Am 11. Februar hatte die Leiterin der Gruppe für Klimawandelberatung am Hadley Centre des britischen Wetterdienstes Vicky Pope im Guardian einen Kommentar veröffentlicht, in dem sie sich dagegen aussprach, überzogene Schlüsse über das Klima aus einzelnen Wetterereignissen zu ziehen. Das war löblich und es wäre eigentlich nichts dazu zu sagen. Doch es kam anders. Pope unterlief eine mediale Ungeschicklichkeit, vielleicht war es aber auch Absicht. Gleich im ersten Satz sprach sie von Wissenschaftlern, die leicht Medieninteresse erzeugen könnten, indem sie Klimawandel mit extremen Wetterereignisse oder apokalyptischen Vorhersagen verbinden könnten. Der Fehler in diesem Satz ist, daß es Frau Pope schwer fallen würde, eine nennenswerte Zahl von Beispielen dafür anzugeben. Es wäre durchaus möglich, Beispiele für Medienberichte oder Aussagen von Umweltgruppen und Politikern anzuführen, in denen so etwas geschehen ist. Noch leichter ist es allerdings, in Blogs und den Medien Aussagen zu finden, daß man aus den wenigen letzten Jahren auf eine globale Abkühlung oder aus einem Winter auf ein erneutes Zufrieren der Arktis schließen könne. Und eine kleine Zahl Wissenschaftler, die im Klimawandel kein menschengemachtes Problem sehen wollen, haben hier auch mitgemacht.
Frau Pope gibt sich große Mühe, im weiteren Verlauf des Artikels sehr klar zu machen, daß sie den Klimawandel für menschengemacht und für ein gewaltiges, unbedingt zu lösendes Problem hält. Doch ihr einleitender Satz, ihre Formulierungen und Beispiele und der mögliche Versuch, als ehrenwerte Vermittlerin möglichst neutral zu wirken, führten dazu, daß ihr Beitrag im Guardian sowie ein noch schlechter formulierter Kommentar dazu in Leugnerkreisen großes Hallo und weite Verbreitung fanden. Und eine Reihe von Wissenschaftlern äußerten ihr Befremden, worum es Frau Pope denn eigentlich ginge. So kann man faktisch recht haben und trotzdem einen falschen Eindruck erzeugen.
Ein ganz wichtiges Beispiel von Frau Pope, das vielleicht noch am ehesten treffen könnte, ist der Hinweis auf die extrem niedrige Ausdehnung der arktischen Seeeisflächen in den Sommern 2007 und 2008. Diese Ereignisse hatten eine große psychologische Bedeutung, weil sie die Klimaforscher überraschten. 2007 war nicht einfach ein Rekord, es war mit großem Abstand zum Vorjahr ein Rekord, ein Hinweis darauf, wie schnell das polare Seeeis verschwinden könnte. Zwar war hier nicht einfach die Schmelze des Eises ein Grund für das Rekordminimum der Eisbedeckung, sondern besondere Windverhältnisse, die das Seeeis zusammenschoben, aber auch das war ein Zeichen für die Schwäche des Eises durch den langanhaltenden Erwärmungstrend. Und 2008 fehlten diese besonderen Großwetterlagen und trotzdem wurde der Vorjahresrekord fast wieder erreicht. Es fällt auf, daß die Werte 2007 und 2008 vom langjährigen Trend erheblich nach unten abweichen. Das gibt Nahrung zu Spekulationen, daß der Trend gebrochen sein könnte und in weniger als 25 Jahren das Meer in der Arktis im Sommer eisfrei sein könnte, Jahrzehnte bevor dies Modelle vorhersagten. Zu den möglichen Folgen habe ich schon etwas geschrieben und, zugegeben, sicher dabei auch die unsichere Möglichkeit betont, daß wir hier tatsächlich einen Trendbruch sehen. Später habe ich zu der Möglichkeit eines Trendbruchs noch mehr geschrieben. Pope sagt nun, und da hat sie recht, daß man von diesen einzelnen Jahren noch nicht auf einen Trendbruch schließen könnte. Statistisch gesehen liegt keine signifikante Trendänderung vor. Doch wen meinte Vicky Pope damit, wenn sie davon spricht, jemand hätte behauptet, das arktische Seeeis im Sommer hätte bereits so stark abgenommen, daß es einen Kippunkt erreicht hätte und schon bald verschwinden würde?
Sie verlinkt (oder der Guardian verlinkt, das ist nicht klar) auf eine Rede von James Hansen, in der er sagt „Das Klima kann Punkte solcher Art erreichen, daß verstärkende Rückkopplungen zu schnellen Änderungen führen können. Das arktische Seeeis ist ein aktuelles Beispiel. Die globale Erwärmung startete eine Eisschmelze, die den dunkleren Ozean freilegte, der mehr Sonnenlicht absorbiert, was mehr Eis schmilzt. Dadurch, ohne zusätzliche Treibhausgase, wird die Arktis bald im Sommer eisfrei sein.“ Sie scheint also ausgerechnet Hansen der Übertreibung anzuklagen. Aber sieht man Hansens Rede im Zusammenhang, wird deutlich, daß es ihm nicht darum ging, aus einem einzelnen Jahr starker Eisschmelze das Überschreiten des Kippunktes abzuleiten, sondern darauf aufmerksam zu machen, daß wir jederzeit solche Kippunkte überschreiten könnten, und dann jegliches Handeln zu spät kommt, um das noch zu verhindern.
Das Problem ist also, daß Pope hier eine Symmetrie zu unterstellen scheint, bei der sie Hansen und viele andere Wissenschaftler genauso der Übertreibung anklagt wie die Klimawandelleugner, die aus den Jahren 2001 bis 2008 eine globale Abkühlung ableiten wollen. Während aber Hansen auf eine realistische Möglichkeit hinweist, deren Bestätigung noch offen ist, ist die Aussage der Leugner zur angeblichen globalen Abkühlung schlicht falsch.
Ich will noch einen Schritt weiter gehen. Vor kurzem wurde offiziell das 4. Internationale Polare Jahr (4. IPY) beendet. Die dort beteiligten Wissenschaftler hatten 2007/2008 auch die Verhältnisse in der Arktis intensiv untersucht, Messungen ausgewertet und Modellrechnungen durchgeführt. Ihre Schlußfolgerung gaben sie auf einer Webseite des 4. IPY bekannt. „Wie von allen IPCC-Modellen vorhergesagt, wird das arktische Seeeis höchstwahrscheinlich im Sommer in naher Zukunft verschwinden. Gleichwohl scheint es so, als ob dies noch schneller geschehen wird als Modelle vorhersagen, wie durch kürzliche Beobachtungen und eine Datenneuauswertung während des 4. IPY und des Damocles Integrated Project betont wurde.“ Wer kann sich da eher bestätigt fühlen? Hansen oder Lindzen? Und paßt dazu wirklich der ausgestreckte Zeigefinger von Pope gegen Hansen? Auch Wissenschaftler des National Snow and Ice Data Center NSIDC, wie Julienne Stroeve, stellten fest, daß eine arktische Verstärkung der Erwärmung durch die Rückkopplung mit der geringeren Albedo eisfreier Meeresflächen und einem Auftauen der Permafrostböden in der angrenzenden Tundra seit den letzten Jahren im Gange sei.
Dies war nicht das einzige Beispiel. Auch bei der globalen Temperaturentwicklung und beim Abschmelzen des grönländischen Eisschildes redet sie davon, daß Wissenschaftler gegen überzogene Behauptungen eintreten müßten, daß jüngste extreme Ereignisse ganz und gar durch die globale Erwärmung verursacht seien. Und auch hier muß man fragen, wer macht das? Sie erweckt den Eindruck, als würde sie Klimaalarmismus meinen, aber kein Wissenschaftler behauptet das, was sie unterstellt. Es gibt Spekulationen über eine Beschleunigung des Abschmelzens des grönländischen Eisschildes, doch diese wurden mit Bedacht im Konjunktiv formuliert und der Betonung darauf, daß wir die Dynamik des Eisschildes noch nicht verstehen. Wenn sich nun kürzlich die Bewegung der Gletscher in Grönland stellenweise verlangsamt hat, dann kann man daraus schließen, daß die Gletscherbewegung eine variable Größe ist. Man kann aber kaum daraus schließen, daß die publizierten Langzeitschätzungen damit zu Übertreibungen würden. Man kann sich mit Recht dagegen wenden, wenn Leugner daraus ableiten wollen, Grönlands Eisschild sei von der globalen Erwärmung nicht bedroht. Aber Pope erweckt erneut den Eindruck, das sei aufgewogen durch alarmistische Wissenschaftler auf der anderen Seite.
Das wirkt um so absurder, wenn Pope zum Ende ihres Kommentars noch mal ganz deutlich macht, daß sie die globale Erwärmung für real hält, für menschengemacht und einschneidende Maßnahmen für notwendig. Was also wollte sie eigentlich sagen? Daß Wissenschaftler doch bitte nicht über mögliche Entwicklung reden sollen, sondern nur über das, was bereits zur statistischen Gewißheit geworden sei? So funktioniert das nicht – Wissenschaft ist angewiesen darauf, daß Hypothesen formuliert werden und Möglichkeiten diskutiert werden. Und wenn man die Öffentlichkeit und die Politik berät, muß man noch weiter gehen und mitteilen, was man zwar noch nicht sicher weiß, aber schon so gut, daß daraus Handlungsbedarf entsteht, denn politische Entscheidungen können nicht immer darauf warten, bis Wissenschaftler zur letzten Gewißheit gelangt sind.
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