Donnerstag, 16. September 2010

Wundersame Welt der Wirtschaftswissenschaften 2 - was kostet ein Leben?

Eines der Merkmale des Klimawandels ist es, daß hier in starkem Maße Schäden auftreten, die nicht direkt in Geld umgerechnet werden können. Das Aussterben von Arten, das Absterben von Korallenriffen, die massive Umsiedlung von Menschen aus Gebieten, die durch Überschwemmungen und Dürren bedroht werden und mögliche Todesfälle durch Naturkatastrophen und Hungersnöte sind allesamt nicht in Geld zu bewerten.

Eines der Merkmale der Wirtschaftswissenschaften ist, daß man genau dieses dort versucht.

Von Seiten der Naturschützer versucht man wohl, mit Ökonomen die gleiche Sprache zu sprechen und die gleiche Augenhöhe zu gewinnen. Seht her, sagen sie, wir wollen die Natur ja gar nicht (bloß) schützen, weil wir sentimental sind, sondern sie hat ja auch einen Nutzwert. Geschädigte Ökosysteme erhöhen die Kosten für die Wasseraufbereitung, führen zu Ernte- und Fischereiausfällen, erfordern erhöhte Aufwendungen im Hochwasserschutz oder führen zu dem Verlust von Tourismus- und Freizeitumsätzen. Auf dieser Basis wird dann gefordert, Staaten sollten eine Gesamtbewertung ihrer Ressourcen durchführen, in der nicht nur die Wirtschaftsleistung und Finanzmittel, sondern auch natürliche Ressourcen gewertet werden. Das Problem ist aber, daß hier viele Bewertungsmöglichkeiten bestehen. Zum Beispiel könnte eine Verwüstung eines Buschlandgebietes vielleicht den Wildparktourismus schädigen, aber andererseits einen Wüstentourismus aufkommen lassen. Der Verlust von Trinkwassereinzugsgebieten könnte vielleicht weniger gravierend sein, wenn sich alternative Trinkwasserquellen erschließen ließen.
 
Mehr noch, besteht hier das Problem, ideelle Werte zu berücksichtigen. Das wertvolle am Unternehmen Coca Cola ist die eingeführte Marke. Alleine der Name ist viele Milliarden wert und müßte bei einem Verkauf des Unternehmens mit bezahlt werden. Dabei ist der Name an sich ja ein nicht existierender Gegen­stand, aber er ist mit Milliarden an Investitionen in Werbung aufgebaut worden. Die schiere Existenz des Amazonas-Regenwalds ist Deutschen, die ihn noch nie gesehen haben, trotzdem Millionen wert, die an Spenden dafür aufgebracht werden, um ihn zu erhalten. Der Regenwald ist insoweit eine Marke, und diese Marke könnte wertvoller sein als Coca Cola – zusätzlich zum kaum abschätzbaren Nutzwert, der leider erst dann so richtig bewertbar wird, wenn er sich in massiven globalen Schäden äußert, sollte der Amazonas-Regenwald zur Steppe werden.

Noch gravierender wird das Bewertungsproblem, wenn man Todesfälle in die Rechnung einbeziehen will. Was ist ein Menschenleben wert? Es gibt dafür ökonomische Ansätze. Man könnte zum Beispiel fragen, was denn der potentielle Nutzwert des Menschenlebens ist, also die zu erwartende Wirtschaftsleistung minus Sozialleistungen. Damit werden gut ausgebildete junge Menschen besonders wertvoll, schlecht ausgebildete Menschen in Entwicklungsländern oder Rentner sind hingegen weitaus weniger wert. Zugegeben, die Formulierung ist unglücklich, denn es geht ja nicht um den Wert des Menschenlebens an sich, sondern nur darum, wie man im ökonomischen Vergleich einen Todesfall berechnet. Ein anderer Ansatz ist zu fragen, für wie viel ein Mensch bereit wäre, sein Leben zu versichern. Das ist näher daran, wofür man normalerweise die Bewertung eines Menschenlebens braucht: wenn es um Entschädigungen bei Unfällen geht – durch Versicherungen zum Beispiel. Beispielsweise hatten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW den Wert des Lebens eines deutschen Soldaten bei 2,3 Millionen Euro angesetzt.

Eine weitere Anwendung kommt bei der Frage auf, wie viel ein Unternehmer investieren sollte, um Todesfälle seiner Beschäftigten am Arbeitsplatz zu vermeiden. Einen Arbeitsplatz so sicher zu machen, daß Todesfälle absolut ausgeschlossen werden können, kann durch zu hohe Kosten praktisch unmöglich sein. Die Frage ist dann, welcher Aufwand als angemessen gelten muß. Auch damit wird ein menschliches Leben mit einem Preis bewertet.

Die verschiedenen Ansätze zeigen aber deutlich, daß hier von objektiven Zahlen nicht die Rede ist. Bewertungen des Wertes eines Menschenlebens können von einigen 1000 US-Dollar bis über 7,5 Millionen US-Dollar reichen. Selbst im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften ist der Wert eines Menschenlebens unbekannt. Sicher ist lediglich, daß es einen begrenzten Wert gibt.

Die verschiedenen Konzepte kann man ins Absurde führen, wenn man einem Ökonomen ein Angebot macht. Man schlägt vor, ihm das Doppelte des Wertes seines Lebens nach dem besten Bewertungsschema zu zahlen. Ein guter Ökonom sollte dieses Angebot doch annehmen, wenn wir voraussetzen, daß alle Seite gleich gut informiert sind, der Wert des Lebens korrekt eingeschätzt wurde und alle Beteiligten sich rational verhalten. Selbstverständlich wird im wahren Leben der Ökonom dieses „gute“ Geschäft ablehnen. Sein Leben hat nämlich einen ideellen Wert, der bis Unendlich geht, es sei denn, er plant bereits einen Selbstmord oder hat sowieso nicht mehr lange zu leben.

Bewertungsmodelle für den Wert bzw. die Kosten des Klimawandels sind also für die Praxis wertlos, weil die Bewertungen immer nur in einem bestimmten Rahmen gerechtfertigt werden können. Zudem wird die Bewertung noch dadurch absurd, daß ja hier eigener Nutzen gegen fremdes Leben verglichen wird: Industrieländer wägen ab, ob sie investieren sollen, um damit Menschenleben in weniger industrialisierten Ländern zu retten. Bei politischen Entscheidungen über Leben und Tod oder über das Fortbestehen von Lebensräumen kann man eigentlich nur Leben mit Leben vergleichen oder muss ideelle Werte ansetzen, die extrem hohe Werte annahmen können und letztlich die Kosten des Klimawandels in astronomische Höhen treiben. In Bewertungen wie etwa dem IPCC-Bericht wird man diese Berücksichtigung extrem hoher ideeller Werte nicht finden. Daher neigt die 3. Arbeitsgruppe des IPCC dazu, systematisch die Kosten des Klimawandels zu niedrig anzusetzen.

Ich habe allerdings noch ein Argument unterschlagen, warum es sinnvoll sein kann, einem Menschenleben einen bestimmten Wert zuzuordnen. Aber das will ich im dritten Teil des Beitrages ansprechen.

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