Mittwoch, 7. September 2011

Wolken über der Fachbegutachtung

Die Leugner des wissenschaftlichen Sachstands zum Klimawandel spielen auf einer breiten Palette von Instrumenten. An einem Ende sind platte wissenschaftsfeindliche Tiraden in den Medien und Blogs, am anderen werden die Instrumente wissenschaftlichen Arbeitens für eigene Zwecke genutzt. Dazu gehört es, nach Wegen zu suchen, die wissenschaftliche Fachbegutachtung auszutricksen oder zu umgehen oder wissenschaftliche Artikel für die eigenen Zwecke umzudeuten. Der Skandal um einen Artikel von Roy Spencer und Braswell in der noch jungen Fachzeitschrift für Fernerkundung Remote Sensing gehört zu dieser Seite der Leugneraktivität und bietet ein Déja Vue, schwache Wissenschaft und ein Beispiel für die Bedeutung der Umdeutung von Forschungsergebnissen in Medien und Blogs.

Der Hintergrund zum Ganzen ist, daß die Leugnerszene damit gescheitert ist, die Grundsätze des wissenschaftlichen Sachstands zum Klimawandel anzuzweifeln. Kein Wissenschaftler kann mehr anzweifeln, daß es derzeit global wärmer wird oder daß es einen Treibhauseffekt gibt, ohne dadurch als ein Narr zu erscheinen. Gerlich und Tscheuschner haben etwas in dieser Art versucht, aber sie sind auch nicht vom Fach und, mit Verlaub, der polemische Stil ihres Beitrags zum Thema ist so fern einer seriösen wissenschaftlichen Erörterung des Themas, daß man an der grundsätzlichen naturwissenschaftlichen Kompetenz der Herren zweifeln muß. Doch interessant an diesem Fall ist, daß auch hier mit Tricks versucht wurde, die Fachbegutachtung auszuhebeln, die ja eine erste Plausibilitätsprüfung für Fachbeiträge darstellt.

Die Tricks, mit denen Pseudowissenschaft in fachbegutachtete Literatur geschmuggelt wird:


(1)  Publikation in einer themenfremden Fachzeitschrift.
(2)  Ausnutzung eines befreundeten oder politisch förderlichen Herausgebers oder Redakteurs.
(3)  Auswahl genehmer Fachgutachter oder einfach Nachlässigkeit und Überforderung der Fachgutachter.
(4)  Publikation in einem Journal mit niedrigem Profil und geringer Ablehnungsrate – Hauptsache der Artikel kann als fachbegutachtet vorgezeigt werden.
(5) vage Darstellung des Themas im Artikel, die zulässt, daß man den Beitrag seriös deuten kann und Nachlieferung der unseriösen Deutung in der öffentliche Diskussion.
(6) Bearbeitung eines Details, das an sich genommen korrekt dargestellt wird, mit der Möglichkeit unzulässiger Verallgemeinerung in der öffentlichen Debatte; Aufblasen an sich unbedeutender Abweichungen als totale Widerlegung.
(7) Arbeiten, in denen Daten so ausgewählt werden, daß sie ein gewünschtes Ergebnis ergeben bzw. manipulativer Einsatz von Theorie, Modell und Daten.

Gerlich und Tscheuschner publizierten zum Beispiel in einem themenfremden Journal (1), hatten dort anscheinend einen befreundeten Redakteur (2) und einen genehmen sowie einen nachlässigen Fachgutachter (3) und konnten so unplausible und polemische Unterstellungen als fachbegutachteten Artikel herausgeben. Hätten sie recht, wäre die Klimaforschung mittlerweile mitten in einer dramatischen Revolution und Gerlich und Tscheuschner in der Diskussion für einen Nobelpreis. Im Gegenteil aber fanden Meteorologen und Klimatologen den absurden Beitrag noch nicht einmal einer Erwiderung wert.

Auch Essex, McKitrick und Andresen sind mit der Nutzung eines themenfremden Journals gut gefahren. In diesem Fall haben sie behauptet, es gäbe keine globale Temperatur, ein Schmarrn, mit dem sie sich natürlich an keine Fachzeitschrift für Meteorologie, Klimatologie oder Geophysik wenden durften. Also traf hier mindestens Punkt (1) zu, mit Verdacht auf Punkte (2) und (3), denn wer soll bei einem Journal für Nichtgleichgewichtsthermodynamik schon genauer die Hintergründe bei meteorologischen Meßreihen und Methoden kennen?


