Mittwoch, 24. Juni 2009

Klimawandel als Ausrottungskonzept – Lovelocks neues Buch

Die Berichte zum Klimawandel, wie etwa vom IPCC, liefern eine Gesamtschau der Ansichten der verschiedenen Wissenschaftler, die sich gegenseitig zu einem gewissen Grad zu einem Mittelwert hin orientieren. Am deutlichsten sieht man es bei den Klimamodellen, deren Ergebnisse als eine mittlere globale Temperatursteigerung mit einem Unsicherheitsbereich dargestellt werden. Einzelne Modelle können dabei durchaus am Rande des Unsicherheitsbereichs liegen.

Meinungen der Wissenschaftler darüber, wie unsere Erkenntnisse zum Klimawandel zu bewerten sind, können noch weitaus stärker streuen. Es ist ja schwer faßbar, was eigentlich eine globale Temperaturerhöhung von 2-3 Grad wirklich für die Lebensverhältnisse der Menschen bedeutet. Dies ist so schwierig, weil es Kippunkte geben kann, an denen sich Systemzustände ändern – wie etwa das Verschwinden des Amazonasregenwaldes, wenn eine bestimmte Grenztemperatur überschritten wird oder eine Veränderung der Monsunregenfälle in Indien und dadurch ein Wegfall der Nahrungsgrundlagen für einige 100 Millionen Menschen. Wir wissen weder genau, in welches Temperaturregime uns die gegenwärtigen Emissionen von Treibhausgasen bringen werden, noch genau, bei welcher Temperatur der nächste Schalter gedrückt wird, der einen weiteren Systemzustand ohne Wiederkehr einschaltet, etwa das Auftauen des Permafrostbodens in der Arktis mit einer gewaltigen Freisetzung von Methan oder das endgültige Abschmelzen des Eisschildes der Westantarktis.

Eine Extremmeinung dazu vertritt James Lovelock. Prof. Lovelock, inzwischen 90 Jahre alt, ist eine Stimme, die man nicht überhören möchte, weil er grundlegende Beiträge zur Atmosphärenforschung geleistet hat, etwa Sensoren für Satelliten entwickelt hat, mit denen noch heute etwa der Abbau der Ozonschicht oder das Anwachsen bestimmter Treibhausgase gemessen werden kann. Besonders bekannt geworden ist er aber mit seiner Gaia-Theorie (zusammen mit Lynn Margulis). Danach ist die Erde insgesamt mit dem Leben darauf ein selbstregulierendes System, nicht unähnlich einem Organismus. Durch Rückkopplungsgrößen bewirkt das Leben auf der Erde, daß die Verhältnisse auf dem Planeten, wie etwa die Zusammensetzung der Atmosphäre und die globale Temperatur, das Leben auf der Erde begünstigen. Dies war vor über 40 Jahren durchaus revolutionär, heute ist es Allgemeingut und durch viele Beispiele experimentell nachgewiesen.

James Lovelock hatte dazu beigetragen, daß erkannt wurde, daß FCKW auf globalem Maßstab einen wachsenden Anteil an der Atmosphäre hatten. Weil er aber nur ihre toxische Wirkung betrachtete, gab er irrtümlich Ende der 60er Entwarnung, daß diese Substanzen nicht gefährlich seien. Doch Rowland und Molina, die Lovelocks Arbeit kannten, fanden heraus, daß FCKW die Ozonschicht gefährdeten, und in den 80er Jahren konnte dann das Ozonloch über der Antarktis beobachtet werden, das durch die FCKW verursacht wurde, auch wenn anscheinend der genaue Mechanismus, über den Chlor aus den FCKW in der Stratosphäre freigesetzt wird und den Ozonabbau bewirkt, trotz 20 Jahren intensiver Forschung noch Unsicherheiten enthält und neue Erkenntnisse immer noch erwartet werden können. Lovelock ist also niemand, der aus Prinzip in jedem menschlichen Eingriff Gefahren sieht. Doch in Hinblick auf die globale Erwärmung gehört er zu den entschiedensten Warnern. Grundlage dafür sind seine Modellrechnungen mit einem vereinfachten Modell der Kopplung von Biosphäre und Erdklima.

Vereinfachte Modelle, die etwa die ganze Erde in wenige Kästen einteilen und nur grundlegende Kopplungen betrachten haben Vor- und Nachteile. Die Nachteile liegen auf der Hand: man muß die getroffenen Vereinfachungen sehr genau rechtfertigen, um zu zeigen, daß die betrachteten Modelleigenschaften noch als relevant für die reale Erde gelten dürfen. Weiterhin muß man in der Situation sein, daß beitragende Größen zu einem Parameter, den man untersucht, sich in der Größe stark unterscheiden, so daß man die vom Modell nicht berücksichtigten Größen auch wirklich vernachlässigen kann. Und tatsächlich neigen vereinfachte Modelle dazu, in ihrem Verhalten weniger stabil zu sein. Warum das so ist, ist schwer in wenige Sätze zu fassen. Betrachte ich eine Badewanne mit genau einem Zu- und Abfluß, dann wird jede Veränderung an nur einer dieser Größen direkt den Wasserstand der Wanne beeinflussen. Betrachte ich aber eine Wanne mit vielen ähnlich starken Zu- und Abflüssen, dann braucht eine Veränderung an einem der Zu- oder Abflüsse nicht unbedingt zu deutlichen Änderungen beim Wasserstand zu führen. Mache ich bei der einfachen Wanne den einzigen Abfluß zu, wird sie sicher überlaufen. Mache ich bei der komplizierten Wanne einen Abfluß zu, kann sich mit den übrigen Abflüssen immer noch ein neuer Gleichgewichtszustand einstellen, bei dem die Wanne nicht überläuft.

Die Vorteile vereinfachter Modelle ist, daß man sie gut verstehen kann und daher auch in der Lage ist, ihre Aussagen in Bezug auf die reale Welt zu bringen.

Lovelock hat 1994 Ergebnisse eines vereinfachten globalen Modells veröffentlicht, die einen Zusammenhang herstellen zwischen der globalen Temperatur und der von Pflanzen bedeckten Fläche der Erde. Lovelock stellte fest, daß die Algen im Meer erheblich empfindlicher auf eine Änderung der globalen Temperatur reagieren als Landpflanzen. (Meine Vermutung dazu ist, daß dies daran liegt, daß ja die Meerestemperatur wesentlich geringeren jahreszeitlichen oder langfristigen Änderungen unterliegt – die hohe Wärmekapazität des Wassers übersetzt hohe Wärmeflüsse in geringe Temperaturänderungen. Und daran sind Algen angepasst.) Überschreitet die globale Temperatur einen bestimmten Schwellenwert, sterben Algen großflächig ab. Damit entfällt aber auch ihr Beitrag zur Begrenzung der CO2-Mischungsverhältnisse in der Atmosphäre. In der Folge springt die Temperatur in kurzer Zeit weiter in die Höhe. Nach Lovelock würde das Überschreiten einer Schwelle des globalen CO2-Mischungsverhältnisses von 400 ppm nach einem kurzen Übergangszeitraum über die Rückkopplungswirkung der Algen also das CO2-Mischungsverhältnis schnell auf 700 ppm steigen lassen. Die globale Temperatur würde in vergleichsweise kurzer Zeit darauf um 5 bis 9 Grad steigen – je nach geographischer Breite. Bei einer höheren Temperatur droht dann die nächste Rückkopplungsstufe – das Absterben großer Teile der Landpflanzen mit einem weiteren Schub bei CO2 und globaler Temperatur.

Während also die Biosphäre bei bestimmten Temperaturänderungen in der Lage ist, das ganze System in einen stabilen Zustand zu lenken, kann ein plötzlicher, zu starker Eingriff von außen, wie das von Menschen verursachte CO2 in der Luft, das System Erde in einen neuen Zustand bringen, der globale nicht etwa ca. 3, sondern fast 10 Grad Temperaturveränderung bedeutet und von einem Massenstreben von Pflanzen, und natürlich in der Folge, von Tieren begleitet ist. Zu den betroffenen Arten gehört auch der Mensch. Nach Lovelock wäre in diesem Szenario ein Massensterben von Menschen unvermeidlich. Große Teile der Erde würden für den Ackerbau ungeeignet und würden Menschen daher aus vielen Weltregionen vertreiben. Hohe Breiten, etwa in Nordeuropa, oder Inseln mit stark gemäßigtem ozeanischem Klima, würden zu den Rettungsbooten der überlebenden Menschen – nach Lovelock vielleicht 1 Milliarde von den 7 – 8 Milliarden zu Beginn dieser Entwicklung.

In einem neuen Buch ("The Vanishing Face of Gaia"), das hier von Tim Flannery besprochen wird, beschreibt Lovelock diese Zukunftsvision, und auch mögliche Lösungen, um vielleicht doch diesen Zukunftspfad zu verhindern. Um deutlich zu machen, für wie nah Lovelock diese Zukunftsvision hält, sei darauf hingewiesen, daß man zum CO2-Mischungsverhältnis noch entsprechend gewichtet die Mengenanteile anderer Treibhausgase hinzurechnen muß. Umgerechnet auf CO2 haben wir ca. 430 ppm Treibhausgase in der Atmosphäre und liegen damit bereits nach Lovelock in dem Bereich, wo die Erde auf absehbare Zeit in einen starken Temperaturanstieg hineinlaufen muß, der von einem geringfügigen Temperatur- oder CO2-Anstieg in Gang gesetzt werden kann. Der eigentliche Anstoß wäre dann ein Rückgang der dämpfenden Wirkung der Aerosole, die derzeit die Erde noch kühlen, wenn zunehmend die Luftverschmutzung auch in den Schwellenländern bekämpft wird und ein starker El Nino, der die Wassertemperatur in den tropischen Breiten vielerorts über den kritischen Punkt heben würde, an dem die Algenproduktivität dramatisch absinkt. Zusätzlich nervös macht Flannery dabei, daß Lovelock darauf hinweist, daß es in der Logik dieses Prozesses liegt, daß er von einigen eher weniger warmen Jahren eingeleitet wird - vor dem El Nino, der das System in den nächsten Zustand liegt, kann ja ein La Nina liegen, der das System zunächst noch bei leicht sinkenden Temperaturen in einem labilen Gleichgewicht hält.

Insofern beschreibt Lovelock ein Szenario, dessen ersten Akt wir bereits sehen. Wir sehen die scheinbare Stagnation in der Erwärmung, wir sehen, daß verschiedene in den letzten Jahren gemessene Parameter des Klimawandels, wie etwa der Meeresspiegelanstieg, der aufsummierte Rückgang der Gletschermasse, die Meereisbedeckung der Arktis oder der Anstieg der Treibhausgase, gegenüber den IPCC-Projektionen dem schlimmsten Szenario entsprechen und wir erwarten für dieses oder nächstes Jahr das Einsetzen eines El Nino, oben drauf auf eine globale Temperatur, die vom vorigen Jahrzehnt zum aktuellen gut 0,2 Grad stieg.

Müssen wir uns also darauf einstellen, daß in wenigen Jahren bereits der unaufhaltsame Anstieg der globalen Temperatur einsetzt, der in wenigen Jahrzehnten bis zu 7 Milliarden Menschen auslöscht? Ich möchte für meine Nachkommen nicht die absolute Katastrophe sehen, und klammere mich daher an folgendes:

  • Das Absterben von Pflanzen wird geographisch weitaus stärker verteilt sein und von Lovelocks Modell zwangsläufig viel zu abrupt und mit zu wenigen Stufen dargestellt werden. Dadurch wird es sich zeitlich viel stärker verteilen, so daß es auch nicht auf einen einzelnen starken El Nino global reagieren wird.
  • Die dämpfende Wirkung der Aerosole auf die globale Temperatur ist noch nicht gut verstanden. Wie stark und wie schnell die globale Erwärmung mit dem Fortschreiten von Luftreinhaltemaßnahmen in Ländern wie China oder Indien sich beschleunigt, ist einfach nicht seriös abschätzbar.
  • Während die Evolution der Pflanzen viel zu langsam läuft, um innerhalb der nächsten Jahrhunderte bereits zu angepassten Formen für höhere Temperaturen und neue Klimaregime zu führen, können Züchtungen durchaus innerhalb weniger Jahrzehnte zu Anpassungen im Ackerbau führen, die vielleicht viele Menschenleben retten können.

Obwohl die komplexen Klimamodelle sich in den letzten 5 Jahren eher in Richtung auf Lovelocks Ergebnisse bewegt haben als weg davon, hoffe ich nach wie vor, daß Lovelocks Modell und seine Interpretation ein Extrem markieren, das so nicht realisiert wird.

Dummerweise aber kann man Lovelocks Vision von einer Erde mit einem Massensterben nicht als unmöglich abtun. Weil so etwas in der Erdgeschichte schon geschehen ist. Das gilt etwa für das Massensterben am Ende des Perm und am Ende der Kreidezeit. Neu ist diesmal nur, daß der Auslöser des Massensterbens der Mensch ist und daß er zugleich dabei mit betroffen sein kann. Am anderen Pol der extremen Meinungen findet man übrigens Richard Lindzen. Er hat den Nachteil, daß seine Iris-Hpothese einer Erde, deren Bewölkung die Temperatur auf geringe Veränderungen reguliert, bereits experimentell und theoretisch widerlegt ist. Lovelocks Hypothese hingegen ist noch offen – und das sollte jeden besorgt machen.

Montag, 22. Juni 2009

Klimabericht zur Kopenhagener Konferenz März 2009

Leider habe ich eine längere Blogpause machen müssen (Arbeit, Familie...). Das heißt aber nicht, daß sich in dieser Zeit nichts beim Thema Klimawandel getan hätte. Im Gegenteil. Als 2007 der 4. Bericht des IPCC herauskam, der auch noch auf Literatur basierte, die bis 2005 erstellt wurde, und Erkenntnisse aus 2006 wegen der langen Dauer des Beratungs- und Referenzprozesses kaum noch berücksichtigen konnte, war klar, daß dies nun für mindestens 6 Jahre die Basis für den politischen Prozess bleiben würde, der zum globalen Handeln führen sollte. Ausgerechnet nach Erscheinen des Berichts kamen jedoch weitere Erkenntnisse ans Licht, die deutlich machten, daß der ohnehin schon politisch weichgebügelte und viel zu konservative IPCC-Bericht den Klimawandel viel zu harmlos darstellte.

Was fehlte denn hauptsächlich? Es fehlte eine Abschätzung, wie stark der Meeresspiegelanstieg aufgrund des Abschmelzens der Eisschilde sein könnte.

Es fehlte die Berücksichtigung der Tatsache, daß der Meeresspiegel schneller ansteigt als zuvor vom IPCC geschätzt.

Es fehlte ein Überblick über die verschiedenen Kippunkte des globalen Klimas aufgrund von Empfindlichkeiten des Systems, wie die Eisalbedorückkopplung in der Arktis, die Freisetzung von Methan bei tauendem Permafrostboden oder erhöhte CO2-Emissionen durch ein Umkippen des Amazonasgebietes.

Es fehlte die Berücksichtigung des beschleunigten CO2-Anstieges seit 2000 aufgrund der Emissionsentwicklung in China.

Neuere Modellrechnungen geben zudem stärkere Temperaturanstiege an.

Diese Punkte zusammengenommen führten bereits zu einer Wahrnehmung der Klimaforschung, daß die Lage wohl dramatischer ist, als es der IPCC-Bericht darstellt und sogar Zweifel bestehen, ob wir eigentlich die Wende schaffen, um den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad bis 2100 zu begrenzen, damit er mit vertretbarem Aufwand bewältigt werden kann.

Die Lücke füllt nun ein Konferenzbericht zur Klimakonferenz am 10.-12. März in Kopenhagen (Graphik oben dem Bericht entnommen), der Literatur bis Anfang 2009 beinhaltet. Ich finde den Bericht in seiner Form lesenswert, weil er stärker akzentuiert und viel kürzer als die IPCC-Berichte ist. Aufgrund der Zusammensetzung der Teilnehmer musste keine Rücksicht auf die USA, China, Russland und arabische Länder genommen werden, die in der Regel führend dabei sind, die IPCC-Berichte durch beharrliche Vetos weichzuspülen, und der Review-Prozeß war viel kürzer, was den Bericht aktuell macht. Man findet sogar die Graphik über die Gefährdungsbereiche der verschiedenen Erdsysteme durch die steigende Temperatur wieder, die beim 4. IPCC-Bericht durch die Lobbyarbeit einiger Staaten gestrichen wurde.

Wie die Graphik oben zeigt, liegen übrigens die Modelle, die für den 3. IPCC-Bericht ihre Projektionen ab dem Jahr 1990 laufen ließen, weiterhin richtig, obwohl 2008 die globale Temepratur deutlich unter dem Jahrzehntmittel lag. Einzelne Jahr können deutlich aus dem Unsicherheitsbereich der Modellergebnisse herausstreuen, der Trend aber liegt bisher innerhalb des Unsicherheitsbereiches. 1998 rauschte zudem weiter nach oben heraus, als 2008 von der mittleren Entwicklung nach unten abwich. Und wenn der nächste El Nino kommt, könnte es innerhalb von 1 - 2 Jahren schnell wieder in den oberen Bereich der Modellunsicherheit gehen.

Erläuterungen gibt Prof. Stefan Rahmstorf in der Klimalounge.

Den direkten Link auf den Bericht findet man hier.

Auf einzelne Punkte des Berichts würde ich gerne bei Gelegenheit zurückkommen.