Sonntag, 17. Februar 2019

Klimareligion

Wenn man mit Leugnern zu tun hat, begegnet man gelegentlich dem Vorwurf, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel eine Religion darstellten. Sie seien nicht vernunftgeleitet, sondern entstammten einem naiven Glauben, der Mensch mache sich an der Umwelt schuldig und müsse diese „Sünden“ abbüßen. Diese Unterstellung ist eine Projektion, denn es sind die Leugner, die vernünftigen Argumenten nicht zugänglich sind, sondern einen antiwissenschaftlichen Glauben predigen. Die Unterstellung, die Warnung vor dem Klimawandel sei eine Religion, begegnet einem sogar in den Kommentarspalten eigentlich seriöser Medien. So hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung auch mit Joachim Müller-Jung einen Wissenschaftsjournalisten, der in den letzten Jahren seriös über den Klimawandel berichtet hat. Seine Glossen zum Klimawandel hatten mir weniger gefallen und einmal bin ich ihn auch hart angegangen, als er mal die ganze Wut über inkompetente Berichterstattung und Kommentierung über die Angriffe von Leugnern gegen Wissenschaftler abbekam, aber man kann sich diesen Artikel von ihm anschauen, um einen guten Überblick über aktuelle Größen des Klimawandels zubekommen. Im Wirtschaftsteil der FAZ hingegen fand man kürzlich einen Kommentar mit unterirdischem Niveau. Eine religiöse Predigt, die seit über 15 Jahren bekannte Rhetorikspiele von Leugnern wiederholt. Kann sich die seriöse FAZ so etwas leisten?



Die Rede ist von dem Kommentar zur Energiewende „Klimareligion mit Ablasshandel“ von Holger Steltzner. Steltzner ist Wiederholungstäter: kürzlich hatte er schon einen Kommentar mit demTitel „Klimaschutz als Religion“ verbrochen. Indem man der gegnerischen Position unterstellt, sie vertrete eine Art Religion, behauptet man, dass es keine sachlichen Argumente für jene Einstellung geben könne. Also braucht man selbst nicht mit Fakten zu argumentieren. Eine rhetorischer Trick, der es einem bequem machen soll und ein Einstieg in ein Pamphlet, das statt mit Argumenten mit Verdrehungen und logischen Fehlern arbeitet.

Die erste Verdrehung ist dabei, zwei Dinge zu vermengen, die nichts miteinander zu tun haben. Es gibt einen Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Basis der Kenntnisse zum Klimawandel und der politischen Schlussfolgerungen, die man daraus zieht. Es gibt verschiedene Wege, mit denen man die Emissionen von Treibhausgasen unterbinden kann. Sie können unterschiedlichen Zeitplänen folgen und unterschiedliche Instrumente nutzen, mit Steuern, Förderungen oder Emissionszertifikaten arbeiten. Doch eines ist außerhalb der Diskussion: es gibt einen anthropogenen globalen Temperaturanstieg, der das Klima verändert und potentiell zu großen Schäden führen wird, so lange Treibhausgase emittiert werden – die Reduktion der CO2-Emissionen auf Null in absehbarer Zukunft ist alternativlos. Auch das deutsche Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) ist politisch zu verstehen und könnte mit gleicher Zielsetzung auch ganz anders gestaltet werden. Die Gleichsetzung einer bestimmten politischen Lösung mit der Reduktion der Treibhausgasemissionen ist also auch nur ein rhetorischer Trick, um nicht eine alternative Strategie für das vorschlagen zu müssen, das alternativlos ist: die Senkung der Treibhausgasemissionen auf letztlich einen Wert bei Null.

Steltzner müsste nach seiner Logik eigentlich fordern, dass die Instrumente zur Reduktion der CO2-Emissionen in Deutschland wirksamer sind, denn er kritisiert am Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG), dass es teuer war, aber Deutschland seine CO2-Emissionen dadurch kaum absenkte.Wozu muss er dann aber von einer angeblichen Klimareligion schreiben? Ist das Problem nicht eher eines der Prioritätensetzung, dass nämlich die Abschaltung der Kernenergie prioritär war, die der Braunkohlekraftwerke und die Unterbindung des Braunkohleabbaus hingegen nicht? Das scheiterte aber nicht am EEG, sondern daran, dass man die Arbeitsplätze im Braunkohleabbau schützen wollte. Warum schweigt Steltzner darüber?

Neben dem Religionsvorwurf gegen Klimaschützer gibt es noch einen weiteren infamen Vorwurf. Steltzner schreibt: „Wer Zweifel äußert, ob der übermäßige Ausstoß eines einzigen Moleküls wirklich allein für die Erwärmung der Erde verantwortlich sein kann, wird von manchen Klimaschützern als Klima-Leugner verunglimpft. Warum rückt man Kritiker in die Nähe von Holocaust-Leugnern?“ Das Wort Leugner bedeutet nur, dass jemand etwas leugnet. In diesem Fall geht es um Personen, die den Stand der Klimaforschung leugnen. Ob der übermäßige Ausstoß einer Sorte Moleküle (nicht eines einzigen Moleküls) alleine für die globale Erwärmung verantwortlich sein kann, ist eine Frage, die sich wissenschaftlich eindeutig klären lässt. Wer aber diese wissenschaftliche Klärung anzweifelt, ohne auf der wissenschaftlichen Ebene diskutieren zu können, und dabei gar gesicherte Fakten bestreitet, der wird mit dem Wort „Leugner“ nicht verunglimpft, sondern korrekt beschrieben. Der infame Vorwurf ist nun die Unterstellung, es könne nur eine Sorte Leugner geben: Holocaust-Leugner. Was sind dann Leugner der Evolutionstheorie oder Leugner der Relativitätstheorie oder Leugner der Kugelgestalt der Erde? Hat man hier je unterstellt, dass das Wort „Leugner“ nur der Gleichsetzung mit Holocaust-Leugnern dient? Der Vorwurf ist unlogisch, er ist infam, er soll Leugner des wissenschaftlichen Standes zur Klimaforschung gegen die Anklage, dass sie festgestellte Fakten und ausdiskutierte Ergebnisse sachgrundlos weiter leugnen immunisieren.

Steltzner möchte also den wissenschaftlichen Sachstand der Klimaforschung leugnen, hat aber keine guten Argumente dafür. Deshalb will er sich vor Kritik immunisieren, indem er diese Kritik als Gleichsetzung mit Holocaustleugnung verurteilt und Wissenschaftler als religiöse Sektierer bezeichnet, die also von vornherein keine Sachargumente haben, die man berücksichtigen muss. So offen kann er das aber nicht hinschreiben, deshalb verpackt er das in rhetorischen Rauch und Spiegeln, damit man die Trickserei nicht sieht.

Den Klimawandel kann man laut Steltzner nicht auf Treibhausgase alleine zurückführen. Nun macht das auch niemand. In den IPCC-Berichten werden neben den Treibhausgasen als Klimaantriebe auch Aerosole, Vulkanismus, Sonneneinstrahlung, interne Variabilität und andere Einflüsse diskutiert, wie etwa Landnutzungsänderungen. Alle Klimaantriebe werden aufgrund von Beobachtungen in ihrer Größe und ihrem zeitlichen Verlauf eingeschätzt, Unsicherheiten genannt und so dargestellt, zu welcher Zeit welche Klimaantriebe wie stark die globale Temperatur beeinflussen konnten. Seit ca. 1970 übertrifft der Klimaantrieb aus Treibhausgasen alle anderen Klimaantriebe. Es gibt verschiedene Darstellungen dazu aus den IPCC-Berichten und ich wähle eine davon aus, die im 5. IPCC-Bericht den globalen Temperaturanstieg nach der HadCrut4-Zeitreihe Klimaantrieben zuordnet.

