Donnerstag, 10. Oktober 2013

Wir verlassen den Garten

Der Garten ist die Erde mit den Bedingungen, an die die heute lebenden Arten und ihre Ökosysteme gewohnt sind. Es wird im Laufe der Zeit wärmer oder kälter, feuchter oder trockener und die Lebewesen in ihren jeweiligen Lebensräumen müssen diese Veränderungen aushalten. Sie haben eine gewisse Toleranz zu Änderungen ihrer Umwelt entwickelt. Mit dem Klimawandel sind wir dabei, diesen Garten zu verlassen, in dem die Veränderungen ein überschaubares Maß hatten. Wir können nicht erwarten, dass die Arten im Garten, dass die Ökosysteme, die hier entstanden sind, den Schritt aus dem Garten heraus überstehen. Doch wie wissen wir, wann wir den Garten verlassen? Es gibt dazu eine neue Arbeit, die gerade in verschiedenen Blogs diskutiert wird - zum Beispiel bei skeptical science oder bei Rabett Run. Ich möchte auch einen Blick hinein werfen.

Es ist die Rede von einem Artikel von Camilo Mora, Abby G. Frazier, Ryan J. Longman, Rachel S. Dacks, Maya M. Walton, Eric J. Tong, Joseph J. Sanchez, Lauren R. Kaiser, Yuko O. Stender, James M. Anderson, Christine M. Ambrosino, Iria Fernandez-Silva, Louise M. Giuseffi und Thomas W. Giambelluca, erschienen  in Nature 502, 183-187 (2013) - leider nur für Abonnenten oder gegen Bezahlung zugänglich. Allerdings gibt es eine klickbare Karte und ausführliches Material unter Moras Webseite (der Download der ganzen Dateien umfasst 1 GByte). Der Ansatz ist eigentlich einfach. Man betrachte zum Beispiel die Temperaturen über einen bestimmten Zeitraum, etwa 150 Jahre. Die Annahme ist also, dass Arten oder Ökosysteme sich an die Variabilität der Temperatur in diesem Zeitraum angepasst haben. Das bildet den Garten. Die Frage ist dann, ab wann eine Klimaänderung dazu führt, dass dieser Garten verlassen wird, also Temperaturwerte auftreten, die außerhalb der alten Variabilität liegen. Die Frage kann man weiter unterteilen:  wann wird der Garten zuerst nur einmal verlassen, wann dreimal hintereinander und wann dauerhaft? Die Antwort hängt natürlich auch davon ab, ob man jetzt Jahresmittelwerte oder Monatsmittelwerte betrachtet. Letztere variieren stärker, der Garten ist hier also größer. Dadurch muss das Klima sich stärker verändern, um den Garten, also den Bereich der gewohnten Variabilität, zu verlassen.

Bevor ich die Resultate anspreche, etwas über die Grenzen und Probleme der Methode. Selbstverständlich kann man nicht so einfach sagen, dass sich Arten oder Ökosysteme an die letzten 150 Jahre angepasst haben. Es könnten auch die letzten 1000 oder die letzten 10000 Jahre sein. Angepasst heißt auch nicht, dass sich die Arten nicht an ein geändertes Klima anpassen können. Aber sie brauchen dazu Zeit. Ändert sich das Klima zu schnell, und können die betroffenen Tier- oder Pflanzenarten nicht in ein anderes Gebiet mit den gewohnten Verhältnissen abwandern, können diese Arten unter Stress schließlich aussterben. Die Autoren haben untersucht, was es ausmacht, wenn man die Zeitspanne verlängert, die man als Garten betrachten will. Die Antwort ist, es verschiebt den Zeitpunkt, an dem man den bekannten Bereich der Variabilität verlässt, nach hinten. Aber nicht wirklich viel. Andererseits enthält die Zeitspanne, die den Bereich des gewohnten Klimaregimes vorgeben soll, bereits den beginnenden Klimawandel und dadurch eine erhöhte Variabilität. Die müsste man erst wieder herausrechnen. Dieser Effekt kompensiert teilweise den anderen Effekt der verlängerten, betrachteten Zeitperiode, an die sich die bestehenden Ökosysteme und Populationen gewöhnt haben. Wenn man also im Hinterkopf behält, dass aus verschiedenen Gründen eine Unsicherheit des Verfahrens von vielleicht 20 Jahren besteht (zusätzlich zum statistischen Fehler, den die Autoren mit 14 bzw. 18 Jahren angeben je nach Stärke der Treibhausgasemissionen), erhält man doch einen guten Begriff davon, ab wann die Tiere und Pflanzen auf der Erde unter gefährlichen Stress einer sich stark ändernden Umwelt geraten.

