Sonntag, 4. Oktober 2009

Warum sollte man fehlerhafte Daten aussortieren?

Steve McIntyre ist ein Statistiker, der dadurch berühmt (oder berüchtigt) wurde, daß er zusammen mit dem Geologen McKitrick öffentlichkeitswirksam über Details in einer wissenschaftlichen Arbeit von Michael Mann und seinen Kollegen gemeckert hat – ich kann es leider nicht schmeichelhafter ausdrücken. Michael Mann und seine Kollegen hatten zu einem frühen Zeitpunkt das Risiko gewagt, Aussagen zur Entwicklung der Temperaturen in den vergangenen 1000 Jahren zu machen (Mann, M.E., R.S. Bradley, and M.K. Hughes. 1998. Global-scale temperature patterns and climate forcing over the past 6 six centuries. Nature 392:779-787.). Bis dahin wußte man nichts bestimmtes über die Entwicklung globaler Temperaturen, denn es gibt ja erst seit kaum 400 Jahren, und dann auch nur für Europa, Thermometermessungen der Temperatur. Es gibt zwar indirekte Hinweise darauf, daß in Europa das Mittelalter eher warm war und die Neuzeit, insbesondere das 18. und 19. Jahrhundert, eher kühl, aber daraus kann man nicht ableiten, um wieviel warm oder kühl es war im Vergleich zu heute, oder in wie weit das eine Aussage zu globalen Temperaturen ist. Mann et al. haben 1998 daher zum ersten Mal eine halbwegs belastbare Temperaturrekonstruktion aus verschiedenen Quellen zusammengestellt, die es ihnen ermöglichte zu sagen, daß die Erwärmung im Mittelalter zwar global war, aber nicht besonders ausgeprägt relativ zur globalen Erwärmung der letzten Jahrzehnte. Sie lehnten sich insbesondere damit weit aus dem Fenster, daß sie behaupteten, daß die 90er Jahre sehr wahrscheinlich das wärmste Jahrzehnt der letzten 1000 Jahre waren. Damals war das eine ziemlich weit gehende Interpretation der Daten, aber es war eben der erste Versuch, eine quantitative Temperaturrekontruktion für die Welt so weit in die Vergangenheit zurück zu machen. Selbst wenn Teile der Daten sich hinterher als fehlerhaft herausgestellt hätten, wäre die Arbeit alleine schon für ihren Pioniercharakter und die Diskussion neuer Methoden in diesem Bereich bemerkenswert gewesen, und auf jeden Fall hatten wir damit zum ersten Mal eine Quantifizierung der globalen Temperatur bis zur Zeit des Mittelalters.


Um den Kontext herzustellen: seitdem haben andere Gruppen, mit teilweise oder gänzlich anderen Wissenschaftlern, teilweise mit den gleichen, teilweise aber auch mit ganz anderen Paläodaten und mit gleicher oder anderer Methodik, die gleichen Ergebnisse erzielt: die warme Zeit des Mittelalters war vielleicht eine globale warme Phase im 13./14. Jahrhundert, aber dieses Temperaturmaximum war nicht so ausgeprägt wie die Temperaturentwicklung bis zu den 90er Jahren. Die Arbeit von Mann et al 1998 selbst wurde von Wahl und Amann 2006 reproduziert. Die National Academy of Sciences hat 2006 wichtige Aussagen von Mann et al. 1998 bestätigen können, allerdings darauf hingewiesen, daß Aussagen zu einzelnen Jahren oder Jahrzehnten nur mit begrenzter Wahrscheinlichkeit gemacht werden können, wenn man alle Unsicherheiten berücksichtigt. Mann et al 2008 haben dann erneut eine globale Temperaturrekonstruktion erstellt und dabei auch gezeigt, daß auch ohne die von einigen angezweifelten Baumringdaten der gleiche Temperaturverlauf herauskommt. Selbst wenn in der Arbeit von 1998 kleine Fehler gewesen sein sollten, wäre die Hauptaussage trotzdem inzwischen so gut bestätigt, wie man es sich für viele wissenschaftliche Arbeiten nur wünschen könnte. Ein globaler Temperaturverlauf, aus dem der aktuelle Temperaturanstieg deutlich herausragt, ist von verschiedenster Seite aufgrund der verschiedensten Daten hervorragend bestätigt.
Und, das ist alles trotzdem Schnee von gestern, weil das aktuelle Jahrzehnt fast 0,2 Grad wärmer ist als die 90er Jahre. Selbst wenn im Mittelalter ein Jahrzehnt global doch so warm gewesen sein sollte, wie die 90er Jahre, was man im Rahmen der Fehlerbalken von Mann et al 1998 ja nicht völlig ausschließen konnte, ist das laufende Jahrzehnt definitiv wärmer als es je in 1000 Jahren in einem Jahrzehnt war. Inzwischen muß man sagen, als es in 2000 Jahren in einem Jahrzehnt war. Kommentare dazu habe ich bereits hier und hier geschrieben.

