Mittwoch, 30. Juli 2008

Kollaps oder Krise?

Kürzlich habe ich mir die Zeit genommen, von Jared Diamond „Kollaps“ zu lesen. Diamonds Bücher sind sehr populär geworden, weil er plausible und leicht nachvollziehbare Botschaften dazu verbreitet, was Gesellschaften erfolgreich macht oder scheitern läßt. Im Falle von „Kollaps“ hatte ich erwartet, daß die bekannten Zusammenbrüche von Zivilisationen ein bißchen nach dem Katalog von Toynbee und anderen durchgegangen würden, etwa der Untergang Roms, des Sassanidenreiches, der Han-Dynastie usw. Diamond aber hatte sich speziell die Gesellschaften herausgegriffen, die an Umweltproblemen gescheitert sind. Das war zunächst eine Enttäuschung, andererseits konnte das Buch aber so eine griffige Botschaft herausarbeiten. Zunächst mal: es gibt Faktoren dafür, die erklären, warum eine Gesellschaft an Umweltproblemen scheitern wird (wobei hiermit vor allem die Zerstörung der Nahrungsgrundlagen gemeint ist). Unter anderem zählen zu diesen Faktoren

  1. wie stark wird das Siedlungsgebiet der Zivilisation genutzt

  2. wie schnell erneuern sich die Ressourcen des Gebietes

  3. wie sind die kulturellen Einstellungen in der Zivilisation zur Nutzung der Ressourcen

  4. wie sind die Beziehungen zu anderen Zivilisationen (anderen Staaten, Inseln, Siedlungsräumen usw.), um Ressourcenprobleme ausgleichen zu können

  5. Klimaeinflüsse
Diese Faktoren sind wohl einleuchtend. Am Beispiel der Südseeinseln läßt sich etwa zeigen, daß sie alle nach dem Eintreffen der ersten Siedler schnell übernutzt wurden. Vorhandene Tierarten wurden durch Überjagung ausgerottet, Bäume schneller gefällt , als sie nachwuchsen, Ackerland ging durch Erosion verloren. Auf manchen Südseeinseln, z.B. der Osterinsel, führte das schließlich zum völligen Zusammenbruch und der Verwüstung der Insel, andernorts hingegen konnten sich die Inselgesellschaften bis heute fortentwickeln.
Dieses Resultat hing stark vom zweiten Faktor ab – je besser eine Insel in der Lage war, ein Nachwachsen der Bäume und eine Erneuerung des Bodens zu unterstützen (etwa durch höheren Niederschlag und stärkere Düngung durch die Asche von Vulkanen), desto wahrscheinlicher war es, daß die Gesellschaft auf dieser Insel zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung fand.
Die kulturellen Einstellungen der Zivilisation spielen eine Rolle, wenn es darum geht, wie kreativ vorhandene Ressourcen genutzt werden. Z.B. konnten die Inuit auf Grönland überleben, die Wikinger sind mit Beginn der kleinen Eiszeit auf Grönland ausgestorben – und zwar in wenigen Jahrzehnten, nachdem sie zuvor fast 500 Jahre dort gelebt hatten. Die Inuit waren in der Lage, Fisch, Wale und Robben je nach Nahrungsangebot zu nutzen und konnten so auch ungünstige Klimabedingungen überstehen. Die Wikinger hingegen waren vor allem auf die Mast von Haustieren angewiesen, sowie auf schiffbare Meere und Handel mit Europa. Ein geringfügig kälteres Klima führte dazu, daß die Haustiere verhungerten. Wären die Wikinger nicht so konservativ gewesen, hätten sie von den Inuit lernen und überleben können. Doch kulturell waren sie dazu nicht in der Lage.
Manche Gesellschaften übernutzen zwar ihre Umwelt, gleichen dies aber durch Handel mit anderen Gebieten aus. Kommen aber die Handelspartner in Schwierigkeiten oder verlieren sie das Interesse am Handel, ist die Gesellschaft, die ihre Ressourcen übernutzt, dem Untergang geweiht.
Klimaeinflüsse können bereits vorhandene Probleme kaschieren, da Niederschlag und Temperaturen zeitweilig bessere und schlechtere Werte für die Nutzung eines Gebietes einnehmen können. Die Wikinger siedelten in Grönland während milder klimatischer Verhältnisse, und konnten eine zeitweilige Absenkung der Temperaturen nicht mehr abfedern.
Letzlich war die Frage nach dem Überleben und Untergehen von Zivilisationen immer eine danach, ob die erforderlichen Nahrungsmittel sicher bereitgestellt werden konnten. Aus diesem Grund fällt es uns in den westlichen technisierten Gesellschaften schwer, die Lehren aus dieser Vergangenheit auf unsere Verhältnisse zu übertragen. Wir können uns nicht vorstellen, daß es uns an Nahrungsmitteln fehlen könnte – dies ist für uns ein Problem der Entwicklungsländer, während ein Land wie Deutschland das als reine Kostenfrage ansehen muß. Werden Weizen oder Milch knapper, zahlen wir halt entsprechend mehr. Wir machen uns allerdings nicht klar, daß es nicht nur darum geht, ob irgendwo auf der Welt Nahrungsmittel ausreichend vorhanden sind, sondern auch, ob diese zuverlässig zum Endverbraucher gelangen. Damit ist die gesamte Logistik gefragt: sind Treibstoffe vorhanden, können Verkehrswege gepflegt werden, laufen Computer, Telefone, Internet, arbeiten die Finanzsysteme, sind Währungen stabil, anerkannt, liquide? Die Steigerung des Ölpreises von 40 auf über 150 Dollar je Faß in kaum 3 Jahren, obwohl noch keine echte Verknappung des Öls eingetreten ist, sollte uns vor Augen führen, wie verwundbar unsere ölbasierte Wirtschaft ist.


