In den Medien gibt es den I-Effekt als Gradmesser, welche Nachrichten Menschen eigentlich interessieren. Die Wichtigkeit dessen, was wahrgenommen wird, wird dabei nicht nach irgendwelchen objektiven Kriterien festgelegt, sondern nach dem Grad, mit dem man sich persönlich mit der Meldung identifizieren kann. Womit kann man sich persönlich identifizieren? Eher mit der Frage, ob es vor dem eigenen Haus ein Tempolimit gibt als mit internationaler Geopolitik. Eher damit, was die Merkel mit ihrer Frisur macht als mit ihrer Richtlinienkompetenz. Eher mit den Eskapaden der Amy Winehouse als mit Statistiken über Drogenprobleme. Hier in diesem Blog wird darauf hingewiesen, daß im Februar 2007 der Tod der Anna Nicole Smith in den USA zehnmal mehr Medienberichterstattung fand als die Vorstellung des Vierten Begutachtungsberichts des IPCC in Paris. Mit der Geschichte von Smith kann jeder was anfangen, sie gehört als Prominente zur erweiterten Familie, über die einen jeder Klatsch interessiert. Der Klimawandel ist irgendwas fernes, was irgendwelche Wissenschaftler und Politiker regeln sollen, und was hoffentlich nicht zu Steuererhöhungen führt.
Das Problem bei dem Thema Klimawandel ist, daß es in der Berichterstattung als ein OPP herüberkommt (OPP = other people problem). In den nächsten Jahrzehnten ist die Klimaentwicklung durch die erfolgten Emissionen der Treibhausgase und unsere gegenwärtige Verbrauchsstruktur weitgehend festgelegt. Egal was wir unternehmen, Auswirkungen dazu werden wir erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wahrnehmen. Da denken sich dann viele „Dann sind wir tot.“ Der I-Effekt wird damit beliebig klein, allenfalls rücken die Kinder und Enkel dann ins Blickfeld – falls vorhanden. Es ist auch insofern ein OPP, als die Auswirkungen des Klimawandels uns vielleicht weniger hart treffen als andere Länder und hier auch besser abgefedert werden können. Man denke an die Erhöhung des Meeresspiegels. Wir machen ein weiteres Deichbauprogramm, in Bangladesh geht das Land unter, weil man dort gar nicht das Geld für solche Maßnahmen hat.
Wir haben also ein OPP, aber bezahlen und unsere Lebensweise ändern, sollen wir. Der hohe I-Effekt kommt also nicht durch die wahrgenommenen Klimawandelfolgen zustande, sondern über sehr unangenehme Sachen: höhere Preise, mehr Abgaben, Verbote. Kann es einen da noch wundern, daß sich da eine Szene entwickelt hat, die mit fast religiösem Eifer predigt, es könne keine menschengemachten Klimawandel geben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Wie kommt man da herum? Indem man den I-Effekt herstellt. Der erste Schritt ist der, daß man Menschen ermöglicht, den Klimawandel in persönliche Erfahrungen zu übersetzen. Daher kommt zum Beispiel die Rolle solcher Katastrophenfilme wie The Day After Tomorrow. Obwohl aus physikalischer Sicht der Film humoristisch wirkt, weil die dort geschilderten Ereignisse in der von Hollywood geforderten dramatischen Geschwindigkeit gar nicht ablaufen könnten, ist er für manche Menschen die Möglichkeit, spröde Darstellungen der Klimaforscher in persönliche Bilder von Verlust und Flucht umzusetzen. In die gleiche Kerbe schlagen Bilder von verstorbenen Eisbären, obwohl auch hier die Wahrheit weitaus komplizierter ist. Diese Art, Klimawandel mit einem hohen I-Effekt zu versehen, ist aber im hohen Grade angreifbar, weil es davon lebt, daß man die Wahrheit vergröbert oder sogar beiseite läßt, nur um den Punkt zu machen.
Die zweite Möglichkeit ist es, gar nicht so sehr über den Klimawandel zu reden, sondern über direktere Folgen unseres Energieverbrauchs. Die hohen Benzinpreise z.B. sind eine direkte Folge davon, daß die Welt mehr Öl verbrennt, als sie auf Dauer bereitstellen kann. Je früher man aus dem Verbrennen von Öl aussteigt, desto schneller macht man sich frei von den Folgen solcher Preisschocks. Man kann auch über den Zustand unserer Weltmeere reden, die durch unsere CO2-Emissionen langsam sauer werden. Da droht uns ein Zusammenbruch bestimmter Arten kleiner Meereslebewesen mit Kalkschalen, die im sauren Milieu nicht mehr wachsen können. Die fehlen in der Nahrungskette und plötzlich werden viele Arten von Meerfisch zu unbezahlbaren Delikatessen. Helfen könnten hier auch die lange Reihe von Daten darüber, wie sich weltweit Vegetationszeiten, Lebensräume oder Wasserverfügbarkeit aufgrund des Klimawandels bereits verändert haben. Es gibt dazu einen Artikel in Nature, über den z.B. hier Joseph Romm berichtet.
Wir müssen uns aber immer im klaren darüber sein, daß es in der Natur des Klimawandels liegt, daß wir hier von Veränderungen sprechen, die über lange Zeiträume erfolgen. Was wir machen, entscheidet darüber, wie unsere Kinder und Enkel leben. Es ist ein OPP. Den I-Effekt können wir erst dann steigern, wenn wir uns permanent bewußt machen, wie das Leben unserer Kinder und Enkel aussehen wird in einer Welt, in der Lebensraum knapp wird, darum gekämpft werden muß und Klimaflüchtlinge unsteuerbar über Staatsgrenzen fluten, weil z.B. Bangladesh in den Fluten versinkt.
Freitag, 16. Mai 2008
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