Das ist erst mal der Hintergrund für das, was man getrost „Meckern“ nennen kann. McIntyre und McKitrick hatten eine Arbeit herausgebracht (McIntyre, S., and R. McKitrick, 2005: Hockey sticks, principalcomponents, and spurious significance. Geophys. Res. Lett., 32(3),L03710, doi:10.1029/2004GL021750.), in der sie behaupteten, die Ergebnisse von Mann et al. wären teilweise falsch. Auf der Basis dieser Behauptung läuft unter Leugnern die Meinung um, die Temperaturrekonstruktion von Mann et al 1998 wäre widerlegt worden, daher sei es im Mittelalter wärmer gewesen als heute und daher wäre die globale Erwärmung gar kein Problem. Teilweise stimmt schon die logische Kette nicht – selbst wenn Mann et al. 1998 völlig daneben gelegen hätte, wäre die globale Erwärmung trotzdem ein Problem. Und wenn es im Mittelalter wärmer gewesen wäre als heute, würde das nur heißen, daß die Klimasensitivität größer ist als in Modellen unterstellt, und daß daher steigende Treibhausgasmischungsverhältnisse das Klima stärker ändern würden als alle Modelle zeigen. Aber davon abgesehen hatten auch McIntyre und McKittrick keineswegs die Arbeit von Mann et al widerlegt, sondern nur Detailfehler aufgezeigt, die an der Grundaussage nichts ändern. Sie hatten gezeigt, daß die Dokumentation der verwendeten Daten nicht vollständig war. Andere Behauptungen hielten der Kritik nicht stand. Wahl und Amann etwa widerlegten, daß die Methode von Mann et al nicht reproduzierbare Ergebnisse lieferten. Es wurde auch widerlegt, daß die Methode von Mann et al eine Hockeyschlägerform der Temperaturrekonstruktion erzwinge. Es konnte gezeigt werden, daß McIntyre und McKittrick selbst die Hauptkomponentenanalyse, die Mann et al zur Datenkomprimierung genutzt hatten, fehlerhaft durchgeführt und interpretiert hatten.
Aber wegen des einen Moments des Ruhms, als der mittelmäßige McIntyre an Details einer bahnbrechenden Arbeit gemäkelt hatte und dafür Applaus aus dem politischen Lager der Leugner bekam, beschäftigt sich der Mann nun schon seit Jahren mit nichts anderem als dem Meckern an den Arbeiten anderer Leute ohne selbst je etwas von wissenschaftlichem Wert beizutragen. Vergleichbar mit einem Literaturkritiker, der es selbst nie geschafft hat, ein Buch zu schrieben und deshalb mit besonderer Lust Werke verreißt, in denen er Druckfehler feststellt. Das macht er auch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht über wissenschaftliche Publikationen, sondern in seinem Blog CimateAudit. Es ist absehbar, daß niemand besondere Lust hat, seinen selten besonders höflich geäußertern Aufforderungen nachzukommen, sämtliche Daten, Programme usw. an ihn herauszugeben, die für eine bestimmte Publikation benutzt wurden, damit McIntyre nun beharrlich suchen kann, ob es darin vielleicht wieder etwas gibt, über das man Meckern kann. McIntyre nennt seine Tätigkeit „Audit“ mit der unausgesprochenen Unterstellung, die von ihm ausgeguckten Wissenschaftler würden schlampig oder unfähig arbeiten, und müßten auf alles, was nach seiner Meinung ein Fehler sei, damit reagieren, ihre ganze Tätigkeit der Vergangenheit neu zu überarbeiten. Mit Verlaub, so funktioniert das nicht. Geschweige denn, daß McIntyre je bereit gewesen wäre, mal so auf die Fehler zu reagieren, die ihm nachgewiesen wurden.

