Eine der großen Unbekannten des Klimawandels ist der Anstieg des Meeresspiegels. In diesen Anstieg gehen mehrere Komponenten ein.
Da ist die thermische Ausdehnung des Wassers: Wasser, das wärmer ist als etwa 4 Grad Celsius, dehnt sich weiter aus, wenn es erwärmt wird. Die meiste Zeit im vergangenen Jahrhundert war das der wichtigste Beitrag zum Meeresspiegelanstieg. In den letzten 10 oder 20 Jahren waren aber auch andere Beiträge sehr bedeutend und dominierten zeitweilig.
Da ist die Umverteilung von Wasser zwischen der Atmosphäre, dem Wasser an Land (Grundwasser, Flüsse und Seen) und dem Meer, unter anderem davon beeinflusst, wie stark Flüsse reguliert werden und schneller oder langsamer ihr Wasser zum Meer transportieren und wie stark Stauseen gebildet und aufgefüllt werden.
Schmelzen oder Anwachsen von Festlandeis und –schnee, insbesondere Gletscher in den Gebirgen.
Diese beiden Beiträge trugen in den letzten 10 Jahren wohl mehr als die Hälfte zum Meeresspiegelanstieg bei.
Schließlich der Beitrag der großen Eisschilde, an erster Stelle auf Grönland und in der Westantarktis. Wann, wie und wie schnell diese Eisschilde abschmelzen können, ist die große Unbekannte, denn dies hängt von der Stabilität dieser Eisschilde ab, über die man immer noch wenig weiß.
Bisher weiß man nur, daß der Meeresspiegel steigt, am oberen Rand der Modellschätzungen, aber bislang mit einer Rate von 31 cm pro Jahrhundert. (Dazu empfehle ich einen Blick in die Klimalounge.) Außerdem weiß man, daß in der Vergangenheit die Eispanzer von Grönland und der Westantarktis wiederholt in Warmzeiten abgeschmolzen sind bei Temperaturen, die kaum 2 Grad über den heutigen liegen, also den für 2100 erwarteten Werten. (Auch dazu empfehle ich einen Blick in die Klimalounge.) Der Punkt ist, daß die Erwärmung der Erde sich mit einiger Verzögerung in ein Abschmelzen der Eisschilde umsetzen wird. Wie lange kann es dauern?
Das wissen wir nicht. Deshalb sind indirekte Hinweise darauf wichtig, wie schnell in der Vergangenheit so ein Meeresspiegelanstieg erfolgen konnte. Im Prinzip ist das einfach. Man schaut sich z.B. ein Korallenriff an, aber nicht ein heutiges, sondern eines aus der fernen Vergangenheit, als der Meeresspiegel höher stand als heute. Dann schaut man, ob bei so einem Korallenriff das Wachstum abgebrochen wurde und sich einige Meter höher eine weitere Riffkante ausgebildet hat. Das würde nämlich darauf hinweisen, daß hier in einer überschaubaren Zeit der Wasserspiegel entsprechend angestiegen war. Kritisch dabei ist, daß man beide Riffkanten möglichst genau datieren muß. Genau das ist das Problem, denn bei Ereignissen, die mehr als 100.000 Jahre zurückliegen, ist es eine große Herausforderung, auf ein Jahrzehnt genau eine radiochemische Datierung der Proben hinzubekommen, auch wenn die Datierung einer Zeitdifferenz zwischen zwei gut vergleichbaren Proben genauer bewerkstelligt werden kann als die absolute zeitliche Datierung jeweils unabhängiger Proben.
Der Artikel von Blanchon, Paul, Eisenhauer, A., Fietzke, J., Liebetrau, V., Rapid sea-level rise and reef back-stepping at the close of the last interglacial highstand, Nature 458, 881-884 (16 April 2009), scheint nun eine unangenehme Antwort zu liefern. Prähistorische Riffkanten, etwa 121.000 Jahre alt, auf Yukatan, deuten auf einen Meeresspiegelanstieg von etwa 2,5 Metern in 50 Jahren hin. Die Zeitspanne ergibt sich aus der Thorium-Datierung, daraus, daß die Verfassung der Riffkanten darauf hindeutet, daß die Veränderung in einer ökologischen Zeitskala normaler Lebenszyklen des Riffs stattfand und aus dem Vergleich der Schichtungen innerhalb des Riffs mit anderen Riffs z.B. auf den Bahamas.
Die Schlussfolgerungen der Autoren sind recht mutig, denn es gibt durchaus Angriffspunkte für die angegebene Zeitspanne, etwa aufgrund der Unsicherheiten der Thorium-Datierung und der Frage, ob die Vergleichbarkeit mit Schichtungen an anderen Riffen wirklich so gegeben ist. Im National Geographik wird der Beitrag z.B. eher kritisch diskutiert. Aber es ist doch ein ernst zu nehmender Hinweis darauf, daß ein plötzliches Abschmelzen der großen Eisschilde bei Temperaturen möglich ist, die wir im Laufe des Jahrhunderts wohl erreichen werden. Niemand aber weiß, wie wir global darauf reagieren könnten, wenn der Meeresspiegel in weniger als 50 Jahren um 2-3 Metern ansteigen sollte. Selbst wenn diese Publikation sich in ihren Schlussfolgerungen als voreilig erweisen sollte, worauf wir nun alle hoffen müssen, ist das Thema wohl so lange nicht erledigt, bis nicht entweder genaue Modellstudien der Eisdynamik verfügbar sind, die uns erlauben, vorherzusagen, wie z.B. die Westantarktis auf eine weitere Erwärmung reagiert, und durch die wir ein so rasches Abschmelzen ausschließen können, oder der endgültige Nachweis gelingt, daß in einer der letzten Warmzeiten tatsächlich der Meeresspiegel innerhalb weniger Jahrzehnte um mehr als 2 Meter gestiegen ist.
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