Die Kernthesen des Buches „Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet!“ (von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning, Verlag Hoffmann und Campe, 2012, ISBN-13 978-3455502503) verbreitet Vahrenholt frohgemut über die Medien und insbesondere über Leugnerblogs wie dem von EIKE. Das Buch selbst wurde sorgfältig bis zum Erscheinungstag unter Verschluß gehalten. Dem Inhalt des Buches nach zu urteilen war wohl zu befürchten, daß schon im Vorfeld Kritiker schnell zeigen würden, daß das Buch weder neue Argumente noch eine sachgerechte Darstellung des Problems des Klimawandels bieten würde. Vorne dabei in der Werbung für das Buch sind Dirk Maxeiner im Blog Achse des Guten und Michael Miersch. Letzterer brachte auch gleich im Focus einen Artikel, in dem die Thesen Vahrenholts äußerst wohlwollend dargestellt wurden. Das entbehrt nicht unfreiwilliger Komik. Auf einer Abbildung (in der Print-Ausgabe) wird die Temperaturkurve von GISS dargestellt mit dem Untertitel, daß die Temperaturen ihren Höhepunkt 1998 erreicht hätten. Sonderbar nur, daß jedem Leser mit einem Blick auf die Graphik ins Auge springt, daß die Temperaturanomalie 2005 und 2010 höher lag als 1998. Nichts symbolisiert das Ausmaß an Ignoranz und Unfähigkeit der damit befaßten Focus-Journalisten besser als dieser Widerspruch.
Laut Vahrenholt hätte es ihn an den Ergebnissen des IPCC zweifeln lassen, daß die globale Temperatur seit 2000 nicht mehr ansteigen würde. Das Problem liegt aber ganz auf Vahrenholts Seite. Im IPCC-Bericht wird nämlich nirgendwo behauptet, daß die globale Temperaturanomalie jährlich stetig ansteigen müßte. Vielmehr wird dargestellt, daß die globale Temperatur Schwankungen um den klimatologischen Trend unterliegt. Verschiedene Wissenschaftler haben sogar herausgearbeitet, wie sich natürliche Einflüsse von Sonne, Vulkanismus und Meeresströmungen ungefähr auf die globale Temperaturentwicklung auswirken. Fazit: die globale Temperatur steigt nach 1998 genauso wie vor 1998. Das letzte Jahrzehnt war das wärmste Jahrzehnt der Zeitreihe. Der globale Temperaturanstieg zeigt keine Anzeichen für ein Nachlassen. Es deutet sich eher ein weiterer Temperatursprung an.
Im Text des Focus-Artikels verbreitet Miersch die Behauptung Vahrenholts weiter, daß der sogenannte Hockeystick, die Temperaturrekonstruktion nach Mann et al., widerlegt worden sei. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Untersuchung der National Academy of Sciences, eine Reproduktion der Ergebnisse durch Wahl und Amman 2007 sowie eine Reihe unabhängiger Arbeiten zur Erstellung einer Temperaturrekonstruktion für die letzten Jahrhunderte bis zu 2000 Jahren bestätigten die grundsätzlichen Ergebnisse von Mann et al. 1998. Auch die Behauptung Vahrenholts, daß der Skandal um gestohlene Emails von einem Server der University of East Anglia ihn zu einem Umdenken gebracht hätte, ob man den Klimaforschern trauen dürfte, wirkt seltsam losgelöst von der Tatsache, daß die betroffene Arbeitsgruppe von Phil Jones ebenso wie Michael Mann eine Serie von Untersuchungen über sich ergehen lassen mußte, deren Ergebnisse der Freispruch von wissenschaftlichem Fehlverhalten war. Die Kritik an Wissenschaftlern stellte sich allenfalls als Erbsenzählerei heraus.
Vahrenholt und Lüning behaupten also, sie sähen keinen globalen Temperaturanstieg mehr, wo er bei den Beobachtungen klar zu Tage tritt, sie sähen wissenschaftliches Fehlverhalten, wo Untersuchungskommissionen dieses Verneinen und sie sähen Arbeiten als widerlegt an, die von allen damit befaßten Wissenschaftlern bestätigt wurden. Eine erstaunliche Serie von Halluzinationen, die da Vahrenholt und Lüning bereits unterlaufen ist und die sie nun ihren Lesern für 24,99 Euro verkaufen wollen. Noch verstörender ist die fehlende Originalität. Jeden einzelnen Vorwurf haben wir schon woanders gesehen. Und jeder Vorwurf wurde wieder und wieder widerlegt. Und da kommt das schon wieder. Vahrenholt und Lüning steigern sich aber auch noch.
In Interviews erklärt nämlich Vahrenholt, daß ihn Gespräche mit, angeblich, Dutzenden Wissenschaftlern davon überzeugt hätten, daß der Einfluß der Sonne auf die Temperaturentwicklung unterschätzt worden sei. Wegen der nachlassenden Sonnenaktivität würde es nun einen Abkühlungstrend geben und die globale Temperatur bis 2035 um 0,2 bis 0,3 Grad abnehmen. Welche Wissenschaftler könnten ihn von so einem Unsinn überzeugt haben? Es hat doch keine neuen Fachpublikationen gegeben, die gezeigt hätten, daß sich tausende Wissenschaftler seit Jahrzehnten geirrt hätten und die Atmosphärenforschung grundlegend umzuschreiben sei. Im Gegenteil verweist das britische Met Office darauf, daß eine neue Arbeit von Gareth Jones, Michael Lockwood und Peter Stott im Einklang mit einer Arbeit von Georg Feulner und Stefan Rahmstorf von 2010 die möglichen Auswirkungen einer nachlassenden Sonnenaktivität in den nächsten Jahrzehnten als vernachlässigbar gering eingeschätzt hatte.
Bei Vahrenholt fällt der Name Svensmark, möglicherweise repräsentativ für die Qualität der wissenschaftlichen Zeugen, die Vahrenholt und Lüning im Buch „Die kalte Sonne“ aufbieten wollen. Prof. Henrik Svensmark behauptet, Schwankungen des Magnetfeldes der Sonne führten dazu, daß die galaktische kosmische Strahlung, die auf der Erde auftrifft, Variationen unterliegt. Diese Variationen würden die Zahl der Kondensationskerne in der Erdatmosphäre schwanken lassen, das wiederum würde die Bewölkung ändern und deren Änderungen würden das Erdklima steuern. Die ganze These hat ein wesentliches Problem: wir beobachten das nicht. Es gibt keine Hinweise darauf, daß die Bewölkung auf Änderungen der galaktischen kosmischen Strahlung so reagiert, wie es Svensmark gerne hätte. So lange Svensmark oder andere keine Belege dafür beibringen können, und niemand sollte dafür seine Luft anhalten, so lange gibt es keinen Grund, die These in Erwägung zu ziehen. Vahrenholt und Lüning aber bauen darum die Kernthese ihres Buches auf: solare Strahlung und Zyklen des Austauschs von Wärme zwischen Meeren und Atmosphäre würden das Klimageschehen steuern, während der Einfluß der Treibhausgase dagegen von untergeordneter Bedeutung sei. Eine These, die nicht neu ist, sondern die mindestens seit Ende der 80er Jahre Standardrepertoire der Leugnerszene ist. Und seit dieser Zeit widerlegt die tatsächliche Temperaturentwicklung die Leugnerthesen.
Das hindert einen Prof. Werner Weber nicht, kräftig Werbung für Vahrenholts und Lünings Buch und die Thesen von Svensmark zu machen. In der Bild-Zeitung und unter dem Titel „Die CO2-Lüge“. Da steht allerdings auch nichts, was nicht schon längst widerlegt wäre, aber die Breitenwirkung ist enorm. Seriösere Besprechungen, zum Beispiel in der ZEIT, halten dagegen.
Schon nach dem, was Vahrenholt im Vorfeld über Interviews erklärt hatte, und nach dem Klappentext des Buches ist offensichtlich, daß das Buch gut vermarktetes Altpapier ist (oder, nach dem Blog Der Klima-Lügendetektor, kalter Kaffee). Es stellt alte Leugnerthesen dar, die schon längst widerlegt wurden. Es ist eine reine Stilübung, das Buch in die Hand zu nehmen und Seite für Seite die bekannten Leugnerversatzstücke abzuhaken und die Vielzahl altbekannter Fehler zu erläutern. Aber ehrlich gesagt: welchen Sinn hätte eine solche Zeitverschwendung? 416 Seiten Altpapier durchlesen? Und dafür 24,99 Euro bezahlen? Haben wir dieses Schauspiel nicht Jahr für Jahr hinter uns bringen müssen? Mußten wir nicht ähnlichen Murks von Fred Singer (Falsche Klimaprognosen), Dirk Maxeiner (Hurra, wir retten die Welt!) oder Ian Plimer (Heaven and Earth) erdulden? Und haben dabei immer wieder erlebt, daß die widerlegten Thesen und Behauptungen durch die Medien getrieben wurden?
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