Kürzlich gab es beim Erzeugen von Stürmen in Wassergläsern bei McIntyre eine neue Steigerung. Unter den vielen Daten, mit denen man Temperaturrekonstruktionen erstellen kann, gibt es auch Daten von Baumringen. Das Wachstum von Bäumen kann schneller oder langsamer sein in Reaktion auf Umweltbedingungen, was man an der Dicke der Baumringe erkennen kann. Umweltbedingungen können sein: wie warm ist es in der Wachstumszeit; wie feucht ist es in der Wachstumszeit; wie ist das Nährstoffangebot; wie stark setzen Schädlinge dem Baum zu... Will man aus Baumringen Rückschlüsse darauf ziehen, welche Temperatur vor Ort vorherrschte, muß man logischerweise eine Auswahl von den Bäumen treffen, bei denen vor allem die Temperatur das Wachstum beeinflußte, weil z.B. Wasser und Nährstoffe jederzeit ausreichend zur Verfügung standen. Aus vielen Baumringdaten, die an verschiedenen Orten der Erde gesammelt wurden, wird man also eine Auswahl treffen.

Ich denke, daß McIntyre das wissen muß. Deshalb ist es wenig glaubwürdig, wenn er nun Rohdaten aus Sibirien findet und dann feststellt, daß man aus diesen Daten einen Satz konstruieren kann, der einen anderen zeitlichen Verlauf der Dicke der Baumringe zeigt als die Daten, die von Briffa und anderen (die auch mit Michael Mann zusammengearbeitet haben) für Temperaturrekonstruktionen verwendet wurden. Das ist so eine Meldung wie „Ein Sack Reis in China ist umgefallen“. Infam ist aber, daß McIntyre nun diese Daten nimmt, die nicht mit der Temperatur korrelieren, daraus einen synthetischen Temperaturverlauf erzeugt, der anzeigt, daß die Temperaturen seit dem 2. Weltkrieg gefallen seien, was, wie wir aus Messungen wissen, ja falsch ist und dann dies auf seinem Blog so präsentiert, daß jeder Leser den Eindruck erhält, Briffa und seine Kollegen hätten Baumringdaten danach ausgewählt, daß sie zu ihrer vorgefaßten These von einer Hockeyschlägerform paßten, also unrepräsentative Daten genommen und somit ihre Ergebnisse gefälscht. Da wird etwas so präsentiert, daß suggeriert wird, hier wäre gelogen worden. Nach 254 Blogkommentaren stellt McIntyre dies halbherzig im Nebensatz scheinbar richtig, indem er meint, Briffa hätte nicht grob Daten nach Gusto selektiert („cherry picked“). Statt grob also subtil? Oder was? Briffa hat natürlich selektiert bzw. eine Selektion der russischen Kollegen übernommen. Nämlich die Baumringdaten ausgewählt, die eine Korrelation mit der Temperatur zeigen. Welche denn sonst? Und McIntyre hat eine Datenauswahl dargestellt, die genau zeigt, warum man sie verwerfen sollte – weil sie einen anderen Temperaturverlauf zeigt, als wir gemessen haben!

Es sind solche Darbietungen, die erhellen, warum McIntyre ein getreuer Ritter der Leugnerszene ist – er selbst macht seine „Audits“, in denen er eine Kulisse angeblicher Datenfälschung aufbaut, und läßt dann die Kommentatoren seines Blogs die Schmutzarbeit tun, die er vermeidet, um den seriösen Wissenschaftler zu geben. Seine Kommentatoren formulieren dann nämlich das aus, was McIntyre nur suggeriert: die Wissenschaftler, die die globale Erwärmung nachweisen, würden dies nur auf der Basis falscher Daten tun, und wenn man diese Fälschungen wegnimmt, gäbe es keine globale Erwärmung durch Treibhausgase. McIntyre weiß, daß dies falsch ist – es gibt Kommentare dazu von ihm – aber hier geht es auch nicht um wissenschaftliche Wahrhaftigkeit, sondern – für McIntyre – um Politik.

Also: McIntyre zeigt, warum die von Briffa nicht verwendeten Daten nicht verwendbar waren. Und tut dann so, als hätte er ihn überführt. Und der Teil der Presse, der politisch entsprechend aufgestellt ist, macht daraus die Meldung, die Hockeyschlägerform des Temperaturverlaufs, wie von Mann et al. 1998 erstmals festgestellt und seitdem dutzende Male mit zum Teil anderer Methode oder Daten bestätigt, sei widerlegt. Falsch. Widerlegt wurde nur, daß McIntyre irgendetwas macht, was mit seriöser Wissenschaft zu tun hätte.

Eine schon fast sarkastische Reaktion gibt RealClimate. Lesen sollte man dazu Deltoid. Und die dort jeweils angegebenen Links.

Ergänzung: Hier noch mehr zu dem Thema, wie jemand wie McIntyre sagt, daß jemand wie Briffa nicht Daten verfälschend selektiert hat, indem er wiederholt genau unterstellt, daß er Daten verfälschend selektiert hat ("cherry picked") und weitere Details.

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