Montag, 21. April 2008

Der Strohmannangriff

Im englischen gibt es das schöne Bild des strawman attack. Strawman wäre auf deutsch die Vogelscheuche, aber es kommt dem Bild näher, den Begriff Strohmann zu verwenden als jemand, der als Vertreter vorgeschoben wird, während der wahre Entscheidungsträger im Hintergrund bleibt. In Argumentationen ist das Strohmannargument eines, das als scheinbares Argument der Gegenseite aufgebaut und erfolgreich angegriffen wird, um die Illusion zu erzeugen, die Gegenseite hätte schwache Argumente. EliRabett hat in seinem Blog mal die Liste zusammengetragen und ich möchte sie für meine Zwecke hier ins Deutsche übertragen und anpassen:

1. Greife Argumente an, die gar nicht geäußert wurden.
2. Nehme einen schwachen Vertreter als repräsentativen Vertreter dieser Ansicht.
3. Nehme Zitate aus dem Kontext und argumentiere gegen eine dann untergeschobene Bedeutung der Zitate.
4. Erfinde einen Diskussionsgegner und lasse ihn gewünschte negative Eigenschaften haben.
5. Vereinfache eine Aussage und greife die Vereinfachung an oder mache eine allgemeine Aussage sehr speziell und greife dann das an.

Ergänzung:
Durch einen Beitrag zu diesem Artikel ist mir ein weiterer Punkt aufgefallen, der im weiteren Sinne auch als Strohmannargument aufgefaßt werden kann, nämlich das Pseudoargument. Dabei wird eine Behauptung in die Diskussion eingebracht, die man im weiteren Verlauf so behandelt, als wäre damit eine Sache bewiesen worden, obwohl die Behauptung nicht belegt oder quantifiziert wurde. Oder es wird auch eine bereits widerlegte Behauptung noch mal wiederholt, als sei sie nicht wiederlegt worden. Der Strohmann ist hier also nicht der bequem zu bekämpfende Gegner, sondern ein künstlich erzeugter Verbündeter.
6. Behandele ein Pseudoargument als Beweis für die eigene Position.

Bei den Diskussionen zum Klimawandel mit der kleinen Gemeinde der Leugner begegnen einem Strohmannangriffe häufig. Z.B. gibt das IPCC in seinen Projektionen einen Temperaturbereich an, der bis 2100 eintreten soll, wenn sich Emissionen entsprechend bestimmter Erwartungen entwickeln. Das enthält die Prämisse, daß ein bestimmtes Emissionsszenario eintritt und wird damit automatisch invalide, sobald die Menschheit andere Entscheidungen trifft. Vor allem aber ist damit nicht gesagt, daß die globale Temperatur von jetzt bis 2100 linear gleichmäßig auf den Bereich der Werte für 2100 steigt. Genau dieses wird dann aber behauptet und jede Abweichung von dem gleichmäßigen Temperaturanstieg bis 2100 als Widerlegung der IPCC-Projektionen behandelt. Ein typisches Strohmannargument vom Typ 1.

Strohmannargumente vom Typ 2 werden oft auf Politiker, Journalisten und Filmschaffende angewendet. Al Gore z.B. tingelte mit seinem Vortrag „Eine unbequeme Wahrheit“ durch die Welt und brachte es als Film heraus. In dem Vortrag mögen einige Ungenauigkeiten, Fehler und Übertreibungen stecken. Sie sind aber alle Ungenauigkeiten und Fehler des Teams um Al Gore, aber nicht des IPCC oder der Klimaforschung. Auch Filme wie „The Day after tomorrow“ enthalten massenhaft Übertreibungen und physikalische Fehler. Sie sind aber auch so gemeint, und taugen nicht als Argument, Entscheidungsträger oder Wissenschaftler wollten Hysterie schüren. Und wenn in den Massenmedien Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftlern aufgeblasen oder Außenseitermeinungen als repräsentativ dargestellt werden, dann ist auch das genau das.

Den dritten Strohmann findet man z.B., wenn jemand versucht zu beweisen, daß beim Thema Klimawandel die kritische, wissenschaftliche Debatte unterdrückt werden solle. Dann taucht das Zitat „The debate is over.“ auf. Das Zitat bezieht sich aber darauf, daß die Debatte vorüber sei, ob der Mensch einen Klimawandel verursache, ob dieser erheblich sei und ob wir daher nicht mehr weiter warten dürfen, dagegen Maßnahmen zu treffen. Hier ist der wissenschaftliche Kenntnisstand eindeutig. Unstrittig hingegen ist, daß die wissenschaftliche Diskussion über relevante Themen nie zu Ende ist und es weiter große Felder gibt, in denen erhebliche Unsicherheiten aufzulösen sind.

Zum vierten Strohmannargument fällt mir ein, daß gerne unterstellt wird, es stecke eine politische Frontstellung hinter der Klimadiskussion. Die Vertreter des menschengemachten Klimawandels wären oft radikale Grüne oder Sozialisten, die ihre politische Agenda mit der Wissenschaft vermengen. Dann wird damit argumentiert, wie solche politischen Gruppen daneben gelegen hätten, vielleicht noch garniert mit dem Realitätsabgleich der Prognosen des Club of Rome. Das Argument hat den entscheidenden Fehler, daß die meisten Wissenschaftler in den relevanten Forschungsgebieten kein radikalen Grüne oder Sozialisten sind, viele sind unpolitisch und die Mechanismen in den Naturwissenschaften sind auch so, daß an politischen Gesichtspunkten orientierte Ergebnisse kaum durch peer review und fachliche Diskussion durchkommen. Das Thema Klimawandel an sich ist eines, daß sich für solche Frontstellungen kaum eignet. Sowohl der ehemalige Kanzler Helmut Kohl als auch die frühere britische Premierministerin Margret Thatcher sahen den anthropogenen Klimawandel als großes Problem an und beide standen nicht im Verdacht, Sozialisten oder radikale Gründe zu sein.

Ein Beispiel für den fünften Typ ist es, wenn erklärt wird, CO2 könne nicht Ursache des jetzigen Klimawandels sein, weil die Änderung der CO2-Konzentration immer der Temperaturentwicklung nachgelaufen sei. Damit wird unterstellt, die Klimaforschung kenne immer nur eine Ursache für Klimawandel, und wenn in der Vergangenheit CO2 nicht der Auslöser war, dürfe es das heute auch nicht sein. Das ist natürlich absurd. Es kann immer verschiedene Größen geben, die einen Klimawandel antreiben. CO2 ist wie H2O eine Rückkopplungsgröße. Wenn alles andere konstant bleibt, gasen wärmere Meere mehr CO2 aus, das dann in der Atmosphäre wiederum als Treibhausgas wirkt und den Temperaturanstieg weiter vorantreibt. Diesmal ist es anders. Indem wir das Kohlenstoffreservoir von Kohle, Öl und Gas anzapfen, machen wir diesmal CO2 zur treibenden Kraft des Klimawandels und nicht nur zur Rückkopplungsgröße. Klimaforschern ist wohl bewußt, daß das Klima der Erde von vielen Größen bestimmt wird und Treibhausgaskonzentrationen nur eine darunter ist, allerdings eine, die derzeit eine dominierende Rolle gewonnen hat.

Strohmannangriffe tauchen häufig dann auf, wenn jemand schwache Argumente hat. Insofern ist das nicht auf das Thema Klimawandel beschränkt und kann diese Taktik durchaus auch von solchen angewendet werden, die die Konsensposition zum Klimawandel vertreten. Ganz allgemein muß jeder, der sich auf solche Diskussionen einläßt, mit Strohmannargumenten rechnen. Es spielt allerdings eine Rolle, daß jemand, der die Position vertritt, daß der anthropogene Klimawandel stattfindet, nichts weiter zu tun braucht, als wissenschaftliche Arbeiten zu zitieren, insbesondere die Übersichtsberichte des IPCC, und die Stellungnahmen irgendeiner der Wissenschaftsorganisationen, fachlich zuständigen Gremien, Institute und Behörden. Gegner des Konsenses müssen hingegen für sich Wissenschaft neu erfinden, denn sie wollen ja letztlich als Fachfremde oder Laien die Wissenschaftler im Fach widerlegen. Da ist die Versuchung erheblich größer, zu Strohmannattacken Zuflucht zu nehmen.

3 Kommentare:

Ohne Worte hat gesagt…

Tja, wenn die Wissenschaft nicht reicht, dann versucht man es rhetorisch.

Versuchen wir es noch einmal. Also die Temperatur steigt derzeit nicht linear. Geringere Albedo, weniger Wolken, weniger Sulfataerosole, mehr Wasserdampf, mehr CO2, ...

Alles verstärkende Faktoren der letzten Jahre. Hinzu kommen die überwiegend positiven Wettersysteme (ENSO, NAO, ...) der letzten Jahre.

Man sollte also einen deutlichen Temperaturanstieg beobachten. Die Globaltemperatur steigt aber seit 6,7, ... Jahren nicht mehr. Warum?

Nennen Sie bitte eindeutig, negativ wirksame Feedbacks der Jahre 2002-2008, welche Sie als Wetter und Rauschen bezeichnen. Diese müssen erheblich sein, damit sie all die positiven Faktoren, die ich genannt habe, negativ ausgleichen können.

Das können Sie nicht? Deshal greifen Sie zur Rhetorik. Schade.

J. Zimmermann hat gesagt…

Schönes Beispiel.
"Tja, wenn die Wissenschaft nicht reicht, dann versucht man es rhetorisch. " Könnte Typ 3 sein - es wird unterstellt, der Artikel sei eine Erwiderung auf die Diskussion zum anderen Artikel, obwohl er zum allgemeineren Kontext des gesamten Blogs gehört.

"Also die Temperatur steigt derzeit nicht linear." Typ 1. Das wurde nicht behauptet.

"Geringere Albedo, weniger Wolken, weniger Sulfataerosole, mehr Wasserdampf, mehr CO2, ...
Alles verstärkende Faktoren der letzten Jahre. " Keiner der Größen ist belegt und quanitifiziert und dadurch nachvollziehbar gemacht, wieso das eigentlich ein Argument sein soll. Pseudoargumente, die scheinbar die eigene Ansicht stützen, sind natürlich auch eine Form eines Strohmanns - das sollte ich ergänzen als Strohmann Nr. 6.

"Hinzu kommen die überwiegend positiven Wettersysteme (ENSO, NAO, ...) der letzten Jahre." Wie man hier sehen kann, wirkt sich ENSO genau so aus, daß für einen 6-Jahreszeitraum oder einen 10-Jahreszeitraum insbesondere bis 2007 (Jahresbasis) oder Frühjahr 2008 (Monatsbasis) ein abfallender Trend bei der Temperatur erzeugt wird. Noch ein Strohmann Nr. 6.

"Man sollte also einen deutlichen Temperaturanstieg beobachten. " Strohmann Nr. 1. Für kurze Zeiträume mache ich keine Aussage außer, daß hier Trends nicht signifikant sind.

"Nennen Sie bitte eindeutig, negativ wirksame Feedbacks der Jahre 2002-2008, welche Sie als Wetter und Rauschen bezeichnen. " Strohmann Nr. 1 und auch Nr. 5. Da ich alle Abweichungen vom Trend als Rauschen betrachte, behaupte ich keine eindeutigen, negativen Feedbacks (Nr. 1). Rauschen um eine Trendlinie brauche ich nicht auf etwas bestimmtes einzugrenzen; das Rauschen definiert mir nur die Signifikanz des berechneten Trends (Nr. 5).

"Diese müssen erheblich sein, damit sie all die positiven Faktoren, die ich genannt habe, negativ ausgleichen können." Es wurden hier nie Faktoren belegt und quantifiziert, die tatsächlich zwingend dazu führen, daß die globale Temperatur inklusive Wetteranteil und über die letzten 6 Jahre hätte ansteigen müssen. Das Berufen auf Pseudoargumente fällt wohl auch unter den Typ 6.

"Das können Sie nicht? Deshalb greifen Sie zur Rhetorik." Strohmann Nr. 4. Der Diskussionsgegner, der auf die vorgebrachten Vorhaltungen nichts entgegnen kann, ist erfunden.

Ohne Worte hat gesagt…

„Könnte Typ 3 sein - es wird unterstellt, der Artikel sei eine Erwiderung auf die Diskussion zum anderen Artikel, obwohl er zum allgemeineren Kontext des gesamten Blogs gehört“

6. Stelle dich blöd: Ganz egal welche Beweise und logische Argumente durch den Gegner vorgelegt werden, vermeide grundsätzlich jede Diskussion mit der Begründung dass die Argumentation des Gegners keinem Sinn ergibt, keine Beweise oder Logik enthält.

„Keiner der Größen ist belegt und quanitifiziert und dadurch nachvollziehbar gemacht, wieso das eigentlich ein Argument sein soll. Pseudoargumente, die scheinbar die eigene Ansicht stützen, sind natürlich auch eine Form eines Strohmanns - das sollte ich ergänzen als Strohmann Nr. 6.“

8. Erkläre, das Verbrechen sei zu komplex um jemals die Wahrheit herausfinden zu können.

9. Alice-im-Wunderland-Logik: Suche nur Tatsachen die deine von Beginn an festgelegte Position unterstützen und ignoriere alle Tatsachen die ihr widersprechen.

„Wie man hier sehen kann, wirkt sich ENSO genau so aus, daß für einen 6-Jahreszeitraum oder einen 10-Jahreszeitraum insbesondere bis 2007 (Jahresbasis) oder Frühjahr 2008 (Monatsbasis) ein abfallender Trend bei der Temperatur erzeugt wird. Noch ein Strohmann Nr. 6.“

3.Attackiere ein Strohmann-Argument:
Übertreibe, übersimplifiziere oder verzerre anderweitig ein Argument oder einen Nebenaspekt eines Arguments des Gegners und attackiere dann diese verzerrte Position. Man kann auch einfach den Gegner absichtlich missinterpretieren und ihm eine Position unterstellen die sich dann leicht attackieren lässt. Vernichte die Strohmann-Position in einer Weise die den Eindruck erwecken soll dass somit alle Argumente des Gegners erledigt sind.

„Strohmann Nr. 1. Für kurze Zeiträume mache ich keine Aussage außer, daß hier Trends nicht signifikant sind.“

„Strohmann Nr. 1 und auch Nr. 5. Da ich alle Abweichungen vom Trend als Rauschen betrachte, behaupte ich keine eindeutigen, negativen Feedbacks (Nr. 1). Rauschen um eine Trendlinie brauche ich nicht auf etwas bestimmtes einzugrenzen; das Rauschen definiert mir nur die Signifikanz des berechneten Trends (Nr. 5).“

9. Alice-im-Wunderland-Logik: Suche nur Tatsachen die deine von Beginn an festgelegte Position unterstützen und ignoriere alle Tatsachen die ihr widersprechen.

„Es wurden hier nie Faktoren belegt und quantifiziert, die tatsächlich zwingend dazu führen, daß die globale Temperatur inklusive Wetteranteil und über die letzten 6 Jahre hätte ansteigen müssen. Das Berufen auf Pseudoargumente fällt wohl auch unter den Typ 6.“

8. Erkläre, das Verbrechen sei zu komplex um jemals die Wahrheit herausfinden zu können.

9. Alice-im-Wunderland-Logik: Suche nur Tatsachen die deine von Beginn an festgelegte Position unterstützen und ignoriere alle Tatsachen die ihr widersprechen.

„Strohmann Nr. 4. Der Diskussionsgegner, der auf die vorgebrachten Vorhaltungen nichts entgegnen kann, ist erfunden.“

5.Stelle die Motive des Gegners in Frage. Verdrehe oder übertreibe jeden Fakt um den Gegner aussehen zu lassen als handle er durch eine persönlichen Agenda oder anderen Vorurteilen motiviert. :) :) :)

MfG