McLean, DeFreitas und Michaels (2009) hatten wiederum zwar in dem passenden und angesehenen Journal of Geophysical Research publizieren können, aber ihre These, daß der Klimawandel nur die Folge einer Aneinanderreihung von ENSO-Zyklen sei, war so fehlerhaft und unsinnig, daß man Mutmaßungen zu Punkt (3) machen muß. Punkt (7) wurde dann von Foster et al. (2009) nachgeliefert - der Umgang mit Daten war manipulativ.

Neben dem offensichtlichen Unsinn gibt es aber auch andere Möglichkeiten, Zweifel zu streuen. Die wichtigste Methode ist dabei, die Klimasensitivität kleinzureden (im Gegensatz zu einer Vielzahl von Arbeiten dazu) und die globale Erwärmung über alternative Theorien zu erklären. Üblicherweise bemüht man hier zusätzliche Strahlungsantriebe durch die Wolkenbedeckung, die auf geheimnisvolle Art und Weise durch kosmische Einwirkung, Sonnenaktivität oder unerklärte interne Variabilität des gekoppelten Systems von Atmosphäre und Meeren angetrieben wird. Doch da die Diskussion darüber auch schon seit über 20 Jahren läuft, wird es auch hier für Leugner immer enger. Hier gab es gleich drei Einschläge im Leugnerlager, die von jenen zu letzten Nägeln im Sarg der Theorie zum menschengemachten Klimawandel uminterpretiert werden (letzte Nägel gibt es seit über 20 Jahren mindestens wöchentlich, was Klimawandelleugner genauso beeindruckt, wie das Ausbleiben des vorhergesagten Weltuntergangs die Jehovas Zeugen). Da war die Arbeit von Lindzen und Choi, On the determination of climate feedbacks from ERBE data, Geophysical Research Letters, 36, L16705 (2009), in der anhand willkürlich ausgewählter Perioden des Wetters über den tropischen Ozeanen behauptet wurde, man hätte einen Beleg dafür, daß es eine negative Rückkopplung für die globale Erwärmung durch die Bewölkung gibt. Legt man die gewählten Perioden geringfügig anders, kann man zu gegenteiligen Ergebnissen kommen. Zudem lassen sich in Lindzen und Choi (2009) erhebliche Fehlinterpretationen des tropischen Klimasystems und der Anwendung von Klimamodellen finden. Alles in allem Punkt (7) in der obigen Liste, aber hier muß schon von Experten die fehlerhafte Arbeit auseinandergenommen werden. Trenberth, Fasullo, O’Dell und Wong, Relationships between tropical sea surface temperature and top-of-atmosphere radiation, GRL 37, L03702, (2010) widerlegen nicht nur Lindzen und Choi (2009), sondern überhaupt vereinfachende Modelle, die eine negative Rückkopplung auf die globale Erwärmung durch Wolken unterstellen sollen.

Nicht zufrieden damit, daß eine Arbeit widerlegt worden ist, versuchten Lindzen und Choi unter Ausnutzung des Status von Lindzen als Mitglied der National Academy of Sciences im zugehörigen Journal eine Fortführung der Arbeit im zugehörigen Journal PNAS unterzubringen. (Zum selben Thema Hintergründe bei Stoat.) Hier sollte Punkt (3) greifen, indem Lindzen und Choi als Gutachter die erklärten Gegner des wissenschaftlichen Standardmodells Will Happer wählten, der noch nie zu Klimathemen publiziert hatte, und Ming-Dah Chou, der zusammen mit Lindzen dessen Theorie eines Iris-Effektes der Erde publiziert hatte, also hier die eigene Theorie begutachten würde. Als PNAS seinerseits vier Experten die Arbeit begutachten ließ, gab es vier Ablehnungen in der Fachbegutachtung, zum Teil aufgrund gravierender fachlicher Mängel, zum Teil, weil Lindzen und Choi die Kritik von Trenberth et al. (2010) in keiner Weise entkräftet hatten. Dies waren wohl auch schon die Gründe dafür, daß Lindzen und Choi diese Arbeit nicht dort publizieren können, wo es eigentlich geplant war, nämlich in Geophysical Research Letters als direkte Antwort auf Trenberth et al (2010).

