Im Beitrag "Das Gedächtnis des Meeres" hatte ich mit Inspiration durch das gleichnamige Buch von Eugen Seibold erzählt, daß das Auf und Ab des Meeresspiegels über die Jahrmillionen ein Ergebnis der Kontinentalplattenbewegung sein kann. Schnellere Änderungen des Meeresspiegels sind eher die Folge von Klimaänderungen. Lokal können sich auch vulkanische Aktivität auswirken, wie auch die Entspannung von Landgebieten, die von einer starken Eislast befreit werden, wie etwa Skandinavien nach der letzten Eiszeit. Die Hebung und Senkung des Meeresspiegels kann in die Größenordnung von 100 Meter gelangen (ca. 1 mm pro Jahrhundert bei Änderungen durch Kontinentalverschiebungen, ca. 1 Meter pro Jahrhundert bei Klimaänderungen, wobei das gemittelte Werte über eine solche Veränderung sind - Spitzenwerte können weit höher sein). Die Geologie liefert Daten über gewaltige Veränderungen in der Vergangenheit. Aber was sagt dies über unsere Zukunft aus?
Mit dem laufenden Klimawandel ändert sich die Höhe des Meeresspiegels gegenwärtig mit ca. 3 mm pro Jahr oder 30 cm pro Jahrhundert. Diese Geschwindigkeit wächst - in den nächsten Jahrzehnten wird sie sich zumindest verdoppeln, bis zum Ende des Jahrhunderts vielleicht verdreifachen, womit im gesamten Jahrhundert ein Meerespiegelanstieg von 80 cm bis über 1,5 Meter plausibel erscheint.
Meerespiegeländerungen von global über einem Meter in einem Jahrhundert hat es in der Vergangenheit wiederholt gegeben, daher müssen wir auch diesmal davon ausgehen. Denn vorhersagen können wir nur den Meeresspiegelanstieg durch die thermische Ausdehnung des Meerwassers und mit größerer Unsicherheit auch den verstärkten Abfluß in die Meere durch schmelzende Gletscher und Landeisflächen. Doch wie schnell und in welchem Maß die Eisbdeckung an den Polen instabil wird und ins Meer abrutscht und abtaut ist immer noch spekulativ. Im Laufe von einigen Jahrhunderten werden daraus aber wahrscheinlich mehrere Dutzend Meter Meerespiegelanstieg, falls wir nicht dieses Jahrhundert die Treibhausgasemissionen massiv einschränken, denn schon jetzt sind einige Gebiete des ewigen Eises nur metastabil - sie würden be istabilen Temperaturen nicht abtauen, aber es ist auch zu warm, daß diese sich neu bilden könnten. Das gilt etwa für die Eisbedeckung Grönlands, die bis zu 3 Kilometern dick ist. Wäre dieses Eis nicht vorhanden, könnte im Sommer das Eis, daß sich im Winter in Grönland bildet, wieder abtauen. In 3 Kilometern Höhe ist es aber auch im Sommer meistens kalt genug, daß Neuschnee auch den Sommer übersteht und sich im Laufe der Zeit in Gletschereis verwandelt. Grönlands Eis schmilzt vor allem von den Rändern her ab und fließt zu einem großen Teil über Gletscher ins Meer ab.
Doch wie wirkt sich der Meeresspiegelanstieg aus? Und was macht uns gegenüber dem Meeresspiegelanstieg verwundbar? Eine Tatsache, die eine wichtige Rolle spielt ist die, daß das Meer selbst dafür gesorgt hat, daß das Land für einen Meeresspiegelanstieg empfindlich ist. Für die Gestalt der Erde spielen Dichteunterschiede des Gesteins eine wichtige Rolle. Das Gestein der Kontinente hat eine andere Dichte als das Tiefengestein aus dem Erdmantel, das als Lava durch Vulkane nach oben quellen kann. Die Kontinente schwimmen auf dem Erdmantel auf und ragen entsprechend dem Auftrieb entsprechend weit heraus. Die ozeanische Kruste andererseits sinkt nach ihrer Produktion an den mittelozeanischen Rücken tief ab. Wurde sie neu gebildet, ist sie aufgrund ihrer Hitze noch von geringerer Dichte und schwimmt stärker auf. Bei der Abkühlung nimmt die Dichte zu und die ozeanische Kruste sinkt nach einem einfachen Gesetz immer mehr ab (grob nach der Wurzel der Zeit). Verschiedene Messungen ermöglichen es sehr schön zu zeigen, wann ein Teil der ozeanischen Kruste gebildet wurde. Magnetische Erzpartikel im Gestein richten sich nämlich nach dem Erdmagnetfeld aus und behalten die Orientierung, sobald sie genug abgekühlt sind. Das Erdmagnetfeld aber wechselt seine Orientierung alle paar 100.000 bis zu ca. ein paar Millionen Jahren. Wie die Ringe eines Baumes kann man mit dem Wechsel der magnetischen Orientierung im Gestein zurückverfolgen, wann ein Stück Ozeanboden gebildet wurde, und erlauben es, zu verstehen, warum es in einer bestimmten Tiefe liegt.
Auf dem Ozeanboden lagern sich Sedimente ab. Sie werden durch Erosion an Land gebildet und von Flüssen ins Meer gewaschen. Diese Erosion bindet auch immer Kohlendioxid in den Gesteinen. Deshalb nimmt über die Jahrmillionen der Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre ab. Das ist gut so, denn gleichzeitig nimmt über die Jahrmillionen die Strahlungsstärke der Sonne immer mehr zu, um gut 30% in den vergangenen 4 Milliarden Jahren (genaue Zahlen sollte man Lehrbüchern entnehmen). Die Bindung von Kohlendioxid im Gestein und die Entwicklung der Strahlungsstärke der Sonne zeigen also gegenläufige Effekte, ohne die die Erde schon in einen Hitzetod gelaufen sein könnte. Dazu kommen auch biologische Effekte, die insgesamt dafür sorgen, daß die Erdoberfläche wie ein Thermostat das Klima in einem für das Leben günstigen Bereich hält. Dazu hatte ich bereits eine Einführung geschrieben. Mit dem ganzen erodierten Gestein werden im Meer fortlaufend Sedimentschichten gebildet. Enthaltenes Salz wird herausgelöst und sorgt für den Salzgehalt der Meere und für ihre Düngung mit Mineralien. Carbonat und Silikat gehen ins Meerwasser, werden von Schalentieren verbaut, schließlich als Sedimente abgelagert. Letztlich aber werden gewaltige Mengen an Meerwasser, Salzen, Sedimenten und Carbonaten an aktiven Kontinentalplattengrenzen mit absinkenden ozeanischen Platten in den Erdmantel hinuntergezogen. Das wirkt sich in der Stoffbilanz nur über Jahrmillionen aus, aber es entzieht der Erdatmosphäre so langfristig Kohlenstoff, es wirkt sich auch langfristig auf den Meeresspiegel aus. Das mitgezogene Meerwasser kann den Vulkanismus fördern und so auch wieder aus dem Erdmantel austreten. Und die in den Erdmantel gezogene Salze sorgen auch dafür, daß der Salzgehalt der Meere trotz des ständigen Zulaufs von den Kontinenten stabil bleibt.
Im Grunde sehen wir überall in den Stoffbilanzen Kreisläufe am Werk, die vieles auf der Erde in einem normalen Bereich halten. Fatal wird es, wenn der Mensch diese Stoffbilanzen stört, wie im Fall des Kohlendioxid. Dann müssen sich neue Gleichgewichtswerte einstellen, und die sind nicht unbedingt zu unserem Nutzen. Ein Wert betrifft den der nutzbaren Landfläche. Wie schon geschrieben, bilden sich durch die Erosion und durch von den Flüssen mitgeschlepptes Erdreich wie auch durch die Schalen und Abfälle der Meereslebewesen Sedimentschichten. Die bilden sich nicht an beliebigen Orten. Sie bilden sich zum Beispiel eher an den Küsten, weil das meiste ausgeschwemmte Material auch direkt dort im Meer absinkt. In zu großer Tiefe lösen sich auch die Carbonatschalen von Kleinlebewesen im Meer wieder auf. Auch hier können Sedimentschichten, die zukünftigen Kalksteingebirge, nur in bestimmten Tiefenbereichen wachsen, die eher in der Nähe der Küsten liegen. In Küstennähe sind die ozeanischen Krusten, die von den mittelozeanischen Rücken her wachsen, üblicherweise auch recht alt und liegen daher sehr tief. Eine 160 Millionen Jahre alte Kruste, wie es etwa an den Rändern des Atlantik möglich wäre, müßte 7 km tief liegen. Tatsächlich liegt sie noch viel tiefer, der Meeresgrund aber viel höher. Denn die aufliegende Sedimentschicht ist selbst viele Kilometer dick. Und ihr Gewicht drückt die Erdkruste um etwa die Hälfte ihrer Dicke tiefer. Unter einer aufliegenden Schicht von 14 Kilometern Sedimenten ist die ozeanische Kruste also 14 Kilometer tief, die Wassertiefe vielleicht aber weniger als 100 Meter. Die Erosion schafft also vor den Küsten einen breiten Saum, in dem die Wassertiefe zunächst nur langsam zunimmt. Darauf folgt eine rascher Abfall auf das Niveau der Tiefsee, teilweise bis fast zur ozeanischen Kruste hinunter, die mehrere Kilometer tief liegt. Im Mittel ist das Meer ca. 3800 Meter tief.
An Land sorgt die Erosion dafür, daß das Land stetig abgetragen wird. Besonders stark wirkt die Erosion an den Küsten, denn hier kann auch das Meer mit Wellen, mit den Gezeiten, mit Stürmen und Springfluten, auch mit dem Wechsel des Meeresspiegels das Land abtragen. Am Rande der Kontinente entsteht dadurch ein breiter Rand von Landflächen, die sich nur wenig über Meeresniveau erheben. Will man sich anschauen, wie groß relativ die Anteile der Oberfläche der Erde sind, die in einem bestimmten Höhenniveau bezüglich des Meeresspiegels liegen, ergibt sich ungefähr die folgende Verteilung:
Es gibt zum einen einen besonders großen Anteil der Erdoberfläche, der in 3 bis 6 km Tiefe liegt, Maximum bei -4,7 Kilometern. Das ist die Lage eines großen Teils der ozeanischen Kruste. Zum anderen gibt es einen großen Anteil, der um 1 km unter bis 1 km über dem Meeresspiegel liegt, mit einem scharfen Maximum bei 100 Metern. Das ist der Teil, der durch Erosion und dem Wechsel des Standes des Meeresspiegels besonders beeinflußt wird. Zugleich liegen in diesem Bereich große Teile des fruchtbarsten Schwemmlandes. Hier liegen viele der größten Städte und dichtbesiedelsten Regionen, der überwiegende Teil der Menschheit lebt in Gebieten, die kaum 200 Meter über Meeresniveau liegen. 1/8 der Erde liegt im Bereich von 200 Metern über und unter dem Meeresspiegel. Das ist kein Zufall. Die Änderungen des Meeresspiegels haben sich in den vergangenen paar Milliarden Jahren in diesem Bereich bewegt.
Wenn wir also die globale Temperatur um mehrere Grad steigen lassen und dabei riskieren, daß die polaren Eisschilde instabil werden und unwiderruflich über die nächsten Jahrhunderte abschmelzen, treiben wir den Meeresspiegel um mehr als 50 Meter nach oben. Der dadurch verursachte Landverlust ist gewaltig und kann auch nicht dadurch aufgewogen werden, daß wir andererseits in subarktischen Gebieten nutzbares Land gewinnen, weil hier das Klima milder wird. Schaut man auf eine Landkarte der Zeit, als die polaren Gebiete im Sommer eisfrei waren, findet man ausgedehnte Flachmeere auf Gebieten, die heute Land sind. Gut für Meerestiere, weniger gut für den Menschen, der andererseits die tropischen Breiten wegen der großen Hitze nicht mehr nutzen kann. Aber wie realistisch ist dieses Szenario? Dafür brauchen wir uns nicht allein auf Modelle zu verlassen. Geologische Daten der fernen Vergangenheit können uns ebenfalls eine Antwort geben. Das möchte ich aber auf einen weiteren Artikel verschieben.
Sonntag, 16. Januar 2011
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