(Update vom 11.3.2010 am Ende des Beitrags.)
Wissenschaftler sind es gewohnt, recht behütet zu leben und zu forschen. Für ein im Vergleich zu ihrer Ausbildungsdauer mageres Gehalt bearbeiten sie Themen, die bereits die Kollegen im Nachbarinstitut nicht mehr verstehen und führen die Auseinandersetzung mit Kollegen über Artikel in Fachzeitschriften und gelegentlichen Vorträgen und Postern auf Fachtagungen. Wehe, wenn ihr Fachgebiet plötzlich in den Fokus politischer Aktivität gerät. Die armen Forscher werden völlig überrascht, wenn sie plötzlich falsche Darstellungen ihrer Arbeit in den Medien sehen, ihre Kompetenz und Integrität von Menschen angegriffen wird, denen beides offensichtlich fehlt und die Öffentlichkeit die Argumente von Laiendarstellern überzeugender findet als langatmige und schwierige Monologe der Wissenschaftler.
Doch jede Lobbykampagne kommt irgendwann an den Punkt, an dem sie überzieht. Für einige Wissenschaftler ist dieser Punkt erreicht. Man muß dazu bedenken, daß die Situation in den USA, zu einem gewissen Grad auch in anderen angelsächsischen Ländern, anders ist als in Deutschland. In Deutschland haben Ende der 80er Jahre alle demokratischen Parteien eine übereinstimmende Ansicht zum Klimawandel gebildet, die auf den Feststellungen von Wissenschaftlern beruhen. Politiker in Deutschland hören auf Feststellungen von Wissenschaftlern, sofern es um die Bewertung naturwissenschaftlicher Fragen geht. In den USA ist dies anders. Hier konnte über Lobbyinstitute erfolgreich ein Kampf geführt werden, in dem die Gesundheitsgefährdung durch Tabakrauch angezweifelt werden konnte. Teilweise die gleichen Institute und in Einzelfällen sogar die gleichen "Experten" (am bekanntesten ist hier Fred Singer) diffamieren nun Klimawissenschaftler. Eingebettet sind diese Aktionen in die republikanische Partei in den USA. Die Republikaner haben starke Gruppierungen, die eine Brachialmarktwirtschaft unterstützen, in denen Steuersätze angestrebt werden, die zum Zusammenbruch funktionierender staatlicher Institutionen führen würden - in den Augen vieler Amerikaner auf dem platten Land keine schlechte Sache. Hier sind Gruppierungen stark, die Unternehmen von jeglichen Verpflichtungen befreien wollen, als da wären Umweltauflagen oder soziale Pflichten. Und es gibt hier Gruppierungen, die ein fundamentalistisches Christentum betreiben, daß in Deutschland als extremes Sektierertum betrachtet würde, bei dem man an die wortwörtliche Schöpfung in 6 Tagen glaubt und die faktische Evolution der Arten leugnet. Im Gegensatz zu Deutschland kann sich also die Wissenschaftsfeindlichkeit und das Leugnen des menschengemachten Klimawandels auf die eine der beiden dominierenden Parteien stützen, wobei die Republikaner gemessen an unserem Parteienspektrum nach meiner Einschätzung zum größeren Teil rechts von CDU/CSU/FDP stünden - innen-, wirtschafts- und sozialpolitisch.
Nicht nur der Diebstahl von Emails bei der Climate Research Unit und die Instrumentalisierung zur Verbreitung von Lügen über die Klimaforschung, sondern wohl noch mehr die Diffamierungskampagne des republikanischen Senators James Inhofe, der Wissenschaftler auf der Basis von Lügen in der britischen Presse als Kriminelle darstellt und mit einer Verfolgung der Wissenschaftler droht, hat bei einigen Wissenschaftlern die Erkenntnis wachsen lassen, daß man sich dagegen wehren müsse. Bedauerlicherweise wurde ihre Emailverkehr darüber gestohlen und wird nun erneut von der Leugnerszene als Beleg vermarktet, Wissenschaftler wollten andere Meinungen unterdrücken. Nun, wenn man bedenkt, daß es um Meinungen informierter Menschen gegen Lügen von Lobbyisten geht, wäre die Unterdrückung der Lügen sehr vernünftig. Natürlich ist es illusorisch, und wenn man die Emails kritisieren möchte, sollte man eher die darin mitschwingende Naivität kritisieren. Auf der Seite der Lobbyisten arbeiten Medienprofis, denen zum Erfolg reicht, daß die Debatte weiterläuft. Ihnen gegenüber stehen Wissenschaftler, die meistens nie gelernt haben, wie man ein komplexes Problem Laien darstellt und dabei gegen Angriffe von geübten Lügnern verteidigt. Leute wie Monckton oder Singer sollten nicht von Wissenschaftlern in Debatten gezogen werden, sondern von Medienprofis. Gegen Leugner darf man nicht mit abgewogenen Darstellungen kommen, die allen Verästelungen der Leugnervorwürfe folgen, sondern man muß sich einen schwachen Punkt in der Leugnerargumentation herausgreifen und auf dem herumreiten, bis der letzte im Publikum verstanden hat, daß die Leugner ihn versuchten, für dumm zu verkaufen. Und gegen schlechten Journalismus hilft nur konsequent Material für gute Artikel zu liefern. Die meisten Journalisten sind nicht "böse", sondern stehen nur unter Zeitdruck und sind notwendigerweise nicht kompetent zu naturwissenschaftlichen Themen.