Mora et al. haben aber mehr gemacht. Hätten sie nur die Erde als ganzes betrachtet, wäre letztlich nur eine Zahl herauskommen, über die man mit einem Achselzucken hinweggegangen wäre. Aber der Zeitpunkt, an dem der Garten verlassen wird, ist ein anderer, je nachdem, welchen Teil der Erde man betrachtet. In den Meeren sind die Bedingungen besonders konstant. Hier verlässt man schon bei kleinen Temperaturänderungen den Bereich, an den die Lebewesen angepasst sind. In den hohen Breiten, in der Arktis etwa, wandeln sich die Bedingungen im Laufe der Zeit sehr stark. Daher muss es schon starke Änderungen geben, damit die gewohnte Variabilität der Umwelt in der Arktis verlassen wird. Allerdings ist die Temperatur in den Tropen oder in den Meeren auch nicht so sensibel für die globale Erwärmung wie die Temperatur in der Arktis. Man muss daher schon gut wissen, was die Klimamodelle für die verschiedenen Bereiche der Erde vorhersagen und was dort in der Vergangenheit beobachtet wurde. Das ist mit ein Grund, dass nur 144 Jahre als Bereich der gewohnten Variabilität betrachtet werden - dafür liegen geeignete Modelldaten vor, die die historischen Beobachtungen wiedergeben.

Beispiel für die Feststellung des Zeitpunkts, an dem die gewohnte Temperaturvariabilität (grau) verlassen wird (aufgrund der historischen Zeitreihe - blau) für ein Szenario mit Emissionsminderungen (gelb) oder mit dauerhaft hohen CO2-Emissionen. Hier irgendein Punkt in den Tropen. Berechnet in diesem Fall mit Institut Pierre Simon Laplace Earth System Model CM5A-MR. Quelle: http://www.soc.hawaii.edu/mora/TimingPlots/data.html

Genutzt werden die CMIP5 Modellsimulationen, die auch in den 5. IPCC-Bericht eingehen. Dabei wurden zwei Szenarien herausgegriffen - RCP 8.5 ist die Entwicklung der Treibhausgase, die der gegenwärtigen ähnelt und RCP 4.5 eine Entwicklung, bei der erhebliche Maßnahme zur Emissionsminderung durchgesetzt wurden. Das zweite Szenario gibt uns nur etwas mehr als 20 Jahre zusätzliche Zeit, denn entweder 2069 oder ohne Emissionsminderungsmaßnahmen schon 2047 verlässt die globale Temperatur den bisher gewohnten Bereich. Die beiden Zahlenwerte sind nicht sehr verschieden, weil die globale Erwärmung bisher uns bereits weit in Richtung der Grenze unseres Gartens geführt hatte. Dass wir in ihm drin bleiben, ist ganz ansgeschlossen, wir können höchstens mit Emsisionsminderungsmaßnahmen den Klimawandel verlangsamen und damit Zeit erkaufen, damit die Arten eine größere Chance haben, sich an die geänderten Bedingungen anzupassen

Richtig interessant wird es, wenn man schaut, wann die gewohnten Verhältnisse in den verschiedenen Lebensräumen verlassen werden. Dann sieht man, dass die Meere und die Tropen als erste den gewohnten Bereich verlassen. Das ist ein Problem. Denn das heißt zum Beispiel, dass ärmere Länder zuerst vom Klimawandel getroffen werden. Reiche Länder haben nicht nur mehr Geld, um Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren, sie haben auch noch mehr Zeit, um auf den Klimawandel zu reagieren. Es ist noch mehr ein Problem, weil es besonders gefährlich ist, dass gerade die Meere vom Klimawandel sehr früh betroffen sind. Hier geht es dann nämlich gleich auch um den Sauerstoffgehalt und um den pH-Wert, die ebenfalls die Lebensbedingungen im Meer beschreiben. Der Sauerstoffgehalt sinkt bei steigender Temperatur. Der pH-Wert wird von den Autoren auch als eigene Größe betrachtet und ist bereits gerade dabei, den Bereich des Gartens, der gewohnten Bedingungen, zu verlassen.

Wenn man weiß, wann eine Region den gewohnten Bereich der Umweltbedingungen durch den Klimawandel verlässt und weiß, welche Lebewesen dort leben, kann man natürlich auch sagen, wann bestimmte Arten oder Ökosysteme unter Druck geraten. Auch hier liefern Mora et al. entsprechende Daten. Nach denen verlassen Korallenriffe oder Mangrovenwälder als Lebensräume schon mehr als 20 Jahre früher als die Erde insgesamt den gewohnten Bereich bei der Temperaturvariabilität. Bedenkt man, dass gerade diese Lebensräume besonders wichtig sind, zum Beispiel die Korallenriffe als Kinderstube vieler Fischarten, macht diese Darstellungsform des Klimawandels eindringlich deutlich, dass wir schon in naher Zukunft wichtige Ökosysteme der Erde unter großen Stress setzen. Die Frage ist dann, welche Arten können dann noch mit der Geschwindigkeit des Klimawandels mithalten und welche werden wir dann verlieren.

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