Mittwoch, 18. August 2010

Wann wissen wir, ob der Klimawandel mehr Menschen tötet?

Die Frage im Titel hat eine einfache Antwort: 2100, vielleicht auch schon einige Jahre vorher, wissen wir es. Wir können nämlich nur dann sicher sagen, wie viel Menschen der Klimawandel tötet, wenn er erfolgt ist. Und auch dann mit der Einschränkung, daß wir irgendwie feststellen müssen, wie der Vergleichszustand ohne Klimawandel aussieht. Das ist nicht immer einfach. Als 1917 die kommunistische Diktatur sich in Rußland an die Macht putschte und das Land mit Bürgerkrieg und die unbotmäßige Ukraine schließlich mit einer Hungersnot überzog, was nehmen wir als Verursacher der Millionen Hungertoten in der Ukraine: die politischen Verhältnisse, den Krieg, die Zwangskollektivierung und Beschlagnahmen in der Ukraine? Oder rechnen wir die Toten als Ergebnis einer Dürre, eines klimatischen oder meteorologischen Einflusses? Wenn Sie letzteres für plausibler halten, heißen Sie Indur Goklany und publizieren Sie im Interesse diverser Think Tanks Artikel, die "beweisen", daß der Klimawandel zu einer abnehmenden Zahl von Toten führt und die Toten durch den Klimawandel ohnehin gegenüber denen durch andere Ursachen vernachlässigt werden können. Gehen wir mal in die Einzelheiten.
Nach Meinung von Goklany beweist das, daß Klima und Wetter früher tödlicher waren. Nach meiner Meinung zeigt das, daß eine Ansammlung von Einzelereignissen keine belastbare Statistik gibt (Zahl der Toten pro Jahr und Todesfallraten pro Millionen Menschen für jeweils ein Jahrzehnt aufgrund von Ereignissen, die irgendwie mit Wetter und Klima zu tun haben könnten).



Indur Goklanys Ansatz, eine abnehmende Zahl von Toten durch Dürre, Überschwemmungen und Stürme zu ermitteln, kann man zum Beispiel unter diesem Link finden. Sein Beweis ist eine Graphik, die er aus Daten der International Desaster Database der WHO Collaborating Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED)zusammengestellt hat. Da sieht man zwischen 1920 und 1949 furchtbar viele Menschen durch Dürren und Überschwemmungen sterben, 1950 bis 1969 immer noch recht viele, und dann vergleichsweise wenige Menschen umkommen. Für jemanden, der marktradikalen Gedanken nahesteht, der entsprechende Positionen in einer Stellung beim Innenministerium der USA und für das Cato-Insitut und das Heartland-Institut vertreten hat, ist das ein klarer Beweis dafür, daß die globale Erwärmung keinen Einfluß auf Todesfälle hat (oder gar, globale Erwärmung Menschenleben rettet).

Wenn man hingegen versucht, ein statistisch belastbares Ergebnis zu erzielen, dann stößt man sofort auf ein Problem: die ganze Zeitreihe wird von wenigen Einzelereignissen bestimmt. Also kann man gar keine Korrelation aufstellen, sondern man muß die Einzelereignisse betrachten. Das sind konkret für die 20er Jahre 3 Dürren: 1921 Ukraine mit 1,2 Millionen, 1928 China mit 3 Millionen und 1920 China mit 0,5 Millionen. Bleiben 0,15 Millionen für den ganzen Rest übrig. Und warum gab es da diese Toten? 1921 Bürgerkrieg und Zwangskollektivierung in der Ukraine, in China war Bürgerkrieg und eine Herrschaft von Warlords. Die gleiche Dürren zu anderen Zeiten hätten vielleicht überhaupt keine Toten zur Folge gehabt.