Echte Verschwörungstheoretiker kann man nun daran erkennen, daß an dieser Stelle die Immunisierung der eigenen „Crank“-Theorie einsetzt. Laut Lindzen ist seine Arbeit nämlich fachlich sehr gut und die einmütige Ablehnung durch alle seriösen Fachleute nur Folge einer IPCC-gesteuerten Verschwörung, die Fachbegutachtung zur Abwehr aller IPCC-kritischen Arbeiten zu nutzen. Sozusagen eine Entschuldigung auf dem Niveau „der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen“. Denn zum einen gibt es genug IPCC-kritische Arbeiten, die es in Fachjournale geschafft hatten, zum anderen kann man die Fachgutachten nachlesen und sich davon überzeugen, daß diese nachprüfbare Schwächen in der Arbeit von Lindzen und Choi benennen. Die Arbeit wurde schließlich im koreanischen Asia-Pacific Journal of Atmospheric Sciences veröffentlicht (Richard Lindzen&Jong-San Choi: On the observational determination of climate sensitivity and its implications, Asia-Pacific J. Atm. Sci., 47(4), 377, 2011.)(***), was Lindzens Behauptung, die IPCC-Verschwörung verhindere eine Publikation seiner Arbeiten, ausgesprochen paranoid erscheinen läßt. Gut war es trotzdem nicht, was man da durchließ. Andrew Dessler erläuterte, daß die Vorstellung, Wolken könnten Abkühlungen oder Erwärmungen des tropischen Ozeans antreiben im Gegensatz dazu, daß Erwärmungen und Abkühlungen der Ozeane die Entstehung von Wolken antreiben, mit den vorliegenden Daten nicht vereinbar ist. Und antwortet damit zugleich auf eine andere Publikation.

Lindzen und Choi waren nämlich nur das Vorspiel für den Skandal um die Arbeit von Spencer und Braswell (2011). Auch jene behaupten, daß Wolken eine stark negative Rückkopplung für die globale Erwärmung wären. Man sollte vermuten, daß Spencer und Braswell die Diskussion zwischen Lindzen und Choi (2009) und Trenberth et al. (2010) unbedingt erwähnen müssten, da letztere ja sehr definitiv dargelegt hatten, daß ein negativer Wolkenfeedback anhand ausgewählter Episoden und mit vereinfachten Modellen eben nicht belegt werden kann. Das war aber nicht der Fall. Auch sind die Aussagen, die Spencer und Braswell da machen, in ihrer Konsequenz sehr stark (IPCC widerlegt), während die dafür angeführten Daten und vereinfachten Modelle eher schwach sind (**). Man vermutet also schon Punkt (5) und (7) der obigen Liste und sieht das insbesondere daran, daß in den Leugnerblogs die Arbeit als Beweis begrüßt wurde, daß die Klimasensitivität viel niedriger sei, als vom IPCC akzeptiert und die globale Erwärmung daher nicht vorwiegend vom Menschen verursacht sein könne, übrigens die gleiche Reaktion, die es auf die widerlegte Arbeit von Lindzen und Choi (2009) gab. Da das Machwerk im Journal Remote Sensing publiziert wurde, das nach eigener Beschreibung sich nicht mit der Analyse von Klimadaten oder der Untersuchung klimatischer Prozesse beschäftigt, trifft zudem Punkt (1) der obigen Liste zu, immer schon ein Alarmsignal. Der Skandal erwiese sich als solcher, als der leitende Redakteur des Journals Wolfgang Wagner zurücktrat und eine Erklärung abgab, warum die Arbeit von Spencer und Braswell nie hätte publiziert werden dürfen, nämlich aufgrund der Schwächen, die ich oben angegeben hatte und die man an anderem Ort detailliert nachlesen kann. Realclimate bringt die Fälle Lindzen und Choi und Spencer und Braswell in eine Gesamtschau und verweist auf Andrew Dessler. Bei Andrew Dessler kann man genauer nachlesen, warum schon die Annahmen von Spencer und Braswell genauso wie bei Lindzen und Choi der Realität bei den Wärmeflüssen über den Ozeanen widersprechen.


Nebenbei erwähnt Wagner beim Spencer und Braswell-Skandal auch, daß die Fachbegutachtung hier wohl gescheitert sei, weil die gewählten drei Gutachter anscheinend die gleichen Ansichten zum Thema hatten wie Spencer selbst, und damit Punkt (3) der obigen Liste erfüllt war. Die Fachbegutachtung war nicht wirklich unabhängig und ein unabhängiger Gutachter hätte wohl nachgefragt, warum Spencer und Braswell Trenberth et al. (2010) nicht erwähnen. Ein kritischer Gutachter hätte es wohl auch für unnötig gehalten, den wiederholten Aufguß einer widerlegten These zu publizieren. Vermutlich ist es gravierender, daß Spencer und Braswell ihnen bekannte Erwiderungen auf ihre These verschwiegen hatten, als eine fehlerhafte Analyse durchzuführen und ihre vagen Ergebnisse dann in den Schlußfolgerungen zu übertreiben.

Auch Spencer reagiert wie Lindzen. Die ablehnende Reaktion der Fachwelt oder der Rücktritt des Redakteurs und seine Erklärung, die die Publikation von Spencer und Braswell zum Skandal machen sieht Spencer nicht etwa als Hinweis, daß an seinen Thesen was faul ist, vielmehr erklärt er trotzig, es hätte ihm in seiner ganzen wissenschaftlichen Karriere nur ein Fehler nachgewiesen werden können und die fachbegutachteten Journale steckten in einer Verschwörung des IPCC, kritische Arbeiten herauszuhalten. Nicht er liege falsch, sondern fast alle anderen Wissenschaftler auf dem Gebiet. So hat Spencer zwar nicht den finalen Nagel in den Sarg der Theorie zur menschengemachten Erwärmung eingeschlagen, aber immerhin den letzten Rest eigener wissenschaftlicher Seriosität begraben. Und dazu gleich ein Déja Vue geliefert. 2003 traten von Storch und die Hälfte der übrigen Redakteure des Journals Climate Research zurück, weil einer der Redakteure (de Freitas) ein Machwerk von Soon und Balliunas durchwinkte. Auch damals war die Fachbegutachtung unterlaufen worden (Punkte 2 und 3), hatte dem Magazin seine Reputation gekostet, allerdings nicht verhindert, daß die Leugnerszene Soon und Balliunas als Zeugen anführen, daß die globale Erwärmung nur ein Schwindel sei. Die Arbeit von Soon und Balliunas beschrieb den Klimawandel der letzten 1000 Jahre als Folge von Änderungen der solaren Aktivität und stoppelte unterschiedliche Proxydaten für Niederschlag und Temperatur so zusammen, daß der Eindruck erweckt wurde, daß es in diesen 1000 Jahren zeitweilig deutlich wärmer war als gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Die Fehler in der Arbeit waren so gravierend, daß sie von Fachleuten als lächerlich oder absurd beschrieben wurden.

Es bleiben ein paar Fragen: Sollte es die Gegner des Sachstandes zum Klimawandel nicht langsam stören, daß ihre präsentierten Zeugen, wie Lindzen, Spencer, Svensmark, Soon, Douglas, Idso (die ganze Familie), McKitrick, nur mit Schwierigkeiten ihre abweichenden Darstellungen in seriösen Journalen unterbringen können? Und daß Wissenschaftler, die den anerkannten Sachstand zum Klimawandel vertreten, mehr publizieren, öfter zitiert werden und relevantere Arbeiten zum Thema erstellen? Sollte es nicht zu denken geben, daß der Weg zur Publikation meistens befreundete Redakteure, genehme Gutachter, fachfremde Journale oder gar Fringe-Postillen wie Energy&Environment erfordern (letztere publiziert als Soziologie-Magazin alle möglichen Leugnerbeiträge, die sich mit naturwissenschaftlichen Fragen zu beschäftigen vorgeben und hat eine Redakteurin, die öffentlich zugibt, sie wollen eine Gegenmeinung zum IPCC aufbauen)? Sollte es nicht zu denken geben, daß mindestens seit zwei Jahrzehnten verkündet wird, eine neue Publikation würde die Theorie zum Klimawandel widerlegen, aber sich kein einziges Mal die Fachwelt davon beeindruckt zeigt? Der einzige Weg, bei all diesen Fragen nicht zum Ergebnis zu kommen, daß die Klimawandelfraktion schon längst ein esoterischer Zirkel ist, ähnlich wie die Evolutionsgegner und die Gegner der Relativitätstheorie, Impfgegner und Homöopathieanhänger, Anthroposophen und verschiedenste Verschwörungstheoretiker, ist anzunehmen, daß die Wissenschaftler weltweit in ihrer Mehrheit Teil einer großen nazi-kommunistisch-ökologischen Verschwörung zur Unterdrückung der Wahrheit und Errichtung einer IPCC-Weltherrschaft seien. Und wenn man bei Lindzen und Spencer (*) zwischen den Zeilen liest: von dieser Verschwörungstheorie sind sie nicht mehr weit entfernt.

(*) Zitat von Spencer: "...there is a bust-gut effort going on to make sure that either (1) no scientific papers get published which could get in the way of the IPCC’s politically-motivated goals, or (2) any critical papers that DO get published are discredited with any and all means available."

(**) Weitere Details zur Widerlegung von Spencer und Braswell und von Lindzen und Choi findet man bei Skeptical Science.

(***) Korrektur: nicht im Journal of Geophysical Research, sondern im Acia-Pacific Journal of Atmospheric Sciences brachten Lindzen und Choi schließlich ihren Artikel 2011 unter.

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