Ein Beispiel dafür, wie man die Presse mit Material füttert, liefern einige texanische Wissenschaftler, die auf die idiotische Feststellung des Parlaments in Texas reagierten, die Feststellungen des IPCC seien ein Schwindel. Wissenschaftler wie Andrew Dressler stellen im Houston Chronicle noch mal dar, daß die Grundaussagen des IPCC fundiert sind und nicht im Zweifel stehen. Im Grunde kommt man sich vor, wie im Kindergarten, wenn Selbstverständlichkeiten immer wieder erklärt werden müssen. Seit 1979 ist jeder Bericht einer Expertenkommission zur Entwicklung des Klimas zu den gleichen Feststellungen gekommen: atmosphärisches CO2 steigt aufgrund menschengemachter Emissionen an, es gibt dadurch einen zusätzlichen Treibhauseffekt, die Verdopplung des CO2-Gehalts erhöht die globale Temperatur um etwa 3 Grad, das würde gravierende Auswirkungen auf Wettererscheinungen, Klimazonen und Ökosysteme haben und wäre potentiell gefährlich für viele Menschen, daher sollten die Emissionen der Treibhausgase in absehbarer Zeit auf Null gefahren werden. Es gab dazu keine einzige Ausnahme.
Wenn also Wissenschaftler zurückbeißen, wird das nun die Leugner in die Defensive drängen? Sicherlich nicht, denn wie schon gesagt, ist den meisten Wissenschaftlern nicht klar, wie man wissenschaftliche Themen populär macht und wie man auf Desinformationskampagnen reagiert. Insbesondere sind die Wissenschaftler chancenlos, wenn sie von Medien und Politikern nicht gedeckt, sondern teilweise angegriffen werden. Über die Naivität der Wissenschaftler läßt Andrew Revkin auf seinem Blog den Journalismusprofessor Tom Yulsman berichten, der unter anderem darauf hinweist, daß die meisten Menschen in der Wirtschaftskrise und in einem Land mit schlechter staatlicher Infrastruktur ganz andere Sorgen haben als den Klimawandel, dessen Auswirkungen man erst in der Zukunft sehen wird.
Es sollte zwar Wissenschaftlern klar werden, daß in den USA und auch anderen Staaten die Wissenschaften von einer Zweckgemeinschaft religiöser Extremisten, wirtschaftlicher Lobbygruppen und marktradikaler Parteien für die Öffentlichkeit unglaubwürdig gemacht werden sollen und es die falsche Strategie ist, sich unpolitisch zu geben und abzuwarten, bis es einen selber betrifft. Noch wichtiger ist aber, daß Politiker und Journalisten verstehen, daß es zivilisatorischer Selbstmord ist, Diffamierungskampagnen gegen Wissenschaftler geschehen zu lassen. Schon den deutschen Medien traue ich hierin nicht. Aber der eigentliche Kampf findet in den USA statt unter ungünstigsten Bildungsvoraussetzungen der Durchschnittsbürger. Kaum einer würde auf die Seite der Wissenschaft wetten...
Nachtrag vom 11.3.2010:
Joe Romm weist auf einen Nature-Artikel hin, der ebenfalls die Reaktionen auf die Hexenjagd von Senator Inhofe auf amerikanische und ausländische Wissenschaftler auf der Basis selektiver Zitate aus den gestohlenen Emails der Climate Research Unit aufgreift. Im Nature-Artikel wird gefordert, daß die Wissenschaftler lernen müßten, mit den Medien umzugehen. Sie sollten die Wissenschaft verständlich darstellen, aber auch berücksichtigen, daß sie sich in einem Straßenkrieg befänden. Die Medienreaktionen auf den Fehler bezüglich der Gletscherschmelze im Himalaya hätten nicht Wochen andauern müssen. Es waren IPCC-Wissenschaftler, die den Fehler gefunden hatten, und hätte man sofort den Fehler erklärt und korrigiert, wäre die Angelegenheit nach wenigen Tagen wieder aus der Presse verschwunden. Hier allerdings kann ich Nature nicht ganz folgen. Natürlich wäre es besser gewesen, der Fehler wäre schon 2006 bei der ersten Entdeckung behoben worden. Nachdem aber 2007 der IPCC-Bericht erschienen war, wäre der Fehler auf jeden Fall von der Leugnerszene so ausgeschlachtet worden, wie es geschehen ist. Und natürlich steht man in den Medien besser da, wenn man Fehler schnell anerkennt, sofort korrigiert und seine eigene Geschichte darstellt. Das geht aber nur dann, wenn jemand zu seinem eigenen Bereich Stellung nehmen kann. Das IPCC ist im Grunde die Koordinierungsstelle für die Arbeit hunderter unabhängiger Autoren. Niemand hat dort die zentrale Stellung, bei Entdeckung eines Fehlers an einer beliebigen Stelle im Bericht sofort kompetent darauf zu antworten. Journalisten sollten den schwarzen Peter nicht einseitig der geringen Medienkompetenz von Wissenschaftlern zuschieben. Journalisten tragen selbst Verantwortung dafür, neutral zu berichten. Leugner und Wissenschaftler auf Augenhöhe gegenüber zu stellen, ist keine Neutralität. Aber genau das wird immer wieder getan.
Mittwoch, 10. März 2010
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