Dienstag, 21. Juni 2011

Neuer eingebildeter IPCC-Skandal

In China fallen öfters mal Säcke mit Reis um und in der Blogosphäre findet sich immer wieder mal jemand, der meint, dem IPCC einen Skandal anhängen zu müssen. Diesmal hat Mark Lynas den Wanderpokal. Sein Problem: die Arbeitsgruppe zu Maßnahmen gegen den Klimawandel (WG3) des IPCC hat einen Bericht zu Möglichkeiten herausgegeben, über erneuerbare Energien den Klimawandel zu verlangsamen. Der Bericht liefert auf über 1000 Seiten Informationen zu den verschiedenen alternativen Energien im Vergleich zum heutigen Energieträgermix und mögliche Entwicklungen abhängig von ökonomischen Randbedingungen. Wie schafft man es, da einen Skandal zu finden? Entweder pickt man sich auf den 1544 Seiten irgendeinen nebensächlichen Fehler heraus, den es in so einem langen Bericht unweigerlich geben muß oder man mäkelt an der Vita eines von etwa 120 Autoren herum oder man mißversteht eine Textpassage aus der Zusammenfassung, die aus irgendeinem Grund den Inhalt des Berichts zu verkürzt wiedergibt. Nichts davon macht Mark Lynas, denn es geht noch dümmer.



Mark Lynas nimmt sich die Presseberichterstattung vor, die wiederum die Pressemitteilung des IPCC zu dem Bericht des IPCC interpretiert. Und erfindet gleich eine Verschwörungstheorie dazu. In der Pressemitteilung hebt das IPCC hervor, daß laut dem Bericht erneuerbare Energieträger das Potential hätten, bis fast 80% der gesamten Energieproduktion im Jahr 2050 zu decken und so einen wirksamen Beitrag zu leisten, das 2-Grad-Temperatursteigerungsziel einzuhalten. Etwas weiter wird dann klargestellt, daß es sich dabei um ein Szenario mit einem oberen Grenzwert handelt - was daher heißt, daß es andere Szenarien gibt, bei denen man erheblich weniger Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen hat. Und tatsächlich kann man im Bericht zu den erneuerbaren Energien dann im Kapitel 10 nachlesen, daß es über 160 Szenarien gibt, die den Bereich von um die 15 bis fast 80% Abdeckung durch erneuerbare Energieträger umspannen, je nach angenommenen wirtschaftlichen Randbedingungen und der Entwicklung des zukünftigen Energieverbrauchs. Die Pressemitteilung verkürzt natürlich den Inhalt des Berichts ziemlich. Aber wer außer Lynas kann eigentlich auf die Idee kommen, daß daran etwas ungewöhnliches wäre? Lynas stellt nämlich fest, daß einer der 120 Autoren des Berichts ein gewisser Sven Teske ist, der für Greenpeace Deutschland arbeitet. Und das Szenario, das einen Anteil von fast 80% erneuerbaren Energien bei den Energieträgern ausweist, stammt aus einer Studie, an der Teske mitgearbeitet hatte. Und Greenpeace hat, meint Lynas, eine klare Agenda bezüglich erneuerbarer Energien, weshalb es ein Skandal sei, wenn ein Greenpeace-Mitarbeiter die Inhalte eines IPCC-Berichts mitbestimmen und reißerische Pressemitteilungen dazu schreiben könnte.

Was Lynas aber nicht mitbekommen hat ist, daß Teske nun einmal nur einer von 120 Autoren ist. Daß der IPCC-Bericht eben auch die anderen rund 160 Szenarien berücksichtigt. Daß die Teske et al.-Arbeit fachbegutachtet und sauber referenziert ist. Und daß die Pressemitteilung nicht von Teske geschrieben wurde, sondern von Patrick Eikemeier. Wenn Lynas also meint, Greenpeace hätte hier dem IPCC diktieren können, welchen möglichen Anteil erneuerbare Energien 2050 am Energiemix haben werden, hat er sich mit viel Phantasie eine Verschwörungstheorie ausgedacht, die weitab von der Realität ist. Der Beifall aus Leugnerkreisen ist Lynas dadurch natürlich gewiss. Hätte es Sinn gehabt, darauf hinzuweisen, daß genausogut auch zum Beispiel Raymond Wright von der Petroleum Corporation of Jamaica, einer staatlichen Ölfördergesellschaft, zu den Autoren gehört? Wäre das nicht auch so ein Interessenkonflikt? Im übrigen genauso bedeutungslos wie die Mitarbeit eines Mitarbeiters von Greenpeace. Den Nachweis dafür, daß es einen inhaltlichen Fehler im Bericht gibt, liefert Lynas nicht - und alleine das wäre relevant gewesen.

Nun könnte man über den Sturm im Wasserglas in einem beliebigen Blog, der nur das übliche Echo bei den Leugnerblogs hervorruft, als vorhersehbar, langweilig und belanglos hinweggehen. Doch da gibt es noch solche Leute wie Gerald Traufetter beim Spiegel, der seinen persönlichen Krieg gegen die Wissenschaft betreibt und als Spiegelredakteur den Freibrief hat, den letzten Mist in Millionenauflage zu verbreiten. In einem Beitrag gibt er die Verschwörungstheorie von Lynas wieder, würzt das mit einem Verweis auf Vorwürfe von Steve McIntyre, vergißt nicht, einen Link auf den von ihm mit konstruierten Pseudoskandal beim IPCC zu setzen und vermeidet es tunlichst, die Vorwürfe dem Realitätscheck zu unterwerfen. Und nur deshalb war es mir überhaupt den Aufwand wert, die Verschwörungstheorie von Lynas hier zu erwähnen.

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