Donnerstag, 23. Juni 2011

Wutbürger

Üblicherweise lösen erwachsene Menschen Konflikte auf, indem sie darüber reden. Sie sammeln die Fakten, decken auf, wo diese fehlen, und stellen fest, wie weit Einigkeit erzielt werden kann. Viele Menschen sind in diesem Sinne nicht erwachsen. Da wird dann lieber gestritten, auf Basis von Vorurteilen geredet und ausgeschlossen, an der eigenen Position Abstriche zu machen. Der Wutbürger, der sich so kindisch gebärdet, ist immer mehr in Mode. Er steht in Athen und trägt einen Galgen, an dem die Politiker hängen sollen, die an allem schuld seien. Er steht in Stuttgart, und mobt auf der Straße erfolgreich gegen ein abgeschlossenes Planfeststellungsverfahren. Er marschiert in den USA als Tea Party-Bewegung, und fordert, dem eigenen Staat den Geldhahn abzudrehen, ganz im Sinne der Milliardäre wie den Koch-Brüdern, die diese Bewegung mit initiiert und finanziert haben und vermutlich zum eigenen Schaden vieler Tea-Party-Bewegten. Um zornig zu sein, braucht man kein Hirn. Wutbürger sind auch ein wachsendes Problem für die Klimaforschung. Die gleichen Medien, die jeden Blogger-Pups zum IPCC-Skandal stilisieren, schauen hier aber beharrlich weg. In Australien hingegen schaut man hin. Ein Blick ins Ausland.



In Australien melden derzeit einige Zeitungen und Sender Morddrohungen und Übergriffe gegen Wissenschaftler, die auf die Gefahren des Klimawandels hinweisen. Beispiele dafür kommentiert Tim Lambert auf seinem Blog Deltoid. In einem Fall wurde einer Frau, die in einer Bücherei über Klimaänderungen informierte, das Auto mit Kot beschmiert und mit diesem Kot darauf geschrieben: „climate turd“ (Klimastuhlgang oder Klimascheiße). Eine andere Frau posierte mit Kindern einer Zeitung für ein Bild zur Unterstützung eines lokalen Baumpflanztags. Daraufhin erhielt sie Emails, in denen Gewalt und sexueller Missbrauch an ihren Kindern angedroht wurden. Schon zuvor hatte die Canberra Times in einem anderen Artikel berichtet, dass Klimaforscher an der Australian National University Emails mit Todesdrohungen erhielten und deshalb in gesicherte Gebäude umziehen mußten. Da dieser Bericht angezweifelt wurde, sammelte die Zeitung weitere Berichte von 30 Wissenschaftlern, die bestätigten, daß sie das Ziel von Haßemails und Drohungen waren.

Das paßt in das Bild, daß auch Wissenschaftler in den USA und Großbritannien zeichnen. Auch hier werden Klimaforscher wiederholt das Opfer von Emailkampagnen und Morddrohungen, wie etwa Professor Phil Jones, Direktor der Climate Research Unit. Das jüngste Beispiel ist die Drohung an Anna-Maria Arabia, Direktorin der Federation of Australian Science and Technological Societies, daß sie für ihre Unterstützung der Wissenschaft aufgehängt würde.

Warum dieser Haß? Wissenschaftler argumentieren ja im fachlichen Bereich. Man könnte dagegen argumentieren. Doch die Leugner können ja nicht dagegen argumentieren. Sie können leugnen. Sie können einfach permanent das Gegenteil der Fakten behaupten. Sie können Unterstellungen verbreiten. Aber das nutzt ab. In der Argumentation immer das Gefühl zu haben, daß man nicht durchdringt, kann zu Frustration und Frustration zu Wut führen. Wenn die Worte nicht mehr überzeugen, droht man eben und setzt auf die Faust. Vielleicht ist das aber zu einfach gestrickt. Die Unternehmen und politischen Seilschaften, die an der Leugnung des Klimawandels zu ihrem Vorteil interessiert sind, wollen natürlich erreichen, daß die Debatte nicht auf sachliche Weise stattfindet. Sie wollen gerade darstellen, daß diese Debatte unsachlich ist. Daß es hier persönlich wird. Damit alle Beteiligten unseriös wirken und die beteiligten Wissenschaftler nicht ihre Kompetenz als Karte ausspielen können. Und verängstigte Wissenschaftler sind vielleicht auch schweigende Wissenschaftler. Man kann daher in den entsprechenden Blogs und in der Argumentation von Wissenschaftsleugnungspredigern wie Monckton erleben, daß hier bewußt emotionalisiert und auf die persönliche Ebene gegangen wird. Je nach Zweckdienlichkeit wird von der Klimakirche geredet, von einer sozialistischen Motivation der Klimaforschung geredet oder Warner vor dem Klimawandel mit Nazis verglichen. Klimaforschern wird unterstellt, sie seien gekauft oder unfähig oder würden aus persönlichen Gründen lügen. Ironischerweise treffen die meisten Vorwürfe sogar auf prominente Leugner selbst zu.

