Wenn man wissen will, was der Golfstrom für Europa leistet, braucht man nur auf dem gleichen Breitengrad, auf dem Sylt liegt, nach Osten zu wandern, bis man an der Westküste Amerikas angelangt. Man kommt zur kleinen Stadt Prince Rupert in Kanada. Die mittlere Temperatur im Januar ist 0,8, im August 13,3 Grad Celsius. List auf Sylt ist im Sommer merklich wärmer mit einer Juli-Temperatur von 16,2 Grad und einer Januar-Temperatur von 1,0 Grad. An beiden Orten sorgt die Küstenlage für ein mildes Klima, aber auf Sylt wird es unbestreitbar wärmer, obgleich es noch fast ein halbes Grad nördlicher liegt. Der Golfstrom und die anschließende nordatlantische Strömung pumpt Wärme aus den Subtropen nach Europa, und sorgt für ein wärmeres und milderes Klima.
Es gab eine Zeit, da sorgte man sich darum, ob nicht die globale Erwärmung auch den Golfstrom unterbrechen könnte mit der grotesken Wirkung, daß es auf einer sich erwärmenden Erde zugleich ein kühler werdendes Europa gibt. Die Sorge kommt von einem Mechanismus her, den man in Klimareihen seit der letzten Eiszeit erkannt zu haben glaubt. Demnach gab es wohl nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 12000 Jahren noch einmal einen dramatischen Kälteeinbruch. Der war anscheinend begleitet von einem starken Süßwasserzufluß zu dem Nordatlantik. Die Überlegung war, daß dieses Süßwasser das Salzwasser des Nordatlantik verdünnt hatte. Dieses so verdünnte Salzwasser hatte nun Auftrieb gegenüber dem salzigeren Tiefenwasser. Obwohl das Wasser im Nordatlantik aufgrund seiner Kälte spezifisch schwerer wird und absinken sollte, kann es das durch den geringeren Salzgehalt nicht. Dieses Absinken ist aber notwendig, um einen starken Strom dieses kalten Wassers in die Tiefe des Meeres und von dort nach Süden zu erzeugen. Dieser Strom pumpt am Ende auch Wasser in den Golf von Mexiko, wo das Wasser wieder an die Oberfläche kommt. In den Subtropen erwärmt, kann es nun an der Oberfläche als Golfstrom wieder nach Norden fließen. Das ganze ist als thermohaline Zirkulation bekannt und wird so in Lehrbüchern oder hier erläutert. Die Sorge ist also, daß ein starker Abfluß von Süßwasser im Norden diese Pumpe für kaltes Wasser in den Süden und warmes Wasser in den Norden unterbrechen könnte. Dieser Süßwasserzufluß würde zum Beispiel entstehen, wenn viel Eis im Norden, etwa auf Grönland schmelzen und ins Meer abfließen würde. Also etwas, was man als Folge einer globalen Erwärmung erwarten könnte.
Nun ist diese Sorge aber wohl nicht so begründet. Der Süßwasserzufluß müßte schon extrem stark sein, und die in naher Zukunft in Grönland zu erwartende Eisschmelze würde dafür wohl nicht ausreichen. Vor über 12000 Jahren aber, so glaubte man, müßte die Eisschmelze ausreichend gewesen sein. Zum Beispiel könnte man sich vorstellen, daß der Eisschild über Nordamerika, der sich in der letzten Eiszeit gebildet hatte, so weit geschmolzen war, daß er eine Lücke bildete, aus der dann ein gewaltiger Schmelzwassersee im Norden Kanadas sich in den Nordatlantik ergießen konnte, etwa da, wo heute der St. Lorenz Strom liegt. In den Sedimentdaten und in Eisbohrkernen erkennt man nämlich, daß es auf der Nordhalbkugel damals vor 12.000 Jahren kurzzeitig noch mal sehr kalt wurde, so kalt wie in der Eiszeit. Dieser Temperaturabfall wird aber in Eisbohrkernen aus der Antarktis nicht angezeigt – die Südhalbkugel wurde also zur gleichen Zeit nicht noch mal kälter. Das Ereignis war also nicht global, sondern auf den Norden beschränkt, könnte also genau mit einer Unterbrechung des Golfstroms als Wärmepumpe für den Norden zusammenhängen.
Doch die Interpretation der alten Daten ist schwierig, weil man aus lauter indirekten Anzeichen Schlüsse ziehen muß. Den Schmelzwasserabfluß aus Nordamerika hat keiner gesehen, er ist nur plausibel. Vielleicht gibt es auch andere Gründe dafür, daß vor über 12.000 Jahren die Eiszeit auf der Nordhalbkugel noch mal zurückkehrte. Und tatsächlich wird ein Verdächtiger genannt: es ist ein Komet, der die Erde vor 12.900 Jahren getroffen haben soll. Für jene Zeit werden nämlich verschiedene Anzeichen gefunden, die auf einen Kometen hindeuten: erhöhte Iridiumablagerungen, Nanodiamanten (also winzig kleine Diamanten als Anzeichen für eine extreme Erhitzung und Druckwirkungen auf Kohlenstoff) und Anzeichen für weitreichende Waldbrände im Norden. Einzelheiten diskutiert Tamino in seinem Block, der mich zu diesem Beitrag angeregt hat. Der Einschlag des Komets könnte also große Mengen an Staub über der Nordhalbkugel erzeugt haben. Die Waldbrände als Folge des Einschlags könnten dies noch verstärkt haben. Eine solche Menge an Staub in der Atmosphäre könnte aber eine starke Abkühlung auf der Nordhalbkugel bewirkt haben. Damit haben wir also einen zweiten Mechanismus, der auch plausibel ist und ebenfalls für eine Wiederkehr der Eiszeit vor über 12.000 Jahren im Norden gesorgt haben könnte.
Ergänzung: Es gibt eine Diskussion dazu bei RealClimate, in der eher Skepsis zu der Kometenthese vorherrscht. Das Hauptargument ist, daß es verschiedene Ereignisse einer raschen Abkühlung oder raschen Erwärmung in der Vergangenheit gab, die alle erklärungsbedürftig sind und bei denen es schwer vorstellbar wäre, daß jedesmal ein passender Komet als Auslöser zur Verfügung stand. Warum also sollte man ausgerechnet bei der Abkühlung vor 12900 Jahren auf eienn Kometen als Auslöser angewiesen sein?
Was ist also wirklich passiert? Wir müssen damit leben, daß die Forschung uns verschiedene plausible Möglichkeiten zeigen kann, daß aber Rekonstruktionen der Vergangenheit oft Unsicherheiten enthalten, die es uns (noch) nicht ermöglichen, zwischen mehreren plausiblen Möglichkeiten zu entscheiden. Deshalb ist es so wichtig, wenn man sich wissenschaftliche Ergebnisse anschaut, sauber zu entscheiden, was als plausibel diskutiert wird und was als sicher akzeptiert wird. In der Tagespresse wird man diesen sauberen Unterschied nicht finden. Genau aus diesem Grund geistert manchmal durch die Presse und durch die Blogs, daß die globale Erwärmung eine neue Eiszeit in Europa erzeugen könnte. Das ist sowohl falsch, denn diese Möglichkeit gilt als eher unwahrscheinlich, als auch stark übertrieben: der Unterschied der Temperaturen zwischen Sylt und Prince Rupert stellt den Unterschied zwischen angenehmen und stark verregneten Sommern dar, aber nicht zwischen normalem Klima und einer Eiszeit.
Sonntag, 4. Januar 2009
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