 
Observed: Temperaturanstieg nach HadCrut4 1951-2010 gegenüber berechneten Temperaturanstiegen aufgrund folgender Klimaantriebe - GHG: Treibhausgase, OA: andere anthropogene Effekte, vor allem Sulfataerosol, ANT: Summe anthropogener Antriebe, NAT: natürliche Antriebe, Internal Variability: Effekte der Umverteilung von Wärme zwischen Ozeanen und Atmosphäre und innerhalb der Ozeane. Dünne Striche geben Unsicherheitsbereiche an. Aus: 5. IPCC-Bericht, naturwissenschaftlciher Teil, Kapitel 10.

Seit 1950 sind natürliche Klimaantriebe in der Summe vernachlässigbar. Der Einfluss der anthropogenen Treibhausgase kompensiert teilweise abkühlende Effekte der ebenfalls von Menschen erzeugten Sulfataerosole, so dass die Treibhausgase alleine etwa 120% der globalen Erwärmung erklären würden. Die gesamte Klimaerwärmung nach 1950 ist vom Menschen verursacht, und über 60% davon durch CO2, der Rest durch die übrigen Treibhausgase. Steltzner leugnet alles, und macht die Geologie mitverantwortlich. Was meint er damit? Er schreibt „wandernde Pole“. Er spricht auch von der Erdachse oder von der Sonnenaktivität. Dies sind alles beobachtbare Größen, und die einen spielen über eine Zeitspanne von Jahrhunderten keine Rolle, die Sonnenaktivität hingegen ist als Klimaeinfluss zu gering variabel – wir wissen es, weil diese Größe direkt beobachtet wird. Die ebenfalls als Ursache genannte Abholzung der Regenwälder wird entweder im CO2-Budget oder bei der geänderten Landnutzung berücksichtigt und geänderte Siedlungsstrukturen ist ein vager Begriff, der alles Mögliche heißen kann. Im Grunde wirft Steltzner, ohne Ahnung zu haben, irgendwelche Bröckchen hin, damit alles andere möglich ist, nur nicht das, worauf sich Klimaforscher schon längst geeinigt haben. Auch dies ist ein alter Trick der Leugner – die Debatte durch das Einwerfen möglichst vieler angeblicher Alternativen zu verwirren, obwohl die Beobachtungen und Rechnungen seit über 30 Jahren eindeutig geklärt haben, was die globale Erwärmung verursacht.

Es gibt noch einen vierten Leugnertrick. Steltzner versucht die Leugner als vernünftige Menschen zu beschreiben, denen man zu Unrecht Unvernunft unterstellt. Er schreibt: „Die allermeisten kritischen Geister leugnen nicht das Tauen von Gletschern, Polkappen und Permafrostböden.“ Eine ähnliche Bemerkung ist, dass die Leugner ja den Klimawandel gar nicht leugneten – das Klima hätte schon immer gewandelt, aber nicht wegen dem Menschen. Die menschliche Verursachung ist aber der eigentliche Punkt. Deshalb können wir nämlich auch effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel treffen: Reduktion der Treibhausgasemissionen auf Null in absehbarer Zeit.

Steltzner redet über unlogisches Verhalten von Menschen, das er als Ablasshandel bezeichnet. Aber wenn jemand wegen des Klimaschutzes zur Arbeit mit dem Fahrrad fährt, im Urlaub aber nach Neuseeland fliegt oder eine Kreuzfahrt macht, passt das natürlich nicht zusammen. Das ist aber kein Argument gegen den Klimaschutz. Hier handelt es sich nur um das Aufbauen eines Strohmannes. Es ist auch nicht im Sinne des Klimaschutzes, wenn die biologischen Bestandteile im E10-Benzin aus Palmölplantagen stammen, für die Regenwälder gerodet werden. Das E10-Benzin sollte vielmehr die Autoindustrie von durchgreifenden Maßnahmen zur Emissionsreduktion der Autos entlasten. Auch hier nur ein Strohmannargument. Unlogisch wird es beim Thema Insektenschutz. Ob Herbizide die Nahrungsgrundlage von Insekten zerstören, hängt nicht davon ab, ob Pflanzen für Nahrungsmittel doer für Treibstoffe angebaut werden. Und wenn Steltzner den Flächenverbrauch durch Windräder anprangert, hat er ja formal nicht unrecht, aber mengenmäßig ist das Unfug, wenn er es nicht in Relation zum Flächenverbrauch von Straßen, Siedlungen, Bahnstrecken oder Überlandleitungen setzt. Der Flächenverbrauch durch Windräder ist dagegen vernachlässigbar.