In der Diskussion in Lamberts Blog wird eine weitere Erklärung für die Leugnerwutbürger angeboten. Dabei geht es um die fünf Phasen der Trauer nach Kübler-Ross (eigentlich die fünf Phasen des Sterbens). Hier muß eine erschütternde Nachricht (zum Beispiel der bevorstehende eigene Tod) bewältigt werden. Und hier eben die Erkenntnis, daß genau die Art und Weise wie man lebt, nicht nachhaltig ist, sondern ohne Veränderungen zum größten Massenaussterben seit über 50 Millionen Jahren führen würde und zu einer Erde, die vielleicht nicht mehr alle Menschen tragen kann, die hier leben möchten, eine Zukunft, in der vielleicht Millionen oder 100 Millionen oder über eine Milliarde Menschen infolge der Störungen des Wasserkreislaufs und des Verlusts an Lebensraum vertrieben werden oder sterben müssen. Eine solche Erkenntnis führt in der ersten Phase zur Leugnung (oder Isolierung), genau das, was wir seit über 30 Jahren sehen. Wenn die Leugnung nicht mehr möglich ist, folgt der Zorn, der sich gegen ein geeignetes Ziel richtet. Bei Kübler-Ross ist es der Neid auf die, die leben können, beim Klimawandel richtet sich der Zorn gegen die Überbringer der schlechten Nachricht, deren Mitteilungen man ausblenden möchte – Leugnung und Zorn überlagern sich. Die dritte Phase ist die des Verhandelns, in der man versucht, der eigentlichen Konsequenz der Erkenntnis zu entgehen, in dem man versucht, über Randbereiche zu verhandeln oder sich selbst aus dem kommenden Prozess freizukaufen. Hier findet man möglicherweise Leute wie Tol und Lomborg, die uns zu erzählen versuchen, daß zwar der Klimawandel real sei, aber nicht so schlimm, wie allgemein behauptet und daß geringe Veränderungen angemessen seien, aber eine massive Senkung der Emissionen der Treibhausgase weder nötig noch bezahlbar sei. Dazu gehören auch die Leute, die argumentieren, daß ihr Staat zu klein sei, um bei den Emissionen global gesehen einen Unterschied zu machen. Es folgt dann die Resignation oder Depression, die man schon jetzt bei den Menschen findet, die behaupten, es sei sinnlos etwas gegen den Klimawandel zu tun, da wir ohnehin die Treibhausgasemissionen gar nicht entsprechend dem 2-Grad-Ziel senken könnten, die Katastrophe daher sowieso unvermeidlich sei. Erst die fünfte Phase ist konstruktiv – es ist die Annahme des Ereignisses, in der man akzeptiert, daß sich die Rahmenbedingungen geändert haben und man auf der Basis der neuen Erkenntnisse handeln muß. Die Wutbürger sind also in der zweiten Phase, sie haben verstanden, daß etwas falsch läuft und sie es nicht mehr leugnen können. Aber die Erkenntnis wollen sie damit nicht annehmen, sondern sie wollen Schuldige haben. Zum Beispiel die Überbringer der schlechten Nachricht, die Wissenschaftler.

Dieses Bild, das für die Beschreibung der Entwicklung von Menschen geeignet ist, die erfahren, daß sie sterben müssen, passt natürlich nur bedingt. Das schon deshalb, weil die Größenordnung der bevorstehenden Schäden durch den Klimawandel nicht gesichert ist. Wir sehen Parallelen zu erdgeschichtlichen Entwicklungen, die uns besorgt machen sollten. Aber wir wissen nicht, wann die Erde kippt und welche Möglichkeiten die Menschheit hat, sich daran anzupassen. Es fehlen dafür die Erfahrungswerte, weil es Menschen mit einer technologischen Zivilisation erst seit wenigen Jahrhunderten gibt – oder Jahrzehnten, je nachdem, wo man den Anfang setzt. Daher ist auch nicht klar, ob die Wutbürger wirklich innerlich spüren, daß die alte Lebensweise in eine Umweltkatastrophe führt. Doch die Zunahme von Drohungen gegen die Menschen, die vorhergesagt haben, was sich mittlerweile auf diesem Planeten tut, sollte uns für die Zukunft besorgt machen, wenn immer mehr Menschen vor Augen geführt bekommen, daß sich mehr auf der Erde verändert, als sie wahrhaben wollten.

1 Kommentar:

Ebel hat gesagt…

Sehr geehrter Herr for4zim,

der Grundaussage Ihres Artikel ich stimmen ich zu, habe aber ein paar Anmerkungen:

statt "... folgt der Zorn, der sich gegen ein geeignetes Ziel richtet." würde ich schreiben: "... folgt der Zorn, der sich gegen ein scheinbar geeignetes Ziel richtet."

Ihrer Aussage zu den Wirtschaftswissenschaften "Er steht in Athen und trägt einen Galgen, an dem die Politiker hängen sollen, die an allem schuld seien." muß ich leider widersprechen:

Die Wirtschaft eines Staates ist ein Kreislauf. Eine Reduzierung der Ausgaben ist folglich eine Reduzierung der Einnahmen (was auch durch das laufende Nachschießen bestätigt wird). Dieser Zusammenhang scheint unseren Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern noch nicht gekommen sein. Die Aussagen beruhen immer noch auf Witzen. Z.B. das Okunsche Gesetz: Vollbeschäftigung würde Wirtschaftswachstum erfordern. Analog erfordert dieses "Gesetz" auch mehr Störche für mehr Babys, denn wo es mehr Störche gibt, gibt es mehr Babys. (Im Fall Vollbeschäftigung ist der Knackpunkt die Arbeitszeit, im Fall Babys die Intaktheit der Umwelt, die nicht nur bei Störchen wirkt.) Allerdings halte ich einige Formen des Protestes für ungeeignet - die Aufklärung über Wirtschaftszusammenhänge wäre besser.

Beim Planfeststellungsverfahren haben sich viele Menschen nicht für das Verfahren interessiert - insofern muß ich diesen Wutbürgern deren eigene Fehler vorwerfen.

Das Schlimme ist nur, daß viele Menschen nicht zwischen interessegeleiter Wissenschaft (Ökonomie) und exakter Wissenschaft unterscheiden können.

MfG