Samstag, 19. September 2009

Arktisches Seeeis - der Trendwechsel, der keiner war?

Als 2007 das arktische Seeeis im Sommer ein Rekordminimum mit weitem Abstand markierte, gab es allgemein Spekulationen, daß hier eine neue Qualität eingetreten sein könnte. Über die 30 Jahre, die man das Seeeis mit Satelliten beobachten konnte, nahmen Ausdehnung und Volumen ab. Im Sommer ging das Seeeis stark zurück, im Winter hingegen nur langsam. Das kann man verstehen – der Raum, in dem gerade die Temperaturen erreicht werden, bei denen Meerwasser gefriert, ändert sich im arktischen Winter nicht stark. Aber im Sommer macht es einen großen Unterschied, ob weite Gebiete nur knapp über der Taupunktstemperatur liegen oder deutlich zu warm für Seeeis werden. Und je weniger das Eis im Winter an Zuwachs erhält, desto schneller wird es im Sommer wegtauen. Schließlich gibt es noch den Effekt der arktischen Verstärkung (der Erwärmung): ist erst mal Seeeis weggetaut, reflektiert das darunter liegende Meerwasser das Sonnenlicht weniger gut. Es wird stärker absorbiert und erwärmt diesen Bereich stärker. Sobald also im Sommer Teile des arktischen Seeeises abschmelzen, wird es erst recht noch wärmer.

Vor allem wegen diesem Effekt errechnen Klimamodelle dann auch, daß es einen Punkt gibt, an dem das Seeeis im Sommer immer schneller wegtaut und schließlich ganz verschwindet. Noch lange nach diesem Punkt wird es, auch bei fortschreitender globaler Erwärmung weiter ein Zufrieren des nordpolaren Meeres im Winter geben. Wir erwarten also, daß die Seeeisbedeckung im Sommer über die Jahre schnell zurückgeht, im Winter langsam und daß es irgendwann einen Punkt gibt, an dem von Jahr zu Jahr die Seeeisbedeckung beschleunigt verschwindet, bis das Seeeis im Sommer ganz verschwindet. Laut den Modellen ist dieser Kippunkt des Klimas für die Arktis aber noch Jahrzehnte entfernt. Das Jahr 2007 war aber um über 2,5 Standardabweichungen vom linearen Trend der Seeeisausdehnung für das Minimum im Sommer entfernt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß allein durch eine zufällige Verkettung von Wetterereignissen das sommerliche Abschmelzen des Seeeises sich so weit vom Trend entfernt. Unmöglich ist es natürlich nicht.

Daher sahen die Forscher nun mit Spannung auf die Entwicklung des Seeeises in den Folgejahren. Würde die Seeeisausdehnung wieder zum alten Trend zurückkehren? 2008 wurde der zweitniedrigste Wert für die Seeeisausdehnung erreicht. Immer noch über anderthalb Standardabweichungen (1,65 genau) unter dem Trend. Dieser Wert allein hätte eine Wahrscheinlichkeit von einigen Prozent, aber in Kombination mit dem Vorjahreswert wurde damit die Wahrscheinlichkeit für einen Trendbruch nahezu sicher. Daher hatte man mit Spannung darauf gewartet, ob dieses Jahr die Seeeisausdehnung den Rekord bestätigen würde. Im September ist das Minimum normalerweise erreicht und derzeit wächst die Seeeisausdehnung in der Arktis bereits wieder. Mit 5,1 Millionen Quadratkilometern ist die Seeeisausdehnung nun weniger als eine Standardabweichung vom Trend entfernt, bedingt durch niedrige Temperaturen in einigen Meeresgebieten und Winde, die diesmal das Packeis über eine größere Fläche verteilt haben. Für sich genommen liegt der Wert im üblichen Schwankungsbereich um einen Trend. Aber es handelt sich immer noch um den drittkleinsten Wert der Seeeisausdehnung in der ganzen Zeitreihe.

Zusammen mit den anderen beiden Minima 2007 und 2008 liegen die Werte der letzten 3 Jahre nach wie vor deutlich unter dem Trend der Jahre 1979 – 2008. In der Graphik sieht man deutlich, daß diese Dreiergruppe weiter vom Trend entfernt liegt als jede andere Dreiergruppe von Werten. Angesichts der Streuung der Werte sagt aber auch dies noch nichts über einen Trendbruch aus. Man braucht einfach mehr Werte, um den statistisch signifikant festzustellen. Das gilt auch für eine andere Eigenschaft der Werte. Eigentlich liegen sie schon von jeher nicht auf einem linearen Trend. Man merkt es schon daran, daß am Anfang und am Ende der Wertereihe die meisten Werte für das Minimum der Seeeisausdehnung unter dem linearen Trend liegen, in der Mitte aber meistens darüber. Das ist ein Hinweis darauf, daß eine konvexe Anpassung, eine sich beschleunigende Abnahme eine bessere Anpassung wäre als eine lineare Regression. Aber aufgrund der starken Schwankungen der Werte ist dieser Unterschied nicht signifikant.

Bei der Graphik, die ich eingefügt habe, wurden mir leider die Beschriftungen abgeschnitten (wenn ich dazu komme, will ich in den nächsten Tagen eine bessere Version einstellen). An der vertikalen Achse geht es von 4 bis 8 Millionen qkm in 0,5 Millionen-Schritten, an der horizontalen Achse geht es von Jahr 1979 bis 2009. Der Wert für 2009 ist bei 5 Millionen eingezeichnet, weil ich hier noch eine Prognose eingesetzt hatte. Die lineare Regression ist für die 30 Jahre von 1979 bis 2008 berechnet – 2009 ist ausgenommen. Natürlich macht jeder weitere niedrige Wert den Trend steiler.

Auch dieses Jahr wurde wieder im Juni versucht vorherzusagen, wie niedrig das Minimum der Seeeisausdehnung ausfallen würde. Diesmal lagen alle Vorhersagen zu niedrig, auch wenn im Median der Prognosen korrekt vorhergesagt wurde, daß die Seeeisausdehnung 2009 nicht unter 2008 liegen würde.

Fazit: die Frage, ob wir bereits an einem Kippunkt des Klimas sind, und ob die Klimamodelle bei der Vorhersage der von Seeeis befreiten Arktis zu konservativ waren, ist weiterhin offen. Aber Hinweise, wie zum Beispiel von Vicky Pope vom Hadley Centre, daß es sich hier vermutlich einfach nur um einen Hinweis darauf handelt, daß die Klimavariabilität größer ist als früher vermutet, erhalten mit jedem Wert, der stärker zum Trend zurückläuft mehr Gewicht. Erst in einigen Jahren wird man entscheiden können, ob 2007 wirklich einen Trendbruch darstellte.

Erheblich mehr zum Thema gibt es bei Primaklima.