Montag, 5. März 2018

Argumentieren mit Interview-Schnippseln


Leugner stehen ziemlich unter Druck. Die Realität weigert sich ja, so zu sein, wie sie es gerne hätten. Zum Beispiel wünschten sich Leugner, dass die globale Erwärmung 1998 geendet hätte und es wieder kälter würde. Bis 2008 konnten sie sich das so noch einreden, doch spätestens mit dem neuerlichen globalen Temperaturrekord 2010 funktionierte diese Erzählung nicht mehr. Aus der kommenden Abkühlung wurde die angebliche Pause, die schließlich nur noch in den RSS-Daten (bis 2015) zu sehen war, dann die angeblich schwächer als in Modellen vorhergesagte Erwärmung. Inzwischen bleibt Leugnern nur noch, einfach zu lügen, denn die globale Erwärmung läuft offensichtlich ohne Änderung nach 1998 weiter. Da bleiben ihnen noch das Wetter und aus dem Kontext gerissene Bemerkungen von Klimaforschern.

Wenn man so unter Druck steht, ist jede Form von Bestätigung ganz Recht. Zum Beispiel, indem man bei Bedarf Wetter und Klima verwechselt. Im Winter wird es nun mal kalt, und zwar auch, wenn die globale Temperatur weiter steigt. Der Winter in kontinentalen Gebieten kann unter Umständen Minimaltemperaturen von -40 oder sogar weniger zeigen. Wenn die globale Mitteltemperatur um 3 Grad steigen würde, würden extreme Winter zwar wesentlich seltener werden, aber knackige -40 Grad wären dann in solchen Gebieten immer noch drin. In Deutschland gibt es für sicheren Frost und Schnee immer noch die Gebirgslagen. Die Temperatur sinkt nämlich alle 100 Höhenmeter um ca. 0,7 Grad. Die aufsteigende Luft arbeitet gegen die Gravitation, dehnt sich im sinkenden Luftdruck aus und wird dadurch kühler, die sinkende Luft wird entsprechend wärmer. In 1500 Metern Höhe ist es also zuverlässig im Mittel über 10 Grad kälter als in der Ebene. Damit es überall in Deutschland keinen Frost im Winter gibt, müsste die mittlere Temperatur im Winter daher unglaublich steigen. Um 20 Grad oder so – der Wert ist so irreal, dass weiteres Nachdenken keine Rolle spielt. Also: auch wenn sich das Klima ändert, verhindert das nicht, dass es im Winter kalt wird und manchmal auch sehr kalt – Wetter ist variabel. 
Daher sind die üblichen Schenkelklopfer der Leugner, wenn es mal wieder im Winter geschneit hat – zum Beispiel, ich habe gerade einen Meter Klimawandel räumen müssen – kein Ausweis von Intelligenz.
Aber nicht nur die Variabilität des Wetters muss herhalten, um den Klimawandel zu leugnen. Noch viel schöner ist es für Leugner, sagen zu können, Klimaforscher hätten das eine behauptet und jetzt sieht man was ganz anderes. Man könnte Leugnern vorhalten, wie kindisch das ist. Jeder Mensch hat das Recht, sich auch mal zu irren und seinen Irrtum zu korrigieren. Für Wissenschaftler ist das Tagesgeschäft. Man macht Prognosen, und wenn man sich geirrt hat, nutzt man die Erkenntnisse, um zukünftig bessere Prognosen zu machen. Aber es geht gar nicht um wissenschaftliche Arbeiten. Es geht um Interviews. Es geht sogar um Schnippsel aus Interviews, die man aus dem Kontext reißt.

Dieser Schnippsel hier wird in Leugnerbeiträgen besonders gern zitiert:
 
"Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben", sagt der Wissenschaftler Mojib Latif vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie.