Wenn ich nun auf die Lehren aus dem Buch „Kollaps“ zurückkommen möchte, geht es eigentlich um zwei Faktoren:



  1. Ist eine Gesellschaft robust oder labil gegenüber Änderungen ihrer Grundlagen, wie der genutzten Nahrungsgrundlagen, Rohstoffe oder anderen Abhängigkeiten?

  2. Sind diese Abhängigkeiten bzw. Bedingungen des Systems selbst stabil oder variabel?
Ersteres bedeutet, daß wir uns verwundbar machen. Letzteres bedeutet, daß eher spät oder eher früh der Bereich verlassen werden kann, in dem eine Gesellschaft existieren kann. Im einzelnen stelle ich das im Schaubild dar für eine Wippe. Beim robusten System (1) muß man das Gewicht weit verschieben, damit die Wippe von „gut“ zu „schlecht“ umkippt, beim labilen System (2) reicht schon eine kleine Veränderung für das Kippen des Systems. (Es gibt andere Definitionen für stabile und labile Systeme, die für diesen Spezialfall nicht interessieren, aber gebräuchlicher sind.) Bei stabilen Bedingungen (3) verschiebt sich das Gewicht nur wenig - ein robustes System wird dann vielleicht nicht darauf reagieren, ein labiles System vielleicht schon. Bei variablen Bedingungen (4) wird aber vermutlich sogar ein robustes System irgendwann kippen, die Kombination mit einem labilen System verspricht wilde Veränderungen.





