Mittwoch, 22. April 2009

Die große Lüge

Eine Taktik der politischen Propaganda ist es, eine Lüge zu wiederholen. Es ist ein in der Psychologie bekanntes Phänomen, daß Menschen dazu neigen, eher Inhalten zu trauen, die ihnen bekannt sind und Wiederholung ist ein Weg dazu, Lügen vertraut zu machen, so daß sie am Ende geglaubt werden. Also treten auch Leugner mit denselben Behauptungen auf, die bereits widerlegt wurden (von mir an anderer Stelle als die Zombies der Klimadiskussion bezeichnet). Sie wissen eventuell durchaus, daß sie lügen oder zumindest, daß sie ihre Seite nicht wirklich belegt haben, aber es geht ihnen nicht um die Wahrheit des Punktes, den sie ansprechen, sondern um die politische oder religiöse Agenda, in deren Rahmen sie argumentieren.

Für Menschen, die wissen, daß sie mit plumpen Lügen konfrontiert werden, ergibt sich immer ein Dilemma. Zum einen ist es einfach Zeitverschwendung, sich mit offensichtlich falschen Darstellungen zu befassen. Zum anderen führt jede Befassung mit Lügen dazu, daß diese erneut bekannter werden. Wer diese Lügen nicht sofort selbst als solche erkennt, wird auch nach einer fachlichen Befassung damit nicht unbedingt aufgeklärt werden, denn es bedarf schon erheblicher Defizite in Logik und naturwissenschaftlichem Denken, um die üblichen Leugnerlügen zu glauben. Andererseits ist es gefährlich, solche Lügen unwidersprochen stehen zu lassen, weil es immer wieder Menschen gibt, die sich zum ersten Mal mit dem Thema befassen und die in möglichst kurzer Zeit (der kurzen Aufmerksamkeitsspanne des Internet-geschädigten Menschen gemäß) zu jeder Lüge auch die Widerlegung finden sollten. Weiteres dazu hier.

Worum geht es hier also? Im Fernsehen und seither in Videoportalen wie Youtube vagabundieren Ausschnitte des Propagandafilms „The Great Global Warming Swindle“, auf Deutsch produziert als „Der Klimaschwindel“. Das Propagandawerk, das es in mehreren Versionen gibt, wiederholt fast alle wichtigen Leugnerthemen, läßt entsprechend auch fast nur Leugner zu Wort kommen, mit Ausnahme des Wissenschaftlers Carl Wunsch, der hinterher gegen das Machwerk protestierte, weil er sich hintergangen fühlte – man hätte ihm nicht gesagt, daß sein Kommentar selektiv zusammengeschnitten in einem Propagandawerk verwendet würde. In einer späteren Version des Films wurde sein Beitrag daher herausgeschnitten.

In der deutschen Ausgabe findet man in den ersten 9 Minuten z.B. bekannte Gestalten wie den Meteorologen Thüne, der praktisch jeder bekannten Forschung zum Klimawandel widerspricht, Gerd-Rainer Weber, beschäftigt beim Gesamtverband des Deutschen Steinkohlenbergbaus, der im Film eine Verschwörungstheorie vertritt, auf die ich gleich zurückkomme oder den Journalisten Maxeiner, der schon oft mit unseriösen Darstellungen aufgefallen ist und wohl eine bestimmte politische Agenda vertritt, nach der Umweltschutz generell auf Hysterie basiert. Außerdem äußern sich als „Wissenschaftler“ Roy Spencer, John Christy, Patrick Michaels und Richard Lindzen – die Anführungsstriche rechtfertigen sich hier, weil die Wortbeiträge dieser Personen hier ziemlich neben der Spur sind und sie ihre Behauptungen nicht mit nachvollziehbaren Argumenten belegen. Später wird unter anderem auch eine falsche Korrelation von Friis-Christensen als „Beleg“ herangezogen, daß Änderungen der Sonnenaktivität der einzige Grund für Klimaänderungen auf der Erde seien.

Welche Verschwörungstheorie habe ich angesprochen? Sie lautet, die Klimaforschung würde die globale Erwärmung nur behaupten, weil sie sich so Forschungsgelder sichern könnte. Nach dieser These wären also sämtliche Wissenschaftler im Feld Beteiligte einer großen Verschwörung, und ihre Geldgeber entweder ahnungslos oder Komplizen. Wie besteht diese Behauptung den Logiktest?

  • Zum einen ist Wissenschaft eine mühevolle Angelegenheit, um ein gemessen an der Ausbildung unterdurchschnittliches Gehalt zu erzielen. Es gibt viele weitaus ertragreichere Möglichkeiten, wenn es einem darum geht, an Geld zu kommen. Das gilt besonders für viele Wissenschaftler auf Zeitstellen, die allenfalls daran interessiert sein könnten, auf gut dotierte Posten in der freien Wirtschaft zu wechseln.
  • Weiterhin ist das Wissen um die globale Erwärmung das gewachsene Ergebnis zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten, die über das gesamte Jahrhundert hinweg geschrieben wurden. Wie hätte eine Arbeit in den 50er, 60er oder 70er Jahren von einer Wissenschaftlerverschwörung profitieren können, die sich erst in den 80er Jahren entwickelt haben soll?
  • Es gibt mehrere Kommissionsarbeiten aus den USA von 1979 bis 1983, (JASON-Report, Charney-Report, Nierenberg-Report), die alle bezüglich der globalen Erwärmung zu ähnlichen Resultaten kommen. Die am JASON-Report beteiligten Wissenschaftler hatten teilweise keine eigenen Forschungsinteressen in der Klimaforschung.
  • Institutionen, die ihr Geld auf jeden Fall bekommen, unabhängig davon, ob es einen Klimawandel gibt oder nicht, wie die nationalen Wetterdienste, stellen in ihren Berichten fest, daß es eine globale Erwärmung gibt und schließen aus, daß diese allein durch natürliche Ursachen erklärt werden kann.
  • Wissenschaftler publizieren zum Klimawandel in gleicher Weise unabhängig davon, ob sie in Ländern arbeiten, in denen die Politik den menschengemachten Klimawandel als Problem ansehen oder es leugnen (insbesondere die USA unter Reagan 1980-1988 und G.W.Bush 2000-2008). In letzterem Fall wäre es für Wissenschaftler doch nach der Verschwörungslogik einträglicher, Mittel dafür zu bekommen, daß sie behaupten, der Klimawandel sei kein Problem.
  • Die meisten relevanten Arbeiten auf dem Gebiet nehmen gar nicht explizit Stellung zum Klimawandel, sondern erstellen oder analysieren Daten oder entwickeln Modelle. Diese Arbeiten fallen an und werden gefördert unabhängig davon, ob Staaten das Klima als ein Problem ansehen oder nicht. Es wird auch Forschung gefördert, in der nach Planeten bei anderen Sternen gesucht wird, ohne daß die Wissenschaftler vorbringen müssten, daß fremde Planeten ein Umweltproblem auf der Erde wären.
  • Der Verschwörungstheorie fehlt das wichtigste: die Verschwörer. Das heißt, Dokumente, die belegen, daß tatsächlich Wissenschaftler in großer Zahl und im gegenseitigen Übereinkommen in Fachpublikationen Falsches behauptet haben.
  • Leugner wie Patrick Michaels, Bob Carter, Fred Singer, Richard Lindzen, Roy Spencer oder John Christy leben offensichtlich ganz gut davon, daß sie die üblichen Ansichten zum Klimawandel bestreiten. Sie selbst sind die Gegenbeweise dafür, daß es für das Einkommen eines Wissenschaftlers eine Rolle spielt, welche Ansichten er vertritt.

Obwohl diese Verschwörungstheorie so offensichtlich absurd ist, taucht sie immer wieder auf. Für mich ist sie ein klares Zeichen, daß ich ab hier nicht mehr zuzuhören brauche. Ein vernünftiger Mensch kann so etwas nicht glauben, er kann höchstens die Verschwörungstheorie benutzen, weil er seinen Glauben mit unsauberen Mitteln verbreiten will. Zur Einordnung von Christy und Spencer siehe hier, zu Lindzen siehe da.

Ein weiterer oft verbreiteter Punkt ist die Temperaturentwicklung der letzten 2000 Jahre. Mit ihr soll verschiedenes belegt werden. Zum einen, daß es schon mal so warm war wie derzeit und die derzeitige Erwärmung daher kein Grund zur Sorge sei. Zum zweiten, daß die jetzige globale Erwärmung natürliche Ursachen habe. Beides ist in der Logik leidend. Die globale Erwärmung wird keineswegs weniger besorgniserregend dadurch, daß auch natürliche Faktoren diese Erwärmung verursachen könnten. Dann könnte ja auch in der Zukunft eine natürliche Erwärmung auf die menschengemachte oben drauf kommen – das wäre sogar eine noch viel schlimmere Aussicht. Hohe Variabilität des Klimas in der Vergangenheit bedeutete zudem, daß das Klima sehr stark positiv rückgekoppelt wäre. In dem Fall müsste uns jede Störung des Klimas durch den Menschen besonders besorgt machen, weil wir bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht mehr von ca. 3 Grad, sondern eher von ca. 6 Grad globaler Erwärmung reden müssten. Es kann auch nicht beruhigend sein, darauf hinzuweisen, daß es im Mittelalter vielleicht mal so warm war wie in den letzten 20 Jahren (wenngleich Paläodaten nahe legen, daß es im Mittelalter wohl eher nicht wärmer wurde als in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und das sind Temperaturen, die wir bereits hinter uns gelassen haben), weil das eigentliche Problem ist, daß es in der Zukunft immer wärmer wird und zwar um so mehr, je länger Treibhausgasemissionen anhalten, und wir dann definitiv und auf Dauer den Temperaturbereich verlassen, in dem sich die Landwirtschaft und unsere Zivilisation entwickelt hat.

Und natürlich kann man mit vergangenen Klimaschwankungen nicht begründen, warum es jetzt wärmer wird. Die sogenannte kleine Eiszeit (auf Englisch gerne als LIA für little ice age abgekürzt) war ja nicht aufgrund innerer Variabilität des Klimas entstanden, sondern hatte nachvollziehbare Ursachen dadurch, daß die Sonnenaktivität zeitweilig nachließ und außerdem im 19. Jahrhundert gehäuft Vulkanausbrüche durch Sulfataerosol in tropischen Breiten die Erde kühlten. Weniger Vulkanausbrüche im 20. Jahrhundert und ein Anstieg der Sonnenaktivität bis ca. 1950 sind durchaus dokumentiert und auch erforderlich, um den Temperaturanstieg auf der Erde bis zu den 40er Jahren zu erklären. Aber es gibt kein Erdgedächtnis, das dazu führen würde, daß die Erde sich nach eine kühlen Phase ein Jahrhundert lang stetig erwärmen müsste. Dafür muß es immer auch einen Klimaantrieb geben, für die mittelalterliche Warmzeit, für die kleine Eiszeit und natürlich auch für die aktuelle Erwärmung. Der seit 1970 dominierende Klimaantrieb ist mit dem Anstieg der Treibhausgase klar identifiziert.
Grundsätzlich ist das Problem mit Propagandawerken, die Lügen verbreiten, daß die Erörterung, was darin alles falsch ist, viel mehr Platz einnimmt, als das ursprüngliche Machwerk selbst. Daher verweise ich für weitere Kritik auf andere Stellen, die sich näher mit den Inhalten der Propaganda befassen und insbesondere auch die konkreten Lügen herausstellen, um die es mir hier noch gar nicht besonders ging. Zum Beispiel hat sich Professor Rahmstorf näher mit dem Film befasst. Über Wikipedia findet man einen Beitrag zu dem Film, und darüber findet man weitere Links. Nicht gelistet ist ein Link zu dieser Gegendarstellung beim australischen CSIRO, wo man weitere Links zu Dokumenten findet, die weiter in die Tiefe gehen, insbesondere dieses hier.

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