Sonntag, 15. Januar 2012

Klimawandel ohne Zinsen

Wenn wir den Treibhauseffekt verschiedener Substanzen vergleichen, haben wir immer ein grundsätzliches Problem. Ihr relatives Erwärmungspotential verändert sich im Laufe der Zeit. Kohlendioxid hat eine lange Lebenszeit im gekoppelten System Atmosphäre - Biosphäre - obere Schichten der Ozeane. Würde man das Erwärmungspotential als J/je emittierte Tonne über 1000 Jahre messen, wäre CO2 eines der wirkungsvollsten Treibhausgase. Über kürzere Zeitskalen wird es jedoch von Gasen wie Methan in den Hintergrund gedrängt. Gängige Zahlenwerte sind eine um einen Faktor 25 stärkere Treibhauswirkung als CO2 über 100 Jahre und ca. 81 momentan bei Methan. Solche Zahlen hängen von Annahmen über die jeweiligen Verweildauern in der Atmosphäre ab und erfordern entsprechende Modellrechnungen. Die Versuchung ist groß, nur auf die kurzfristig viel höhere Treibhauswirkung bestimmter Gase oder kurzlebiger Substanzen wie schwarzem Kohlenstoffaerosol zu schauen und zu postulieren, daß der Klimawandel einfacher zu bekämpfen sei, wenn man sich auf die Reduktion der Emissionen von Methan und schwarzem Kohlenstoffaerosol beschränkte. In diesem Sinne wird gerade eine neue Studie falsch interpretiert, die zusammenstellt, welche Maßnahmen hier besonders effizient sein sollen.


Der Denkfehler dahinter, man könnte eine Minderung der CO2-Emissionen durch die Minderung der Emissionen anderer Treibhausgase ersetzen, hatte ich schon früher erläutert. Damals war diese Idee durch das sogenannte Hartwell-Paper propagiert worden, ein Propagandapamphlet der Leugner-Szene, getarnt als ökonomisches Traktat. Ich hatte darauf hingewiesen, daß zum Beispiel schwarzes Kohlenstoffaerosol aufgrund seiner kurzen Lebenszeit schnell aus der Atmosphäre verschwinden wird, wenn die Quellen dafür eingeschränkt werden. CO2 hingegen bleibt zu einem wesentlichen Teil über 1000 Jahre im Kreislauf mit der Atmosphäre, bevor es deponiert werden kann. Daher muß dessen Konzentrationszuwachs zuerst eingeschränkt werden, denn einmal emittiert, bleibt es in historischer Zeit praktisch ewig klimawirksam. Für Methan gilt dies nicht ganz, aber weitgehend. Zudem sind viele Quellen für Methan und schwarzen Kohlenstoffaerosol gemeinsame Quellen mit CO2, wie Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe oder Abholzung und Verbrennung von Biomasse. Das heißt, einige Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen reduzieren gleichzeitig auch die Emissionen kurzlebiger Treibhausgase. Nicht zuletzt ist keine Volkswirtschaft daran gehindert, die Emissionen von CO2 zusammen mit den Emissionen kurzlebiger Treibhausgase zu vermindern - dies gilt um so mehr, als die üblicherweise propagierten Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen solche sind, die sich in einer gewissen Zeit armortisieren sollen.

Im Sinne des Hartwell-Papers fand ich nun kürzlich einen Spiegel-Artikel, der einen absurden Titel hat: "Forscher finden einfachste Wege zur Klimakühlung". Nun kann man Journalisten nicht dafür verantwortlich machen, was die Kollegen, die die Schlagzeilen texten, aus ihren Artikeln machen. In dem Artikel geht es keines wegs um Maßnahmen, das Klima zu kühlen, sondern darum, die Erwärmung etwas zu mindern. Und die dazu gefundenen Wege sind auch nur einfach in einem bestimmten Kontext. Von 400 verschiedenen Wegen, die Emissionen von Methan und schwarzem Kohlenstoffaerosol zu mindern, wurden die 14 ausgewählt, die die geringsten Kosten bei der Minderung des Klimaantriebs erzeugen. Axel Bojanowski, schon früher von mir für inkompetente Berichterstattung zum Klimathema gescholten, stellt des so dar, als handelte es sich hier um eine Alternative zur Reduktion von CO2-Emissionen. Angesichts des Scheiterns der Klimakonferenzen bei der Einrichtung eines verbindlichen Rahmens für eine Erweiterung des Kyoto-Abkommens müßte man demnach vorerst auf Anstrengungen zur CO2-Minderung verzichten und stattdessen andere Treibhausgase einschränken. Doch wenn Methan nach 20 Jahren noch 72mal so wirksam ist wie die gleiche Gewichtsmenge an emittiertem CO2, ist es nach 500 Jahren nur noch 7,6mal so wirksam. Angesichts der viel höheren Gesamtemissionen von CO2 im Vergleich zu Methan führt auf Dauer nur die Emissionsminderung von CO2 zu einer langfristigen Stabilisierung des Erdklimas für die kommenden Generationen.

Die Arbeit, die der Spiegel hier etwas einseitig propagiert, ist bei weitem nicht so bedeutend, wie dargestellt. Die Wissenschaftler um Drew Shindell, die hier eine Einstufung verschiedener Maßnahmen über die Bewertung mit einem Klimamodell vornahmen, haben dies keineswegs als eine Alternative zur Reduktion von CO2-Emissionen gesehen, sondern als eine Ergänzung, die zusätzlich den Effekt hat, auch Todesfälle durch Luftverschmutzung und Ernteausfälle durch Ozon zu reduzieren. (Schon in der ersten Abbildung wird klar, daß erst die Kombination mit der CO2-Minderung zu einer nachhaltigen Abbremsung der Erwärmung führt - leider nicht mit in den unterstützenden Materialien, die ohne Bezahltzugriff online sind.) Wenn man alleine schon die Zusammenfassung des Artikels durchsieht, stellt sich Bojanowskis Charakterisierung als Verfälschung dar durch eine Verschiebung der eigentlichen Gewichte in der Arbeit.

Die einzelnen Maßnahmen ausgewählten brauche ich hier nicht zu diskutieren. Sie haben zu einem großen Teil eine Besonderheit: es sind Maßnahmen, die nicht in erster Linie von den USA umgesetzt werden müssen. Luftverschmutzung durch Ruß und Methan ist ein Problem, das stärker als die CO2-Emissionen in Asien und in Schwellen- und Entwicklungsländer auftritt. Das ist für US-basierte Ökonomen und Politiker der besondere Charme von Maßnahmen gegen den Klimawandel, die alternativ zu CO2 andere Treibhausgase aufgreifen. Und genau das macht es fragwürdig, wenn solche Maßnahmen als Alternativen zur CO2-Reduktion diskutiert werden.

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