Und ist Deutschland, wie Steltzner unterstellt, damit beschäftigt, Klassenprimus beim Einsparen von Treibhausgasen zu sein? Leider nicht. Großbritannien hat beispielsweise weitaus besser seien Klimaziele erfüllt, obwohl der Niedergang der Schwerindustrie und ineffizienten Strukturen in Ostdeutschland eine praktische Starthilfe war.

An Ende hat Steltzner den vermeintlich besten Plan zur Klimarettung: Begrenzung des Bevölkerungswachstums. Frage: will Steltzner, dass es weniger Deutsche gibt. Antwort, nein. Wer das Bevölkerungswachstum begrenzen will, um den Klimawandel zu begrenzen, meint in Wahrheit eine Welt, in der es gefälligst weniger dunkelhäutige Menschen geben soll, denn jeder ahnt, dass die Weltbevölkerung am stärksten in Afrika, teilweise auch im nahen und mittleren Osten und in Süd- und Mittelamerika wächst. Bezüglich der Treibhausgasemissionen ist aber die Emission pro Kopf eine wichtige Größe. Danach braucht es in vielen Ländern gut 20 bis 100 Menschen, um die Klimalast eines Deutschen (8,88 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr) aufzuwiegen. In der Demokratischen Republik Kongo emittiert man pro Kopf und Jahr nur 0,03 Tonnen CO2, in Tansania 0,19 Tonnen, in Nigeria 0,46 Tonnen, in Äthiopien 0,11 Tonnen CO2. Nehmen wir an, dass 40 weitere Afrikaner so viel emittieren wie ein Deutscher. Was schützt also das Klima mehr: wenn Deutschland seine Treibhausgasemissionen halbiert oder wenn im gleichen Zeitraum zwischen Nigeria und Äthiopien ein Zuwachs um 800 Millionen Menschen verhindert wird? Die Emissionsminderung in Deutschland wäre demnach immer noch doppelt so wirksam. Eine Minderung des Bevölkerungswachstums ist wünschenswert. Aber wir können in Deutschland nicht dafür sorgen, dass es weniger Afrikaner gibt. Wir können aber die eigene Verbrauchskultur so ändern, dass wir am Ende CO2-neutral werden. Diese Maßnahme ist ohne Alternative, egal wie stark die Weltbevölkerung noch wächst, denn wir emittieren so viel, wie 3,2 Milliarden Afrikaner emittieren würden – so viele Afrikaner gibt es gar nicht. Steltzners Ablenkung auf das Bevölkerungswachstum bedeutet nur, dass Deutschland gar nichts tun soll – ein weiteres Strohmannargument.

Steltzner ist ein weiterer Leugner wissenschaftlich geklärter Fakten, der mit Unterstellungen, Immunisierungen und Strohmannargumenten arbeitet. Leider bietet ihm die FAZ eine Plattform, um diesen Unsinn in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Damit tut sich die eigentlich sehr seriöse Zeitung keinen Gefallen.

2 Kommentare:

facepalm hat gesagt…

Ich verstehs nicht.

Ich kenne wirklich keine andere Personengruppe, die so geil darauf zu sein scheint, sich selbst mit Holocaustleugnern zu vergleichen, als die Klimawandelleugner.

Wahrscheinlich eine Projektion, da sie selbst wissen, dass Klimawandelleugnung halt ebenfalls moralisch verkommen ist: https://www.nytimes.com/2018/11/26/opinion/climate-change-denial-republican.html

J. Zimmermann hat gesagt…

Ja, wirklich frappierend. Und danke für den Link - inhaltlich nicht neu, aber gut geschrieben.