In Bezug auf das Klima müssen wir feststellen, daß es von Natur aus veränderlich ist. Auf hinreichend langen Zeitskalen kann sich die mittlere globale Temperatur um vielleicht 10 Grad ändern (der Unterschied zwischen Eiszeit und den Verhältnissen vor vielleicht 30 Millionen Jahren). Der Unterschied zwischen Eiszeit und Warmzeit liegt bei vielleicht 5 bis 6 Grad und kann innerhalb von Jahrhunderten bis Jahrtausenden realisiert werden. Prinzipiell konnte der Mensch eine solche Veränderung überstehen, wenn wir auch keine Daten darüber haben, wie viele Menschen in der Steinzeit bei Klimaveränderungen verhungert oder ertrunken sind. Das heißt aber nur, daß die menschlichen Gesellschaften in einer vergleichsweise dünn besiedelten Erde insgesamt robust gegenüber Veränderungen der Lebensgrundlagen waren. Eine Erde, die von fast 7 Milliarden Menschen besiedelt ist und im Laufe der nächsten 50 Jahre wohl über 2 Milliarden weitere Menschen ernähren muß, sollte hingegen eher labil auf Veränderungen der Lebensgrundlagen reagieren. Wenn schon jetzt die wachsenden Bedürfnisse Chinas und Indiens binnen weniger Jahre Rohstoffpreise vervielfachen können, obwohl eigentlich noch alle Rohstoffe im ausreichenden Maße vorhanden sind, kann man sich vielleicht vorstellen, wie schnell es bei einer echten Knappheit zu einer Krise kommen kann – zu Preiswachstum um das 10fache, 100fache...um Verteilungskämpfe und Aufstände. Wenn bereits unter optimalen Verhältnissen die Menschheit gerade ausreichend versorgt wird, bedeutet eine Klimaänderung, bei der einige wichtige Nahrungsproduzenten Ernteausfälle melden oder die Überflutung einiger fruchtbarer Küstenstreifen, daß plötzlich dauerhaft die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr ausreicht und Menschen auch bei optimaler Verteilung der Nahrungsmittel verhungern. Dazu kommen aber nun Versorgungskonflikte, die zusätzlich zur Hortung und Spekulation und zur Vernichtung von Ressourcen durch Aufstände und Kriege führen, und die Krise weiter verstärken. Der Schritt von einer ausreichenden Versorgung und einer Katastrophe stellt sich so als sehr klein dar.
Wenn die Menschen nun über Treibhausgase das Klima verändern, setzen wir eines oben drauf. Wir haben eine Welt, die durch Überbevölkerung immer labiler wird, machen uns dadurch immer verwundbarer gegenüber Klimaänderungen und drehen dann auch noch zusätzlich an der Schraube, die zusätzliche Variabilität beim Klima erzeugt. Das macht Vergleiche etwa mit dem Untergang der Wikinger in Grönland so erschreckend. Die Gesellschaft überlebte Jahrhunderte, trug aber die ganze Zeit die Vorbedingungen zum Untergang in sich. Eine geringfügige Klimaänderung löschte dann die grönländischen Wikinger aus.

Die Frage für die Welt ist, wie schlimm es für sie werden kann? Führt der Klimawandel zu einer dauerhaften Krise, die gemanaged werden kann oder zu einem Kollaps, der überraschend und plötzlich dem Leben in der Form, wie wir es kennen, ein Ende setzt, womöglich mit einem Massenstreben in verschiedenen Weltregionen? Ich muß hier sagen, daß ich es nicht weiß. Beunruhigender für mich ist aber, daß ich den Verdacht habe, daß niemand derzeit in der Lage ist, sinnvoll vorauszusagen, wie labil die Welt im Jahre 2050 für Klimaänderungen sein wird. Im Rahmen der Klimaprojektionen etwa des IPCC wird grundsätzlich darauf verzichtet von „katastrophalen Klimaänderungen“ zu sprechen. „Katastrophal“ ist eine Wertung, die zunächst definiert werden muß (ab wie viel Toten und wie viel Wertverlust der Weltwirtschaft). Weiterhin ist die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft noch zu sehr im Fluß, um auch nur die ungefähre Größe zu erwartender Verluste vorherzusagen – wir haben es ja selbst im Griff, wie sich die Treibhausgaskonzentrationen entwickeln werden und davon hängt dann ab, welches Szenario verwirklicht wird. Es sind die Leugner des anthropogenen Klimawandels, die den Begriff des „katastrophalen Klimawandels“ erst einführen, um dann im weiteren genau dieses zu bestreiten, was niemand behauptet hat. Gremien wie das IPCC sagen einen Klimawandel voraus, der für bestimmte Szenarien, deren Eintritt die Menschen beeinflussen können, zu einem mittleren Temperaturanstieg von 2 bis 4,5 Grad zusätzlich zur natürlichen Variabilität führen wird. Ob das eine Katastrophe ist, bestimmen die Menschen selbst darüber, wie verwundbar sie sich machen. Dieser Gesichtspunkt spielt leider weltweit und besonders in den verwundbarsten Staaten, wie China, kaum eine Rolle.

Keine Kommentare: