Den Kern von Pinkers Buch kann man recht schnell beschreiben (siehe auch diverse Rezensionen, zum Beispiel von Die Zeit). Die Frühzeit des Menschen, als er noch in kleinen Gruppen umherstreifte und vom Sammeln und Jagen lebte, war mörderisch. Es gab oft gewalttätige Auseinandersetzungen, in der Gruppe und zwischen den Gruppen. Für 5 bis 60 Prozent der Jäger und Sammler in prähistorischer Zeit und auch bis in die Gegenwart hinein endete das Leben mit einem Mord.
Statistiken zeigen, daß die Todesraten durch Mord, Krieg und staatliche Eingriffe in dem Maß zurückgingen, wie die menschlichen Gesellschaften komplexer und zivilisierter wurden. Vermutlich war die größere Sicherheit vor Gewalt ein wichtiger Grund dafür, daß Menschen sich dem Aufbau von Staaten unterwarfen. Doch es ging in der menschlichen Entwicklung nicht nur darum, daß Staaten das Gewaltmonopol für sich forderten und durchsetzten. Das Denken der Menschen veränderte sich.
Bis in die jüngste Zeit ging nicht nur die Bereitschaft zu Krieg und Mord in allen Staaten zurück, auch die Bereitschaft, Menschen zu unterdrücken, zu schlagen, zu versklaven, zu benachteiligen oder zu vergewaltigen, ließ nach. Formen des Sexismus und Rassismus, die vor einigen Jahrzehnten noch gesellschaftlich akzeptiert waren, sind es inzwischen nicht mehr. Wenn man Steven Pinkers Buch durchliest, ergibt sich in der Gesamtschau, daß gesellschaftlich akzeptables Verhalten entsprechend den sozialen Notwendigkeiten sich im Laufe der Zeit durchsetzt. Pinker stellt dafür mehrere Mechanismen vor.
Am Beispiel von Kriegen oder des Völkermordes zeigt er, daß die Neigung dazu zurückgeht, wenn nur anerkannte Beobachter vorhanden sind, die sich als Verhandlungspartner anbieten, um zwischen die Konfliktparteien zu treten. Dabei können sie sogar dann vor Gewaltakten schützen, wenn sie im Vergleich zu den Konfliktparteien nicht besonders stark oder gut bewaffnet sind. So sind in den meisten Fällen UNO-Missionen erfolgreich, obwohl die militärischen Mittel der UNO-Kräfte üblicherweise eher begrenzt sind. In nur wenigen Fällen scheitern UNO-Missionen (etwa beim Schutz der Zivilbevölkerung in Bosnien), doch sind dies Ausnahmefälle. Der Vorteil solcher Friedensmissionen ist hier, daß Zugeständnisse bei Gesichtswahrung gemacht werden können, weil hier eine dritte Seite einen Einigungsdruck erzeugt und daß hier Öffentlichkeit hergestellt wird, so daß Konfliktparteien sich eher genötigt fühlen, ihr Handeln rechtfertigen zu können.
Ein weiterer Mechanismus ist ein allgemeiner Trend zur Aufklärung. Die öffentliche Meinung setzt in einem langwierigen Prozess immer mehr allgemein akzeptable Normen durch, um so mehr, wenn die Bürger gebildeter, informierter und international vernetzt werden. Was sich vor einigen Jahrzehnten noch rechtfertigen ließ, gilt inzwischen als nicht mehr akzeptabel. Was vor einigen Jahrzehnten noch geübte Praxis sein konnte, zum Beispiel Rassentrennung in den USA, kann heute schon, wenn auch nur eine gewisse Andeutung erfolgt, daß man nicht bedingungslos dagegen ist, eine Politikerkarriere beenden. Menschen gewöhnen sich an Standards, die sich einmal entwickelt haben, und setzen sie als Basisniveau für die weitere Entwicklung. Das kann man zum Beispiel daran sehen, daß der Gleichberechtigung von Afroamerikanern in den USA die Gleichberechtigung von Frauen im öffentlichen Interesse folgte, dann die Gleichstellung von Homosexuellen, die Durchsetzung von Kinderrechten und schließlich von Tierrechten.
Und damit ergibt sich ein dritter Mechanismus der Übertragung von sozialen Errungenschaften auf verschiedene Gebiete. Wenn also anerkannt wird, daß die Sklaverei unrecht ist, weil alle Menschen gleich geboren sind, folgt darauf die Argumentation, daß auch Frauen das Wahlrecht erhalten müßten oder die Anerkennung von Rechten anderer Gruppen auf der Basis der Gleichheit aller Menschen.
