Samstag, 15. Mai 2010

Wie der Journalismus versagt

Dumm, inkompetent, Journalist? Warum eigentlich überkommt einem beim Blick durch die Zeitungen das Gefühl, daß hier ein ganzer Berufsstand auf breiter Front versagt? Journalisten können vielleicht Agenturticker in knackigen Meldungen zusammenfassen, sie können Politiker zu verfänglichen Aussagen verleiten und Skandale basteln, die mehr oder weniger treffend sind, aber wenn es darum geht, ein korrektes Bild über ein komplexes Thema zu vermitteln, ziehen Journalisten in der Regel die Versagerkarte. Und wie das geht, das sehen wir wieder bei einem aktuellen Beispiel.

Nachdem ja Journalisten bereits in skandalöser Weise fabrizierte Falschinformationen (Verzeihung, das Wort heißt - Lügen!) der Leugnerlobby in einer Serie von -gates verbreitet hatten und es auch nicht für nötig befanden, die Korrekturen in gleichem Umfang nachzureichen, ja, wie im Beispiel des Spiegels das Loch, daß sie sich gegraben hatten, zu einer Untiefe des Grauens ausschachteten, befanden es immer mehr Wissenschaftler für an der Zeit, sich zu diesen Angriffen auf die Wissenschaft zu Wort zu melden. In Science unterschrieben auf Initiative von Peter Gleick 255 Mitglieder der US-Akademie der Wissenschaften einen Kommentar unter dem Titel: "Climate Change and Integrity of Science", in dem sie ausdrücklich die Feststellungen der Klimaforschung unterstützten und sich gegen die Verbreitung von Lügen und ein Klima antiwissenschaftlicher Verfolgung wehrten. Für mich wäre das eigentlich keine Meldung wert, weil bekannt sein sollte, daß sämtliche Vereinigungen von Wissenschaftlern sich zu den Grundaussagen der Klimaforschung bekennen und auch jede wissenschaftliche Kommission, die sich bisher mit dem Thema befaßt hatte, immer zu den gleichen Ergebnissen gekommen war - der Klimawandel erfolgt durch Treibhausgase, ist real, ist meßbar und auf Dauer bedrohlich, deshalb muß die Emission von Treibhausgasen in kurzer Zeit drastisch reduziert werden. Es ist ein Konsens, der sich seit Jahrzehnten entwickelt hat und die Ergebnisse der Forschung haben permanent nur die Unsicherheit dieses Konsenses verringert, aber keien Argumente dagegen geliefert.

Daß es für mich keine Meldung wert ist, bedeutet aber nicht, daß die Medien nicht verpflichtet wären, über diese Erklärung von Akademiemitgliedern zu berichten. Die Medien haben immerhin verbreitet, daß es Skandale gegeben hätte und deshalb die Klimaforschung unter Beschuß stünde und sogar in Teilen in Frage stünde. Falschmeldungen, teilweise brutal gelogen (wie im Fall des notorischen Lügenreporters Kulke oder durchgängig der Wissenschaftsredaktion des Spiegels), und daher in dringender Not zu einer Korrektur. Da wäre es eine Sache des Anstandes, wenn die Medien angemessen diese Botschaft von 255 Wissenschaftlern, die meistens bereits Publikationen zu Themen vorweisen, die einen Bezug zum Klimawandel haben und deshalb angeschrieben wurden, verbreiten würden. Tatsächlich aber wurden der Kommentar der Wissenschaftler vom Wall Street Journal, von der New York Times und von der Washington Post zurückgewiesen, als Peter Gleick jeweils dort zunächst ihren Kommentar zur Veröffentlichung anbot. In allen diesen Zeitungen waren Falschmeldungen zu angeblichen Skandalen der Klimaforschung verbreitet worden, die sich in Wahrheit nur als Skandale von Journalisten herausstellten. Journalisten wie zum Beispiel Leake und Rose, die gelogen hatten. Erst Science war bereit, den Kommentar zu drucken. Und danach fand sich kaum eine Zeitung bereit, darüber zu berichten, auch der Spiegel nicht, auch die Welt nicht, auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung nicht und schon gar nicht die oben genannten amerikanischen Zeitungen. Für Lügen war Platz, für die Information der Leser nicht.

