Freitag, 16. Oktober 2009

Wie die Abkühlungslüge die BBC-Nachrichten infizierte

Es sind noch einige Monate, bis offiziell die globalen Temperaturen für das Jahr 2009 bekannt gegeben werden. Und damit schließt sich so langsam die Tür für die Leugner, die mit der platten Lüge, man beobachte eine globale Abkühlung, ihre Propaganda verbreiten können. Man muß dabei realistisch sein: den Leugnern geht es dabei nicht darum, recht zu bekommen. Ihr strategisches Ziel ist es, Zweifel zu verbreiten. So lange der Eindruck besteht, grundsätzliche Fragen des Klimawandels seien noch in der Diskussion und nicht etwa schon lange abschließend geklärt, so lange kann man noch Medien und Politik verunsichern und in Beschlag nehmen. Letztendlich geht es darum, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu blockieren.

  • Zum einen, weil manche Leugner damit Ängste vor einem übermächtigen Staat und neuen Steuern verbinden oder aus schlechten Erfahrungen mit Umweltaktivisten heraus, die sie an dieser Stelle treffen wollen,
  • zum zweiten aus wirtschaftlichen Interessen, wie etwa Vertreter der Grundstoffindustrien und der Autoindustrie, Geologen und Mineningenieure sowie Mitarbeiter von Thinktanks, so genannten Denkfabriken, die aus Spendengeldern finanziert werden von Leuten oder Firmen, die selbst wiederum in einer dieser Kategorien hier fallen,
  • zum dritten aus religiösen Gründen („Da Gott nach der Sintflut versprochen habe, die Menschheit nicht mehr in dieser Weise auslöschen zu wollen, könne es gar nicht zu katastrophalen Änderungen des Klimas oder einem Meeresspiegelanstieg kommen, egal was der Mensch tut, weil dies allein in Gottes Hand sei.“ Nicht lachen – das ist eine kleine, aber nicht unbedeutende Gruppe, insbesondere in den USA.),
  • zum vierten aus allgemeiner Wissenschaftsfeindlichkeit, wie zum Beispiel der Fall bei Vertretern der Tabakindustrie, evangelikaler Gruppen, extrem konservativer Gruppen, die alle versuchen, gegen naturwissenschaftliche Ansätze anzukämpfen, wo vermeintlich Schwachpunkte auftreten, um so indirekt Umwelt-, Gesundheits- und Erziehungsbehörden anzugreifen,
  • zum fünften aus Geltungsbedürfnis (viele pensionierte Professoren, Lehrer und Behördenmitarbeiter können noch mal öffentliche Aufmerksamkeit gewinnen, wenn sie eine Außenseitertheorie vertreten, über Vorträge, Bücher oder einen Blog) und
  • zum sechsten, weil es überall Querulanten und Spinner gibt, die ihre Spezialtheorie gegen die Welt vertreten müssen – das ist noch nicht mal eine Frage der Intelligenz.

In ihrer Wirkung sind Leugner Verzögerer – sie halten notwendige und unvermeidliche Umweltschutzmaßnahmen auf und machen sie dadurch erheblich teurer und weniger effektiv. Sie sind insofern Saboteure, vergleichbar den Interessengruppen, die Planfeststellungsmaßnahmen aufzuhalten versuchen, wenn bereits klar ist, daß die Baumaßnahme auf jeden Fall kommt. Sie nehmen dabei auch selbstverständliche Rechte wahr: es muß jedem gestattet sein, seine Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einzusetzen und vorhandene Rechtsmittel auszuschöpfen. Allerdings kann dabei die Fairness auf der Strecke bleiben – darauf muß man hinweisen können. Dazu gehört, wenn permanent mit dem Mittel der Lüge gearbeitet wird. Zum Beispiel mit der Sprechfigur: „Wo ist die globale Erwärmung?“ Immer wieder muß man darauf hinweisen, daß man die globale Erwärmung sehr wohl sieht, etwa in der kontinuierlichen Erwärmung der Ozeane. Durch die ständige Umverteilung von Wärme zwischen Meeren und Atmosphäre kann die globale Temperatur zwischen den Jahren um den Trend schwanken. Der Trend ist aber etwas anderes als die Daten einzelner Jahre oder Monate oder, um zu zeigen, wie grotesk es werden kann, Tage. Der Trend ergibt sich erst in der Gesamtschau einer ausreichenden Zahl von Jahren. Welche Zahl von Jahren ausreicht, sagt die Statistik. Man braucht genug Jahre, um einen signifikanten Trend zu erhalten, im allgemeinen etwa 24 Jahre, mit 30 Jahren ist man auf der sicheren Seite. Allerdings wird man selbst für die letzten 10 Jahre keine Abkühlung in den Temperaturdaten finden.

Auftritt eines lokalen BBC-Wetterreporters namens Paul Hudson, der einen freundlichen Redakteur bei der BBC fand, der aus seinem Blogbeitrag eine BBC-Nachricht machte. Nachdem die Diskussion über die angebliche globale Abkühlung nun schon seit Jahren mit den immer gleich falschen Argumenten der Leugner geführt wird, fragt dieser schon wieder, wo denn die globale Erwärmung sei. Nichts, was in dem Beitrag steht, ist neu. Trotzdem gab es in Blogs von Leugnern ein großes Hallo bei dem Beitrag. Warum?

Die BBC ist auch bekannt für ihre naturwissenschaftlichen Reihen. Und dazu gehörten auch Informationen zum Klimawandel. Also ein Hassgegner für Menschen, die Aufklärung und Wissenschaft bekämpfen und Außenseitermeinungen verbreiten wollen. Aber was steht drin?

1. Es steht nichts Neues im Artikel - sämtliche darin erwähnten Leugnerversatzstücke sind bereits seit Monaten bekannt oder sogar noch älter.

2. Der Reporter zitiert zwar die Temperaturzeitreihe des Hadley Centres, widerspricht aber komplett der Interpretation des Hadley Centres, das immer wieder in seinen Verlautbarungen darauf hinweist, daß die globale Temperatur unverändert einen ansteigenden Trend aufweist und daß das Hadley Centre erwartet, daß in den Jahren von 2010 bis 2015 die Hälfte der Jahre wärmer sein werden als 1998.

