Mittwoch, 18. Februar 2009

Sauerstoff messen

Derzeit läuft auf diesem Blog eine Reihe über das OH-Radikal, dessen Konzentration in der Atmosphäre im Bereich um 1 Million Radikale je Kubikzentimeter Luft liegt (Schwankungsbreite nach oben gut ein Faktor 10, nach unten gerne auch mehr, aber so tief liegt die Meßgrenze noch nicht) . Eine andere Substanz in der Luft ist der Sauerstoff, dessen Konzentration bei gut 10^19 Molekülen je Kubikzentimeter Luft liegt. Das ist 10 Millionen x Millionen mal mehr als die OH-Konzentration. So wenig OH gibt es, oder so viel Sauerstoff. Und sowohl eine so winzige Konzentration wie die von OH wie auch eine so riesige Konzentration wie die von Sauerstoff stellt diejenigen, die die atmosphärische Konzentration messen wollen, vor Probleme. Im Falle des Sauerstoffs ist das Problem, wie man so genau messen kann, daß man sinnvolle Aussagen zu Veränderungen der Sauerstoffkonzentration machen kann.

Das Mischungsverhältnis von Sauerstoff in der trockenen Luft liegt bei etwa 20,95 Volumenprozent. Und um Veränderungen von Jahr zu Jahr auszumachen, muss man diesen Wert auf mindestens 6 Stellen genau messen. Bei OH ist man froh, wenn man es überhaupt mißt und mit 20% Meßfehler kann man gut leben, auch wenn Physiker im allgemeinen gewohnt sind, auf mehrere Stellen genau zu messen. Beim Sauerstoff ist es nun wirklich nötig. Und es kommt noch hinzu, daß die reale Luft ja nicht trocken ist. Ihre Feuchte am Boden kann unter 1% liegen (trockene, insbesondere arktische Luft) oder über 3% (feuchte, insbesondere tropische Luft). Tatsächlich würde man, einfach abhängig von der Luftfeuchte, aus Messungen Werte für Sauerstoff erhalten, die irgendwo zwischen 20,0 und 20,9% schwanken. Und da soll man einen Trend finden, der sich auf der dritten und vierten Stelle nach dem Komma abspielt. Was macht man? Man bestimmt das Verhältnis der Konzentrationen von Sauerstoff und Stickstoff. Das bleibt nämlich gleich, egal wie feucht die Luft ist. Und damit man nicht dauernd die vielen Nachkommastellen mitschleppt, legt man auch noch einen Nullpunkt fest und betrachtet die Abweichung von diesem Nullpunkt, multipliziert mit 1 Million. Das ist dann Delta O2 per meg.

δ (O2/N2)= ( ( (O2/N2)Probe / (O2/N2)Vergleich ) - 1 )

Erläuterungen zur Meßmethode findet man zum Beispiel hier.

In der Tabelle 2 in dieser Quelle wird auch noch mal das Budget für Sauerstoff und CO2 aufgestellt. Um 1990 stieg CO2 in Einheiten von 10^14 Mol/Jahr um 2,3, Sauerstoff fiel um 6,7.

Der CO2 Anstieg setzt sich zusammen aus 4,85 aus fossilen Brennstoffen, 0,12 aus der Zementproduktion, -0,2 durch das Wachstum von Biomasse, -2,5 durch Lösung in Meerwasser.
4,85+0,12-0,2-2,5 = 2,27

Also: gemessen 2,3, berechnet 2,27 bei CO2.

Das Budget für Sauerstoff sieht so aus: gemessene Abnahme 6,7. Verlust durch Verbrennung fossiler Brennstoffe 4,85 für den Kohlenstoff, 2,01 für den Wasserstoff und andere Bestandteile, Zuwachs aus der Biomassenproduktion 0,2.
4,85+2,01-0,2=6,66

Also: gemessen 6,7, berechnet 6,66 bei O2.

Genau solche Zahlen machen deutlich, daß wir nicht nur sehen, daß CO2 zunimmt, sondern daß wir auch verstehen, warum es zunimmt. (In der Tabelle findet man natürlich auch Angaben zu den Meßfehlern, die ich hier zur Vereinfachung nicht angebe.)

Donnerstag, 12. Februar 2009

Zombies in der Klimadiskussion

Die Diskussion über die globale Erwärmung ist leider keine gewöhnliche wissenschaftliche Debatte. Die ist, wie ich gelegentlich anmerke, im Grundsatz vorüber, da sie Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, und mit einigen guten Experimenten und theoretischen Herleitungen seit den 50er Jahren bis ca. den 80er Jahren die Grundsatzfragen gelöst hatte. Seither ist die Karawane weiter gewandert und beschäftigt sich nun mit Wolken und Aerosol, mit Regionalvorhersagen, Meeresströmungen und der Dynamik von Eisschilden und vor allem der Klimafolgenforschung. In diesem Prozess erschlagene Thesen tauchen aber in den Blogs und Zeitungen und in der politischen Debatte als Zombies wieder auf. Wie jeder weiß, kann man Zombies nicht töten, außer man zerschmettert ihre Schädel. Nur die Klimathesenzombies haben keine reale Gestalt und sind daher wirklich unsterblich.

Was ich Zombies nenne, das sind fehlerhafte Behauptungen zum Klimageschehen, die trotz Widerlegung immer wieder neu vorgebracht werden. Diese fallen in mehrere Kategorien:

  • Unwissenschaftlich
  • Falsch
  • Irreführend
  • Unüberprüfbar
  • Außenseitertheorien

Unwissenschaftlich sind z.B. Verschwörungstheorien darüber, daß die Wissenschaftler die menschengemachte globale Erwärmung nur behaupten würden, weil sie Forschungsgelder einstreichen wollten. Das ist zum einen kein Argument zur Wissenschaft und zum anderen auch logisch falsch, denn Wissenschaftler, selbst wenn sie komplett von Drittmitteln abhängen, generieren Forschungsgelder nicht durch Panikmache der Öffentlichkeit, die selbst nicht über Drittmittelprojekte entscheidet, sondern indem sie anderen Wissenschaftlern einen Projektentwurf vorlegen, der Aussicht darauf hat, zu neuen, nützlichen Erkenntnissen zu kommen.

Falsch ist falsch, aber hier gibt es Varianten. Rechnerisch falsch sind Aussagen, die eine globale Abkühlung behaupten. Eine lineare Regression hat ein eindeutiges Ergebnis und es gibt anerkannte Tests dafür, wie viel Daten man braucht, damit der gefundene Trend auch signifikant ist. Eine Rechnung, die aktuell einen statistisch signifikanten Trend zur globalen Abkühlung ergeben würde, hätte eine wesentliche Eigenschaft: sie wäre rechnerisch falsch.
Falsch sind aber auch Aussagen, die auf falschen Prämissen gründen. Etwa Behauptungen, man könne den Treibhauseffekt widerlegen. Das ist ungefähr so unmöglich, wie die Existenz eines Perpetuum Mobiles zu beweisen, trotzdem finden sich massenhaft Liebhaber, die das eine oder das andere versuchen. Falsche Prämissen gibt es dabei etliche:

  • Der Treibhauseffekt würde darauf beruhen, daß IR-aktive Gase Strahlung reflektieren. Nein, das würde kein Experte behaupten.
  • Der Treibhauseffekt würde den 2. Hauptsatz der Thermodynamik verletzen, weil er verlangt, daß eine kältere Atmosphäre einen wärmeren Boden erwärmt. Nein, das ist nicht Teil der Theorie. Die Sonne erwärmt den Boden, von dem aus wird die Wärme über Verdunstung, Konvektion und Strahlung in die Atmosphäre transportiert. Diese sorgt dann für das Strahlungsgleichgewicht mit der Sonne. Und weil die Gasgesetze dafür sorgen, daß die Temperatur in der unteren Atmosphäre mit steigender Höhe abnimmt, wird das Strahlungsgleichgewicht nur indirekt mit dem Boden, aber direkt mit der kälteren Atmosphäre hergestellt. Und das zieht die Temperatur am Boden auf ein höheres Niveau.
  • Der Treibhauseffekt wäre bereits in der Sättigung, weil die CO2-Emissionslinien gesättigt seien. Das Problem ist hier, daß Messungen bei Bodendruck hier wenig erhellen, denn derzeit geht es darum, ob die CO2-Emissionslinien in der oberen Troposphäre gesättigt sind. Das sind sie nicht, da hier die verbliebene CO2-Säule bis zum oberen Rand der Atmosphäre deutlich dünner ist, die Druckverbreiterung der CO2-Linien geringer und bei hoch aufgelöster Betrachtung ohnehin die Flanken der Absorptionslinien weit von einer Sättigung entfernt sind.
  • Der Treibhauseffekt ist auch nicht nur eine Theorie, sondern man kann ihn sehen, hier zum Beispiel.

Irreführend sind Aussagen, die für sich vielleicht richtig sind, aber in einen falschen Zusammenhang gebracht werden. Oft ist das verbunden mit einem Strohmannangriff. Zum Beispiel könnte man hier die Projektionen der Klimamodelle für 2100 mit Vorhersagen verwechseln und, noch schlimmer, linear in die Gegenwart interpolieren. Wenn man dann den aktuellen Klimatrend mit der linearen Projektion vergleicht, wird man sicher starke Abweichungen finden. Schaut man aber in die Literatur, sollte einem auffallen, daß die globale Temperatur in den Projektionen erst sanft und dann steiler ansteigt. Kein Wunder, der Antrieb dafür ist das, was man Klimaantrieb nennt, die Differenz des aktuellen Klimas zum Gleichgewichtsklima, und das hängt vom Strahlungsantrieb ab, der von der Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre bestimmt wird. Diese Menge steigt, aufgrund wachsender Emissionsraten derzeit beschleunigt. Also wird auch der Temperaturanstieg diesem Klimaantrieb folgen und eine Beschleunigung zeigen.
Irreführend sind auch Aussagen, die ungleiches vergleichen. Das Klima z.B. erhält man erst aus der Mittelung von Wetter. Die Variation der globalen Temperatur über Monate oder zwischen einzelnen Jahren ist globales Wetter. Der Vergleich von Modellergebnissen, die zu globalen Trends geglättet wurden mit dem globalen Wetter, ist ein Vergleich von ungleichen Dingen. Erst, wenn man das globale Wetter vergleichbar geglättet hat, kann man den Vergleich durchführen.
Irreführend sind auch Aussagen, die sich darauf beziehen, was in der fernen Vergangenheit zu Klimaänderungen geführt hat. Da das Klima von vielen Einflussfaktoren abhängt, werden alle diese Einflussfaktoren auf den jeweilig angemessenen Zeitskalen das Klima geändert haben. Heutzutage sind aber menschliche Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen. Die konnte es vor dem 20. Jahrhundert nicht als dominierenden Faktor geben. Neben menschlichen Faktoren wird es auch weiter natürliche Faktoren geben, die auch bei den Klimaprojektionen berücksichtigt werden. Aussage von Leugnern: „Die Sonne macht das Klima.“ Übliche Reaktion der Klimaforschung: „Wissen wir. Steckt auch in den Modellen drin. Und?“

Unüberprüfbar sind Aussagen, die sich dem Experiment oder der abschließenden Bewertung entziehen, weil z.B. die Aussagen zu vage sind oder unerfüllbare Anforderungen stellen. Man kann z.B. nie beweisen, daß ein Modell völlig korrekt ist. Das wird auch nie von einem Modell verlangt. Es soll die bekannten Kenntnisse enthalten und hinreichend valide Ergebnisse geben. Was hinreichend ist, hängt von den Anforderungen ab, die im Laufe der Zeit wachsen, aber auch ihren Fokus ändern. Unüberprüfbar sind auch Aussagen, die nicht quantifizierbar sind. Z.B. mittelalterliche Aufzeichnungen darüber, wie das Wetter war, lassen sich nur schwer in Temperaturen übersetzen, und noch weniger läßt sich daraus ableiten, wie die Temperatur global war, z.B. über den Meeresoberflächen oder auf der Südhalbkugel.

Außenseitertheorien sind eigentlich keine Theorien. Eine Theorie ist in der Wissenschaft ein Gedankengebäude zur Erklärung von Phänomenen, Abläufen und Zusammenhängen, die aufgrund von Herleitung, Experiment oder Erklärungswert Bestätigung gefunden hat und als gültig akzeptiert wird. Eine Theorie gilt so lange, bis sie verbessert, erweitert oder ersetzt wird. Auf dem Weg zur Theorie gibt es Vermutungen, Thesen und Hypothesen. Hier geht es um Außenseitervermutungen oder –thesen, die ihre Überprüfung und Bestätigung oder Widerlegung noch vor sich haben. Außenseiterthesen heißen sie deshalb, weil sie entweder inkonsistent mit dem übrigen Wissen sind oder sich auf noch wenig untersuchte Bereiche beziehen. Ganz typisch dafür ist die These, galaktische kosmische Strahlung würde die Wolkenbildung beeinflussen und darüber das Klima. Teile der These sind durchaus nicht unplausibel. Galaktische kosmische Strahlung (GCR) gibt es, man kann sie messen und sie kann Kondensationskeime für Wassertröpfchen erzeugen. Der schwierige Teil sind die quantitativen Zusammenhänge. Entstehen genug Kondensationskeime, daß diese Art der Wolkenbildung einen messbaren Effekt auf das Klima hat? Der Nachweis fehlt, Korrelationen von GCR mit der globalen Temperatur sind ohne Befund, und letztlich ändert das Auftreten eines weiteren Faktors, der das Klima ändern könnte, nichts an den anderen.
Eine andere Außenseiterthese ist der Iriseffekt. Die These ist weitgehend widerlegt, sofern man den Iriseffekt als dominierenden Faktor für das Klima ansehen will, aber als Randeffekt kann man die These vielleicht nicht sicher ausschließen, womit ein Schattendasein für einige Zeit noch gesichert sein mag, bis bessere Wolkendaten und –modellierung hier Restunsicherheiten ausschließen.

Wer sich mit den Zombies noch näher auseinandersetzen will, für den kann ich hier einen Blockbeitrag (auf Englisch) anbieten.

Und speziell, warum wir Modellen vertrauen, könnte dieser Link (auf Englisch) erklären.

Mittwoch, 11. Februar 2009

Die gar nicht subtile Botschaft der australischen Brandkatastrophe

Einzelne extreme Temperaturen sind Wetter. Klimatologisch bedeutsam werden sie nur, wenn sich Extremereignisse häufen - dann sinkt immer mehr die Wahrscheinlichkeit, solche Ereignisse mit der Variabilität eines stationären Klimas zu erklären und nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, daß nur ein geändertes Klima eine annehmbare Erklärung bietet. Dazu liefert ein Bericht des australischen Büro für Meteorologie (dem australischen Wetterdienst) eine ausführliche Darstellung. (Bild: Temperaturanomalien gegenüber 1971-2000 während der letzten Hitzewelle. Quelle: Australien Bureau of Meteorology 2009)
Der Bericht zählt Temperaturrekorde auf, die teilweise sogar innerhalb der Hitzewelle wiederholt gebrochen wurden oder gleich um einen hohen Betrag übertroffen wurden. Es geht nicht um einzelne Hitzerekorde, sondern um zwei Phasen extrem heißen Wetters über insgesamt 2 Wochen. Der Temperaturrekord bei 48,8 Grad in Hopetoun, Victoria am 7.2. ist vermutlich auch ein Rekord für die gesamte Klimazone in der Südhalbkugel. Am 29.1. wurden sogar vereinzelt am frühen Morgen vor Sonnenaufgang Temperaturen über 40 Grad gemessen. Während der Hitzewelle wurden an fast allen Stationen im Staat Victoria mit langen Zeitreihen Temperaturrekorde aufgestellt, und in der Regel kam es zu einer Häufung heißester Tage der Temperaturzeitreihe in diesem Jahr.

Auch die Länge der Hitzewelle ist bemerkenswert und kam so bisher nur 1939 vor, wobei es regionale Unterschiede gibt, teilweise ist noch 1939, teilweise 2009 an Stationen das Jahr mit der längsten ununterbrochenen Reihe extrem heißer Tage.Die Hitzewelle war begleitet von extremer Trockenheit, die die ohnehin in Australien anhaltende Dürre verstärkte. Hitze und Dürre führten auch zu den Vorbedingungen für die verheerendsten Buschbrände, die Australien je seit der Besiedlung durch Europäer erlebt hatte. Geschätzt über 200 Menschen sind dabei umgekommen, mittlerweile befürchtet man sogar um die 300 Opfer. Verheerendere Buschfeuer gab es bisher nicht außer einmal den USA.
Nun ist umstritten, ob die langjährige Dürre in Teilen Australiens eine Folge des Klimawandels ist - einige Meteorologen weisen auf diese Möglichkeit hin, aber es gibt auch Modellrechnungen, nach denen gegenwärtige Dürre durch natürliche Fluktuationen des Niederschlags hervorgerufen worden sein könnte. Die Kombination von Stärke der Hitze, Dauer der Hitzewelle, Trockenheit und Intensität der Buschfeuer ist allerdings so ungewöhnlich, daß es schwer fällt, dies noch mit natürlicher Variabilität zu erklären. Das werden zukünftige Untersuchungen erhellen. Die weiteren Aussichten in dem Hitzestaat Victoria: nach kurzen Schauern wieder sonnig, erneut deutlich steigende Temperaturen bis Mitte nächste Woche.

Montag, 2. Februar 2009

Die lange Verweilzeit des CO2 und die Folgen: sterbende Meere, verschwindende Gletscher und Dürren

Die letzte Woche war schon wieder sehr aufregend. Leider ist es auch schon wieder zu viel, um es in angemessener Weise zu kommentieren. Trotzdem will ich es nicht unbeachtet lassen. Die Ereignisse der letzten Tage sind zum einen eine Veröffentlichung der NOAA-ESRL in Boulder, Colorado um Susan Solomon sowie von Arbeitsgruppen in der Schweiz und Frankreich. Solomon war mir bisher vor allem mit Arbeiten zum stratosphärischen Ozon aufgefallen, gehört aber auch zu den führenden Wissenschaftlern bei der Erstellung der IPCC-Berichte. Die Arbeitsgruppen haben mit zwei Modellen gearbeitet, mit einem gekoppelten Ozean-Atmosphären-Modell zur Verfolgung von Klimaänderungen bis 2100, und einem Carbon-Zyklus-Modell, das bis zum Jahr 3000 lief. Damit wollte man untersuchen, was die Auswirkungen von bestimmten Emissionsszenarien für Treibhausgase auf das regionale Klima ist, insbesondere bezüglich von Regenfällen und Dürren. Durch das Carbon-Zyklus-Modell sollte untersucht werden, wie sich dies über 2100 hinaus entwickelt. Geht CO2 vielleicht schnell wieder auf niedrige Werte zurück, sobald man die Emissionen auf Null fährt? Und normalisiert sich dann das Klima?

(Die Publikation ist hier: Solomon, Plattner, Knutti und Friedlingstein, Irreversible climate change due to carbon dioxide emissions, Proceedings of the National Academy of Sciences, 2009. Diskussionen dazu auf Englisch hier bei RealClimate und hier im Blog des New York Times Journalisten Revkin.)

Das zweite Ereignis war eine Deklaration von Ozeanforschern bei ihrem Treffen in Monaco, die vor den Gefahren der Versauerung der Meere durch den CO2-Anstieg warnen (hier ist die Deklaration und hier wird es diskutiert). Eine Verknüpfung mit den Risiken einer lang anhaltenden hohen Konzentration von CO2 in der Atmosphäre mit der Ausdehnung von Todeszonen in den Ozeanen wird hier in einem Blog bei Nature diskutiert. Dies und die Versauerung gefährden die Meere als Ökosysteme und als Nahrungsquellen für die Menschheit.

Das dritte Ereignis ist ein aktueller Bericht zu der Lage der Gletscher weltweit. Kurz gesagt: sie schrumpfen. Sie schrumpfen immer schneller. Es gibt wenige Ausnahmen, insbesondere in Neuseeland und in Norwegen und zwar, weil hier das Meer vor dem Festland wärmer wird, mehr verdunstet und für stärkeren Schneefall in den Bergen in der Nachbarschaft sorgt. Bei den Ausnahmen ist also nicht etwa geringeres Abschmelzen durch lokale Abkühlung der Grund für das Gletscherwachstum. RealClimate diskutiert den Bericht, auf den man hier zugreifen kann.

Keine der Publikationen ist eine wirkliche Überraschung für informierte Menschen, aber in dieser Häufung erzählen sie uns eine Geschichte über den aktuellen Stand des Klimawandels und unsere langfristigen Perspektiven.

Der Grund dafür, daß ich mit den Kommentaren zeitlich nicht nachkomme ist, daß ich einiges vorausschicken müsste. Das große Thema des Artikels von Solomon et al. 2009 zu den langfristigen Perspektiven der CO2-Emissionen ist das der Zeitskalen. Wenn ich wissen will, wie lange eine Substanz vorhanden ist, schaue ich auf die Halbwertszeit der Substanz. Die ist immer dann einfach definiert, wenn ich einen Abbau erster Ordnung vor mir habe. Also etwa eine radioaktive Substanz mit der Konzentration X hat einen Abbau, der nur von der eigenen Menge und eine Zerfallskonstante k abhängt. Der zeitliche Ablauf in der Zeit t ist dann gegeben durch:
dX/dt= -kX

Das heißt, das Produkt von k und X bestimmt, wie viel von X pro Zeiteinheit verloren geht. Ist gerade die Hälfte verloren gegangen, wurde die Halbwertszeit t(1/2) erreicht. Diese Halbwertszeit ist gerade ln(2)/k.
Es wird etwas komplizierter, wenn k keine Konstante ist, sondern von variablen Größen abhängt. Im Grunde kann man aber über die Halbwertszeit oft für nicht zu lange Zeiten grobe Abschätzungen für die Lebensdauer einer Substanz oder über Zeitkonstanten von Kopplungen machen. Schauen wir uns also den Kohlenstoffzyklus an.
Die Halbwertszeit von CO2 in der Atmosphäre ist scheinbar recht kurz. Pflanzen bauen CO2 in ihre Biomasse ein, absterbende Pflanzen geben CO2 beim Verrotten genauso wieder ab, wie auch Tiere gefressene Pflanzen in andere Substanzen umsetzen und am Ende als CO2 wieder ausatmen. 800 Gigatonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre stehen 800 Tonnen Kohlenstoff in Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen gegenüber. Pro Jahr werden etwa 120 Gigatonnen Kohlenstoff miteinander ausgetauscht. Damit ist die Zeitkonstante für einen Abbau des atmosphärischen CO2 k=0,15/Jahr und die Halbwertszeit 4,6 Jahre. Atmosphärisches CO2 ist also scheinbar sehr kurzlebig. Aber wegen des raschen Austausches von Biosphäre und Atmosphäre kann man diese beiden Reservoirs gar nicht trennen – was aus der Atmosphäre in Pflanzen abgelagert wird, kehrt schon bald wieder zurück.

Also muß man fragen, was denn die Halbwertszeit des CO2 in dem gekoppelten System Atmosphäre-Biosphäre ist. Der wesentliche Verlust hier ist in die Meere, die ja fast die Hälfte alles emittierten CO2 aufnehmen. Hier liegen ca. 38.000 Gigatonnen Kohlenstoff gelöst und als Carbonate vor. Ungefähr 90 Gigatonnen Kohlenstoff werden zwischen Atmosphäre und Meeresoberfläche ausgetauscht. Damit findet man als Halbwertszeit des gekoppelten Systems von Atmosphäre und Biosphäre gegenüber dem Austausch mit dem Meer etwa 12,3 Jahre. Damit ist CO2 immer noch scheinbar recht kurzlebig. Die Meeresoberfläche ist nämlich recht schnell mit CO2 gesättigt und würde dieses auch wieder abgeben, sobald die atmosphärische CO2-Konzentration nicht mehr ansteigt, sondern fällt, insbesondere, wenn sich gleichzeitig das Klima erwärmt. Für längere Zeit weg ist CO2 erst, wenn es von den Oberflächengewässern in die Tiefsee transportiert wird. Dieser Austausch beträgt ca. 100 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr. Da in den Oberflächengewässern ca. 1000 Gigatonnen Kohlenstoff sind, also 2600 Gigatonnen Kohlenstoff im gekoppelten System Atmosphäre-Biosphäre-Oberflächenwasser, verlängert sich die Halbwertszeit nun auf 18 Jahre. Auch das ist scheinbar kurz, auch wenn wir uns von den anfänglichen 4,6 Jahren schon um einen Faktor 4 wegbewegt haben.

Der Leser ahnt, was kommt. Die Tiefsee wird selbst irgendwann das eingemischte CO2 wieder abgeben, sofern es nicht in den Sedimenten im Meer abgelagert werden kann. Diese Ablagerung ist aber nun wirklich ein sehr langsamer Prozess mit einem Bruchteil einer Gigatonne pro Jahr. Die Zeitkonstante für den Verlust von Kohlenstoff aus dem gesamten System von Atmosphäre, Biosphäre und Hydrosphäre beträgt mehr als 100.000 Jahre. Das wäre die wahre Halbwertszeit von CO2, wenn dies die einzige Senke dafür wäre. Aber es gibt noch andere Prozesse. Das größte Reservoir für Kohlenstoff überhaupt ist der Boden, die Lithosphäre. Hier dominieren die Carbonate (z.B. Kalkstein, Dolomit) mit 60 Millionen Gigatonnen Kohlenstoff und die Kerogene, die aus Ablagerungen von pflanzlichem und tierischem Kohlenstoff entstanden sind (z.B. Ölschiefer) mit 15 Millionen Gigatonnen Kohlenstoff. Kurz: fast der gesamte Kohlenstoff ist eigentlich im Boden. Der Austausch mit den anderen Reservoiren erfolgt durch die Ablagerungen in Sedimenten und die Verwitterung von Gesteinen sowie durch die Mobilisierung des Kohlenstoffs aus den Gesteinen. Hier z.B. durch Vulkanismus. Chemisch findet bei der Verwitterung von Gesteinen entweder der Austausch von Silikat durch Carbonat statt oder die Umwandlung von Carbonaten in Hydrogencarbonaten, wodurch das gleiche Gestein nun die doppelte Menge CO2 bindet. Der Umsatz für die Verwitterung scheint in der gleichen Größenordnung zu liegen wie die Sedimentation. Also wird die Halbwertszeit für CO2 außerhalb der Lithosphäre aufgrund dieser Prozesse irgendwo im Bereich von einigen 10.000 Jahren bis knapp 100.000 Jahren liegen.

Unser Bild vom CO2 in der Atmosphäre ist also das von einer Badewanne, die einen großen Abfluß hat. Da der Zufluß größer ist als der Abfluß, steigt der Wasserstand in der Wanne. Dreht man den Zufluß ab, würde eigentlich der Wasserstand wieder sinken. Aber verbunden mit dieser Wanne sind die Biosphärenwanne und die mehr als vierzigmal so große Meereswanne – der Wasserstand in der Atmosphärenwanne sinkt also nur so lange schnell, bis er mit den anderen Wannen ausgeglichen ist. Haben diese verbundenen Wannen erst mal einen bestimmten Wasserstand erreicht, hängt es von einem sehr kleinen gemeinsamen Abfluß der drei Wannen ab, wie schnell der Wasserstand wieder zurückkommt auf den Wert vor dem großen Zufluß.

Dieses Bild von den Wannen ist der Hintergrund zu dem Artikel von Solomon et al. 2009. Ihre Feststellung ist, daß das CO2, was jetzt in die Atmosphäre abgegeben wird, zu gut 40% auch im Jahr 3000 dort sein wird. Der Rest wurde durch das Umverteilen zwischen den verschiedenen Wannen entfernt. Sollte wir also die CO2-Konzentration in der Atmosphäre vor 2100 auf über 600 ppm steigern und dann die Emissionen abstellen, werden im Jahr 3000 immer noch über 400 ppm da sein und der Treibhauseffekt entsprechend die ganze Zeit wirken. Bei einem Höchststand von 1000 ppm vor 2100 (was wohl dem Szenario entspricht, daß wir bei den Maßnahmen bleiben, die derzeit getroffen wurden) sind im Jahr 3000 noch gut 600 ppm übrig.
Die Botschaft ist: nicht schnell und hart zu handeln bringt uns negative Zinsen in Form dauerhaft erhöhter Treibhausgaskonzentrationen und dauerhafter Erwärmung, die aus Sicht unserer Zivilisation für immer auflaufen, denn ein Zeithorizont über 1000 Jahre trägt uns weit hinaus aus unserer Erfahrung als technologische Zivilisation. Es reicht nicht, irgendwann die CO2-Emissionen zu stabilisieren und zu senken. Es muß bald geschehen und die Emissionen mit vernünftigem Zeithorizont auf Null bringen. Danach bleibt uns nur noch das Geoengineering, das teuer, riskant und womöglich nicht effektiv ist.

Die zweite Botschaft der Publikation ist, daß die Folgen dieser Erwärmung dauerhafte Änderungen regionaler Klimate ist. Plakativ wird hier herausgegriffen, um wie viel der Regenfall in verschiedenen Regionen der Welt abnimmt. Zu den besonders hart getroffenen Regionen zählt dabei Südeuropa, das klimatisch sich in Richtung der Sahelzone entwickelt. Aufgrund der Abhängigkeit von der Halbwertszeit des CO2 in der Atmosphäre wie gesagt nach menschlichem Empfinden für immer.