Es stammt aus einer Nummer des Spiegels vom 1. April. Von Leugnern wird es so verwendet, als hätte Latif behauptet, dass es ab sofort keinen Frost und Schnee in Deutschland geben wird. Wann also immer im Winter einige Frosttage sind und Schnee fällt, wird das Zitat hervorgeholt, um zu sagen: Seht ihr? Diese Klimaforscher haben Vorhersagen gemacht, die nicht eingetreten sind."
Wir wissen, dass eine Vorhersage, in Deutschland gebe es im Winter keinen Frost und Schnee mehr, nicht stimmen kann. Es steht auch nicht da. Um den Kontext zu begreifen, bräuchte man die vollständigen Aussagen von Prof. Latif. Die liefert der Spiegel leider nicht, sondern nur einen kontextarmen Schnippsel. Wenn man sich den Artikel insgesamt durchliest, versteht man den Schnippsel aber zumindest etwas besser. Da steht nämlich als Einleitung:
In Deutschland gehören klirrend kalte Winter der Vergangenheit an:

Prof Latif hat also von bestimmten Wintern geredet, wie es sie bis zu den 70er Jahren manchmal noch gab, mit wochenlangen Minustemperaturen, starkem Frost, viel Eis und Schnee, aber nicht davon, dass es gar keinen Schnee mehr gibt. Wie schon gesagt, auch in einer erwärmten Welt ist Frost und Schnee in Deutschland Teil des variablen Winterwetters.
Die eigentliche Erläuterung folgt:
"Durch den Einfluss des Menschen werden die Temperaturen bei uns mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent noch weiter steigen", meint Latif. „Wegen dieses so genannten Treibhauseffekts wird es in Mittel- und Nordeuropa künftig mehr Westwindlagen geben. Das hätte wiederum regenreiche und noch mildere Winter zur Folge.“

Das war der eigentliche Kontext. Typische Frostlagen in Deutschland – ein stabiles Winterhoch, Strömungen aus Norden oder Osten über längere Zeiträume mit zweistelligen Minustemperaturen - sollten demnach in Deutschland seltener werden. Ist das so eingetreten? Tatsächlich sind die Winter in Deutschland im Mittel über die letzten Jahrzehnte wärmer geworden. Das spricht für Latif. Allerdings ist die Variabilität der Witterung über Deutschland recht groß. Man kann solche Aussagen nur mit Vorsicht machen. Widerlegt ist Latif aber definitiv nicht. Selbst das sehr kalte Ende des Februars 2018 spricht nicht dagegen – 1929 und 1956 waren da ganz andere Kaliber.
Betrachtet man die mittlere Temperatur im Winter in Deutschland, ergibt sich ein Erwärmungstrend von etwa 0,012 Grad/Jahr. Nach dem Jahr 2000 sind auch tatsächlich keine Winter mehr erkennbar, die so kalt wurden, wie einige Winter in den siebziger Jahren oder davor.
Daten vom Deutschen Wetterdienst, von hier gezogen: Klimadaten für Deutschland

Was Prof. Latif nicht auf dem Schirm hatte, wir aber in den letzten Jahren diskutieren, sind die Auswirkungen der Eisschmelze in der Arktis, insbesondere in der Barentssee und Karasee im Nordosten Asiens. Dazu verlinke ich auf einen Beitrag von Prof. Rahmstorf. Demnach führt die Veränderung des sich abschwächenden und windenden Jetstreams dazu, dass Wetterlagen öfter vorkommen können, in denen sehr kalte Luft aus Nordsibirien nach Westeuropa gelenkt wird. Solche Wetterlagen kommen nicht oft vor, sind aber dann sehr prägnant. In Deutschland können dann, wie vor kurzem, zweistellige Minustemperaturen auftreten. Für einen Minusrekord hatte es aber 2018 nicht gereicht. Und der Winter insgesamt(Dezember bis Februar) war laut DWD mal wieder zu warm (1,4 Grad über demDurchschnitt 1961-1990).


Prof. Latif wusste im Jahr 2000 noch nicht, dass geringe Eisbedeckung in der Arktis in Deutschland zu besonders kalten Winterwetterlagen führen kann. Inzwischen ist es als plausible Vermutung bekannt. Die Leugner wussten das im Jahr 2000 allerdings auch nicht. Und sie hatten sogar geleugnet, dass die Eisbedeckung in der Arktis zurückgeht, was ja Voraussetzung für diese Wirkungskette ist. Die Winter in Deutschland sind aber tatsächlich wärmer geworden und werden nicht mehr so extrem kalt, vor allem nach dem Jahr 2000. Nimmt man also alles zusammen, berücksichtigt den Kontext von Latifs Interviewaussagen und denkt noch daran, dass Latif von den Auswirkungen einer Klimaerwärmung redet (Zeithorizont Jahrzehnte bis Jahrhunderte), bleibt von der angeblich falschen Prognose nichts übrig.












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