3. Er zitiert einen gewissen Piers Corbyn, der keine einzige wissenschaftliche Publikation in Fachzeitschriften vorweisen kann. Jener behauptet, daß galaktische kosmische Strahlung, gesteuert von der Sonne, alleine das Klima bestimmen würde. Seine Behauptungen dazu, daß er mit seiner Firma das langfristige Wetter vorhersagen könnte, werden kritiklos weitergegeben, obwohl dieser nur Behauptungen macht, die nicht nachprüfbar sind, da seine Methode (falls er eine hat) von ihm nicht veröffentlicht wurde. Hingegen wurde von vielen Wissenschaftlern (ich verweise dazu gerne auf Lean und Rind und auf Lockwood und Frohlich) nachgewiesen, daß die globale Erwärmung der letzten Jahrzehnte sich nicht durch die Sonneneinstrahlung oder galaktische kosmische Strahlung erklären läßt, durchaus aber durch steigende Treibhausgaskonzentrationen, Aerosoleinflüsse, Vulkane und interne Variabilität, hier an erster Stelle ENSO.

4. Er zitiert außerdem einen Don Easterbrook, einen Geologen - kein Klimatologe, dessen Behauptung, unser Klima würde durch die PDO (Pacific Decadal Oscillation) gesteuert, bereits widerlegt wurde (eben durch Lean und Rind unter anderem). Die Behauptung ist auch ohne Basis, weil im Laufe des Jahrhunderts Klimaänderungen ohne die PDO erklärt werden können, weil die PDO weiterhin keine Klimaänderungen verursachen kann, sondern nur als Folge von Klimaänderungen selbst Veränderungen durchmachen kann.

5. Schließlich gibt er auch Latif falsch wieder, ein von Leugnern gerne aus dem Zusammenhang gerissenes Versatzstück. Latif spricht über die Möglichkeit, daß interne Variabilität des globalen Wetters dazu führen könnte, daß eine globale Erwärmung auch über 10 oder 20 Jahre verdeckt sein könnte, ohne aber dies auf einen bestimmten Zeitraum zu beziehen. Das mag stimmen oder auch nicht, bestätigt aber nicht im geringsten die Behauptungen von Easterbrook, Corbyn oder diesem Reporter und bedeutet auch nicht, daß es etwa jetzt gerade kälter werden müßte. Latif macht insbesondere auch klar, daß der globale Erwärmungstrend irgendwann dann auch dafür sorgen würde, daß zum Ausgleich die globale Temperatur erheblich stärker steigt.

6. Der Reporter Paul Hudson kann außerdem Wetter und Klima nicht auseinander halten, und bezieht sich auf einzelne Jahre oder einen 11-Jahreszeitraum als maßgeblich für klimatische Veränderungen. Er gehört auch zu denen, die meinen, es sei sinnvoll, ausgerechnet mit dem Jahr 1998 eine Zeitreihe für eine Trendberechnung zu starten, obwohl dieses Jahr durch einen sehr starken El Nino einen Ausreißer darstellt, der statistische Berechnungen verfälscht. Und es ist schon seltsam, wenn man 2008 unbedingt 10-Jahrestrends berechnen wollte und 2009 11-Jahrestrends. Anscheinend werden die gleichen Leute nächstes Jahr unbedingt auf 12-Jahrestrends pochen.

7. Das hilft aber alles nichts. Die lineare Regression ergibt bei dem Datensatz des Hadley Centres für die kombinierten jährlichen Temperaturanomalien aus dem Meßnetz und über den Ozeanen für die letzten 10 Jahre (1999-2008) einen Anstieg von 0,0107 Grad pro Jahr, für die letzten 11 Jahre einen Anstieg von 0,0021 Grad pro Jahr, die letzten 12 Jahre von 0,0033 Grad pro Jahr. Wo ist die globale Abkühlung? Die gleichen Zahlen bezogen auf 2009 als letztes Jahr, wobei ich die letzten 4 Monate gleich dem Augustwert setze als einfachste Persistenzannahme geben für 10 Jahre 0,0068, für 11 Jahre 0,0117 und für 12 Jahre 0,0043 Grad pro Jahr. Signifikant ist erst der 30 Jahrestrend von 0,0152 Grad pro Jahr (bis 2008) oder 0,0156 Grad pro Jahr (bis 2009). Wo ist die globale Abkühlung? Man kann auch darauf verweisen, daß das laufende Jahrzehnt (2000 – 2009, mit einem vorläufigen Wert der Temperaturanomalie für 2009 aus den ersten 8 Monaten plus Persistenz) mit 0,41 Grad 0,18 Grad wärmer ist als das Jahrzehnt 1990-1999 mit einem Durchschnitt von 0,23 Grad (inklusive dem El Nino-Jahr 1998). Wo ist die globale Abkühlung? Man kann darauf hinweisen, daß das laufende Jahr (erste 8 Monate plus Persistenz) 0,12 Grad wärmer ist als 2008, und auch wärmer als 2007 und 2006 und wohl das drittwärmste Jahr insgesamt. Wo ist die globale Abkühlung?

8. Englisch kann der Mann wohl auch nicht, wenn er schreibt:

"One thing is for sure. It seems the debate about what is causing global warming
is far from over." - "Eine Sache ist sicher. Es scheint so, als wäre die Debatte
darüber, was die globale Erwärmung verursacht, bei weitem noch nicht zu Ende."

Ist es nun sicher oder scheint es so? Mal abgesehen davon, daß es keine wissenschaftliche Debatte darüber gibt, daß der Anstieg von Treibhausgasen zu einer globalen Erwärmung führt.

Man kann es positiv sehen: wenn Leugner nur auf die Wiederholung bekannter, widerlegter Behauptungen eines Reporters zurückgreifen können als angebliches Argument, haben sie wirklich ihre Munition verschossen. Aber leider stimmt auch das: das Geraune in der Medienlandschaft geht weiter und wird weiterhin die Arbeit sabotieren, schnell zu bezahlbaren Maßnahmen für den Klimaschutz zu kommen. Zumindest die Öffentlichkeit und die Politik in den USA reagieren auf solchen Unfug, dabei sind es weiterhin die USA, die derzeit am wenigsten für den Klimaschutz tun und mit den größten Beitrag zum Problem leisten.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Darf man als Wissenschaftler religiös sein?

Der Grund dafür, daß man diese Frage überhaupt stellen kann ist die große Spezialisierung in den (Natur-)wissenschaften. Man kann glücklich auf einem speziellen Gebiet arbeiten, ohne je mit Grundsatz- und Sinnfragen konfrontiert zu werden. Erst, wenn man anfängt, zu philosophieren, in welchem größeren Zusammenhang zum Beispiel die eigenen Studien zu irgendwelchen Gensequenzierungen oder Untersuchung von Zerfallsreihen nach Teilchenkollisionen stehen, und was zum Beispiel politische Folgen des eigenen erweiterten Wissens sein könnten, verliert das schmale Feld, das man überschaut, seine Unschuld. In der Regel wird jedoch der Wissenschaftler, der über den Rand seines kleinen Bereichs der Expertise schaut, sofort zum Laien. Um auch bei großen Fragen noch als Experte mithalten zu können, bedarf es schon großer Belesenheit und auch weit gespannter Erfahrung. Für den durchschnittlichen Wissenschaftler ist es schlicht irrelevant, was die Religion sagt. Es ist für ihn eine rein private Entscheidung und daher nur geprägt von der eigenen Erziehung und dem Umgang, den man hat, der einen mehr oder weniger religiös machen kann. Die Folge ist, daß man unter Wissenschaftlern auch viele findet, die religiös sind. Es sind hier weniger als in der Gesamtbevölkerung, und insbesondere Naturwissenschaftler neigen weniger der Religion zu, aber gleichwohl ist der Anteil nicht zu vernachlässigen. Das heißt denn auch, daß die Suche nach Zeugen für eine religiöse Interpretation in den Naturwissenschaften immer möglich ist. Es gibt auch kreationistische Biologen oder Physiker, was dann auch von religiösen Fanatikern und ihren Lobby-Organisationen wie zum Beispiel dem Discovery-Institut ausgenutzt wird.

Beim näheren Nachdenken dürfen Wissenschaftler aber grundsätzlich nicht religiös sein. Grundlage der Wissenschaft ist die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Wenn Ergebnisse nicht reproduzierbar sind, wenn es keine Naturgesetze gibt, ist der Ansatz der Wissenschaften ungültig. Es gibt dann keine objektiv feststellbare, untersuchbare Natur, es gibt dann keine gültigen Theorien, die Vorhersagen ermöglichen. Wissenschaftler müssen per definition antireligiös sein. Religion bedeutet, daß übernatürliche Mächte vorhanden sind, die den Rahmen der Naturgesetze verlassen können. In ihnen können Schöpferwesen die Welt erschaffen, ohne Fragen nach Erhaltungssätzen zu beantworten, können übernatürliche Wesen Wissen über Menschen haben, ohne auf eine der vier Grundkräfte angewiesen zu sein und können menschliche Schicksale beeinflussen, ohne daß ihre Wirkung beobachtet werden könnte. Es geht dabei gar nicht um die Frage, ob man die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes beweisen kann. Denn selbstverständlich ist es möglich, diese Frage so zu definieren, daß man ein übernatürliches Wessen gerade an den Rand möglicher Erkenntnis stellt. Es ist immer möglich, einen Gott so zu definieren, daß man gerade noch die Frage seiner Nichtexistenz nicht mit den gerade vorhandenen Mitteln entscheiden kann. Das Problem liegt hier aber schon in der Fragestellung. Niemand ist verpflichtet, zu beweisen, daß etwas willkürlich definiertes nicht existiert. Es existiert einfach dadurch nicht, daß die Notwendigkeit fehlt, die Existenz zu erwägen. Zuerst müßte die naturwissenschaftliche Theorie versagen und eine Lösung dadurch plausibel sein, daß man ein übernatürliches Wesen einführt. Dann erst wird die Behandlung einer religiösen Frage für die Wissenschaft legitim. Genau dann aber verliert die wissenschaftliche Methode überhaupt seinen Sinn, weil ja nun die Realität nicht mehr zwangsläufig eine objektive Grundlage hat, sondern abhängig davon wird, daß man den rechten Glauben hat und das übernatürliche Wesen sich zeigt.

Die Feststellung, daß Wissenschaftler antireligiös sein müssen, weil etwas anderes unlogisch wäre, ist zwar einerseits zwingend, andererseits wird aber die religiöse Sozialisierung vieler Wissenschaftler sie dazu treiben, die Schlußfolgerung abzulehnen. Der wichtigste Grund ist, daß sie die Schlußfolgerung eben nicht als so zwingend empfinden wie sie ist. Für sie ist zunächst mal eine Art Solipsismus akzeptabel, die in der Frage gipfelt, ob ein Baum in einem Wald mit dem gleichen Krachen umkippen würde, wenn gerade kein Mensch anwesend wäre, um Zeuge des Ereignisses zu sein. Letztlich also die Behauptung, wir könnten nicht entscheiden, ob die Natur in Wahrheit nur ein Theaterstück zum Ergötzen des Menschen sei und ganz anders sein könnte, wenn die Zuschauer fehlten. Das läßt sich durchaus mit ein bißchen Pseudowissenschaft aufmotzen, wenn man z.B. darauf verweist, daß ja die Quantenmechanik den Einfluß des Beobachters mit berücksichtigt. Dabei wird dann vergessen, daß hier auch die Rolle des Beobachters eine naturgesetzliche ist. Nicht ein Wunder führt dazu, daß die Heisenbergsche Unschärferelation gilt, sondern die Quantelung der Wirkung erfordert, daß man komplementäre Größen wie Ort und Impuls oder Energie und Zeit nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen kann. Und wie die Beobachtung selbst eine Größe beeinflußt, ist kein Mysterium, sondern wird logisch plausibel, wenn man sich vorstellt, wie das Photon; das die Information über ein Elektron vermitteln soll, gleichzeitig durch seine Wechselwirkung mit dem Teilchen dieses verändert. Quantenmechanik ist zwar oft kontraintuitiv, aber trotzdem naturgesetzlich.

In den letzten Jahren hat sich die Auseinandersetzung zwischen zwei Strömungen in den Naturwissenschaften zugespitzt. Während die einen als „neue Atheisten“ die Konfrontation mit den religiösen Kräften suchen, vielleicht, weil sie das Gefühl haben, daß die religiösen Kräfte wieder an gesellschaftlichem Einfluß gewinnen (man sieht es besonders dramatisch am Vordringen des Islam in den vergangenen vielleicht 20 Jahren, aber auch an der Talibanisierung der USA), gibt es auch eine Appeasement-Bewegung bei den Wissenschaftlern, die für die Einstellung wirbt, daß die Wissenschaften und die Religion einfach verschiedene, sich gegenseitig nicht ausschließende Betrachtungsweisen der menschlichen Existenz seien. Das eine wie das andere sei jeweils in seinem Gebiet gültig, ohne dem anderen in seinem eigenen Gebiet zu widersprechen. Das ist eine sehr bequeme Einstellung, um sich Streit zu sparen, sie ist aber weder logisch noch ist sie nachhaltig. In der Vergangenheit hat sich die Wissenschaft ihre Freiräume immer gegen religiösen Widerstand erkämpfen müssen. Immer wieder mußten Wissenschaftler die Deutungshoheit der Religion angreifen. Kopernikus und Galilei hätten nichts zu sagen gehabt, wären sie nicht bereit gewesen, Territorium für die Naturwissenschaften zu beanspruchen, das vorher der Religion vorbehalten war. Und weder die Big Bang-Theorie noch die Evolutionstheorie konnten in einem Vakuum entstehen, das von der Religion freigelassen wurde. Noch heute widersprechen Kreationisten, und man hat sogar den Eindruck, daß ihre Zahl und ihr Einfluß wieder zunehmen. Appeasement ist gefährlich, denn so nach und nach verliert die Wissenschaft damit wieder die einst eroberten Freiräume. Das fängt mit Versuchen an, Blasphemiegesetze wieder zu etablieren, wie z.B. in Irland. Die islamischen Staaten versuchen, die UNO dafür einzuspannen. In verschiedenen Staaten versuchen religiöse Gruppen, die Schulbücher zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Kalkül ist, daß die so an die Religion gewöhnten Kinder auch als Erwachsene stärker der Religion zuneigen würden. Am Ende wäre es egal, welche Ergebnisse die Wissenschaften haben – der religiöse Konsens in der Gesellschaft legt fest, was Wissenschaftler veröffentlichen und untersuchen dürfen.

Toleranz ist die Bereitschaft, Herausforderungen zu akzeptieren, weil man an die eigene Fehlbarkeit glaubt. Genau das ist von der religiösen Seite allenfalls als Lippenbekenntnis zu erwarten. Der einzige Schutz vor der Religion ist, sie machtlos zu halten, und am wenigsten Macht hat die Religion, wenn keiner mehr an sie glaubt. Die Alternative ist alles andere als harmlos. Dort findet man z.B. Kinder, die sterben müssen, weil ihre Eltern die sogenannte Schulmedizin ablehnen und z.B. Impfungen verweigern oder schwere Krankheiten wegbeten wollen. Da findet man Allianzen zwischen Religiösen, Konservativen, der Tabaklobby und Klimaschutzgegnern, die feststellen, daß man zusammenarbeiten kann, wenn man Gründe hat, antiwissenschaftlich eingestellt zu sein. Im politischen Bereich kennt man den Begriff „Wehret den Anfängen.“ Hat eine radikale Bewegung erst mal einen gewissen Einfluß gewonnen, hat sie Möglichkeiten, sich selbst zu verstärken, da sie nicht fair zu spielen braucht. Für die Wissenschaften gilt ähnliches. Ist erst mal hinreichend weit akzeptiert, daß Grundregeln der Wissenschaften umgangen werden dürfen, fällt die Grundlage für den Wissenschaftsbetrieb weg. So weit darf es nicht kommen. Daher glaube ich, daß Wissenschaftler nicht bloß antireligiös sein sollten, weil etwas anderes unlogisch wäre, sie müssen es auch sein, weil sie sonst riskieren, daß auf Dauer die Arbeitsmöglichkeiten für Wissenschaftler wegfallen.

Ein Blick auf unsere Emissionen

Viele Menschen, die dick werden, verstehen nie so ganz, wie das eigentlich passieren konnte. Sie wurden nicht dick, weil sie einmal ein riesiges Mahl zu sich genommen hatten. Auch nicht, weil sie eine Reihe opulenter Gelage mitgemacht hätten. Sondern das Übergewicht entwickelte sich schleichend darüber, daß täglich etwas mehr gegessen wurde, als der Körper verbraucht hatte. Nach 30 Jahren haben sich kaum 5 Gramm Fett zuviel pro Tag – das ist noch nicht mal die Menge Butter auf einem Butterbrot – in 50 Kilogramm Übergewicht übersetzt. Kleine Ursache, fatale Wirkung.

Wenn wir über den Klimawandel reden, müssen wir einen Blick für solche Perspektiven haben. Der Klimawandel ist die Folge davon, daß sich ein jährlicher CO2-Überschuß über Jahrzehnte aufbaut. Gerade durch diesen schleichenden Aufbau haben wir so wenig das Gefühl einer aufkommenden Gefahr wie bei den täglichen 5 Gramm Fett zuviel. Und liegt das Fett erst mal auf den Hüften, bekommt man es zu Lebzeiten kaum je wieder weg. CO2, das erst einmal emittiert wurde, verbleibt zum größeren Teil für Generationen in der Atmosphäre.

Man kann nun auf den Effekt des überschüssigen CO2 auf verschiedene Weisen schauen. Der normale Weg ist, ein Szenario zu rechnen über die erwartete Entwicklung der CO2-Emissionen über eine gewisse Zeit, daraus CO2-Mischungsverhältnisse zu modellieren, den Strahlungseffekt abzuleiten und in einen Klimaeffekt umzurechnen. Das sieht man in den Szenarien, die für die IPCC-Berichte benutzt werden. Die Unsicherheit dieser Simulationen sieht man in den Fehlerbereichen um die Projektionen. Außerdem sind die verwendeten Szenarien selbst Alternativen zukünftiger Entwicklung, die zur Unsicherheit der Modellprojektionen beitragen. Was man sehen kann, ist, daß jede der Szenarien, die für den IPCC-Bericht gerechnet wurden, zu einer globalen Erwärmung von mehr als 2 Grad führen werden. Zuviel, damit die Auswirkungen des Klimawandels beherrscht werden können. Mehr, als man dieses Jahr auf einem Gipfeltreffen der G8-Staaten und von vielen Schwellenländern in L’Aquila als globales Ziel vereinbart hatte und wohl auch mehr, als das, worauf man sich Ende des Jahres in Kopenhagen wird einigen können.

Einen anderen Blick auf die Effekte zu hoher Treibhausgasemissionen gibt das Glücksrad, daß das MIT vorgestellt hatte. Hier wird etwas deutlicher, daß es auch eine Frage der Wahrscheinlichkeit ist, wie hoch die globale Temperatur bei einem bestimmten Emissionsszenario steigt.

Man kann auch umgekehrt fragen, wenn ich mit vorgegebener Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Temperaturgrenze nicht überschreiten will, wie viel CO2 dann emittiert werden darf. Dieses Jahr kamen zwei Arbeiten heraus, die sich dieser Frage widmeten und schon intensiv in anderen Blogs diskutiert wurden. Insbesondere Malte Meinshausen und seine Kollegen bringen das Problem auf einen einfachen Nenner. Es ist nicht so wichtig, wann eine bestimmte CO2-Menge emittiert wird, entscheidend ist, wie viel insgesamt in die Atmosphäre gelangt. Mit seiner Meta-Studie über viele Klimamodelle und Modelle für den Kohlenstoffumsatz stellt er mit Kollegen fest (Meinshausen, M., N. Meinshausen, W. Hare, S. C. B. Raper, K. Frieler, R. Knutti, D. J. Frame and M. R. Allen (2009). "Greenhouse-gas emission targets for limiting global warming to 2°C." Nature 458(7242): 1158.), daß mit einer Gesamtemission von 1000 Gigatonnen CO2 von 2000 bis 2050 das Klimaziel von 2 Grad globaler Erwärmung mit 75% Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Das beinhaltet nicht nur Emissionen von CO2 aus fossilen Energiequellen, sondern auch Emissionen durch Landnutzungsänderungen (Abbrennen oder Absterben von Bäumen, verstärkte Emissionen von Kohlenstoff aus freiliegenden Böden). Da 2000 – 2006 von diesem Budget bereits 234 Gigatonnen aufgebracht wurden und die Emissionsrate derzeit bei 36,5 Gigatonnen CO2 pro Jahr liegt, kann man ausrechnen, daß wir bei derzeitigem Verbrauch unser Verschmutzungskontingent bis 2027 aufgebraucht hätten – danach müssten die Emissionen schlagartig auf Null sinken. (Weitere Informationen auf der PRIMAP-Seite zu einem am PIK verwendeten Emissionsmodell.)

Damit kann im Grunde jeder Mensch seine persönliche CO2-Uhr aufstellen. Wir haben 2009 und für die gesamte Menschheit bleiben noch 674 Gigatonnen CO2 übrig. Das sind gerade knapp 100 Tonnen CO2 für jeden Menschen, die er noch verballern darf. Da könnte man die Frage stellen: „Und wie wollen Sie Ihr verbleibendes CO2-Kontingent verwenden?“ Derzeit verbraucht der durchschnittliche Deutsche 11 Tonnen CO2 pro Jahr. Demnach wäre in 9 Jahren für den Durchschnittsdeutschen Schicht – er müßte sich seine CO2-Verschmutzungsrechte in Afrika oder Indien dazukaufen. Die brauchen sie allerdings selber.

Das macht die Klimaproblematik greifbarer. Jeder Deutsche läuft mit einem Zähler herum, der bis 2018 auf Null läuft. Entweder lernen wir schnell, die Emissionen jedes Jahr deutlich zu senken oder wir finden heraus, wie man am Tag X unser Leben auf Knopfdruck auf CO2-freies Fahren, Transportieren und Produzieren umstellt.

Was können wir gegen die globale Erwärmung tun?

Die globale Erwärmung ist real. Man kann zeigen, daß die globale Temperatur steigt, daß sie es beschleunigt tut und daß nur die Emission von Treibhausgasen durch Menschen diese Erwärmung erklären kann. Es gibt also Grund genug, etwas dagegen zu tun. Im allgemeinen ist es aber Sache der Staaten, hier zu Vereinbarungen zu kommen und Maßnahmen zu treffen, um die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren. Das Problem ist nur: sie tun es nicht.
Sie tun es nicht ausreichend. Das Hauptproblem stellen die USA dar. Bereits unter Jimmy Carter waren die ersten Kommissionsberichte erstellt worden (1979 der JASON-Report und der Charney-Report), die auf die Bedrohung hinwiesen. Geschehen ist jedoch in den USA praktisch nichts. Zunächst hatte man sich darauf berufen, daß noch Zeit genug sei für Maßnahmen und daß nach einigem Wirtschaftswachstum es relativ gesehen billiger würde, Maßnahmen zur Energieeinsparung und Verminderung der Emissionen zu treffen. Das war aber falsch. Es ist keineswegs billiger, sondern teurer geworden, den Klimawandel zu verlangsamen, weil aufgrund der verstrichenen Zeit heute viel drastischere Maßnahmen notwendig sind, als in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ausgereicht hätten. Zum zweiten wird gerne auf andere Staaten gedeutet, deren Emissionen angeblich eigene Maßnahmen sinnlos machen würden. Wenn Chinas Wachstum bei den Emissionen in einem Jahr größer ist, als manche kleine Staaten insgesamt emittieren, kann schon fraglich werden, ob Maßnahmen nicht schon im Ansatz sinnlos werden, weil der Nachholbedarf der Schwellenländer sie aufwiegt. Das ist aber eine kurzsichtige Einstellung. Sobald die Schwellenländer ebenfalls anfangen, ihre Emissionen zu verringern, sind die Einsparungen der industrialisierten Länder keineswegs mehr sinnlos. Vor allem aber zieht schon das Vorbild der entwickelten Länder die Schwellenländer mit. Die Einsparmaßnahmen von Staaten wie Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden haben zum Beispiel China durchaus davon überzeugt, daß die Industriestaaten den Klimawandel ernst nehmen und man Entwicklung auch daran mißt, daß man sich Ziele im Umweltschutz setzt. Was wir in Europa also tun, regt Staaten wie China, Südkorea und Indien an, ebenfalls etwas zu unternehmen. Das sind die eigentlichen Zinsen des Kyoto-Protokolls, weniger die tatsächlichen Emissionsminderungen, die insgesamt nur eine geringe Wirkung auf das Erdklima hatten.

Mit der Präsidentschaft von Obama hatten manche die Hoffnung verbunden, daß sich dadurch in den USA nun etwas bewegen würde. Dabei unterschätzt man aber, wie stark Amerikaner an ihrem Lebensstil festhalten wollen, der auf niedrigen Steuern für Strom und Benzin und damit Energieverschwendung ohne Reue baut. Auch Obama und eine relative Mehrheit der Demokraten im Kongreß können nichts daran ändern, daß alle Maßnahmen unpopulär sind, die in Europa den Energieverbrauch vermindern. Und das liegt auch daran, daß in den USA, im Gegensatz zu Europa, noch nicht mal die Medien einheitlich die Botschaft überbringen, daß der Mensch das Klima ändert. Hier wird immer noch der Eindruck erweckt, es gäbe eine wissenschaftliche Kontroverse, ob der Mensch das Klima ändert und wenn, ob dies bedrohlich sei. Ohne eine starke Motivation, den Klimawandel aufzuhalten, sind aber erforderliche harte Maßnahmen gegen die Emissionen von Treibhausgasen nicht umsetzbar.

Solange aber die Staaten nicht an einem Strang ziehen, was kann da der einzelne tun? Es gibt ein paar Punkte, bei denen jeder aktiv werden kann.
  1. Flugreisen: Menschen, die regelmäßig Flugreisen absolvieren, haben einen großen CO2-Fußabdruck, und nur eine Minderheit ist aus beruflichen Gründen dazu gezwungen, eilig den Globus zu bereisen. Vor allem der Urlaub in Übersee ist so verzichtbar wie klimaschädlich. Und auch wenn es keineswegs nötig ist, unter dicken Decken zitternd bei Kerzenschein in dunklen Wohnungen zu hocken, wie manche Leugner als Zukunft unter Umweltfanatikern an die Wand malen, es sollte jedem klar sein, daß wir für die Zukunft unserer Kinder und Enkel Prioritäten setzen müssen. Und der Verzicht auf Flugreisen in Übersee sollte niemandem weh tun.
  2. Heizung: Wer Mieter ist, hat nicht viel Einfluß auf die Isolation seines Hauses. Aber die Heizung der Wohnung ist für die meisten Menschen der größte Posten beim Energieverbrauch und daher oft die wichtigste Möglichkeit, CO2-Emissionen zu senken. Wer kann, sollte die Investitionen wagen, sein Haus nach den besten Wärmedämmungskriterien zu modernisieren. Mieter müssen hoffen, daß ihr Vermieter mitzieht und ansonsten die bekannten Tipps zur Einsparung von Heizwärme beherzigen.
  3. Ernährung: Es ist nicht allen bekannt, daß der individuelle CO2-Abdruck sehr stark durch die Ernährung beeinflußt wird. Ein großer Teil der Klimawirkung unserer Nahrung kommt dadurch zustande, daß die Bearbeitung der Äcker mit Maschinen, der Düngemitteleinsatz und der Transport und die industrielle Verarbeitung der Nahrungsmittel dafür sorgen, daß ein harmlos wirkendes Stück Nahrung erhebliche CO2-Emissionen mit sich bringt. Das gilt vor allem für Obst und Gemüse außerhalb der Saison, das von anderen Kontinenten angeliefert wird. Viel gravierender ist aber der Methan-Abdruck von Lebensmitteln. Methan ist ein weitaus wirksameres Treibhausgas als CO2. Das relativiert sich zwar, weil Methan auch viel kurzlebiger ist. Deshalb hängt es erheblich davon ab, über welchen Zeitraum man Methan betrachtet, um zu entscheiden, um wieviel potenter es als Treibhausgas im Vergleich zu CO2 ist. Im allgemeinen ist der Betrachtungszeitraum ein Jahrhundert und Methan ist auf der Zeitskala etwa einen Faktor 25 wirksamer als CO2. Die Nahrungsmittelproduktion ist nun teilweise eine wichtige Methanquelle. An erster Stelle stehen da Rinder, in deren Mägen Bakterien die Zellulose des nährstoffarmen Grases in verdaubare Nähstoffe aufschließen und dabei Methan produzieren, das die Rinder ausrülpsen. Auf Rindfleisch zu verzichten kann den persönlichen Beitrag zum Treibhauseffekt in der Ernährung unter Umständen halbieren, und die Ernährung selbst wiederum kann, je nachdem ob man Flugreisen macht oder nicht, den persönlichen Klimafußabdruck bis zu einem Drittel bestimmen. Auch Schweine und Schafe leisten einen Beitrag zu klimarelevanten Emissionen. Eine generelle Empfehlung lautet daher, auf das Fleisch dieser Tiere weitgehend zu verzichten, den Verzehr von Milchprodukten niedrig zu halten und ansonsten sich möglichst nach der Saison und aus der Region mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Das sind zunächst qualitative Überlegungen. In späteren Beiträgen hoffe ich, das noch mit mehr Angaben unterfüttern zu können.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Warum sollte man fehlerhafte Daten aussortieren?

Steve McIntyre ist ein Statistiker, der dadurch berühmt (oder berüchtigt) wurde, daß er zusammen mit dem Geologen McKitrick öffentlichkeitswirksam über Details in einer wissenschaftlichen Arbeit von Michael Mann und seinen Kollegen gemeckert hat – ich kann es leider nicht schmeichelhafter ausdrücken. Michael Mann und seine Kollegen hatten zu einem frühen Zeitpunkt das Risiko gewagt, Aussagen zur Entwicklung der Temperaturen in den vergangenen 1000 Jahren zu machen (Mann, M.E., R.S. Bradley, and M.K. Hughes. 1998. Global-scale temperature patterns and climate forcing over the past 6 six centuries. Nature 392:779-787.). Bis dahin wußte man nichts bestimmtes über die Entwicklung globaler Temperaturen, denn es gibt ja erst seit kaum 400 Jahren, und dann auch nur für Europa, Thermometermessungen der Temperatur. Es gibt zwar indirekte Hinweise darauf, daß in Europa das Mittelalter eher warm war und die Neuzeit, insbesondere das 18. und 19. Jahrhundert, eher kühl, aber daraus kann man nicht ableiten, um wieviel warm oder kühl es war im Vergleich zu heute, oder in wie weit das eine Aussage zu globalen Temperaturen ist. Mann et al. haben 1998 daher zum ersten Mal eine halbwegs belastbare Temperaturrekonstruktion aus verschiedenen Quellen zusammengestellt, die es ihnen ermöglichte zu sagen, daß die Erwärmung im Mittelalter zwar global war, aber nicht besonders ausgeprägt relativ zur globalen Erwärmung der letzten Jahrzehnte. Sie lehnten sich insbesondere damit weit aus dem Fenster, daß sie behaupteten, daß die 90er Jahre sehr wahrscheinlich das wärmste Jahrzehnt der letzten 1000 Jahre waren. Damals war das eine ziemlich weit gehende Interpretation der Daten, aber es war eben der erste Versuch, eine quantitative Temperaturrekontruktion für die Welt so weit in die Vergangenheit zurück zu machen. Selbst wenn Teile der Daten sich hinterher als fehlerhaft herausgestellt hätten, wäre die Arbeit alleine schon für ihren Pioniercharakter und die Diskussion neuer Methoden in diesem Bereich bemerkenswert gewesen, und auf jeden Fall hatten wir damit zum ersten Mal eine Quantifizierung der globalen Temperatur bis zur Zeit des Mittelalters.


Um den Kontext herzustellen: seitdem haben andere Gruppen, mit teilweise oder gänzlich anderen Wissenschaftlern, teilweise mit den gleichen, teilweise aber auch mit ganz anderen Paläodaten und mit gleicher oder anderer Methodik, die gleichen Ergebnisse erzielt: die warme Zeit des Mittelalters war vielleicht eine globale warme Phase im 13./14. Jahrhundert, aber dieses Temperaturmaximum war nicht so ausgeprägt wie die Temperaturentwicklung bis zu den 90er Jahren. Die Arbeit von Mann et al 1998 selbst wurde von Wahl und Amann 2006 reproduziert. Die National Academy of Sciences hat 2006 wichtige Aussagen von Mann et al. 1998 bestätigen können, allerdings darauf hingewiesen, daß Aussagen zu einzelnen Jahren oder Jahrzehnten nur mit begrenzter Wahrscheinlichkeit gemacht werden können, wenn man alle Unsicherheiten berücksichtigt. Mann et al 2008 haben dann erneut eine globale Temperaturrekonstruktion erstellt und dabei auch gezeigt, daß auch ohne die von einigen angezweifelten Baumringdaten der gleiche Temperaturverlauf herauskommt. Selbst wenn in der Arbeit von 1998 kleine Fehler gewesen sein sollten, wäre die Hauptaussage trotzdem inzwischen so gut bestätigt, wie man es sich für viele wissenschaftliche Arbeiten nur wünschen könnte. Ein globaler Temperaturverlauf, aus dem der aktuelle Temperaturanstieg deutlich herausragt, ist von verschiedenster Seite aufgrund der verschiedensten Daten hervorragend bestätigt.
Und, das ist alles trotzdem Schnee von gestern, weil das aktuelle Jahrzehnt fast 0,2 Grad wärmer ist als die 90er Jahre. Selbst wenn im Mittelalter ein Jahrzehnt global doch so warm gewesen sein sollte, wie die 90er Jahre, was man im Rahmen der Fehlerbalken von Mann et al 1998 ja nicht völlig ausschließen konnte, ist das laufende Jahrzehnt definitiv wärmer als es je in 1000 Jahren in einem Jahrzehnt war. Inzwischen muß man sagen, als es in 2000 Jahren in einem Jahrzehnt war. Kommentare dazu habe ich bereits hier und hier geschrieben.

Das ist erst mal der Hintergrund für das, was man getrost „Meckern“ nennen kann. McIntyre und McKitrick hatten eine Arbeit herausgebracht (McIntyre, S., and R. McKitrick, 2005: Hockey sticks, principalcomponents, and spurious significance. Geophys. Res. Lett., 32(3),L03710, doi:10.1029/2004GL021750.), in der sie behaupteten, die Ergebnisse von Mann et al. wären teilweise falsch. Auf der Basis dieser Behauptung läuft unter Leugnern die Meinung um, die Temperaturrekonstruktion von Mann et al 1998 wäre widerlegt worden, daher sei es im Mittelalter wärmer gewesen als heute und daher wäre die globale Erwärmung gar kein Problem. Teilweise stimmt schon die logische Kette nicht – selbst wenn Mann et al. 1998 völlig daneben gelegen hätte, wäre die globale Erwärmung trotzdem ein Problem. Und wenn es im Mittelalter wärmer gewesen wäre als heute, würde das nur heißen, daß die Klimasensitivität größer ist als in Modellen unterstellt, und daß daher steigende Treibhausgasmischungsverhältnisse das Klima stärker ändern würden als alle Modelle zeigen. Aber davon abgesehen hatten auch McIntyre und McKittrick keineswegs die Arbeit von Mann et al widerlegt, sondern nur Detailfehler aufgezeigt, die an der Grundaussage nichts ändern. Sie hatten gezeigt, daß die Dokumentation der verwendeten Daten nicht vollständig war. Andere Behauptungen hielten der Kritik nicht stand. Wahl und Amann etwa widerlegten, daß die Methode von Mann et al nicht reproduzierbare Ergebnisse lieferten. Es wurde auch widerlegt, daß die Methode von Mann et al eine Hockeyschlägerform der Temperaturrekonstruktion erzwinge. Es konnte gezeigt werden, daß McIntyre und McKittrick selbst die Hauptkomponentenanalyse, die Mann et al zur Datenkomprimierung genutzt hatten, fehlerhaft durchgeführt und interpretiert hatten.
Aber wegen des einen Moments des Ruhms, als der mittelmäßige McIntyre an Details einer bahnbrechenden Arbeit gemäkelt hatte und dafür Applaus aus dem politischen Lager der Leugner bekam, beschäftigt sich der Mann nun schon seit Jahren mit nichts anderem als dem Meckern an den Arbeiten anderer Leute ohne selbst je etwas von wissenschaftlichem Wert beizutragen. Vergleichbar mit einem Literaturkritiker, der es selbst nie geschafft hat, ein Buch zu schrieben und deshalb mit besonderer Lust Werke verreißt, in denen er Druckfehler feststellt. Das macht er auch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht über wissenschaftliche Publikationen, sondern in seinem Blog CimateAudit. Es ist absehbar, daß niemand besondere Lust hat, seinen selten besonders höflich geäußertern Aufforderungen nachzukommen, sämtliche Daten, Programme usw. an ihn herauszugeben, die für eine bestimmte Publikation benutzt wurden, damit McIntyre nun beharrlich suchen kann, ob es darin vielleicht wieder etwas gibt, über das man Meckern kann. McIntyre nennt seine Tätigkeit „Audit“ mit der unausgesprochenen Unterstellung, die von ihm ausgeguckten Wissenschaftler würden schlampig oder unfähig arbeiten, und müßten auf alles, was nach seiner Meinung ein Fehler sei, damit reagieren, ihre ganze Tätigkeit der Vergangenheit neu zu überarbeiten. Mit Verlaub, so funktioniert das nicht. Geschweige denn, daß McIntyre je bereit gewesen wäre, mal so auf die Fehler zu reagieren, die ihm nachgewiesen wurden.