Nun ist das Buch von Steven Pinker schon an sich sehr interessant und bietet schöne Möglichkeit, die verschiedensten Entwicklungen der Menschheit zur Gewalt nachschlagen zu können. Aber ich sehe darin auch ein Modell für einen optimistischen Ausblick auf die Haltung der Menschheit zu Maßnahmen gegen den Klimawandel. Auch hier stehen wir vor ähnlichen zivilisatorischen Herausforderungen. Der menschliche Egoismus führt zunächst dazu, Maßnahmen gegen den Klimawandel aufzuschieben, damit man heute Geld spart, aber erhebliche größere Schäden in der Zukunft dafür hinnimmt. Doch in Europa ist heute schon der gesellschaftliche Druck so groß geworden, das Problem des Klimawandels anzugehen, daß Regierungen in einem Rechtfertigungsdruck sind, zu zeigen, daß sie Klimaschutzmaßnahmen umsetzen.
Anscheinend ist man in vielen anderen Staaten noch nicht so weit. So hat kürzlich Kanada zum Ende des Jahres das Kyoto-Protokoll gekündigt, um mehrere Milliarden kanadische Dollar an Strafzahlungen zu vermeiden, die sonst fällig würden, weil Kanada die nationalen Emissionsziele verfehlt hatte. Die Vertragskündigung war keineswegs ein Zeichen dafür, daß man in Kanada nicht an den Klimawandel glaubt, sondern basiert explizit nur auf egoistischen Motiven. Damit stellt sich Kanada in einer Reihe mit Rußland, China, Indien, die USA oder Japan, die entweder dem Kyoto-Protokoll nicht beigetreten sind oder aus ihm austreten wollen oder für sich keine bindenden Emissionsziele akzeptieren, um eigene Kosten zu vermeiden. In keinem Fall wird dabei angezweifelt, daß ein Klimawandel droht oder daß dieser bedrohlich für die Menschheit sei. Aus genau diesem Grund ist es aber möglich, öffentlichen Druck aufzubauen, der Staaten dazu zwingt, ihr moralisches Handeln zu rechtfertigen und sich zunehmend an allgemein akzeptierten Werten auszurichten. Es ist also nur eine Frage der Zeit, daß auch die heutigen Klimaegoisten sich genötigt fühlen zu demonstrieren, daß sie wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzen.
Die große Unbekannte ist dabei, ob dieser Wandel der Staaten rechtzeitig kommt. Damit die globale Temperaturänderung im Bereich von 2 bis 3 Grad bleibt (bis 2100), müßte der Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen deutlich vor dem Jahr 2030 erreicht werden. Staatliche Maßnahmen dazu brauchen erheblichen Vorlauf, so daß ein weltweiter Wandel in der Haltung der meisten Staaten innerhalb der nächsten Jahre erfolgen muß. Für einen allgemeinen gesellschaftlichen Wandel ist das ein sehr kurzer Zeitraum. Der Wandel könnte aber schon weiter sein, als man glaubt. Der größte CO2-Emittent ist inzwischen die Volksrepublik China. Obwohl China für sich internationale Vorgaben ablehnt, hat sich andererseits aufgrund der extremen Luftverschmutzung in Chinas Städten und den Auswirkungen der Verwüstung des Westens Chinas ein Problembewußtsein ausgebildet, daß die Luftverschmutzung ein dringendes Problem ist. Daher investiert der chinesische Staat erhebliche Mittel in den Ausbau von Wind- und Solarkraft. Möglicherweise könnte schon in einigen Jahren auch für China es einfach nicht mehr gesellschaftlich akzeptabel sein, internationalen Verträgen zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen nicht beizutreten.
Nehmen wir die Veränderungen beim Thema Gewalt als Modell, dann können wir einen Beitritt anderer Staaten zu einem internationalen Vertragswerk herbeiführen, indem wir
- das Gespräch über die Folgen des Klimawandels permanent auf der Tagesordnung halten
- selbst deutlich zeigen, daß wir bereit sind, erheblich in Maßnahmen gegen den Klimawandel zu investieren
- für Verhandlungen über Klimaschutzziele möglichst akzeptierte internationale Plattformen nutzen, wie etwa die UNO
- Menschen die Folgen des Klimawandels durch plakative Einzelbeispiele demonstrieren - sobald Menschen den Klimawandel als ein persönliches Problem erfahren und eine eigene Identifikation dazu aufbauen können, bauen sie einen starken Rechtfertigungsdruck für Staaten auf
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