betruges. Das sollte sich Kulke noch mal überlegen, ob er das will, denn wegen übler Nachrede kann man verklagt werden, vor allem, wenn man das so völlig frei aller Belege dafür macht. Noch nicht mal seine angeblichen Fehler in der statistischen Aufbereitung kann Kulke belegen. Welche sollen denn das sein? Da müssten sämtliche globalen Temperaturzeitreihen, egal aus welcher Quelle, alle konsistent die gleichen Fehler enthalten, denn die Zeitreihen sind hochgradig korreliert und die bestehenden Abweichungen sind bekannt. Zum Beispiel unterschätzt die globale Zeitreihe von CRU, HadCruT den aktuellen Temperaturanstieg etwas, weil die Datenlücke in der Arktis nicht durch extrapolierte Werte von benachbarten Stationen gefüllt wird, wie das bei NASAs GISStemp und der Zeitreihe NCDC der NOAA geschieht.
Keineswegs mehren sich aus der Klimawissenschaft die von Kulke unterstellten Zweifel – es sind die bekannten Leugner in ihren Blogs, die olle Kamellen auftischen. Kulke führt nämlich den zum Meteorologen geadelten Wetterreporter Joseph d’Aleo an, der in seinem Blog ohne jeden Beleg behauptete „die Temperaturerwärmung gegen Ende des 20. Jahrhunderts sei weltweit allein der willkürlichen Auswahl von Messtationen geschuldet.“ Tamino beweist in seinem Blog das Gegenteil, indem er tut, was d’Aleo selbstverständlich vermeidet: er rechnet nach! Und ist damit nicht allein.
Also: Kulke beruft sich auf einen Bericht, in dem das Gegenteil von dem steht, was er unterstellt, er diffamiert Klimaforscher, indem er den Eindruck vermittelt, sie würden Daten fälschen oder verschlampen, obwohl er dafür keine Belege hat, er übernimmt ungeprüft Behauptungen aus Blogs oder von einzelnen britischen Journalisten (Rose und Leake), die bereits als Lügen widerlegt wurden, und macht aus dem ganzen eine antiwissenschaftliche Polemik, in der Kernfeststellungen der Klimaforschung geleugnet werden. Kulke ist als Journalist untragbar, denn es geht um mehr als Inkompetenz, es geht um Lügen, die die Zeitung „Die Welt“ auf das schwerste kompromittieren. Es ist ein Skandal!
Hallo for4zim,
AntwortenLöschendanke für den Artikel.
Ich denke, Kulkes Artikel sind ein Fall für den Presserat.
Presserat ist auch eine gute Idee. Ich war bisher nur so weit, der Welt einen bösen Brief zu schreiben.
AntwortenLöschenHmm, wie wäre es auch mit je einem Brief an die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften und das Komitee des norwegischen Parlaments - da wäre dann eventuell eine Gegendarstellung drin und das wäre dann DAS PR-Debakel für Kuhlke.
AntwortenLöschenIch glaube, keines der Gremien wäre interessiert genug, auf den Kommentar in einer deutschen Zeitung zu reagieren. Und ich denke auch, daß der Bericht der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften an sich schon Gegendarstellung genug ist, ohne daß Kulke ein PR-Debakel empfindet. Möglicherweise ist der Mann schmerzfrei...
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