Kürzlich gab es beim Erzeugen von Stürmen in Wassergläsern bei McIntyre eine neue Steigerung. Unter den vielen Daten, mit denen man Temperaturrekonstruktionen erstellen kann, gibt es auch Daten von Baumringen. Das Wachstum von Bäumen kann schneller oder langsamer sein in Reaktion auf Umweltbedingungen, was man an der Dicke der Baumringe erkennen kann. Umweltbedingungen können sein: wie warm ist es in der Wachstumszeit; wie feucht ist es in der Wachstumszeit; wie ist das Nährstoffangebot; wie stark setzen Schädlinge dem Baum zu... Will man aus Baumringen Rückschlüsse darauf ziehen, welche Temperatur vor Ort vorherrschte, muß man logischerweise eine Auswahl von den Bäumen treffen, bei denen vor allem die Temperatur das Wachstum beeinflußte, weil z.B. Wasser und Nährstoffe jederzeit ausreichend zur Verfügung standen. Aus vielen Baumringdaten, die an verschiedenen Orten der Erde gesammelt wurden, wird man also eine Auswahl treffen.

Ich denke, daß McIntyre das wissen muß. Deshalb ist es wenig glaubwürdig, wenn er nun Rohdaten aus Sibirien findet und dann feststellt, daß man aus diesen Daten einen Satz konstruieren kann, der einen anderen zeitlichen Verlauf der Dicke der Baumringe zeigt als die Daten, die von Briffa und anderen (die auch mit Michael Mann zusammengearbeitet haben) für Temperaturrekonstruktionen verwendet wurden. Das ist so eine Meldung wie „Ein Sack Reis in China ist umgefallen“. Infam ist aber, daß McIntyre nun diese Daten nimmt, die nicht mit der Temperatur korrelieren, daraus einen synthetischen Temperaturverlauf erzeugt, der anzeigt, daß die Temperaturen seit dem 2. Weltkrieg gefallen seien, was, wie wir aus Messungen wissen, ja falsch ist und dann dies auf seinem Blog so präsentiert, daß jeder Leser den Eindruck erhält, Briffa und seine Kollegen hätten Baumringdaten danach ausgewählt, daß sie zu ihrer vorgefaßten These von einer Hockeyschlägerform paßten, also unrepräsentative Daten genommen und somit ihre Ergebnisse gefälscht. Da wird etwas so präsentiert, daß suggeriert wird, hier wäre gelogen worden. Nach 254 Blogkommentaren stellt McIntyre dies halbherzig im Nebensatz scheinbar richtig, indem er meint, Briffa hätte nicht grob Daten nach Gusto selektiert („cherry picked“). Statt grob also subtil? Oder was? Briffa hat natürlich selektiert bzw. eine Selektion der russischen Kollegen übernommen. Nämlich die Baumringdaten ausgewählt, die eine Korrelation mit der Temperatur zeigen. Welche denn sonst? Und McIntyre hat eine Datenauswahl dargestellt, die genau zeigt, warum man sie verwerfen sollte – weil sie einen anderen Temperaturverlauf zeigt, als wir gemessen haben!

Es sind solche Darbietungen, die erhellen, warum McIntyre ein getreuer Ritter der Leugnerszene ist – er selbst macht seine „Audits“, in denen er eine Kulisse angeblicher Datenfälschung aufbaut, und läßt dann die Kommentatoren seines Blogs die Schmutzarbeit tun, die er vermeidet, um den seriösen Wissenschaftler zu geben. Seine Kommentatoren formulieren dann nämlich das aus, was McIntyre nur suggeriert: die Wissenschaftler, die die globale Erwärmung nachweisen, würden dies nur auf der Basis falscher Daten tun, und wenn man diese Fälschungen wegnimmt, gäbe es keine globale Erwärmung durch Treibhausgase. McIntyre weiß, daß dies falsch ist – es gibt Kommentare dazu von ihm – aber hier geht es auch nicht um wissenschaftliche Wahrhaftigkeit, sondern – für McIntyre – um Politik.

Also: McIntyre zeigt, warum die von Briffa nicht verwendeten Daten nicht verwendbar waren. Und tut dann so, als hätte er ihn überführt. Und der Teil der Presse, der politisch entsprechend aufgestellt ist, macht daraus die Meldung, die Hockeyschlägerform des Temperaturverlaufs, wie von Mann et al. 1998 erstmals festgestellt und seitdem dutzende Male mit zum Teil anderer Methode oder Daten bestätigt, sei widerlegt. Falsch. Widerlegt wurde nur, daß McIntyre irgendetwas macht, was mit seriöser Wissenschaft zu tun hätte.

Eine schon fast sarkastische Reaktion gibt RealClimate. Lesen sollte man dazu Deltoid. Und die dort jeweils angegebenen Links.

Ergänzung: Hier noch mehr zu dem Thema, wie jemand wie McIntyre sagt, daß jemand wie Briffa nicht Daten verfälschend selektiert hat, indem er wiederholt genau unterstellt, daß er Daten verfälschend selektiert hat ("cherry picked") und weitere Details.