Und dann wurde doch über den Science-Artikel berichtet. Der Kommentar wurde nämlich, nicht von den Wissenschaftlern, sondern in der Redaktion, mit einem Bild versehen. Ein Eisbär auf einer Eisscholle im Meer. Das kommt durchaus vor. Es gibt auch echte Bilder davon. In dem Fall aber hatte die Redaktion nur eine Photomontage gefunden. Unwichtig, nicht wahr? Das Bild hat sowieso mit dem Kommentar der Wissenschaftler nicht viel zu tun, es ist nur Dekoration, nicht wahr? Natürlich nicht für die Leugner. Da sie zur Sache keine Argumente haben, können sie ja nur an Details und Nebensächlichkeiten herummäkeln. Ihre Botschaft war: das Bild sei gefälscht. Und daher müsse die Botschaft der Wissenschaftler auch falsch sein. Das ist so lächerlich, daß intelligente Menschen einen solchen Unfug ignorieren würden. Peter Gleick wies darauf hin, daß dies die konfuse Logik der Leugner aufdeckt, und daß in der Tat Eisbären, die auf einzelnen Eisschollen im Meer treiben, vorkommen, daß aber die ganze Leugnerdebatte kein einziges Argument zum Klimawandel vorgebracht hat. Aber wir haben es hier mit Journalisten zu tun. Mit Menschen, die keine Zeit haben, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. Mit Menschen, die ihr Geld damit machen, daß sie über Skandale und Konflikte schreiben. Über Klatsch. Die sich keineswegs in der Pflicht sehen, Menschen über ihre komplizierte Welt zu informieren, um sie kompetent zu machen. Die für ihren Unterhaltungswert bezahlt werden. Selbstverständlich ist das einzige, was Journalisten überhaupt in größerer Zahl dazu bewegt, über eine Botschaft von Akademiemitgliedern zu schreiben, ein angeblicher Skandal. Den Initiator der Aktion bringt dies sogar zu sarkastischen Feststellungen, daß wohl die falsche Bildwahl der Scienceredaktion das beste war, was ihrem Kommentar passieren konnte, denn dadurch erhielt er eine bessere Verbreitung. Besser konnten Journalisten eigentlich nicht demonstrieren, wie beliebig ihre Informationsauswahl ist, wie dumm und inkompetent sie arbeiten, wie überflüssig ihre Medien sind, die meiner Meinung nach allesamt ruhig pleite gehen können. Denken Sie daran - die Informationen, die Sie hier finden, hätten eigentlich in dem FAZ-Beitrag finden müssen, in dem stattdessen nur ein Plagiat der Leugnerbotschaft zu dem Scienceartikel steht - Titel: "Manipuliertes Manifest: Von der Kunst, die Klimadebatte aus das Glatteis zu führen". Joachim Müller-Jung, Wissenschaftsreporter mit getrübtem Blick, hat hier ganze Arbeit geleistet, um sich zu blamieren. Hat er etwas über die Sabotage an der Klimaforschung geschrieben? Nein. Zur politischen Verfolgung von Klimaforschern in den USA? Irgendetwas? Nein. Zu der Serie von Lügen der Leugnerlobby? Nein. Zu den entlastetenden Untersuchungen zur Klimaforschung? Nein. Aber daß eine Photomontage als Layoutbeigabe zu einem Kommentar diesen widerlegen könnte, das findet der Mann berichtenswert. Ist das zu glauben?

Der einzige Berufsstand, der noch arroganter und selbstgerechter als Richter und Ärzte ist, ist der der Journalisten. Sich korrigieren, wieso denn? Fehler eingestehen? Wie denn, welche Fehler? Qualitätskontrolle? Das haben doch Journalisten nicht nötig. Der Presserat spricht ab und zu Rügen aus, nach einer bürokratischen Prozedur, die sofort zusammenbrechen würde, wenn Menschen auf die Idee kämen, mal sämtliche Falschberichterstattungen der Medien konsequent zu melden. Und was geschieht nach so einer Rüge? Folgendes:

Beeindruckend, nicht wahr?

Jetzt war mal die Chance, zum Thema Klimawandel das Bild wieder geradezurücken. Und die gesamte Medienlandschaft versagt. Sie bringen nicht die Meldung, sie bringen das Gemecker über das zugehörige Lay-Out. Bravo, Joachim Müller-Jung, auf diesen Beitrag können Sie stolz sein. Denn es war eine absolut typische Leistung Ihrer Zunft. Dumm, inkompetent, am Thema gescheitert.

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