In den 30er Jahren sind Überschwemmungen das Thema: 3,7 Millionen Tote 1931 und 0,5 Millionen 1939. Und dann bleiben noch 0,26 Millionen für den ganzen Rest. Warum war das so? 1931 trat der Yangtse über die Ufer, was in Monsun-Zeiten geschen kann. 1851-1865 sollen sogar über 40 Millionen Menschen in einer Reihe solcher Überschwemmungen ums Leben gekommen sein. Flußregulierungen haben schließlich die Gefährdung durch den Yangtse reduziert. Aber 1931, in einer Zeit ständiger Bürgerkriege, schließlich auch des Krieges mit Japan, konnte davon noch keine Rede sein.Eine Folge des Klimas oder eher des Standes der Flußregulierung?

In den 40er Jahren geht es wieder um Dürren: 1,9 Millionen 1943 in Ostindien (heute Bangladesh) und 1,5 Millionen 1942 in Indien. Bleiben 0,3 Millionen für den ganzen Rest. Man darf jetzt überlegen, ob es ohne den 2. Weltkrieg in der britischen Kolonie Indien auch so viele Hungertote in einer Dürre gegeben hätte.

In den 50er Jahren gibt es nur ein Ereignis: 1959 eine Überschwemmung durch den Gelben Fluß in Ostchina mit 2 Millionen Toten, wobei hier Ertrunkene und Verhungerte durch Ernteschäden zusammengezählt sind. Da das Ereignis in die Zeit des "Großen Sprungs" fällt, als insgesamt bis zu 50 Millionen Chinesen verhungerten, ist auch hier zweifelhaft, ob man die Toten einem Wetterereignis oder nicht eher der damaligen Situation in China zuordnen sollte. Die Toten der 60er Jahre lassen sich einer einzigen Dürre 1961 in Indien zuordnen. Wetterereignis oder Ausdruck der damaligen politischen Lage in Indien? In den 80er Jahre lassen sich fast alle Toten durch 3 Dürren in Kriegs- und Bürgerkriegsländern erklären: 1981- 1985 in Sudan, Äthiopien und Mocambik.

Also, eine Liste von 12 Einzelereignissen, bei denen durchweg Krieg, Bürgerkrieg und fehlende zentrale Kontrolle oder Unterstützung eine Rolle spielen, dominieren die gesamte Statistik, mit der Goklany argumentieren will. Das Zahlenwerk ist für diesen Zweck ungeeignet. Und man braucht auch nicht lange zu raten, ob Goklany das nicht hätte bewußt sein müssen.

Aber womit müssen wir eigentlich rechnen? Zum einen mit ausgedehnten Hitzeperioden, die schließlich zu Hitzetoten, Waldbränden und schwersten Umweltschäden mit Toten durch Belastung der Luft oder des Wassers führen wie 2003 in Südeuropa oder dieses Jahr in Rußland. Das werden in jedem Einzelereignis bis einige 10.000 Menschen sein, stark abhängig davon, wie gut entwickelt der Staat ist, den es trifft und wie zeitig Abwehrmaßnahmen getroffen werden. Zum anderen müssen wir damit rechnen, daß Ernteausfälle in mehreren Staaten gleichzeitig so eintreten können, daß die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln zusammenbricht. Das wäre dann ein Ereignis, daß plötzlich und unvorhersehbar eintritt. So ein Ereignis kann man nicht durch die Fortschreibung irgend eines linearen Trends bestimmen, denn so lange immer nur in einzelnen Regionen Ernteausfälle auftreten und die Belastung der Erde ein bestimmtes Maß nicht überschritten hat, wird man auch keine Nahrungsmittelkrise erkennen können, höchstens die durch Mißwirtschaft oder Kriege möglichen Versorgungskrisen in einzelnen Regionen. Statistiken wie die von Goklany zeigen uns nur, daß Krisen, die Staaten in Kriegen, Bürgerkriegen, mit starker Mißwirtschaft und ohne internationale Solidarität erwischen, zu vielen Todesfällen führen. Für Aussagen über die Folgen des Klimawandels sind sie sinnlos, denn die Statistiken des 21. Jahrhunderts werden mit denen des 20. Jahrhunderts nichts zu tun haben.

Keine Kommentare: