Montag, 30. August 2010

Vertrauen wir den Journalisten?

Die Frage lautet eigentlich: Vertrauen wir den Wissenschaftlern? Und sie wird gestellt von Andrew Revkin, den früheren Wissenschaftsjournalisten der New York Times, der sich wacker bemüht, sein einstiges hohes Ansehen zum Teufel gehen zu lassen.



Das Wort "Vertrauen" ist gut. Es geht nicht darum, den Wissenschaftlern zu glauben. Glaube gehört in die Kirche und bedeutet, daß man nicht vorhat, nachzufragen und zu überprüfen, was einem da als Wahrheit angedient wird. Wenn jemand vertraut, dann behält er es sich vor, irgendwann auch mal zu überprüfen, ob das Vertrauen berechtigt war. Kontrolle ist möglich, aber solange man vertraut, spart man sich eine Mühe, die nach vorläufigem Kenntnisstand nicht erforderlich ist.

Wir vertrauen Wissenschaftlern deshalb, weil wir sie als Profis auf ihrem Gebiet anerkennen. Und wir erkennen sie als Profis an, weil wir wissen, daß sie eine anspruchsvolle Ausbildung durchgemacht haben und dann permanent auf ihrem Spezialgebiet arbeiten. Und wir vertrauen ihnen schließlich auch deshalb, weil wir davon gehört haben, daß die Wissenschaftler sich gegenseitig auf die Finger gucken. Fehler kommen vor, aber früher oder später (meist früher) stellt ein Wissenschaftler fest, daß er andere Ergebnisse als sein Kollege hat. Und da der Wissenschaftsbetrieb ein Konkurrenzkampf ist, in dem jeder möglichst viel publizieren möchte und zeigen möchte, daß er mehr weiß als seine Kollegen, ist der Antrieb sehr groß, Kollegen korrigieren zu wollen. Präzise gesagt, Wissenschaftler würden sogar dann noch ihre Kollegen korrigieren wollen, wenn es dafür keinen Cent gäbe, sondern einfach nur darum, es besser zu wissen.

Wie viele Wissenschaftler braucht es denn, damit sie sich gegenseitig kontrollieren können? Wenige. Vielleicht sogar nur 3. Immer 2 könnten für einen anderen ein Peer Review machen. Mehr wären natürlich besser, um eine Diskussion in Gang halten zu können. In den Anfängen der neuen Physik um Niels Bohr, Pauli, Heisenberg, De Broglie waren wenige Dutzend Wissenschaftler ernsthaft involviert. Trotzdem haben sie die Quantenmechanik aufgebaut und gewaltige Erkenntnisse angesammelt. Möchte jemand behaupten, daß dieser kleine Verein von Wissenschaftlern, die sich in den zwanziger Jahren noch alle persönlich kannten und trafen, sich nicht gegenseitig effektiv kontrollierten und gemeinsam in der Lage waren, das Wissen um die Welt zu erweitern?

Zurück zu Revkin. Er ist anderer Meinung. Man braucht nicht seinen ganzen Beitrag zu lesen, um ein flaues Gefühl im Magen zu bekommen. Revkin zitiert einen Fall aus der Kognitionsforschung, in der Kollegen kürzlich feststellten, daß der Wissenschaftler Marc Hauser seine Ergebnisse wohl gefälscht hatte. Aus irgendeinem Grund fand jemand, daß dies ein guter Anlaß wäre, darüber zu diskutieren, ob die Klimaforschung zu sehr unter Gruppendenken leidet, unter schützendem Stammesdenken und die Bereitschaft, Ergebnisse zu verdrehen, damit sie der Umweltschutzagenda entsprechen. Und weil jemand das fand, meinte Revkin dann, im Rahmen einer Email-Diskussion die Frage für die Klimaforschung beantworten zu müssen. Und dies teilt er dann der Welt mit Zeitungsartikel und Blogbeitrag mit. Bereits hier möchte man nicht weiterlesen. Was hat denn das Fehlverhalten eines Kognitionsforschers mit dem Zustand der Klimaforschung zu tun? Wie soll man davon etwas über Gruppendenken in einem ganz anderen Fach ableiten? Überhaupt, was für ein Gruppendenken, was für ein Verdrehen von Ergebnissen? Und was ist das für eine hinterfotzige Art: irgendjemand spricht eine Verschwörungstheorie aus und Revkin erklärt nun, wie er sich Wissenschaft vorstellt, genauso, wie ein Blinder von Farbe redet.

Auf Climate Progress hört man beim ersten Übelkeitsanfall nicht auf, sondern seziert den Beitrag, mit Links zu anderen, nicht minder befremdeten Kommentatoren. Denn Revkin legt ordentlich drauf. Er führt als Argument für das Stammesdenken in der Klimaforschung an, daß hier ja eine Reihe sehr spezialisierter Felder tätig seien. Klopfen sich da nicht die Paläoklimatologen, die Eiskernforscher, die Glaziologen, die Klimamodellierer nicht alle gegenseitig auf die Schulter? Es mag ja verzeihlich für Klein-Erna sein, wenn sie sich so Altherrenclubs von Forschern vorstellt, aber wie oben dargestellt klopft sich auch ein sehr kleiner Kreis hochspezialisierter Wissenschaftler nicht gegenseitig auf die Schultern. Zumal in der Klimaforschung die Zusammenarbeit der verschiedenen Spezialgebiete essentiell ist.

Es kommt noch schlimmer. Revkin will Belege dafür haben, daß Klimaforscher für eine Umweltagenda Ergebnisse verdreht hätten. Und er führt nicht etwa einen systematischen Nachweis, sondern zum einen an, daß im IPCC-Bericht steht, daß wahrscheinlich 20-30 Prozent der Arten von einer globalen Temperaturzunahme um etwa 1,5 - 2,5 Grad oder von über 2 Grad bezogen auf einen unklaren Bezugszeitsraum bedroht seien. Je nachdem, wo man im Bericht bzw. in der Zusammenfassung nachschaut, ist der Beitrag etwas anders formuliert. Ist das jetzt Schlampigkeit in einem minder schweren Fall oder ist das "Verdrehen von Ergebnissen"? Und ist so ein Einzelfall geeignet, ein ganzes Forschungsgebiet zu beurteilen? Der zweite und einzige weitere Beleg ist, daß Peter Huybers in einer Diskussion erklärte, daß Beiträge, die extreme Ereignisse erläutern, ein bessere Chance hätten, in gut sichtbaren Journalen wie Nature abgedruckt und in den Medien Widerhall zu finden als mehr technische Publikationen, die nicht so dramatische Ergebnisse haben, sondern das Für und Wider in einem bestimmten Punkt diskutieren. Ist das ausreichend, daraus zu konstruieren, Klimaforscher wollten eine Umweltagenda umsetzen und würden dafür Ergebnisse verdrehen?

Plausibler ist wohl, daß Revkin für seine Erzählung von Gruppendenken unter Wissenschaftlern mit Agenda, die in IPCC-Berichten die Klimakatastrophe konstruieren, ordentlich die Tatsachen verdreht und aus einem Minimum an Anhaltspunkten ein Maximum an Verallgemeinerungen erzeugt hat. Lassen wir doch mal Revue passieren, was in der letzten Zeit von verschiedenen Medien alles an Falschbehauptungen zurückgezogen werden mußte - die meisten behaupteten Fehler des IPCC waren keine. Zuletzt mußte der Daily Telegraph seine Behauptung zurücknehmen, IPCC-Direktor Rajendra Pachauri hätte Millionen Dollars durch seine Position beim IPCC und Einflußnahme auf die IPCC-Berichte gemacht. Eine Untersuchung durch die KPNG befreite Pachauri von jedem Verdacht, eine weitere Untersuchung, die wichtige Personen des IPCC von Unterstellungen freisprach, die vorher von Journalisten ohne Prüfung verbreitet wurden.

Wo also sollte man das Gruppendenken verorten und wo sollte man die Vertrauensfrage stellen. Bei den Wissenschaftlern, die die globale Erwärmung seit über 3 Jahrzehnten korrekt vorhersagen? Oder bei den Journalisten, die eine Unmenge von Unwahrheiten verbreitet haben, nur einen Bruchteil davon zurücknehmen und ihre eigene Falschberichterstattung bis heute weder einer Berichterstattung wert halten, noch auch nur erwägen, daß es für den Journalismus eine Qualitätskontrolle geben sollte?

1 Kommentar:

Ebel hat gesagt…

Was ist eine Information für den Empfänger - ganz gleich ob von Wissenschaftlern oder Journalisten? Etwas Unerwartetes. Deswegen sind im Krimis und Arztromane und Filme so beliebt, es kann immer überraschende Wendungen geben.

Bei der Quantentheorie erklärte erstens überhaupt die Formel von Planck die Spektralverteilung, obwohl fast alle Wissenschaftler die Hoffnung schon aufgegeben hatten. Außerdemwar das Ergebnis so eindeutig, daß z.B. Planck die Ablehnung der Atomtheorie Boltzmanns aufgab. Und noch etwas war Wesentlich: Die Industrie lechzte nach Ergebnissen, es gab keinen Industriezweig, den die Ergebnisse störten und die Experimente unterstützten ganz eindeutig die Theorie - auch nachvollziehbar für weniger Gebildete.

Schon schwieriger war es mit der Relativitätstheorie. Deren Aussagen scheinen dem natürlichen Menschenverstand entgegenzulaufen und sogar noch 30 Jahre nach der Anerkennung versuchten namhafte Physiker diese aus Eigeninteresse zu leugnen ( http://de.wikipedia.org/wiki/Relativit%C3%A4tstheorie#Rezeption_und_Interpretation ). Und in dieses Bild von Lenard und Stark passen einige heutige "Wissenschaftler" zum Treibhauseffekt. Die Voraussetzungen dafür sind günstig: Wegen der Notwendigkeit langer Beobachtungszeiträume und großer Beobachtungsflächen und großer Wetterschwankungen ist für den Einzelnen der Vergleich Theorie (besonders wenn sie ungeschickt dargeboten wird) und Beobachtung schwierig, einzelne Wissenschaftler wollen das ausnutzen, um sich bekannt zu machen (wahrscheinlich z.B. u.a. Gerlich, Tscheuschner, Kramm) und es gibt Industriezweige, die die Forschungsergebnisse stören.

MfG